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Veröffentlicht am 24.08.2024

Vom Artensterben

Das Wesen des Lebens
1

Iida Turpeinen nimmt ihre Leser mit auf eine Reise, die 1741 mit dem deutschen Arzt und Naturforscher Georg Wilhelm Steller ihren Anfang nimmt. Seine Expedition führt ihn ins Nordmeer, dort entdeckt er ...

Iida Turpeinen nimmt ihre Leser mit auf eine Reise, die 1741 mit dem deutschen Arzt und Naturforscher Georg Wilhelm Steller ihren Anfang nimmt. Seine Expedition führt ihn ins Nordmeer, dort entdeckt er die gigantische, urzeitliche Seekuh, die danach bald ausgerottet war. Anhand des später gefundenen Skeletts dieser Stellerschen Seekuh führt die Autorin über mehrere Jahrhunderte vor Augen, wie der Mensch die Natur beherrscht.

Der Roman bietet ein Füllhorn an Wissen über die Artenvielfalt und deren sterben. Er führt vom Nordmeer nach Alaska, das damals russisch war. Dort begegnen wir dem finnischen Gouverneur Johan Hampus Furuhjelm, der nach dem Skelett suchen lässt und sind später dann in Helsinki bei Professor Alexander von Normann, der es schließlich erwirbt, um schlussendlich im Naturkundemuseum der Stadt zu sein, wo es seinen endgültigen Platz findet.

Dieser interessante, sehr informative Teil wird durch die Protagonisten lebendig. Der Mensch handelt eigennützig, er jagt die Tiere nicht nur der Nahrung wegen, auch die Felle und alles, war verwertbar ist, haben es ihm angetan und das, ohne auf die Erhaltung der Arten zu achten. Die Danksagung zum Schluss macht dies nur zu deutlich, gilt der Dank doch den Arten, die während des Schreibens dieses Buches ausgestorben sind. Fische, tropische Froscharten, unzählige Milbenarten, Beuteltiere und Fledermäuse, auch ein Wildschwein – es waren 374 Lebewesen, die während der sieben Jahre, in denen „Das Wesen des Lebens“ Gestalt annahm, für immer verschwunden sind.

Den Schreibstil habe ich zeitweise als etwas zu sperrig empfunden, die hier agierenden Personen waren eher so, als ob man sie aus der Ferne betrachtet, eher nüchtern beschrieben. Und doch möchte ich das Buch nicht missen, es bleibt im Gedächtnis und sollte gelesen werden.

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Veröffentlicht am 16.08.2024

Oscar erzählt

Pi mal Daumen
1

Die erste Begegnung zwischen Moni und Oscar mutet schon etwas seltsam an. Moni, die dreifache Oma, ist mit ihren 53 Jahren lebenserfahren, sie hat drei Jobs und eine Familie inklusive Enkelkinder an der ...

Die erste Begegnung zwischen Moni und Oscar mutet schon etwas seltsam an. Moni, die dreifache Oma, ist mit ihren 53 Jahren lebenserfahren, sie hat drei Jobs und eine Familie inklusive Enkelkinder an der Backe, die sich komplett auf sie verlässt. Und doch ist sie hier, ihr Mathematik-Studium beginnt jetzt. Neben dem 17jährigen Oscar Maria Wilhelm Graf von Ebersdorff findet sie einen freien Platz und wie es ihr Naturell ist, plaudert sie munter drauf los…“rückst du ein Stück, Kleiner?“ Oscars erster Eindruck von ihr fällt nicht gerade schmeichelhaft aus, er meint in ihr eine Sekretärin oder eine Kantinenfrau zu sehen, die sich hierher verirrt hat. Schon allein ihr schrilles Äußeres lässt ihn die Luft anhalten. Nun, noch ist die Vorlesung voll, alsbald wird sich die Zahl der Studenten drastisch reduzieren und natürlich wird auch Moni bald wieder verschwunden sein, dessen ist sich Oscar sicher.

Alina Bronsky lässt Oscar die Geschichte erzählen. Er kommt aus vermögendem Hause, groß geworden ist er mit Bediensteten, er wurde verwöhnt und verhätschelt, ist eher lebensfremd und durch und durch unselbstständig. Er gilt als hochbegabt, sein Mathematik-Studium stand für ihn schon lange fest. Vergeistigt, abgehoben, irgendwie nicht von dieser Welt - so war mein erster Eindruck von Oscar.

„Kleiner“ nennt Moni ihn, was anfangs durchaus amüsant, später dann eher nervig ist. Sie gibt ihm, dem Vegetarier, ihr Salamibrot und er greift beherzt zu. Sie hilft ihm durch so manche Unbill des Lebens, Oscar revanchiert sich damit, ihr Studium voranzubringen, auch wenn er nach wie vor davon überzeugt ist, dass es sie heillos überfordert.

Zwei Außenseiter, zwei ganz und gar unterschiedliche Charaktere, haben sich zwar nicht gesucht und doch haben sie sich gefunden und sind Freunde geworden. Und das trotz der vielen Vorurteile, die Oscar Moni gegenüber hegt, ergänzen - und ja - schätzen sie sich.

