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Venatrix

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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 01.09.2024

Spannende Lesestunden

Über Leben und Tod
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Journalist Florian Klenk und Gerichtsmediziner Dr. Christian Reiter kennen einander schon sehr lange. Gemeinsam betreiben sie seit längerer Zeit einen Podcast, den ich persönlich noch (?) nicht kenne. ...

Journalist Florian Klenk und Gerichtsmediziner Dr. Christian Reiter kennen einander schon sehr lange. Gemeinsam betreiben sie seit längerer Zeit einen Podcast, den ich persönlich noch (?) nicht kenne. Das Buch macht Lust, den Podcast zu hören.

Worum geht’s?

Um nicht mehr oder weniger, als um die Arbeit eines Gerichtsmediziners, der nicht nur nach der Todesursache forscht sondern auch Gerichtsgutachten abgibt, wenn es darum geht, Gewaltopfern vor Gericht Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, was oft ander mangelnden Dokumentation durch nur unzureichend geschultes Personal in Polizeidienststellen und Notaufnahmen sehr schwierig ist. Hier beklagt Dr. Reiter, dass aus Einsparungsgründen nur mehr wenige Autopsien vorgenommen werden, was zur Folge hat, dass der eine oder andere nicht natürliche Todesfall unentdeckt bleibt. So wie es beinahe bei einem seiner spektakulären Fällen gewesen wäre: Elfriede Blauensteiner, die ihre betagten Opfer mittels Medikamenten sediert und dann Kälte ausgesetzt hat, so dass der Eindruck eines Todes an Lungenentzündung entstanden ist.

Daneben erfahren wir einiges über historische Kriminalfälle, gestohlene Köpfe und besuchen Dr. Reiter sowohl in öffentlichen als auch in seinem privaten Museen.

Natürlich darf auch der Werdegang des Doyen der Gerichtsmedizin Österreichs nicht fehlen. Wie er selbst launig erzählt, wollte seine Mutter nicht, dass er Veterinärmedizin studiert, denn „die Landtierärzte saufen alle“. So gesehen ein Glück für die Gerichtsmedizin.

Ein traumatisches Erlebnis ist für ihn die Arbeit in Bangkok, wo Reiter bei der Identifizierung jener Menschen, die beim Absturz der LaudaAir Maschine ums Leben gekommen sind, hilft. Die Selektion in nichtasiatische und asiatische Opfer (schwarzhaarig oder nicht) führt dazu, dass zahlreiche Tote nicht identifiziert werden und ein einem Massengrab bestattet werden. Auch das Abnehmen von Zahnabdrücken bleibt nur nichtasiatischen Opfern vorbehalten.

Dr. Reiter macht hier ganz profan auf die Schwierigkeiten der Hinterbliebenen aufmerksam, die nicht sicher sein können, dass ein Angehöriger wirklich tot und identifiziert ist.

Meine Meinung:

Das Buch ist sehr gut gegliedert, wenn auch nicht unbedingt chronologisch. An manchen Stellen wirkt es wie eine zwanglose Plauderei aus dem Nähkästchen, was wohl dem Format Podcast geschuldet ist. Das hat mir gut gefallen, denn so kann der Laie die Arbeit eines Gerichtsmediziners leichter verstehen und auch annehmen. Viele Angehörige wollen ja, warum auch immer, nicht, dass ihre toten Lieben aufgeschnitten und untersucht werden. Florian Klenk versteht es, die Informationen gut verständlich und ohne Voyeurismus, der manchen seiner Journalistenkollegen zu eigen ist, darzulegen.

Zahlreiche eingestreute Anekdoten über bekannte historische Todesfälle ergänzen das Buch. So bringt Reiter den Nachweis, dass einzelne Haare, die man Beethoven zuschreibt, doch nicht dessen Kopf geziert haben.

Sehr gut hat mir der Ausflug in die Medizingeschichte gefallen. Schmunzeln musste ich über das Kapitel „Herr der Fliegen“.

Ich hätte mir ein wenig mehr über die Arbeit und technische Details zur Ursachenforschung gewünscht. Aber das ist Meckern auf höchstem Niveau.

Fazit:

Gerne gebe ich diesem Buch, das eine gute Mischung aus Medizingeschichte, Biografie sowie der Arbeit eines Gerichtsmediziners ist, 5 Sterne.

