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Veröffentlicht am 29.01.2022

Tolles Buch mit schwierigem Mittelteil

Zum Paradies
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Dieses Buch scheint gerade jeder zu lesen und es scheint zu polarisieren. Ich bin tief beeindruckt, habe aber auch zwischendrin darüber nachgedacht, es abzubrechen. 890 Seiten über drei Jahrhunderte bieten ...

Dieses Buch scheint gerade jeder zu lesen und es scheint zu polarisieren. Ich bin tief beeindruckt, habe aber auch zwischendrin darüber nachgedacht, es abzubrechen. 890 Seiten über drei Jahrhunderte bieten Gelegenheit für vielfältige Eindrücke.

Drei eindrucksvolle Geschichten über 300 Jahre bilden fast so etwas wie eine Familiengeschichte, sogar die Geschichte eines Königshauses, nur ist der rote Faden sehr lose geknüpft.

Sie heißen David, Edward und Charles, immer und überall, haben Freunde, Geliebte und Geschwister, die Peter, Ezra oder Eliza heißen. Auch Norris und Aubrey spielen eine Rolle zu jeder Zeit. Das ist witzig und auch anstrengend, dieses Buch zupft am Nervenkostüm des Lesers, erzählt aber auch von Menschen, die einem nahegehen und die Schicksalhaftes erleiden.

Zu Anfang meint man, es würde eine alternative Vergangenheit entworfen, die Folgen haben muss. Die Vereinigten Staaten von Amerika sind nach dem Sezessionskrieg gar nicht so vereinigt, wie wir es kennen. Es gibt sogar einen Freistaat, in dem man frei lieben und heiraten kann, wen man will, solange man die richtige Hautfarbe hat. Ist das der Weg zum Paradies?
Das Thema bleibt dann leider liegen. Wir verabschieden anrührend einen Aidskranken in den Tod, um dann nach Hawaaii zu reisen, wo der Erbe des ehemaligen Königshauses in einem endlosen Brief von seinem verpfuschten Leben erzählt. Dieser Teil ist ein deprimierender Monolog, der mich trotz spannender Thematik sehr gelangweilt hat.

Dann kommt der geniale Teil des Buches. 2093 ist das Leben in Amerika von Regeln bestimmt, die das Infektionsgeschehen diverser Seuchen eindämmen und regulieren sollen. Charlie lebt in einem Überwachungsstaat übelster Sorte, kennt es aber nicht anders.

Wie es dazu kam erfährt man aus Briefen ihres Großvaters, der noch ein anderes Leben kennengelernt hat.

Hier wird zwar kein Corona-Drama erzählt, aber man denkt zwangsläufig an unsere Situation gerade und bekommt mit schrecklicher Konsequenz vorgeführt, was passiert, wenn die falschen Machthaber falsche Ideen verwirklichen.

Nach 890 Seiten hat man viel durchlebt, ist erschüttert und mitgenommen und steht dann da mit der Frage: Und? Was sagt mir das jetzt?

Man kann viel hineinlesen, bekommt aber an keiner Stelle konkrete Hinweise. Die Autorin wollte viel mit diesem Buch, legt viele wichtige Themen auf den Tisch, weigert sich dann aber Stellung zu beziehen. Natürlich muss man nicht jede Botschaft ausformulieren, aber man sollte mit einer winken, wenn man ein Buch schreibt. Hier bekommt man Ansätze serviert und soll die Botschaft selbst finden. Das kann man machen, das muss aber nicht jedem gefallen.

Mir hat es beinahe gefallen.

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Veröffentlicht am 12.12.2021

Prägnant und gnadenlos

Q
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Die Idee ist nicht neu, aber leider wieder bedauerlich aktuell.

In einer nicht allzu fernen Zukunft setzt es sich in Amerika tatsächlich durch, die Menschen zu sortieren. Je nach Q-Wert ist man mehr oder ...

Die Idee ist nicht neu, aber leider wieder bedauerlich aktuell.

In einer nicht allzu fernen Zukunft setzt es sich in Amerika tatsächlich durch, die Menschen zu sortieren. Je nach Q-Wert ist man mehr oder weniger erfolgreich und angesehen. Der Q-Wert setzt sich zusammen aus Intelligenz, Familienhintergrund, Zuverlässigkeit, Ehrgeiz und Fleiß. Menschen mit hohem Q-Wert sind echte Überflieger, die sich mit der Zeit sogar zu schade sind, sich mit niedrigeren Menschen abzugeben. Nur wertvolle Familien zählen.

