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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 21.10.2024

Atmosphärischer Heide-Roman

Von Norden rollt ein Donner
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Jannes ist 19 und Schäfer in der Lüneburger Heide.
Doch die Idylle wird nicht nur von der Rückkehr des Wolfes getrübt, sondern auch die Sorge um Jannes’ demenzkranken Vater macht ihm zu schaffen.
Als er ...

Jannes ist 19 und Schäfer in der Lüneburger Heide.
Doch die Idylle wird nicht nur von der Rückkehr des Wolfes getrübt, sondern auch die Sorge um Jannes’ demenzkranken Vater macht ihm zu schaffen.
Als er dann noch eine mysteriöse Frauengestalt im Wald sieht, beginnt er, an seinem eigenen Verstand zu zweifeln.

“Von Norden rollt ein Donner” ist vor allem eins: eine Desillusionierung der Heiden-Idylle. Denn der Roman zeigt auf, mit welchen Problemen die Schäferinnen zu kämpfen haben, dass der Ton und die Arbeit hart sind, dass es aus wirtschaftlicher Sicht schon lange nicht mehr reicht, einfach Schafe durch die Landschaft zu treiben.

Hinzu kommt die Wolfsproblematik: in der Gegend gab es schon die ersten Risse, nun wollen die Anwohner
innen ihr Vieh schützen und diskutieren über geeignete Maßnahmen, fühlen sich alleingelassen von der Politik.
Besonders anhand dieses Beispiels behandelt der Autor hier sehr anschaulich ein weiteres Thema: Generationskonflikte. Jannes’ Opa hat noch mitbekommen, wie auf Wölfe geschossen wurde, er sieht dies als die einzig vernünftige Lösung. Aber rechtfertigt Heimatschutz das Töten des gefährdeten Tieres?
Auch bei der Behandlung anderer Schwierigkeiten sieht man die unterschiedlichen Lösungsansätze verschiedener Generationen, z. B. im Rückblick, als Jannes’ Großmutter an Demenz erkrankt.

Außerdem behandelt der Roman die Themen Identität, Herkunft, die Schatten der (NS-)Vergangenheit, den Umgang mit dem immer mehr aufkommendem Tourismus und sogar eine Geistergeschichte findet ihren Platz.
Trotz der ruhigen Erzählweise erschafft Markus Thielemann unterschwellig Spannung, die hohe Dichte an Themen lässt die Stimmung immer düsterer werden.
Ich mochte außerdem die Landschaftsbeschreibungen und die wörtliche Rede sehr gern, durch die regionale Mundart sorgen die Anwohner ganz automatisch für ein atmosphärisches Lokalkolorit.

Am Ende bleiben einige Fragen offen, das Wolfsproblem ungelöst. Viele Erzählstränge werden nicht auserzählt und man muss sie selbst verbinden, um auf eine eigene Lösung zu kommen. ⭐️5/5⭐️

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Veröffentlicht am 17.10.2024

Kindgerechtes Sachbuch

Kuscheln
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"Kuscheln" ist ein Kindersachbuch, welches in elf Kapiteln verschiedene Tierarten beleuchtet. Im Mittelpunkt steht stets das Thema Kuscheln: Warum und auf welche Weise die jeweilige Tierart dies tut. Im ...

"Kuscheln" ist ein Kindersachbuch, welches in elf Kapiteln verschiedene Tierarten beleuchtet. Im Mittelpunkt steht stets das Thema Kuscheln: Warum und auf welche Weise die jeweilige Tierart dies tut. Im letzten Kapitel wird dann darauf eingegangen, warum wir Menschen kuscheln, so haben Kinder noch einen besseren Bezug zu dem zuvor Gelesenen.
Neben dem Thema Kuscheln lernt man aber auch noch ganz viele andere Fakten über Tiere, teilweise waren sie sogar mir neu. Sehr angenehm ist dabei, dass es keinen langen Fließtext gibt, sondern immer nur kleine Textfelder.
Die Informationen werden aus der Sicht eines Jungtiers der jeweiligen Art erzählt, ebenfalls eine sehr schöne Idee. Die Texte sind dabei einfach formuliert und meiner Meinung nach auch schon für jüngere Kinder gut verständlich.
Sehr positiv hervorheben möchte ich noch die wunderschönen und naturnahen Illustrationen von Maria Over. Highlight ist natürlich das kuschelig-weiche Fühlelement auf dem Cover.