Veröffentlicht am 31.08.2024

Ein komplexer Krimi

Kalt fließt die Mosel
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Petra Reategui nimmt uns in ihrem historischen Krimi an die Mosel, kurz nach der Kapitulation von Nazi-Deutschland und der Besetzung durch die Alliierten, mit. Waren es zunächst die Amerikaner, die das ...

Petra Reategui nimmt uns in ihrem historischen Krimi an die Mosel, kurz nach der Kapitulation von Nazi-Deutschland und der Besetzung durch die Alliierten, mit. Waren es zunächst die Amerikaner, die das Moseltal verwaltet haben, so sind es nun die Franzosen, die nun das Sagen haben. Das deutsch/französische Verhältnis ist seit Jahrhunderten angespannt und dass die Besatzer alles, was einen Wert haben könnte als Reparationsleistung an sich nehmen, fördert das Zusammenleben nicht wirklich. Zudem ist man auf der Suche nach Nazis, Deserteuren aller Armeen und versucht eine Ordnung aufrecht zu erhalten. Soweit das historische Umfeld, in der dieser Krimi spielt. Geografisch befinden wir uns zwischen Hunsrück und Maiental.

Eine junge hochschwangere, zunächst unbekannte Frau wird sterbend am Fuße eines Abhang gefunden. Während das Kind, ein Mädchen, gerettet werden kann, stirbt die junge Mutter in den Armen der Hebamme Eleonore „Ello“ Wiesrath. Ello kümmert sich um das Neugeborene, das die Verstorbene im Tagebuch „Hummelchen“ nennt, und entdeckt an seinem Popo, blaue Flecken, die sie der Sturzgeburt zuordnet.

Wenig später wird bekannt, dass ein Mann im nahen Steinbruch erschossen worden ist. Zufall?

Der französische Besatzungssoldat Jean-Paul Gourriérec und der ehemalige Wasserbauer Max Buchheim, der nun als Hilfsgendarm Dienst tut, beginnen mit den Ermittlungen sowohl was die tote Frau als auch die Leiche vom Steinbruch betrifft.

Im nahegelegenen Kloster erfährt Ello den Namen der toten Frau, Ida Rempin, und erhält ihre Habseligkeiten, ein Tagebuch und Babysachen. Das heißt, Selbstmord kann ausgeschlossen werden. Als sich dann noch Zeugen finden, die Ida mit einem Mann streiten haben sehen, liegt nahe, dass hier jemand nachgeholfen hat. Nur wer? Der Ehemann? Ein Geliebter? Der vermeintliche Kindesvater?

Dann gibt es noch eine Nebenhandlung, die im französischen Kriegsgefangenenlager spielt. Hier soll Sanan, ein kalmückischer Kriegsgefangener, an die UdSSR ausgeliefert werden, weil er in der deutschen Wehrmacht gekämpft hat.
Der französische Lagerarzt, der mit der Geschichte der Kalmücken vertraut ist, händigt Sanan falsche Papiere aus und lässt ihn nach Koblenz überstellen, wo er als Simon auf ein paar andere Kalmücken trifft.

Wenig später treffen Max, Jean Paul und Ello dort ein, da der Tote aus dem Steinbruch vermutlich ein russischer Zwangsarbeiter war. Nun ist Simon/Sanan als Dolmetscher gefragt. Während die Männer sich besprechen, sieht Ello ein Kleinkind, das nur mit einem Hemdchen bekleidet ist und auf dessen Po blaue Flecken zu sehen sind und erinnert sich an einen Vortrag in der Hebammenschule: Blaue Flecken am Steiß sind sogenannte Mongolenflecke, eine Pigmentveränderung, die vornehmlich Asiaten besitzen.

Meine Meinung:

Ich habe diesen historischen Krimi mit großem Interesse gelesen. Zunächst bedeutet ja das Ende der NS-Herrschaft für viele ein Aufatmen. Doch im Sommer 1945 benützen einige die Tage des Machtvakuums, um ihre persönlichen Rechnungen zu begleichen. Das Zusammenspiel zwischen den französischen Militärbehörden und den neu eingesetzten deutschen Hilfskräften wird hier ziemlich harmonisch dargestellt. Ob das wirklich überall so war?