Oscar ist von sich als Genie komplett überzeugt, er seziert und kritisiert Monis Familie, fordert für sich stets eine Sonderbehandlung ein, er nörgelt an allem rum, bemäkelt auch seine eigene Familie, noch dazu bescheinigt er Moni, schlecht organisiert zu sein. Seine Gedanken sind zuweilen sehr anmaßend und trotzdem haben sie mich schmunzeln lassen, so frech und abkanzelnd sie auch bisweilen sind. Denn der Ton macht die Musik, und dieser Ton ist amüsant, das Buch hat eine Leichtigkeit, es ist unterhaltsam, es ist witzig, es hat Charme und lädt zum Schmunzeln ein.

Das Mathe-Studium inklusive diversen Professoren-Typen kommt schon auch vor, hält sich jedoch meist dezent im Hintergrund. „Pi mal Daumen“ bedient so manches Klischee, es überzeichnet, es spitzt zu und nicht zuletzt hat mich der warmherzige, humorvolle Ton für das Buch eingenommen.

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Veröffentlicht am 04.08.2024

Familie und mehr

Genau so, wie es immer war
1

Ein ganz normales Leben ist es, das Julia führt. Meistens zumindest. Ihre Ehe mit Mark hält nun schon ziemlich lange, ihre beiden Kinder sind wohlgeraten. Beide sind sie flügge, sie gehen von nun an ihre ...

Ein ganz normales Leben ist es, das Julia führt. Meistens zumindest. Ihre Ehe mit Mark hält nun schon ziemlich lange, ihre beiden Kinder sind wohlgeraten. Beide sind sie flügge, sie gehen von nun an ihre eigenen Wege.

Ein Blick zurück führt uns mit Julia in einen Supermarkt, in dem sie eine Frau aus längst vergangenen Tagen sieht. Soll sie sich bemerkbar machen? Nun, sie geht auf Helen zu. Helen Russo, eine Frau, die ihre Freundin war. Damals war Julia es, die immer wieder vor Helens Tür stand, diese charismatische Frau hat sie magisch angezogen. Auch hat sie ihren Sohn, den 3jährigen Ben, des Öfteren mitgenommen, nur Mark wusste nichts von Helen.

Die Kapitel wechseln vom Heute ins Gestern, zunächst von Julia und Mark zu den Ereignissen, die sich im Hause Russo abspielen. Helen hat mit ihrem Mann Pete fünf Kinder, alle sind sie in jener Zeit, als Julia bei ihnen ein- und ausging, im jungen Erwachsenenalter. Der 3jährige Ben war damals Julia und Marks einziges Kind, ihre Tochter Alma war noch nicht geboren. Julia kommt mir sehr verhuscht, ja unzufrieden vor. Sie ist von Selbstzweifeln geplagt, die offene, sehr sympathische Helen fängt sie in ihrer Überforderung auf, spricht ihr Mut zu, Julia scheint direkt abhängig von Helen zu sein und nicht nur von ihr…

Es sind noch mehr Erzählstränge, ich erfahre von Julia in jungen Jahren, von der ersten Begegnung mit Mark und ihrer Liebe zueinander, auch tritt später Julias Mutter auf, Ben und seine Schwester Alma begleite ich bei ihrer Abnabelung vom Elternhaus und es ist noch vieles mehr, was Julias Leben ausmacht, von dem hier berichtet wird.

Über 712 Seiten erzählt Claire Lombardo Julias Geschichte und die Geschichte einer Familie. Zunächst war ich neugierig, wie sich das Ganze entwickelt, war aber bald ziemlich ernüchtert. Nach der Begegnung im Supermarkt tut sich nicht viel, es plätschert so dahin. Und doch habe ich weitergelesen, wollte mehr wissen. Und es wurde wieder besser, ja interessanter. Julia hat bei mir ein Wechselbad der Gefühle ausgelöst. Ich hab sie gemocht, bedauert, hab mit ihr gelitten und sie dann wieder so gar nicht verstanden. Hab sie verdammt und verachtet, so richtig sympathisch war sie mir nie, denn sie war eher egoistisch unterwegs. Die Familie und die Freunde um sie herum hat die Autorin gut skizziert, die zwischenmenschliche Ebene gut eingefangen.

Es geht um Freundschaft und Abhängigkeit, um Partnerschaft und Betrug, um Loslassen und Neuanfang, es geht um das Leben in all seinen Facetten. Nach dem zähen Anfang, der sich doch über viele Seiten zieht, habe ich das Buch dann doch gerne gelesen. Es fängt den ganz normalen Alltag gut ein, es ist „genau so, wie es immer war“ und immer sein wird.

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Veröffentlicht am 02.08.2024

Intensiv erzählt

Seinetwegen
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Zora del Buono war acht Monate alt, als ihr Vater 1963 mit 33 Jahren bei einem Autounfall starb. Und nun, 60 Jahre später, sucht sie nach Antworten, sucht nach dem Unfallverursacher, nach E. T. Mehr weiß ...