"Kuscheln" ist ein absolut gelungenes Kindersachbuch mit vielen spannenden Informationen, tollen Bildern und mit dem man sich lange beschäftigen kann. ⭐️5/5⭐️

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Veröffentlicht am 06.09.2024

Moralische Abgründe

Trophäe
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Das Spitzmaulnashorn fehlt noch in Hunters Trophäensammlung, dann hat er die “Big Five” voll. Also ersteigert er die Lizenz und reist nach Afrika. Nachdem Wilderer ihm einen Strich durch die Rechnung gemacht ...

Das Spitzmaulnashorn fehlt noch in Hunters Trophäensammlung, dann hat er die “Big Five” voll. Also ersteigert er die Lizenz und reist nach Afrika. Nachdem Wilderer ihm einen Strich durch die Rechnung gemacht haben, beobachtet Hunter wütend ein indigenes Volk. Und dann erzählt sein Jagdleiter ihm, dass es da eine noch exklusivere Lizenz gibt. Ob er schon einmal von den “Big Six” gehört hat?

“Trophäe” ist ein ganz außergewöhnlicher Roman, der einen tief in seinen Bann zieht. Zunächst lernen wir den Protagonisten kennen: Hunter White, weiß, reich, männlich, der Prototyp eines Großwildjägers. Auf den ersten Blick unsympathisch, schafft es die Autorin Gaea Schoeters doch, ihn in all seinen menschlichen Facetten darzustellen und so sympathisiert man immer mehr mit ihm.
Hunters Gedanken sind es auch, die die “Pro”-Argumente für die Großwildjagd in Afrika liefern, die auf den ersten Blick auch ganz nachvollziehbar wirken.
Und dann kommt der Cut, der große moralische Konflikt: Hunter bekommt das Angebot, gegen Bezahlung Jagd auf den Anhänger eines indigenen Volkes zu machen.
Hier fängt man gemeinsam mit dem Protagonisten zu zweifeln an: Denn wenn die Trophäenjagd auf Tiere Naturschutz bedeutet, bedeutet die Menschenjagd dann nicht Entwicklungshilfe? Wo zieht man die Grenze? Warum ist das eine legitim und das andere absolut absurd und unvorstellbar?

Großartig erzählt, begleiten wir Hunter auf seiner Reise. Mit einer enorm bildgewaltigen Sprache werden wir auf diesen fremden Kontinent entführt, lernen so viel - nicht nur über die Jagd, sondern über die Politik des Landes, über die Flora und Fauna, über die bemerkenswerten Naturvölker. Man merkt, wie unglaublich viel Recherchearbeit Schroeters in ihren Roman gesteckt hat und kann so viel aus diesem mitnehmen.
Gleichzeitig schafft sie es, einen von Seite eins an in einen Sog zu ziehen, aus dem man erst nach Beenden des Buches entkommt.

“Trophäe” ist ein kluger Roman, welcher zum Nachdenken anregt und einem so vieles lehrt. Ich werde wohl ihn wohl noch lange im Gedächtnis behalten und gerne weiterempfehlen. ⭐️5/5⭐️

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Veröffentlicht am 27.08.2024

Sorgt für Verständnis

Dschinns
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1999: Hüseyin hat fast dreißig Jahre lang in Deutschland gearbeitet und sich nun seinen Lebenstraum erfüllt: eine Eigentumswohnung in Istanbul.

Doch als er in der fertig eingerichteten Wohnung steht, ...

1999: Hüseyin hat fast dreißig Jahre lang in Deutschland gearbeitet und sich nun seinen Lebenstraum erfüllt: eine Eigentumswohnung in Istanbul.

Doch als er in der fertig eingerichteten Wohnung steht, erleidet er einen Herzinfarkt und stirbt.

Als seine Familie aus Deutschland zur Beerdigung anreist, kommen jahrzehntelang unterdrückte Gefühle hoch.


Mit “Dschinns” hat Fatma Aydemir einen großartigen und vielschichtigen Familienroman geschaffen. Beginnend mit der Perspektive des Vaters inklusive dessen Herzinfarkt, lässt sie uns nach und nach die Sicht der anderen Familienmitglieder erfahren; erst die der vier erwachsenen Kinder, abschließend die der Mutter. Dabei wechselt sich die Gegenwart mit der Vergangenheit ab und es zeigt sich schnell, dass jeder auf seinem jeweiligen Lebensweg mit eigenen Geistern zu kämpfen hat. Zusammengenommen entsteht so das eindrucksvolle Porträt einer Familie, die den Zusammenhalt verloren hat.