Sehr gut ist die Geschichte der Kalmücken in den Krimi eingearbeitet. Ich habe dazu auch noch ein bisschen recherchiert. Die Kalmücken (eigentlich Oiraten) sind ein ursprünglich mongolisches und buddhistisches Nomadenvolk. In der Stalin-Ära wurden ihre Priester verfolgt, getötet und die Tempel zerstört. Während der Zwangskollektivierung der Landwirtschaft wurden die Kalmücken so wie ander Nomadenvölker gewaltsam in Städten und Dörfern zur Sesshaftigkeit gezwungen. Im Zweiten Weltkriegs erobert die deutsche Wehrmacht das kalmückische Gebiet. Einige tausend Männer kämpften anschließend an der Seite von NS-Deutschland gegen die Sowjetunion. Da sie Nachfahren von Dschingis Khan sind und daher, nach der Diktion der NS-Rassenlehre, keine russischen oder slawischen Untermenschen waren. Nach dem Zweiten Weltkrieg bezichtigte Stalin das gesamte Volk der Kollaboration und ließ die Menschen nach Sibirien deportieren.

Über den Mongolenfleck auf Hummelchens Popo musste ich sehr schmunzeln. Ich habe nämlich auch einen, der sogar in den medizinischen Geburtsbericht Eingang gefunden hat. Inzwischen ist er schon ziemlich verblasst. wenn man weiß, wo man suchen muss, kann man ihn erahnen. Gerüchten in meiner Familie zu Folge gibt es in der väterlichen, in Kärnten lebenden Zweig eine mongolische Urururgroßmutter.

Der Krimi ist komplex und in meinem Kopf ist ein mehrdimensionales Gebilde entstanden. Die Charaktere sind ausgefeilt und wirken glaubhaft in ihren Aktionen.

Gut gefällt mir, dass die Dorfbewohner so reden dürfen, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist. Eine Übersetzung der Dialektpassagen findet sich im Anhang. Ebenso sind hier die jenen wenigen Dokumente und Quellen über die Kalmücken, die Petra Reategui ausfindig machen hat können, aufgelistet.

Ob es eine Fortsetzung gebe wird? Ich bin überzeugt, dass mehrere LeserInnen wissen wollen, wie es mit Ello, Hummelchen, Max und Sanan weitergeht.

Fazit:

Gerne gebe ich diesem vielschichtigen Krimi aus der Nachkriegszeit 5 Sterne und eine Leseempfehlung.

Veröffentlicht am 31.08.2024

Erinnerungen an die Kindheit in den 1970er-Jahren

Wenn die Welt nach Sommer riecht
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In diesem Roman begegnen wir Siegfried „Sigi“ und seiner Familie nach „Die Welt war eine Murmel“ und „Die Welt war voller Fragen“ ein drittes Mal. Er schließt nahtlos an die Vorgänger an. Doch lassen sich ...

In diesem Roman begegnen wir Siegfried „Sigi“ und seiner Familie nach „Die Welt war eine Murmel“ und „Die Welt war voller Fragen“ ein drittes Mal. Er schließt nahtlos an die Vorgänger an. Doch lassen sich alle drei Bücher auch völlig unabhängig voneinander lesen, ohne dass man zuvor einen früheren Band gelesen haben muss. Allerdings brächte man sich um einige köstliche Lesestunden, vor allem dann, wenn man selbst ein Kind der Sechziger-Jahre ist.

Zwar lassen sich nicht alle Erinnerungen des 13-jährigen Sigi, der auf dem Land aufwächst, auf Stadtkinder wie mich übertragen, doch teile ich zahlreiche Rückblicke, wie das ständige Rauchen der Erwachsenen. Meine Eltern haben jeweils zwei Packerl Zigaretten geraucht und ich musste meinen Lehrerinnen (reines Mädchengymnasium) immer erklären, dass ich selbst nicht rauche.

Sigi beginnt sich langsam für mehr als nur für die Apollo-Mission und Karl May zu interessieren. Mädchen rücken in seinen Fokus. Er erlebt die erste Zigarette und die erste vom Alkohol verursachte Übelkeit. Die Rivalität zwischen seiner Schwester und ihm wird stärker.