Zora del Buono war acht Monate alt, als ihr Vater 1963 mit 33 Jahren bei einem Autounfall starb. Und nun, 60 Jahre später, sucht sie nach Antworten, sucht nach dem Unfallverursacher, nach E. T. Mehr weiß sie nicht von ihm und doch hofft sie, ihn zu finden. Der Töter – so nennt sie ihn – war mit seinem Chevrolet unterwegs, als er in einer Rechtskurve ein Pferdefuhrwerk überholt und dabei in den VW kracht, in dem ihr Vater als Beifahrer saß. Am Steuer war Zoras Patenonkel, den seitdem Zweifel plagen, auch wenn er den Unfall nicht hätte verhindern können.

Als erstes sehe ich im Buch ein inniges Vater-Tochter-Foto, es zeigt den stolzen Vater mit seinem Baby. Viel Zeit miteinander war ihnen nicht vergönnt, wir wissen es.

Schon als Kind fantasiert sie oft, dass sie E. T. finden, ihn zur Rede stellen und damit ihre Mutter rächen will. Sie war damals noch zu jung, der Gedanke verflog und taucht jetzt umso stärker wieder auf. Sie sucht nach ihm, sie sucht nach Antworten. Findet das damalige Urteil, in dem er wegen fahrlässiger Tötung schuldig gesprochen wird. Zwei Monate Gefängnis und 200 Franken Buße für ein Menschenleben – mehr war da nicht.

Bei ihrer intensiven Suche nach dem Mann, der ihr den Vater genommen hat, schweift sie immer wieder ab, sie schreibt geradezu nüchtern über berühmte Unfallopfer oder thematisiert den Lokführer, der kapituliert, der die Toten nicht mehr aushält. Ich lese von der letzten Hexe Europas, von Herbie, dem tollen Käfer und von noch so viel anderem. Nicht zu jeder Geschichte finde ich den Bezug zum Vater, zum Unfall, zum Töter.

Der autofiktionale Roman fordert schon Aufmerksamkeit, vor allem anfangs war ich ob der vielen Einschübe etwas irritiert. Bald aber konnte ich dem Buch viel abgewinnen. Was macht so ein Verlust mit einem? Wie kann einer mit so einer Schuld weiterleben? Kann er weiterleben? Und warum dauerte das Schweigen zwischen Mutter und Tochter so lange? Es ist ein anrührendes Buch, eine sehr persönliche Spurensuche. Ein Buch, das mich sehr nachdenklich zurücklässt.

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Veröffentlicht am 24.07.2024

Ein schmales Buch, gefüllt mit Leben

Komm tanzen!
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„Komm tanzen!“ ist ein schmales Buch mit viel Inhalt. Es ist ein Buch, dem man sich ganz widmen, dem man Zeit geben sollte. Es ist ein Buch, das nachdenklich macht. Und es ist ein Buch, gefüllt mit Leben. ...

„Komm tanzen!“ ist ein schmales Buch mit viel Inhalt. Es ist ein Buch, dem man sich ganz widmen, dem man Zeit geben sollte. Es ist ein Buch, das nachdenklich macht. Und es ist ein Buch, gefüllt mit Leben.

Sie sind jung, sie feiern gern und ausgiebig, denn „der Sommer ist ja wohl immer noch der beste Grund, um zu feiern.“ Und so lassen sie sich wegtragen von der Musik, schwelgen in ihren gemeinsamen Erlebnissen, haben ihre Lieblingsorte, ihre Lieblingswitze und ihre Lieblingssongs. Der laue Abend gehört ihnen, sie sind am Wannsee, es gibt genug zu trinken, heute vergessen sie alle Sorgen. Auch Claire ist dabei, auf ihren elfjährigen Sohn passte ein Freund auf, ihre Geschichte ist nicht ganz einfach. Lucia Jay von Seldeneck lässt tief blicken, auch erfahre ich von den anderen der Freundes-Clique - wie sie leben, was sie bewegt.

Man soll die Feste feiern, wie sie fallen – dieser Satz blitzt beim Lesen immer wieder auf. Denn nicht alles ist eitel Sonnenschein. Und da sind sie jetzt – mit vielen Gesprächen, mit viel Bowle. Sie tanzen sich frei von allen Themen, denn Tanzen ist die eigentlich schönste Form, um loszulassen. So lese ich es sinngemäß und genau so sehe ich es auch, mit dieser Aussage bin ich sehr einverstanden.

Um mich vollends einzufangen, hat dieser kleine, feine, gerade mal 137 Seiten umfassende Roman einige Seiten gebraucht. Anfangs waren gefühlt alle Personen sofort da, was mich kurz überfordert hat. Aber dann nimmt die Geschichte Fahrt auf. Es ist schon weit nach Mitternacht, als sie es hören – das Sirren der Havelnixe. Und auch wenn ich meine, dieses Mystische eher nüchtern zu betrachten, so lockt auch mich die Nixe…

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