Allein das fein beobachtete Zusammenspiel zwischen Geschwistern, Eltern, Söhnen und Töchtern würde schon für einen tiefsinnigen Roman reichen, hinzu kommt aber noch der Migrationshintergrund der Figuren. Aydemir zeigt auf, mit welchen Konflikten die “Gastarbeitergeneration” und deren Kinder zu leben hat: Die Suche nach Heimat, Zugehörigkeit und Akzeptanz, ein Nicht-Auffallen-Wollen, der Traum von einem besseren Leben, gleichzeitig das Bewahren von kulturellen Traditionen - kurz gesagt: ein ständiges Zerrissenheitsgefühl. Dazu kommt der dauernde Rassismus, viele schreckliche Situationen und Ängste, die für Migrantinnen Alltag sind.

Und zu guter Letzt hat der Plot das Buch für mich so besonders gemacht: Erst im Kapitel der Mutter, Emine, wird das letzte große Geheimnis der Familie gelüftet, welches vorher schon oft angedeutet wurde, aber für mich absolut überraschend kam. Erst im Nachhinein versteht man so vieles von dem Vorangegangenen.


Neben dem großartigen Inhalt besticht die Autorin durch ihren lebendigen und mitreißenden Schreibstil, durch einen unfassbar wohlüberlegten Aufbau und die Erzählform. Ihre Charakterdarstellungen sind authentisch, empathisch und gut beobachtet. Der Roman war wirklich ein Highlight für mich, er regt zum Nachdenken an und sorgt für gegenseitiges Verständnis. Daher empfehle ich ihn auch wärmstens an jede
n weiter. ⭐️5/5⭐️

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Veröffentlicht am 16.08.2024

Besonderer Roman über Kunst und das Erwachsenwerden

Der Distelfink
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Theo ist 13 Jahre alt, als seine Mutter bei einer Explosion in einem New Yorker Museum umkommt. Außerdem gelangt dabei verbotenerweise ein Kunstwerk in seinen Besitz, der Distelfink.
Während Theo immer ...

Theo ist 13 Jahre alt, als seine Mutter bei einer Explosion in einem New Yorker Museum umkommt. Außerdem gelangt dabei verbotenerweise ein Kunstwerk in seinen Besitz, der Distelfink.
Während Theo immer weiter in einen Strudel aus Trauer, Lügen, falschen Entscheidungen gerät, scheint das Gemälde die einzige Konstante in seinem Leben zu bleiben, ihn auf merkwürdige Weise zu faszinieren.

Aufgrund seines gewaltigen Umfangs (über 1000 Seiten) lag “Der Distelfink” lange ungelesen in meinem Regal. Dies war aber absolut unbegründet, denn schon nach kurzer Zeit hat mich das Buch - ebenso wie das Gemälde es bei Theo getan hat - in seinen Bann gezogen.
Gerade durch die hohe Seitenzahl lernen wir die Charaktere außerordentlich gut kennen, es ist, als seien sie Personen aus dem realen Leben und keine Fiktion.
Dem Buch zu folgen, war wie das Anschauen einer guten Serie: Nach jedem Kapitel wollte ich “nur noch eine Folge schauen”, wollte noch tiefer in die Geschichte eintauchen.
Wir folgen Theo beim Erwachsenwerden und doch ist es kein reiner Coming-of-Age-Roman. Es geht um Freundschaft, Liebe, um Kunst, um Richtig und Falsch, um Verlust und Verrat.

Donna Tartt hat einen ruhigen und sachlichen Erzählton und schafft es trotzdem, ihre Leserinnen zu berühren - sowohl emotional als auch intellektuell. Viele Tempowechsel sorgen für die nötige Spannung; in der einen Szene werden detailliert Kleinigkeiten beschrieben, in der nächsten überschlagen sich die Ereignisse.
Und doch ist es nicht die Geschichte an sich, die mich überzeugt hat, sondern hauptsächlich die Charaktere, die ich gerne auch noch auf 1000 weiteren Seiten begleitet hätte.

Kurzum: “Der Distelfink” hat mich komplett in seinen Bann gezogen und ich kann es allen Liebhaber
innen von ruhigerer Literatur ans Herz legen. ⭐️5/5⭐️

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