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Veröffentlicht am 10.12.2024

Für Geschichtsliebhaber

Die Lungenschwimmprobe
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Tore Renberg hat jahrelang akribisch den wahren Fall der Anna Voigt, die des Kindsmordes beschuldigt wurde, recherchiert und zu rekonstruieren versucht. Diese intensive Auseinandersetzung hat Eingang gefunden ...

Tore Renberg hat jahrelang akribisch den wahren Fall der Anna Voigt, die des Kindsmordes beschuldigt wurde, recherchiert und zu rekonstruieren versucht. Diese intensive Auseinandersetzung hat Eingang gefunden in seinen Roman „Die Lungenschwimmprobe“, der damit zugleich dem Beginn der Rechtsmedizin ein Denkmal setzt. Die eher unbekannte Methode der „Lungenschwimmprobe“ wird eingesetzt, um ermitteln zu können, ob ein Kind bei der Geburt noch lebte oder bereits tot war.
Dass derartige Beweise Zulassung vor Gericht in der Mitte des 17. Jahrhunderts fanden, ist eine der Neuheit, die der Roman schildert, und in der sich der Zusammenprall vom Glaube und Aufklärung und der Beginn einer neuen Zeit manifestieren. Von daher ist eine Stimme aus dem Chor der damaligen Zeit, die in diesem Roman Gehör finden, die des Arztes Schreyer. Daneben geht es um den Anwalt Thomasius, der sich als Wegbereiter der Aufklärung gegen Hexenprozesse und Folter ins Feld zog und sich hier des Falls der Anna Voigt annahm. Unter anderem auch, weil Annas Vater ein reicher und einflussreicher Mann war, der nicht nur die Ehre seiner Tochter und damit seine verteidigen wollte, sondern auch gegen seinen persönlichen Widersacher ins Feld zieht. Mit den Stimmen der Aufklärung konkurrieren die, die am Althergebrachten, an der Tradition, den unerschütterlichen Grundpfeilern des Glaubens festhalten wollen, wie die Köchin aus dem Haushalt von Voigt, die für das dumm gehaltene, abergläubische Volk steht, sowie der Ankläger, der
Gesetz auch mit zweifelhaften Methoden „zum Recht“ verhelfen will. So entspannt sich ein spannender Konflikt zwischen Alt und Neu, Tradition und Fortschritt, Glaube und Vernunft, Kirche und Aufklärung. Dass es das Neue und Fortschrittliche in einer engen, mit starren Griff der Kirche gehaltenen Zeit, wo Unwissenheit und Aberglaube gern genutzte Mitteln der Manifestation der eigenen Macht darstellten, nicht leicht hatten, machen die Person des Arztes und des Anwalts deutlich, die bereit sind, für ihre Ideale auch die drohenden Konsequenzen in Kauf zu nehmen. Dabei geht es allerdings mehr um die Idee als um den konkreten Fall oder die konkrete Person der Anna Voigt, die bisweilen etwas in Vergessenheit gerät, und nicht nur Opfer von Verleumdung und Doppelmoral ihrer Zeit wird, sondern auch Opfer im Kampf von Überzeugungen. Es geht hier weniger um die Einfühlung in ihre Sicht der Dinge als stimmlose Frau, die den Männern, dem Aberglauben und den Moralvorstellungen der Zeit unterlegen ist.
Dem Autor geht es um die großen Ideen und den Fülle an Informationen, die er über diese Zeit zusammengestellt hat und der er sowohl bis in die äußeren Gestaltung des Covers und den Schreibstil beeindruckend Rechnung trägt. Allerdings muss der Leser der Leidenschaft für das historische Detail bisweilen über die 700 Seiten mit ein wenig Beharrlichkeit und Ausdauer folgen. Die Menschen sind zu sehr Träger von Überzeugungen, als lebendige Figuren, die den Leser packen und das Geschehen lebendiger machen könnten.
Sicherlich eine großartige literarische und historische Leistung für ein versiertes Publikum!

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Veröffentlicht am 27.10.2024

Skandale in einer skandalträchtigen Zeit

Die Könige von Babelsberg
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Kommissar Beneken ermittelt in dem Todesfall Lisa Rosenthal, der Ehefrau des Filmregisseurs Fritz Lang. Selbstmord? Unfall? Oder Mord aus Eifersucht? Immerhin hatte Lang ein offenes Verhältnis mit seiner ...