In der Schule, nunmehr vierte Klasse Gymnasium, stellt er nach wie vor neugierige Fragen, die ihm als ungebührliche Kritik ausgelegt werden. Die Erkenntnis, dass nach wie vor zahlreiche alte Nazis in den Schulen unterrichten, führt auch in seiner Schule zu Schülerprotesten, die es, in unterschiedlichen Ausprägungen, überall gegeben hat.

Auch die damaligen gesellschaftlichen Einstellungen innerhalb der Familie, ob Mütter und Ehefrauen „Nur-Hausfrauen“ zu sein haben, oder auch einer Berufstätigkeit nachgehen dürfen, wird an Hand von Sigis Familie sehr gut dargestellt. Sigis Mutter arbeitet Teilzeit in der dörflichen Apotheke, was ihr Mann äußerst argwöhnisch beobachtet. Denn er sieht seine Rolle als „Herr im Haus“ gefährdet, zumal der Apotheker ein allein stehender Mann ist. Sigis Vater greift immer häufiger zur Flasche und fürchtet um seine eigene Bequemlichkeit, wenn er sich das Bier oder die Jause selbst aus der Küche holen muss. Ja, das kenne ich auch aus meiner eigenen Familie sehr gut!

Schmunzeln musste ich an die Versuche, Zimmer zu vermieten. Hier kann Sigi erstmals seine Englisch-Kenntnisse und Kochkünste an englisch sprechenden Feriengästen ausprobieren, als die ein englisches Frühstück wollen.

Auch die Bezeichnung „Gammler“ für jene Studenten, die keinen militärisch kurzen Haarschnitt getragen haben, habe ich noch im Ohr. Darüber haben sich vor allem meine Großeltern ziemlich aufgeregt.

Fazit:

Gerne bin ich mit Sigi in die 1970er-Jahre eingetaucht, auch, wenn die eine oder andere Erinnerung für mich persönlich nicht so angenehm gewesen ist. Aber, das ist eine andere Geschichte. Für die von Sigi gibt es jedenfalls 5 Sterne.

Veröffentlicht am 30.08.2024

Fesselnd bis zur letzten Seite

Die Gewalt des Sturms
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Dem Ziel ihres geheimen Auftrags, den Maulwurf in der Auricher Dienststelle ausfindung zu machen und ihm das Handwerk zu legen, ist KHK Lina Lübbers noch nicht wirklich näher gekommen. Sie hat zwar die ...

Dem Ziel ihres geheimen Auftrags, den Maulwurf in der Auricher Dienststelle ausfindung zu machen und ihm das Handwerk zu legen, ist KHK Lina Lübbers noch nicht wirklich näher gekommen. Sie hat zwar die Dossiers über alle Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen erhalten, trotzdem fällt es ihr schwer, einen konkreten Verdacht zu finden. Noch kann sie niemanden ausschließen. Mitten in ihre Überlegungen platz der gewaltsame Tod des örtlichen Notars, der in seiner Kanzlei an einen Stuhl gefesselt gefunden worden ist. Der Tresor ist aufgebrochen und das Büro durchsucht worden.

Nahezu gleichzeitig wird der Inhaber einer kleinen Spedition beim Joggen auf einem Feldweg von einem Auto angefahren und tödlich verletzt liegen gelassen. Um die Aufklärung dieses Tötungsdelikts kümmert sich die interimistische Leiterin des Kommissariats Kea Siefken.

Bei ihren Recherchen stoßen sie auf eine Verbindung zwischen den beiden Toten. Diese Spur führt sie zu jenem niederländischen Clan, der seit längerem versucht, seine Drogengeschäfte in Ostfriesland zu etablieren.

Meine Meinung:

Diese Fortsetzung, der als Trilogie angelegten Mini-Serie hat mir gut gefallen. Ich habe das Buch in einer Nacht gelesen.

Die interessante Schreibweise hat das Autorinnen-Duo beibehalten: Die Handlung wird abwechselnd aus Keas und Linas Perspektive, jeweils in der Ich-Form, geschildert. Eine geschickte, wenn auch zu Beginn irritierende Idee! Nicht immer ist ganz eindeutig, in wessen Haut wir Leser nun stecken. Da ist aufmerksames Lesen notwendig, zumal es noch unausgesprochene Gedanken gibt, die in kursiver Schrift eingeschoben sind. Da ist das eine oder andere Blitzlicht über die oder den Kollegen auch amüsant, weil mitunter fehlinterpretiert.