So lebt auch Elena, die Frau des Bildungsministers, ihr glückliches Privilegiertenleben, bis tatsächlich ihre jüngste Tochter den monatlichen Test nicht besteht. Dabei war das doch abzusehen gewesen, war doch das pränatale Q-Gutachten nicht sehr vielversprechend. Eigentlich sollten solch minderwertige Kinder gar nicht erst geboren werden, dann wäre die Welt besser, oder?

Eindringlich und mit grausiger Konsequenz wird man hier in eine Situation gezogen, die immer irrwitziger wird und zeigt, wohin allzu elitäres Denken führen kann. Elenas Großmutter mahnt plakativ, dass Ähnliches schon dagewesen ist. Diesen Aspekt der Geschichte hätte ich mir eleganter gewünscht, zumal man sich fragt, wie es denn sein kann, dass Elena als Frau mit einiger Bildung die deutsche Oma braucht, um über Geschehnisse im Dritten Reich aufgeklärt zu werden. Aber gut, vielleicht ist das auch ein Thema, das man gerade in der heutigen Zeit plakativ verarbeiten muss.

„Q“ ist ein spannendes Buch, gute Unterhaltung, die rechte Tendenzen im heutigen Zeitgeist aufnimmt und zu einem Horrorszenario weiterspinnt, prägnant und gnadenlos. Mehr davon.

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Veröffentlicht am 03.09.2021

Kunterbunt und klug

Mein Sternzeichen ist der Regenbogen
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Rafik Shami erzählt Geschichten und zeigt uns, dass er erzählen kann (Ok, wir wussten das schon )


In diesem Buch veröffentlicht er eine Sammlung an Geschichten, die sich anfangs mit Geburtstagen beschäftigen. ...

Rafik Shami erzählt Geschichten und zeigt uns, dass er erzählen kann (Ok, wir wussten das schon )


In diesem Buch veröffentlicht er eine Sammlung an Geschichten, die sich anfangs mit Geburtstagen beschäftigen. Es ist wirklich witzig, wie ein jüngerer Rafik vergeblich versucht, seinen Geburtstag herauszufinden, der in der syrischen Kultur keinen großen Stellenwert hat. „Mein Sternzeichen ist der Regenbogen“ ist das diplomatische Fazit dieser Suche.

Dann geht es weiter, kunterbunt, quer durch alle Themen dieser Erde. Es gibt Spitzfindiges, Satirisches, Kluges, Albernes, sogar Absurdes oder auch Märchenhaftes.
Wir reisen nach Italien, Syrien, Deutschland, in den Libanon – „aber das ist eine andere Geschichte“.

Wir sinnieren über den Bezug verschiedener Religionen zum Lachen, besuchen ein Festival für Kunstpfurzer, leben, lieben und betrügen und stellen fest: Überleg dir gut, was du dir wünschst, du könntest es bekommen.

Das ist alles fein, klug, unterhaltsam und wunderbar erzählt, es fehlt nur ein wenig der rote Faden, der diese Geschichten verbindet. Sie wirken etwas wahllos zusammengewürfelt.

Das Hörbuch liest Wolfgang Berger souverän 8 Stunden, 39 Minuten lang. Ich hätte mir etwas längere Pausen zwischen den einzelnen Geschichten gewünscht. Man muss sehr aufpassen, wo die eine aufhört und die andere anfängt. Ein musikalisches Zwischenspiel hätte sich da vielleicht gut gemacht – haben wir nicht, schade.

Dieses Buch ist kluge Unterhaltung für Zwischendurch. Ich habe es gerne gehört.

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Veröffentlicht am 06.12.2024

Eine Geduldsprobe

Die Lungenschwimmprobe
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Dieses Buch macht es einem nicht leicht. Es erzählt höchst anschaulich und in großartiger Sprache von einem spannenden historischen Ereignis, nur leider auch unendlich ausführlich.

Das 17.Jahrhundert ...

Dieses Buch macht es einem nicht leicht. Es erzählt höchst anschaulich und in großartiger Sprache von einem spannenden historischen Ereignis, nur leider auch unendlich ausführlich.

