Eine ruhige Geschichte, umgeben von den Naturgewalten an Irlands Küsten
Grace, menschenscheu und etwas eigen, lebt in Ballybrady, einem kleinen Dorf an der irischen Küste. Sie liebt das Meer, quilten und ist gerne mit ihrem Hund unterwegs. Für Touristen vermietet sie ein Cottage, ...
Grace, menschenscheu und etwas eigen, lebt in Ballybrady, einem kleinen Dorf an der irischen Küste. Sie liebt das Meer, quilten und ist gerne mit ihrem Hund unterwegs. Für Touristen vermietet sie ein Cottage, in welches sich Evan aus Belfast für eine Woche einquartiert. Er sucht eine Auszeit vom Finanzjob und eine Möglichkeit, um den Tod seiner als Baby verstorbenen Tochter zu verarbeiten. Der Aufenthalt soll auch die kriselnde Ehe mit Lorna zu retten.
Kurz nach Evans Ankunft beginnt der Lockdown. Evan ist gezwungen, länger zu bleiben. Er trinkt zu viel, seinen Job hat er satt und auch mit seinem Geschäftspartner fühlt er sich nicht wohl. Am Tod der Tochter zerbricht er fast, genauso wie seine Ehe.
Lorna gilt als systemrelevant. Sie schafft es wegen der Arbeit nicht mehr, sich um Luca, der taub ist, zu kümmern. Sie bringt ihn zu Evan. Luca zeigt seinem Vater entweder die kalte Schulter oder streitet mit ihm. In Ballybrady beginnt Luca sich für Meerestiere zu interessieren und folgt dieser Passion direkt am Meer. Seine Liebe zur Natur teilt er mit Grace, der er mehr vertraut als seinem Vater.
Evan versucht verzweifelt, die Distanz zwischen sich und seiner Frau Lorna aufzubrechen. Auch von seinem Sohn fühlt er sich ins Abseits gedrängt und auf Distanz gehalten.
Grace, die ein eigenes schlimmes Schicksal trägt und sich von Menschen weitestgehend fernhält, findet den in ihrem Heimatdorf gestrandete Evan mehr und mehr sympathisch. Eingestehen will sie sich das aber nicht. Mehrfach rettet sie Evan aus misslichen Situationen. Als Luca verschwindet, ist sie diejenige, die die Nerven behält.
Sprachlich wunderschön geschrieben für Naturfreunde, Angelfreunde und Freunde der irischen Küste, des rauen und einfachen Lebens. Den Anfang fand ich gut, weil er mich zum Lachen brachte und man könnte Kritik an eine bestimmte Sorte Tourist:innen vermuten.
Inhaltlich hat mich die Geschichte im weiteren Verlauf leider nicht sehr überzeugt. Der Lockdown und seinen Auswirkungen auf das Leben der Menschen sind eher Randerscheinungen. Die Geschichte hätte auch ohne Lockdown gut erzählt werden können, ohne das Wesentliches verloren gegangen wäre. Vielleicht betraf es die Leute auf dem Land weniger, aber von der Angst und Verzweiflung andernorts war nichts zu spüren. Und die vielen Toten waren auch mit nur einem Satz gewürdigt.
Die Krise zwischen Evan und seiner Frau am Anfang fand ich sehr realistisch. Ich fühlte mich, als wäre ich dabei und kann Lorna in dieser Situation mit ihrem Mann sehr gut nachempfinden. Im Laufe der Geschichte wird sie mir allerdings immer unsympathischer.
Wie sich Evan nach dem Tod der Tochter fühlt, war am Anfang des Buches auch wunderbar dargestellt. Letzten Endes kommt es aber zu keiner richtigen Aussprache in der Familie. Schade! Außerdem fand ich, dass sich Lornas innerer Konflikt, was ihren Sohn betrifft, am Ende zu schnell und glatt auflöst. Auch die lange Beschreibung der Suche nach dem Jungen, die dann ganz anders endet und wohl als Spannungsaufbau gedacht war, hat mich nicht gepackt. Positiv aufgefallen ist mir, dass eine Figur im Roman eine Beeinträchtigung hat, in diesem Fall taub ist. Das kommt in Geschichten nicht so häufig vor.
Grace passt mit ihrer Kargheit, Ruppigkeit und knappen Art sehr gut in ihre Heimat und in die Geschichte. Das gilt auch für die anderen Figuren Becky, Paddy, Frank, Maggie… Graces Schicksal erfährt man nur durch Dritte und ist mir zu wenig gewürdigt. Ihre Sicht tritt nur angedeutet in Erscheinung bzw. sie spricht nicht darüber.
Das Cover ist sehr schön mit der brausenden Meeresbrandung unter dunklen Wolken. Der auffällige gelbe Prägedruck gefällt mir sehr gut. Vielleicht ein Hinweis auf die nächtliche Rettungsaktion im Wasser mit Taschenlampen?
Es ist eine ruhige, leise Geschichte. Schön geschrieben am Anfang und am Ende. Besonders im letzten Drittel wird es etwas interessanter und spannender. Allerdings habe ich mich stellenweise mit dem Lesen schwergetan, weil mir die Handlung zu sanft und ruhig dahinplätschert. Eigentlich das Gegenteil von der aufbrausenden See auf dem Cover. Ich kann mir aber vorstellen, dass der Roman sicherlich sehr gut für Natur- und Irlandliebhaber geeignet ist und auch für die Leser:innen, die diese Art von Geschichte sehr mögen. Ich wünsche dem Buch und seiner Autorin ganz viel Erfolg!