Die Charaktere sind ausgefeilt und wirken recht authentisch. Die beiden Kommissarinnen sind „g’standene Frauen“, d.h. sie arbeiten doppelt soviel wie ihre männlichen Kollegen und sind sich in manchen Dingen ähnlicher als ihnen lieb ist, bzw. sie ahnen. Allerdings haben beide ihre persönlichen Schicksalspäckchen zu tragen. Die eine, alleinerziehend mit einer pubertierenden Tochter und einem etwas jüngeren Sohn, die sich auf den Ex- Mann und Kindesvater nicht immer verlassen kann und die andere, die ihre jüngere Schwester den Drogentod sterben hat sehen.

Ob die beiden Frauen dem De-Jong-Clan das Handwerk legen können, erfahren wir hoffentlich recht bald. Bis Jahresende soll ja Band drei („Die Kraft der Ebbe“) erscheinen, auf die ich mich sehr freue.

Fazit:

Eine gelungene Fortsetzung dieser Krimi-Reihe, der ich gerne 5 Sterne gebe.

Veröffentlicht am 29.08.2024

Eine gelungene Fortsetzung

Eine Corsa in Triest
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In seinem dritten Krimi rund um Gaetano Lamprecht erleben wir hautnah mit, wie es mit jenen Menschen weitergeht, die nun in Gebieten leben, die nach der Niederlage und dem Zerfall des Habsburgerreiches ...

In seinem dritten Krimi rund um Gaetano Lamprecht erleben wir hautnah mit, wie es mit jenen Menschen weitergeht, die nun in Gebieten leben, die nach der Niederlage und dem Zerfall des Habsburgerreiches einem der Siegerstaaten zugesprochen worden sind. Die Hafenstadt Triest ist nun Teil Italiens obwohl auch der neu geschaffene SHS-Staat Jugoslawien Anspruch auf Triest erhebt. Wie häufig, wird die Vergangenheit, auch wenn sie, wie im Fall Triests, mehrere Jahrhunderte Wohlstand gebracht hat, fanatisch ausgelöscht. Die Straßen und Plätze werden umbenannten, alle Insignien der Habsburger vernichtet, die deutsche Sprache verboten und die ehemaligen österreichischen Familien stehen ohne Arbeit und Staatsbürgerschaft da.

Auch die Familien Lamprecht ist davon betroffen. Franz Lamprecht, Monarchist bis in die Knochen, verliert seine Arbeit und man lebt recht und schlecht von den Ersparnissen, die nach der Währungsreform nur mehr einen Bruchteil des Wertes ausmachen als Gaetano 1919 gezeichnet aus dem Krieg zurückkommt. Die Welt in die Gaetano zurückkehrt, ist eine andere. Einzig sein Bianchi, sein Rennrad, ist wie zuvor.

Seine Arbeit als Polizist hat er verloren. Neu eingestellt werden nur noch Italiener. Schweren Herzens und zum Ärger des Vaters nimmt Gaetano die italienische Staatsbürgerschaft an. Seine Verdienste vor dem Krieg zählen nicht, so dass er als einfacher Agente ganz unten beginnen muss. Als Italiener kann er nun Federica, die Tochter seiner letzten Geliebten Alessia Pironi, die wie Tausende andere an der Spanischen Grippe gestorben ist, aus dem Waisenhaus holen und adoptieren. Auch das trägt zu Spannungen innerhalb der Familie Lamprecht bei.

Das politische Klima ist explosiv, denn sowohl die faschistischen Schwarzhemden als auch die Nationalisten versuchen die Herrschaft zu übernehmen. Natürlich werden dabei auch alte Rechnungen beglichen. Wie schon in den Vorgängern subtil beschrieben, ist auch die Polizei von beiden Gruppen unterwandert, was in der Verfolgung von Verbrechern natürlich auswirkt.