Kommissar Beneken ermittelt in dem Todesfall Lisa Rosenthal, der Ehefrau des Filmregisseurs Fritz Lang. Selbstmord? Unfall? Oder Mord aus Eifersucht? Immerhin hatte Lang ein offenes Verhältnis mit seiner Regisseurin und Drehbuchautorin Thea von Harbou. In welchem Verhältnis stand sie zu der Ehefrau? Wie kam es zu dem Tod durch einen Pistolenschuss im heimischen Ehebett von Rosenthal und Lang? Weitere Ungereimtheiten am Tatort und im pathologischen Befund setzen Kommissar Beneken auf die Spur eines Verbrechens. Allerdings haben höhere Kreise ein Interesse daran, den Fall unter den Teppich zu kehren.
Der Autor des Romans „Die Könige von Babelsberg“, Ralf Günther, verknüpft darin zwei Erzählstränge. Zum einen geht es um die Beziehungsverhältnisse des skandalträchtigen Filmemachers Fritz Lang in einer Zeit, in der die Gesellschaft nach Verlust der alten politischen Ordnung und des Wertesystems als Konsequenz der Niederlage im 1. Weltkrieg sich neu zu erfinden suchte, sich ausprobierte, dabei durchaus auch ins Taumeln geriet und vor allem eins wollte: die Schrecken des Krieges und die Not seiner Folgen für ein bischen Vergnügen zu vergessen. Auf der anderen Seite geht es um die Entwicklung des Helden, der Langs Gegenspieler sein müsste, es dann aber doch nicht ist. Der Kriminalbeamte Beneken, der der Mutter den gefallenen Mann und älteren Sohn ersetzen muss, der als Beamter den Ruf eines hartnäckigen Ermittlers mit klaren Vorstellungen von Recht und Gerechtigkeit genießt, muss sich zunehmend die Frage stellen, welche Art Mann er ist. Er will der Mutter ein guter Sohn sein und ihre Vorstellungen von Familie erfüllen. Er fühlt sich auch von Frauen angezogen, aber anders als ein Mann. Eher als eine Frau. Am Ende eines jeden Ermittlungstages steigt er – oder sollte man zunehmend eher sagen: sie – hinab in das Babylon Berlin der 20er Jahre. Die Metamorphose vom Mann zur Travestiekünstlerin Marlene vollzieht sich schrittweise. Aber dann doch in großen Schritten oder Sprüngen. Damit muss der nicht allzu umfangreiche Band dem ehrgeizige Unterfangen diesen zwei komplexen Erzählsträngen gerecht zu werden, Rechnung tragen. Zugegebenermaßen passen beide Stränge gut zusammen. Es scheint, dass Benekens persönliche Wandlung ihn in besonderem Maße befähigt, Verständnis für die Konstellation Lang, Rosenthal, von Harbou zu entwickeln, die sich ebenso außerhalb jeglicher gesellschaftlichen Konventionen. Gleichzeitig macht sie ihn in den delikaten Ermittlungen erpressbar, was der Auflösung des Falls dann wiederum hinderlich ist.
Der Roman, der auf den ersten Blick ein Krimi zu sein scheint, entwickelt sich im Verlauf weg von dem Bestreben, einen Fall zu lösen, dem Guten zum Recht und dem Bösen zur Strafe zu verhelfen. Er zeigt die Mehrdimensionalität auf, die nicht nur eine Gesellschaft, sondern auch jeden einzelnen durchzieht. So wird hier nicht über Gut und Schlecht geurteilt, sondern in der Figur des Beneken für Verständnis für die Andersartigkeit geworben, wobei durch die große – am Ende auch schwer erträglichen – Offenheit sich dem Leser der Raum zu vielen Fragen eröffnet, der ihn zugleich in die Verantwortung eines eigenen Urteils nimmt. Ein Roman, der bisweilen (mich) etwas befremdet und über den man noch lange nachdenken kann. Was ja in einer Zeit, in der viel ge- und abgeurteilt und angefeindet und mundtot gemacht wird, nicht das Schlechteste ist.

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Veröffentlicht am 23.10.2024

Der Weg in die Hölle

So gehn wir denn hinab
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Keine leichte Lektüre ist der Roman „So gehn wir denn hinab“ von Jesmin Ward über das in Sklaverei geboren Mädchen Annis. Mit dem Titel zitiert die Autorin Dantes „Inferno“ und beschreibt den Weg der ...

