Schön erzählt, aber vor lauter Figuren und verworrenen Beziehungen verliert man fast die Krimihandlung aus den Augen
Noble GesellschaftBei diesem Krimi habe ich auf einen spannenden Krimi gehofft, der mich mit der Stimmung direkt in die "Roaring Twenties" in Berlin versetzt. Das ist der Autorin zum Teil gelungen, aber eben nicht ganz.
Die ...
Bei diesem Krimi habe ich auf einen spannenden Krimi gehofft, der mich mit der Stimmung direkt in die "Roaring Twenties" in Berlin versetzt. Das ist der Autorin zum Teil gelungen, aber eben nicht ganz.
Die Gesellschaft wird in drei unterschiedliche Stufen von der Begrifflichkeit "Nobel" her unterteilt. Nobel, nicht so nobel und gar nicht nobel. Dabei zieht sich durch alle Schichten ein Ballast von ungeahnten Seitensprüngen, Kleinkriminalität, Drogenkonsum und Schmuggel. Es wird aber auch deutlich, wie abhängig die ärmere Bevölkerung als dienstbare Geister, Köchinnen, Tippfräulein oder auch Stricherjungen von den Reichen waren und nur durch diese spezielle Tätigkeit ihr Auskommen fanden. Auf der einen Seite gab es Kokain, auf der anderen Seite fehlte es sogar an Lebensmitteln. Daher ist es nicht verwunderlich, wie sich hier ungeahnte Abhängigkeiten entwickeln konnten, auch in sexueller Hinsicht.
In Berlin scheint zu dieser Zeit die homosexuelle Szene trotz Unzuchtsparagraf richtig en vogue gewesen zu sein. Ob Straßenstrich oder in der Künstlerszene, es war scheinbar angesagt. Hier sind die Hauptprotagonisten Carl und Paul als Vorzeigepärchen in ihrem Zusammenleben gut dargestellt. Gefallen hat mir auch der eingebrachte Berliner Dialekt einiger Dienstmädchen und Angestellter, durch sie konnte man die berühmte Berliner Luft verspüren.
Die Krimihandlung geht bei diesen personellen Verstrickungen eher eine Nebenrolle ein. Man hat als Leser auch durch die vielen Personen nicht so recht die Chance, selbst wirklich den Täter erraten zu können. Zu häufig ändern sich die Konstellationen, es gibt Verwicklungen, die man überraschend zur Kenntnis nimmt, aber nicht richtig einschätzen kann.
Mir ist auch immer noch nicht ersichtlich, wie es der 22jährige Schauspieler Carl schafft, als Detektiv sich in die Ermittlung einzubringen. Wer erzählt
Der Schreibstil ist sehr flüssig, die Stimmungen des damaligen Zeitgeistes werden klar geschildert und das Buch liest sich gut, man hat das Gefühl in die Zeit eintauchen zu können. Lediglich die Redewendung: "...das sei nicht so seins.", fällt wohl eher in die heutige Zeit.
In Joan Wengs Kriminalroman stehen eher die Figuren und ihre etlichen Liebschaften im Vordergrund, die Tätersuche kommt erst an zweiter Stelle. Hier hat mir definitiv die typische Ermittlertätigkeit gefehlt. Ich hatte auch ein Problem mit den vielen Beziehungen, die ich trotz eines beigefügten Personenregisters nicht jeweils mit einem speziellen "Gesicht" vor Augen hatte.
Unbegreiflich ist für mich auch die Tatsache, dass Carl in den Hinterlassenschaften einer Katze auf Anhieb erkennt, dort einen echten Rubin vor sich zu haben und diesen dann noch dem russischen Zarenschatz zuorden kann. Er ist ja weder Juwelier, noch Edelsteinexperte des Zarenhofes!
Als spannender Krimi ist dieses Buch vielleicht eher zweitrangig zu sehen, als lesenswerter Ausflug ins Berlin der Goldenen Zwanziger Jahre aber durchaus interessant geschrieben.