Als innerhalb der Schwarzhemden ein Streit ausbricht, der mit Waffengewalt ausgetragen wird, gerät Gaetano zwischen die rivalisierenden Gruppen und wird, kaum dass er mit seiner Suche nach dem vermissten Erfinder Walter Kinski begonnen hat, wieder vom Dienst suspendiert.

Doch nicht nur die Kollegen haben sich verändert. Auch in der Familie Lamprecht liegen die Nerven blank. Franz Lamprecht fühlt sich gedemütigt, weil er keine Einkünfte mehr hat. Adina, Gaetanos Schwester und Vertraute arbeitet, gegen den Willen des Vaters, seit kurzem in einem Architekturbüro. Dort lernt sie ihren Mann kennen, der mit den Faschisten sympathisiert. Als dann noch sein Bruder Ladislaus, der nach dem Tod seiner Frau häufig in Frauenkleidern zu sehen ist, Selbstmord begeht, steht für Franz Lamprecht fest, dass er, wie so viele österreichische Familien, mit seiner Frau Elodie Triest verlassen wird.

Meine Meinung:

Christian Klinger zeichnet in diesem dritten Band ein düsteres Bild der Hafenstadt Triest. Die alte Ordnung der Habsburger ist passé, eine neue hat sich noch nicht etabliert. Ein idealer Nährboden für allerlei Defraudanten und Verbrecher. Wir begegnen Gabriele D’Annunzio, der in der Stadt Fiume (heute Rijeka in Kroatien) seine eigene Herrschaft ausgerufen hat oder Camillo Castiglioni (1879-1957), einem Industriellen und Börsenspekulanten der dem (fiktiven) Walter Kinski Kapital zur Weiterentwicklung des Elektroautos geben soll. Dass er die Konstruktionspläne eines gewissen Ferdinand Porsche gestohlen hat, tut dem Erfindergeist keinen Abbruch. Geld wird Kinski trotz der gewonnenen Wettfahrt („Corsa“) mit Gaetano am Beifahrersitz, nicht erhalten. Der Elektromotor verliert den Kampf gegen die Verbrennermotoren, unter anderem auch deshalb, weil die Öllobby die Welt mit einem Tankstellennetz überzieht und die Reichweite des Verbrenners weit über jener des Elektromotors liegt.

Wie der technikbegeisterte Gaetano dazu kommt, mit Kinksi die Corsa in Triest zu fahren, müsst ihr selbst lesen.

Wie schon in den anderen Gaetano-Lamprecht-Krimis beschreibt Autor Christian Klinger das Leben in der Hafenstadt. Doch nun, 1919/20 ist die Stadt nicht nur den Bewohnern, sondern auch uns Lesern ein wenig fremd geworden. Die Stimmung ist trist und aufgeheizt zugleich. Alle Nicht-Italiener, seien es Österreicher oder Slowenen müssen um ihre Sicherheit bangen. Die Vorboten der Faschisten, die unter Mussolini wenige Jahre später die Macht ergreifen, hinterlassen deutliche Spuren. Deshalb tritt die Krimihandlung ein wenig zu Gunsten eines historischen Romans zurück.

Der verlorene Weltkrieg und seine Folgen hat bei Gaetano deutliche Spuren hinterlassen. Nicht nur, dass er deutlich sichtbare Narben an seinem Körper trägt, ist er manchmal gezwungen, seine Schmerzen mit Morphium zu betäuben. Die Erlebnisse im Krieg haben ihn seine Unbekümmertheit verlieren und ihn reifen lassen. Er ist nicht mehr der Frauenschwarm wie zuvor.

Geschickt verknüpft Autor Christian Klinger, dessen Wahlheimat Triest geworden ist, Fakten und Fiktion. Ich mag den unaufgeregten Schreibstil des Autors, der das Lebensgefühl einer längst vergangenen Epoche wieder auferstehen lässt.

Wie es mit Gaetano in Triest weitergehen wird? Wird er sich den neuen politischen Gegebenheiten anpassen oder wieder anecken? Wie wird Gaetanos Zusammenleben mit Adina und ihrem Mann verlaufen?

Fazit:

Gerne gebe ich diesem historischen Krimi, der die Geschichte einer altösterreichischen Familie im nunmehr italienischen Triest, sehr gut erzählt, 5 Sterne.