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Veröffentlicht am 25.09.2024

Nicht weinen, Honora

Sing, wilder Vogel, sing
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Mitte des 19. Jahrhunderts, zur Zeit der Hungersnot, lebt die junge Honora in einem kleinen Dorf in Westirland. Seit ihrer Geburt ist sie eine Außenseiterin. Daran beteiligt ist nicht zuletzt ...

Mitte des 19. Jahrhunderts, zur Zeit der Hungersnot, lebt die junge Honora in einem kleinen Dorf in Westirland. Seit ihrer Geburt ist sie eine Außenseiterin. Daran beteiligt ist nicht zuletzt ein kleines Rotkehlchen, dem in der irischen Mythologie eine besondere Bedeutung zukommt.
Am Beispiel der fiktiven Protagonistin Honora bringt die Autorin Jaqueline O’Mahony mir nicht nur die Geschichte vieler hungernder Menschen, die damals nach einem beschwerlichen Weg auf der Suche nach Hilfe ihr Leben lassen mussten, ganz nah.
"Man stelle sich vor, in einer Welt zu leben, in der es möglich war, solche Dinge (ein eisernes Tor) herzustellen, in der man sagen konnte: Lass uns Blumen für das Tor entwerfen, damit das Tor schöner wird, und dann Zeit, Mühe und Geld in die Fertigung dieser Blumen steckte, während jenseits des Tores Menschen waren, die nichts hatten." In einem einzigen Satz werden Mangel auf der einen und Überfluss auf der anderen Seite so deutlich gemacht, dass ich eine Gänsehaut bekomme.
Honora ist eine der wenigen Überlebenden, arm, hungrig, aber auch sehr mutig. Sie sieht keine andere Chance, als sich auf den Weg nach Amerika zu machen, um dort ein besseres Leben in Freiheit führen zu können.
Doch auch in Amerika ist das Leben nicht einfach. Honora gerät in schreckliche und menschenunwürdige Situationen. Sie muss viele Hindernisse überwinden. Das Wort „Freiheit“ rückt immer wieder in weite Ferne.
Gekonnt flicht die Autorin die Verbindungen zwischen Iren und indigenen Amerikanern in ihre Geschichte ein.

Großartig und wichtig, um die Geschichte der Iren zu verstehen, waren für mich die Nachbemerkung der Autorin sowie ein Interview unter dem Titel „Die gesamte moderne irische Geschichte ist aus der Hungersnot hervorgegangen“.

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Veröffentlicht am 14.09.2024

Bathseba und David

Die Löwin von Jerusalem
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Dieser Roman ist nicht frei erfunden, sondern basiert auf einer Geschichte aus der Bibel, aus dem Buch Samuel im Alten Testament. Inspiration fand der Autor Ruben Laurin auch in der zweiten Strophe des ...

Dieser Roman ist nicht frei erfunden, sondern basiert auf einer Geschichte aus der Bibel, aus dem Buch Samuel im Alten Testament. Inspiration fand der Autor Ruben Laurin auch in der zweiten Strophe des Liedes „Halleluja“ von Leonard Cohen.
Aus der Bibel kenne ich die Geschichte, wobei ich an Bathseba keine große Erinnerung hatte. Gespannt war ich darauf, wie der Autor mich mitnimmt nach Israel, in die Zeit 1000 Jahre vor Christus, wie er die Bibelerzählung und seine eigenen Gedanken verbindet und zu einem Roman werden lässt. Eine neue Erfahrung dabei war für mich die persönliche Anrede an mehreren Stellen.
Hauptsächlich dreht sich der Roman um die Liebe zwischen David und Bathseba, die damit beginnt, dass sie ihm das Leben rettet. Doch da ist auch noch der Soldat Uriah, den sie nach dem Willen ihres Vaters heiraten muss. Ich überlege, ob er wirklich so grausam war, wie er in dem Buch dargestellt wird.
Der ungleiche Kampf zwischen David und Goliath ist wohl den meisten Menschen bekannt. Mir hat besonders gut gefallen, diese Szene so bildhaft beschrieben und mit den fiktiven Gedanken des Autors ausgeschmückt zu erleben.
Ich habe bereits sehr interessiert einige „Bibelthriller“ einer anderen Autorin gelesen. Hier reihe ich gern die Geschichte der Löwin von Jerusalem, Bathseba, ein.
Die historische Landkarte auf den Klappeninnenseiten finde ich sehr hilfreich. Kann ich doch auf einen Blick sehen, wo wir uns in den jeweiligen Situationen befinden. Die Personenübersicht und die Zeittafel am Anfang des Buches sowie Glossar und Nachwort machen das Buch komplett.

