Demenz, Psychiatrie, Kriegsberichterstattung - feinfühlig erzählt
Die andern sind das weite Meer von Julie von Kessel hat mir sehr gut gefallen. Es werden wichtige und interessante Themen behandelt wie Demenz und Kriegsberichterstattung in der Ukraine, der Umgang mit ...
Die andern sind das weite Meer von Julie von Kessel hat mir sehr gut gefallen. Es werden wichtige und interessante Themen behandelt wie Demenz und Kriegsberichterstattung in der Ukraine, der Umgang mit dem frühen Verlust der Mutter, aber auch das Thema Beziehungen, sowohl partnerschaftliche als auch familiäre.
Das Buch ist aus der Sicht von Hans und seinen drei erwachsenen Kindern geschrieben: Tom, Luka und Elena.
Hans ist Botschafter a.D., der ehemalige Diplomat ist seit einigen Jahren pensioniert und lebt in Bonn. Seine Frau Maria, die er in Mexiko kennengelernt hatte, ist an Brustkrebs gestorben, als die Kinder noch klein waren.
Tom ist 42, er leitet eine psychiatrische Klinik in Berlin, Luka ist Reporterin, und Nesthäkchen Elena hat Brustkrebs und verdrängt die Diagnose, die Strahlentherapie bricht sie ab. Obwohl sie einen liebevollen Partner und eine dreijährige Tochter hat, stürzt sie sich in eine Affäre und trauert ihrer Jugendliebe nach. „Sein jüngstes Kind hat sich nicht gedreht, sich nicht zum Ausgang bewegt, beides sind Tatsachen, aus denen er später viel über ihr Leben ablesen wird. Sie muss per Kaiserschnitt auf die Welt kommen. Ihr muss von Anfang an geholfen werden.“ (S.143).
Stressbedingt begeht Luka in der Ukraine einen verhängnisvollen Fehler, der sie nicht nur ihren Job kostet, sondern auch Menschenleben gefährdet. Tom verliert einen Patienten, der ihm sehr am Herzen lag, und Elena verliert auf einer Party die Beherrschung – da erreicht sie die Nachricht, dass ihr Vater verschwunden ist. Die drei fahren in ihr Elternhaus nach Bonn und machen sich auf die Suche nach Hans. Allmählich wird ihnen klar, dass ihr Vater demenzkrank ist.
Mir haben das Buch und das Ende sehr gut gefallen. Ich fand alle vier Charaktere sehr interessant und konnte mich gut in sie hineinversetzen, besonders feinfühlig hat die Autorin Hans‘ Gedanken beschrieben. „Luka kannten alle aus dem Fernsehen. Aber sonst gab es nicht viel, womit er hätte prahlen können, keine Hochzeiten, keine Enkelkinder-Schar, keine Immobilien, nichts, was hier zählte.“ (S. 107) Hans denkt nicht nur über seine Kinder, sondern auch über seine Eltern nach, die mit seiner mexikanischen Ehefrau und seinen fremdländisch aussehenden Kindern alles andere als glücklich waren: „Was ist das denn für ein dunkles Bürschchen? Gehört er überhaupt zu uns? Er nennt ihn ab sofort den kleinen Indio.“ (S. 142)
Ein kleines Highlight war für mich das Lokalkolorit. Da ich Bonn gut kenne, habe ich viele der Schauplätze wiedererkannt, auch die Stelle, an der Hans im Rhein schwimmen geht. Von mir eine große Leseempfehlung für diesen feinfühligen Roman, der mich sehr berührt hat.