Keine leichte Lektüre ist der Roman „So gehn wir denn hinab“ von Jesmin Ward über das in Sklaverei geboren Mädchen Annis. Mit dem Titel zitiert die Autorin Dantes „Inferno“ und beschreibt den Weg der jungen Annis, die, nachdem schon ihre Mutter verkauft worden war, von Sklavenhändler aus dem Norden nach New Orleans deportiert wird. Und nicht nur der Weg dorthin ist die Hölle. Annis muss sich gegen die Willkür ihrer Herren und der Aufseher verteidigen. Ihre Mutter hat sie für den Kampf dagegen gut gerüstet, stammt sie doch selber von einer Kriegerin ab, die einst als Strafe für ihre Liebe mit dem Schiff nach Amerika verschleppt und in die Sklaverei gezwungen wurde. Eine andere Verbündete in Annis Kampf um Leben und Freiheit ist die beseelte Natur. Schon auf dem Weg nach Süden begleitet sie eine Frauengestalt, die für das Element des Wassers, für das Wetter, den Nebel, den Wind und den Regen steht. Sie scheint sie zu beschützen. Auf ihrem Weg lernt sie dann noch die Elemente der Erde, „Die, die geben und nehmen“, und des Feuers, „Die, die erinnert“ kennen. Doch auch diese alle geben nichts umsonst, sondern fordern Opfergabe und Anbetung. Wie kann es möglich sein, mit ihrer Hilfe einen Weg in die Freiheit und Selbstbestimmung zu finden?
Das Buch zu lesen, ist anstrengend. Das liegt auch an der Schwere der Thematik und der Intensität der Darstellung. Auch wenn es Hoffnungsschimmer gibt und die Stärke der Heldin beeindruckend ist, enthält es so viel Leid und Qual, soviel Grausamkeit und Gewalt, dass man sich nach der Lektüre regelrecht abgekämpft fühlt, obwohl man ja nur der stumme Beobachter in seinem bequemen Lesesessel ist. Was das Lesen auch anstrengend macht, sind die bildlichen Darstellungen. Gleichwohl voller Poesie und Schönheit widersetzen sie sich doch einem westlichen Deutungskonzept. Auch wenn die Autorin mit Dante dem christlichen Weltbild von Himmel und Hölle einen zweiten Deutungsrahmen gibt, ist das Buch doch sehr stark indigener Naturreligion verbunden. Die Natur ist beseelt. Der Mensch kann ihr huldigen, sie anbeten, ihr Opfer bringen, versuchen, sie gnädig zu stimmen und seine Hoffnung auf ihren Schutz zum Ausdruck bringen. Doch bleibt sie ein Stück willkürlich, folgt ihren eigenen Interessen, gibt sich divenhaft, will Verehrung, aber keine Verbindlichkeit. Mit ihrer allzu menschlichen Natur erinnert sie dabei schon wieder eher an die antiken Götter, die streiten, lieben, hassen, helfen und verdammen.
Insgesamt zeichnet der Roman das Buch eines Mädchens, das durch die beeindruckende Liebe ihrer Mutter und Großmutter – die Zärtlichkeit unter Frauen ist ebenso ein großes Thema, während Männer eher als grob fordernd und unterwerfend dargestellt werden, mit Ausnahme der Besitzerin, der Annis zum Schluss gehört – zu einer bewundernswert starken Frau heranwächst. Die Gräuel der menschenverachtenden Sklaverei werden bedrückend nachvollziehbar vor Augen gestellt. Hoffnung gibt, dass es Bereiche gibt, die diese nicht entwerten kann: die Liebe, den familiären Zusammenhalt, die Spiritualität eines freien Geistes und die Sehnsucht nach Selbstbestimmung. Das Ende gleicht eher einer Utopie als einer realen Chance. Ausgestoßen aus der menschlichen Gemeinschaft (der Weißen) qua Geburt ist ein Leben in Koexistenz nicht möglich.
Die Naturvisionen sind schon beeindruckend, bisweilen aber auch sehr ausgedehnt. Der Stil ist für meinen Geschmack stellenweise emotional zu überladen und zu sehr metaphorisch überhöht. Es ist sicherlich eine nachhaltige Leseerfahrung, die aber auch Mühe macht.

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Veröffentlicht am 08.09.2024

Harry Potter meets Herr der Ringe

Royal Institute of Magic, Band 1: Die Hüter der verborgenen Königreiche | Fantastisches Kinderbuch ab 10 Jahre
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Dass Victor Kloss ein großer Fan von „Harry Potter“ und „Herr der Ringe“ ist, merkt man deutlich, wenn man den ersten Teil seiner Reihe über das „Royal Institute of Magic“ liest. Schon der Titel macht ...