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Veröffentlicht am 08.09.2024

Nachdenkenswertes Stück Geschichte

Briefe aus Taipeh
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Als ich „Briefe aus Taipeh“ entdeckte, gingen meine Gedanken gleich zurück zum Weltgebetstag des Jahres 2023, denn das Gastgeberland war damals Taiwan. Im Zusammenhang mit der Vorbereitung des Weltgebetstags-Gottesdienstes ...

Als ich „Briefe aus Taipeh“ entdeckte, gingen meine Gedanken gleich zurück zum Weltgebetstag des Jahres 2023, denn das Gastgeberland war damals Taiwan. Im Zusammenhang mit der Vorbereitung des Weltgebetstags-Gottesdienstes habe ich viel über Land und Leute erfahren – und auch über die Geschichte des Landes, deren Bewohner immer noch um die Unabhängigkeit bangen. China ist nicht weit entfernt…

Mit großem Interesse habe ich jetzt die Geschichte einer Familie gelesen, die in einem kleinen Dorf in China beheimatet ist. Fish Wu berichtet, was er aus vielen Gesprächen mit seiner Großmutter erfahren hat, und das nimmt seinen Anfang Ende der 1940er-Jahre.

Zwei Brüder, der eine ein Mann mit Frau und Kindern, der andere alleinstehend, wurden aus politischen Gründen verhaftet und bedroht. Alles wurde ihnen genommen. Der alleinstehende Shen Erchong flüchtet nach Taiwan, während Shen Erya mit seiner Familie in dem kleinen Dorf bleibt.

Fish Wu braucht nicht viele Worte, um die Familiengeschichte zu erzählen. Seine ausdrucksstarken Zeichnungen lassen die ganze Dramatik sprechen, ohne dass es langer Texte bedarf. Mit einer Graphic Novel hat Fish Wu eine Biografie seines Urgroßvaters und -onkels sehr eindrucksvoll und detailliert übermittelt. Das Buch ist erschienen im DIN A4-Format und jedes einzelne Bild spricht für sich.

Hat mich mein erster Eindruck beim anfänglichen Durchblättern noch vermuten lassen, dass die Bilder teilweise „wild und durcheinander“ wirken, so habe ich schnell feststellen können, dass die Zeichnungen den jeweiligen Gegebenheiten genau angepasst wurden.

Sehr dankenswert sind noch die Worte des Autors, mit denen er im Nachwort seine Gedanken zu dem Buch und ebenso seine ganz persönlichen auch mit seiner Leserschaft teilt.

Ich hätte gern noch etwas mehr über das Leben von Shen Erchong in Taiwan erfahren. Doch es waren ja in erster Linie die Erinnerungen der Großmutter, die in diesem Buch erzählt werden.

Auf jeden Fall bin ich froh, wieder etwas mehr über die nicht einfache Geschichte Chinas, auch wenn es in erster Linie „nur“ die einer kleinen Dorfgemeinschaft ist, erfahren zu haben.

Die Geschichte lässt mich nachdenklich zurück. In diesen Zusammenhang passt das von Fish Wu gewählte Sprichwort, das im Nachwort zu lesen ist: „Der Klangkörper eines Musikinstrumentes und der Kolben eines Gewehres stammen oft aus demselben Wald.“

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Veröffentlicht am 07.09.2024

Der ewige Regentropfen

Am Himmel die Flüsse
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Vor über 600 Jahren v. Chr. beginnt die Geschichte eines Regentropfens, in Mesopotamien, einem Gebiet im Westen Asiens, zwischen Euphrat und Tigris. Dort regierte der König Assurbanipal in der ...

