Ein komplexer Krimi
Kalt fließt die MoselPetra Reategui nimmt uns in ihrem historischen Krimi an die Mosel, kurz nach der Kapitulation von Nazi-Deutschland und der Besetzung durch die Alliierten, mit. Waren es zunächst die Amerikaner, die das ...
Petra Reategui nimmt uns in ihrem historischen Krimi an die Mosel, kurz nach der Kapitulation von Nazi-Deutschland und der Besetzung durch die Alliierten, mit. Waren es zunächst die Amerikaner, die das Moseltal verwaltet haben, so sind es nun die Franzosen, die nun das Sagen haben. Das deutsch/französische Verhältnis ist seit Jahrhunderten angespannt und dass die Besatzer alles, was einen Wert haben könnte als Reparationsleistung an sich nehmen, fördert das Zusammenleben nicht wirklich. Zudem ist man auf der Suche nach Nazis, Deserteuren aller Armeen und versucht eine Ordnung aufrecht zu erhalten. Soweit das historische Umfeld, in der dieser Krimi spielt. Geografisch befinden wir uns zwischen Hunsrück und Maiental.
Eine junge hochschwangere, zunächst unbekannte Frau wird sterbend am Fuße eines Abhang gefunden. Während das Kind, ein Mädchen, gerettet werden kann, stirbt die junge Mutter in den Armen der Hebamme Eleonore „Ello“ Wiesrath. Ello kümmert sich um das Neugeborene, das die Verstorbene im Tagebuch „Hummelchen“ nennt, und entdeckt an seinem Popo, blaue Flecken, die sie der Sturzgeburt zuordnet.
Wenig später wird bekannt, dass ein Mann im nahen Steinbruch erschossen worden ist. Zufall?
Der französische Besatzungssoldat Jean-Paul Gourriérec und der ehemalige Wasserbauer Max Buchheim, der nun als Hilfsgendarm Dienst tut, beginnen mit den Ermittlungen sowohl was die tote Frau als auch die Leiche vom Steinbruch betrifft.
Im nahegelegenen Kloster erfährt Ello den Namen der toten Frau, Ida Rempin, und erhält ihre Habseligkeiten, ein Tagebuch und Babysachen. Das heißt, Selbstmord kann ausgeschlossen werden. Als sich dann noch Zeugen finden, die Ida mit einem Mann streiten haben sehen, liegt nahe, dass hier jemand nachgeholfen hat. Nur wer? Der Ehemann? Ein Geliebter? Der vermeintliche Kindesvater?
Dann gibt es noch eine Nebenhandlung, die im französischen Kriegsgefangenenlager spielt. Hier soll Sanan, ein kalmückischer Kriegsgefangener, an die UdSSR ausgeliefert werden, weil er in der deutschen Wehrmacht gekämpft hat.
Der französische Lagerarzt, der mit der Geschichte der Kalmücken vertraut ist, händigt Sanan falsche Papiere aus und lässt ihn nach Koblenz überstellen, wo er als Simon auf ein paar andere Kalmücken trifft.
Wenig später treffen Max, Jean Paul und Ello dort ein, da der Tote aus dem Steinbruch vermutlich ein russischer Zwangsarbeiter war. Nun ist Simon/Sanan als Dolmetscher gefragt. Während die Männer sich besprechen, sieht Ello ein Kleinkind, das nur mit einem Hemdchen bekleidet ist und auf dessen Po blaue Flecken zu sehen sind und erinnert sich an einen Vortrag in der Hebammenschule: Blaue Flecken am Steiß sind sogenannte Mongolenflecke, eine Pigmentveränderung, die vornehmlich Asiaten besitzen.
Meine Meinung:
Ich habe diesen historischen Krimi mit großem Interesse gelesen. Zunächst bedeutet ja das Ende der NS-Herrschaft für viele ein Aufatmen. Doch im Sommer 1945 benützen einige die Tage des Machtvakuums, um ihre persönlichen Rechnungen zu begleichen. Das Zusammenspiel zwischen den französischen Militärbehörden und den neu eingesetzten deutschen Hilfskräften wird hier ziemlich harmonisch dargestellt. Ob das wirklich überall so war?
Sehr gut ist die Geschichte der Kalmücken in den Krimi eingearbeitet. Ich habe dazu auch noch ein bisschen recherchiert. Die Kalmücken (eigentlich Oiraten) sind ein ursprünglich mongolisches und buddhistisches Nomadenvolk. In der Stalin-Ära wurden ihre Priester verfolgt, getötet und die Tempel zerstört. Während der Zwangskollektivierung der Landwirtschaft wurden die Kalmücken so wie ander Nomadenvölker gewaltsam in Städten und Dörfern zur Sesshaftigkeit gezwungen. Im Zweiten Weltkriegs erobert die deutsche Wehrmacht das kalmückische Gebiet. Einige tausend Männer kämpften anschließend an der Seite von NS-Deutschland gegen die Sowjetunion. Da sie Nachfahren von Dschingis Khan sind und daher, nach der Diktion der NS-Rassenlehre, keine russischen oder slawischen Untermenschen waren. Nach dem Zweiten Weltkrieg bezichtigte Stalin das gesamte Volk der Kollaboration und ließ die Menschen nach Sibirien deportieren.
Über den Mongolenfleck auf Hummelchens Popo musste ich sehr schmunzeln. Ich habe nämlich auch einen, der sogar in den medizinischen Geburtsbericht Eingang gefunden hat. Inzwischen ist er schon ziemlich verblasst. wenn man weiß, wo man suchen muss, kann man ihn erahnen. Gerüchten in meiner Familie zu Folge gibt es in der väterlichen, in Kärnten lebenden Zweig eine mongolische Urururgroßmutter.
Der Krimi ist komplex und in meinem Kopf ist ein mehrdimensionales Gebilde entstanden. Die Charaktere sind ausgefeilt und wirken glaubhaft in ihren Aktionen.
Gut gefällt mir, dass die Dorfbewohner so reden dürfen, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist. Eine Übersetzung der Dialektpassagen findet sich im Anhang. Ebenso sind hier die jenen wenigen Dokumente und Quellen über die Kalmücken, die Petra Reategui ausfindig machen hat können, aufgelistet.
Ob es eine Fortsetzung gebe wird? Ich bin überzeugt, dass mehrere LeserInnen wissen wollen, wie es mit Ello, Hummelchen, Max und Sanan weitergeht.
Fazit:
Gerne gebe ich diesem vielschichtigen Krimi aus der Nachkriegszeit 5 Sterne und eine Leseempfehlung.