Dass Victor Kloss ein großer Fan von „Harry Potter“ und „Herr der Ringe“ ist, merkt man deutlich, wenn man den ersten Teil seiner Reihe über das „Royal Institute of Magic“ liest. Schon der Titel macht Bezüge zu Harry Potters Geschichte deutlich.

Ben, dessen Eltern schon vor längerer Zeit verschwunden sind, erhält von der Polizei Kisten mit ihren Habseligkeiten zurück, die zuvor der Ermittlung dienten. Darin findet er ein Kästchen, dass ihn auf eine Spur bringt. Gemeinsam mit seinem besten Freund Charlie macht er sich auf in die Welt der verborgenen Königreiche, um seine Eltern zu finden. Doch auch dort werden sie dringend gesucht, vermeintlich wegen eines Verbrechens, das sie begangen haben und das nun den Friedensschluss mit den gefährlichen Dunkelelfen ins Wanken bringen könnte. Und plötzlich befinden sich auch Ben und Charlie in der Schusslinie der Dunkelelfen und können nicht mehr erkennen, wer Freund und wer Feind ist am Royal Institute of Magic, an dem man nicht nur Geschichte und Diplomatie, sondern auch Zaubern und magische Kämpfe erlernen kann.
Wer „Harry Potter“ und „Der Herr der Ringe“ mag, wird hier sicherlich auf sein Kosten kommen. Es gibt Drachen, Trolle, Elfen – gute und böse, Greife und andere Flügelwesen, auf denen man sich in die Lüfte schwingen kann. Es gibt Parteiungen wider das Böse, das sich seinen Weg überall hin sucht, wahre Freundschaft und gefährliche Gegner. Und natürlich ein Geheimnis, das gelöst werden will. Allerdings noch nicht im ersten Teil der Geschichte. Und damit hat Victor Kloss einen effektiven Cliffhanger ans Ende gesetzt. Denn nun gibt es keine Alternative als weiterzulesen.
Dabei ist das „Royal Institute of Magic“ kein reiner Abklatsch der erfolgreichen Vorgänger, sondern hat auch seine ganz eigene Geschichte und originelle Elemente eines fantastischen Abenteuerromans. Das einzige, was das Lesevergnügen etwas trübt, ist die bisweilen recht umgangssprachliche Ausdrucksweise, was aber auch der Übersetzung geschuldet sein kann.

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Veröffentlicht am 25.08.2024

Mit den Waffen einer Frau

Wir waren nur Mädchen
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Der Roman „Wir waren nur Mädchen“ von Buzzy Jackson beschreibt die kaum bekannte Geschichte der niederländischen Widerstandskämpferin Hannie Schaft. Die schüchterne junge Frau studiert Jura, als die Nazis ...

Der Roman „Wir waren nur Mädchen“ von Buzzy Jackson beschreibt die kaum bekannte Geschichte der niederländischen Widerstandskämpferin Hannie Schaft. Die schüchterne junge Frau studiert Jura, als die Nazis Holland besetzen. Dem zunehmenden Unrecht kann Hannie nicht tatenlos zusehen. Sie wächst über sich hinaus, und ist eben nicht „nur“ ein Mädchen. Sie nutzt die Waffen einer Frau, sich den Nazis zu nähern, sie auszuspionieren und sie zu töten.
Widerstand gegen die Tyrannei ist nur mit dem Mittel der Gewalt zu leisten. Das Beispiel der Hannie Schaft macht es wieder einmal deutlich. Das eindrucksvolle Buch von Buzzy Jackson setzt der mutigen jungen Frau ein wohlverdientes Merkmal. Auch wenn der Mittelteil bisweilen Längen zeigt und es manchmal sehr emotional wird, ist es Jacksons großer Verdienst, wider das Vergessen einer leisen Heldin eine Stimme zu verleihen. Hannie Schaft hatte den Mut, den viele nicht aufbringen konnten. Nicht nur den Mut, das eigene Leben zu riskieren, sondern auch den Mut, zum Äußersten zu greifen, um die Freiheit und das Recht zu wahren. Als Jurastudentin muss ihr der Zwiespalt zwischen richtigem und rechtem Verhalten besonders schmerzlich bewusst gewesen sein. Auf jeden Fall eine Lektüre, die nachdenklich stimmt!

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