Das 17.Jahrhundert ist als Zeitalter der Aufklärung in die Geschichte eingegangen. Hier kann man sehen, dass das bitter nötig war. Anna Voight war naiv und 15 Jahre alt, als sie ein totes Kind zur Welt brachte. In kürzester Zeit wird sie als Kindsmörderin diffamiert, wo doch jedem klar sein müsste, dass eine Totgeburt sehr viel wahrscheinlicher ist. Selbst als ihr Anwalt ein neues Testverfahren, die Lungenschwimmprobe, ins Feld führt, möchten sich weder die Richter noch die Öffentlichkeit darauf einlassen. Man glaubt tatsächlich eher an die Aussagekraft von Geständnissen, die unter der Folter erwirkt werden.

Tore Renberg arbeitet diesen Fall auf bis ins kleinste Detail. Man erfährt viel über die Zeit, aber noch mehr sogar über die zahlreichen Menschen, die damit zu tun haben. Es sind nicht nur Anna Voight und ihre Familie von Interesse. Man erfährt auch alles über ihren Anwalt, seinen Werdegang und seine Familie, die Lebensgeschichten ihres Vergewaltigers, ihres Richters, ihrer Betreuerin, ihrer Nachbarn und ihres Henkers oder wer sonst noch alles ihren Weg streift.

Dieses Buch hat 704 Seiten, die unendlich viele Details ausbreiten, obwohl man im Grunde von Anfang an weiß, was passiert. Man kann eigentlich gar nichts verpassen, verliert aber doch immer mal leicht den Faden in all der Weitschweifigkeit. Es ist ein bisschen eine Geduldsprobe.

Der großartige Erzählstil hält einen dann doch bei der Stange und auch der Sprecher des Hörbuchs, Shenja Lacher, macht einen tollen Job. Es dauert 20 Stunden und 21 Minuten. Ich habe oft überlegt, ob ich es abbreche, habe es dann aber doch durchgezogen. Es ist schon ein tolles Buch, nur auch wirklich sehr ausführlich.

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Veröffentlicht am 06.09.2024

Eine Wildwestgeschichte der anderen Art

Sing, wilder Vogel, sing
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Die Tragödie von Doolough 1849 ist ein trauriges Kapitel irischer Geschichte, das bei uns niemand kennt, das aber in Irland noch heute einen Gedenktag hat. Honora war dabei, hat schlimmsten Hunger erlitten ...

Die Tragödie von Doolough 1849 ist ein trauriges Kapitel irischer Geschichte, das bei uns niemand kennt, das aber in Irland noch heute einen Gedenktag hat. Honora war dabei, hat schlimmsten Hunger erlitten und überlebt und wir können es hier plastisch miterleben.

Honoras Leben war schon immer hart. Die Zustände im damaligen Irland bekommt man eindringlich vor Augen geführt, tiefes Leid, Armut, Hunger und schlimmer Aberglaube, der Honora zur Aussätzigen macht. Bei ihrer Geburt flog ein Rotkehlchen durchs Zimmer. Solche Menschen bringen Unglück und werden gemieden. Später flieht sie nach Amerika, aber ihr Leiden hört damit nicht auf.

Die Lektüre dieses Buches ist fesselnd und intensiv. Fängt man an, kann man es nur schwer weglegen. Allerdings erzählt es uns Honaras Geschichte mit einigem Mut zur Lücke. Wenn zum Beispiel ausführlich überlegt wird, wie sie sich denn unbemerkt auf das Schiff nach Amerika schleichen könnte, dann möchte ich auch erfahren, wie sie es geschafft hat. Wir bekommen einen Cut - sie ist einfach da und trifft direkt hilfreiche Mädchen, die sie heimlich versorgen. So etwas finde ich ärgerlich.

Auch die ganzen Rotkehlchen, die immer wieder durch das Buch fliegen, schaffen eine reichlich bemühte Symbolik, die das Buch gar nicht nötig hätte.

Trotzdem hat mir das Buch sehr gefallen. Es verknüpft geschickt ein Stückchen irische und amerikanische Historie und erzählt auch die spannende Geschichte einer Frau, die viel Pech im Leben hatte, die aber auch eine bewundernswerte Überlebenskünstlerin ist. Dieses Buch erzählt sehr originell eine Wildwestgeschichte der anderen Art.

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