Vor über 600 Jahren v. Chr. beginnt die Geschichte eines Regentropfens, in Mesopotamien, einem Gebiet im Westen Asiens, zwischen Euphrat und Tigris. Dort regierte der König Assurbanipal in der Hauptstadt Ninive. Hier fällt ein Regentropfen vom Himmel, der direkt im Haar des Königs landet.
Die Autorin Elif Shafak beobachtet diesen Tropfen und erzählt davon, wie er an verschiedenen Orten in drei ganz unterschiedlichen und eigenständigen Geschichten in Vergangenheit und Gegenwart immer wieder in veränderten Formen auftaucht.
Es ist fast genial, wie es Shafak gelingt, fast von Anfang an ganz langsam und vorsichtig ein Netz zu spinnen, das die Leben der drei Hauptprotagonisten miteinander verbindet, um daraus eine einzige große Geschichte entstehen zu lassen.
Mit einer spannenden Reise in die Vergangenheit habe ich nicht nur den armen, aber wissbegierigen und ehrgeizigen Jungen Arthur, sondern auch Grundlegendes zum Gilgamesch-Epos kennengelernt.
Fast wie in der Vergangenheit fühle ich mich in der Gegenwartsgeschichte von Narin und ihrer Großmutter. Durch sie habe ich viel über den ezidischen Glauben erfahren, und von den Geschichten aus uralter Zeit und den Weisheiten der Großmutter habe ich mich gern in eine märchenhafte Welt entführen lassen. Auf der anderen Seite gab es hier aber auch eine grausame Realität, die mich wegen ihrer Aktualität erschüttert und nachdenklich macht.
Die Hydrologin Zaleekhah konnte mich begeistern mit ihrem Wissen, vor allem über verlorene Flüsse. Denke ich an ihre Freundschaft mit der wunderbaren Nen, dann staune ich, welche eigenen Wege das Schicksal manchmal geht. Auch hier wird die Gegenwart, in der die beiden leben, mit der Vergangenheit verflochten.
Ich habe dieses Buch und damit auch die Autorin mit ihrem wunderbaren und unvergleichlichen Schreibstil sofort ins Herz geschlossen und ihren Namen der Liste meiner Lieblingsautor*innen zugefügt. Gern gebe ich meine volle Leseempfehlung.

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Veröffentlicht am 10.08.2024

Ganz nah dran

Seinetwegen
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Eine ganz persönliche Geschichte erzählt die Autorin und nimmt mich mit hinein in ihr Leben, das eine Suche ist nach Antworten. Zora del Buono kann sich an ihren Vater kaum erinnern, denn sie war erst ...

Eine ganz persönliche Geschichte erzählt die Autorin und nimmt mich mit hinein in ihr Leben, das eine Suche ist nach Antworten. Zora del Buono kann sich an ihren Vater kaum erinnern, denn sie war erst acht Monate alt, als sie ihn durch einen Unfall verlor, den ein anderer zu verantworten hatte. Mit ihrer Mutter konnte sie nie darüber reden, oder – besser gesagt – ihre Mutter konnte darüber nicht reden. Inzwischen ist Buono 60 Jahre alt, ihre Mutter ist dement und lebt in einem Pflegeheim. Die Suche kann beginnen.

Ich bin fasziniert von Buonos Schreibstil. Sie erzählt alles, was ihr einfällt, woran sie sich erinnert, was sie erlebt hat, aber auch das, was gedanklich in ihr vorgeht. Und so liest es sich auch: Viele kurze, auch ein paar längere Abschnitte reihen sich scheinbar unsortiert aneinander. Dabei dreht sich vieles um den Tod, aber ihre Geschichten sind oft auch fröhlich. Dann wieder erinnert sich die Autorin an Szenen in ihrem Leben, für die sie sich schämt, weil sie gern anders reagiert hätte, als sie es getan an. Immer wieder gibt es Treffen mit zwei oder drei Freunden in einem Kaffeehaus. Diese Szenen im Kaffeehaus sind für mich ein besonderes Highlight gewesen.

Obwohl diese vielen kleinen Episoden anfangs völlig ungeordnet erscheinen, staune ich am Ende, dass doch alles gut sortiert und in eine passende Form gegossen werden konnte. Bei allem stand die Suche nach dem Unfallverursacher im Vordergrund und damit auch ihre Wut und ihre Ohnmacht ihm gegenüber. Aber auch diese Gefühle haben sich langsam verändert. Damit, dass am Ende alle so gut sortiert wirkt, hat mich die Autorin stark beeindruckt. Ich bin tief berührt und bedanke mich dafür, dass Zora del Buono mich so nah an sich und ihre Geschichte herangelassen hat.

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