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Veröffentlicht am 15.09.2024

»Fragst du dich auch manchmal, ob das alles ist?«

Zwei Leben
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»Fragst du dich auch manchmal, ob das alles ist?«

Salach, ein kleines Dorf im Süden Deutschlands, im Jahre 1971. Nach ihrer Lehre zur Schneiderin kehrt die junge Roberta zurück, nach Hause, in ihr Dorf. ...

»Fragst du dich auch manchmal, ob das alles ist?«

Salach, ein kleines Dorf im Süden Deutschlands, im Jahre 1971. Nach ihrer Lehre zur Schneiderin kehrt die junge Roberta zurück, nach Hause, in ihr Dorf. Sie freut sich. Schließlich verlief die Ausbildung anders als erwartet und nun kann sie ihre Familie wieder tatkräftig bei der Bewirtschaftung der Felder und Versorgung der Tiere unterstützen. Das Dorf, das ist ihr Leben.
Schon am ersten Tag zurück in der Heimat trifft sie auf ihren Jugendfreund und Pfarrerssohn Wilhelm, dessen Leben so ganz anders verläuft, immerhin möchte er bald studieren. Dennoch erwischt es die beiden und da sie seit jeher Sympathien füreinander hegen, verlieben sie sich kopfüber ineinander.
Im Gegensatz zu Roberta fühlt sich Wilhelms Mutter Gertrud im Dorf gefangen und träumt davon diesem entfliehen zu können. Spätestens als sie mit ihrem Bruder Georg eine achtwöchige Reise macht, steht ihr Entschluss fest: Sie muss hier weg!
Doch beiden Schicksalen soll kein Glück beschert werden…

Lange hat es auch diesmal nicht gedauert, bis ich in einer weiteren Geschichte des Arenz‘schen Kosmos gefangen war. Dabei spielt Arenz die Unterschiede von Dorf und Stadt, der Idylle und dem Weltleben, gekonnt als gegensätzliche Laster und Sehnsüchte aus.
Darüberhinaus sensibilisiert der Roman – einem Stillleben gleich – die Lesenden für die leisen und sanften Töne des Lebens, welche eine alte, längst vergangene Welt heraufbeschwören und ihr wieder Leben einhauchen.
Doch die idyllische Geschichte zum Wohlfühlen ist nach etwa zwei Drittel des Romans abrupt vorbei und eine ganz andere Atmosphäre ist nun bestimmend. Ich bin ehrlich: Schon lange hat mich kein Buch mehr so berührt, emotional mitgenommen und traurig gemacht.
Während des Lesens lenken Arenz‘ einfühlsame und stets wohlgeformte Sätze auf zauberhafte Weise unsere Gefühle in jegliche Richtungen.

Dieser Roman ist ganz großes Kino. Eine Geschichte der Befreiung, von Zusammenhalt und Liebe, Sehnsucht und Trauer, der Wiederentdeckung des Vergangenem und dem Aufbruch ins Neue.

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Veröffentlicht am 13.09.2024

»Wer immer es ist, den ihr sucht: ich bin es nicht.«

Im Dickicht
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»Wer immer es ist, den ihr sucht: ich bin es nicht.«

Matthias Richters vier „Nachtstücke“ des sog. „Stückeschreibers“, einem fiktiven Alter Ego Bertolt Brechts, sind in den Monaten vor dessen Tod am 14. ...

»Wer immer es ist, den ihr sucht: ich bin es nicht.«

Matthias Richters vier „Nachtstücke“ des sog. „Stückeschreibers“, einem fiktiven Alter Ego Bertolt Brechts, sind in den Monaten vor dessen Tod am 14. August 1956 angesetzt.
Als Lesende treffen wir zuerst auf den „Stückeschreiber“ in der Charité, der sich seinem nahenden Tod bewusst wird. Die folgenden drei „Nachtstücke“ spielen sich überwiegend in Brechts letzter Wohnstätte, der Chausseestraße 125, mit jeweils einem weiteren Hauptgesprächspartner ab.
Dabei wird er u.a. vom Leiter des Aufbau Verlags, Herrn Janka, mit seinen Ansichten des Stalinismus konfrontiert und muss sich mit den Gräueltaten der erst jungen DDR-Diktatur auseinandersetzen.
Auch auf Thomas Mann, welchen er hasserfüllt als Aushängeschild des Bürgertums und des Kapitalismus ansieht, kommen sie zu sprechen. War sein abtrünniger Hass gegen diesen eventuell Neid und eine Art persönliches Eingeständnis, dass seine ganzen Vorwürfe nicht stimmten? Schließlich hatte er nicht mal seine Werke gelesen, aber maßte sich an, darüber zu urteilen.
Dabei schreckt der Autor auch vor unangenehmen Fragen und Brechts Ansichten bezüglich des Kommunismus oder auch Frauen, die teils Widersprüche in sich darstellen, nicht zurück.

Als Lesender stolpert man zuhauf über eingewebte Zitate aus Brechts Werken und bemerkt Matthias Richters Freude am Fabulieren. Das Buch entzaubert das reale Vorbild, hebt ihn von seinem Dichter-Thron und zeigt ihn wie er war: ein Mensch mit unzähligen merkwürdigen, eitlen und teils widerlichen Eigenheiten.
Dabei sind die Vexierspiele dieser fiktiven Gespräche einfach nur grandios!
Schließlich hätten diese genauso stattgefunden haben können, da Brechts Ansichten nicht erfunden, sondern belegt sind.

Wer sich für Brecht interessiert, für den ist das Buch eine große Bereicherung, für alle anderen ist es lohnenswert, sich dem wohl bedeutendsten Dramatiker des letzten Jahrhunderts auf eine ganz persönliche, durchaus fiktive Weise zu nähern.

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Veröffentlicht am 10.09.2024

»Und wo bleibt das Positive, Herr Kästner?«

Emigrant des Lebens
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»Und wo bleibt das Positive, Herr Kästner?«

Eigentlich hatte Erich Kästner alles, um glücklich zu sein. Er war ein erfolgreicher Autor, beliebt bei Jung und Alt. Eigentlich.
Doch wirklich glücklich konnte ...

»Und wo bleibt das Positive, Herr Kästner?«

Eigentlich hatte Erich Kästner alles, um glücklich zu sein. Er war ein erfolgreicher Autor, beliebt bei Jung und Alt. Eigentlich.
Doch wirklich glücklich konnte er nach dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr werden, ganz im Gegenteil. Kästner vegetierte in München vor sich hin, ertrank sich im Alkohol und zelebrierte seinen ganz persönlichen Gang vor die Hunde.

Doch warum war Kästner in seinen letzten Lebensjahren so unglücklich?
Schuld daran trug insbesondere sein übermäßiger Alkoholkonsum, wobei dieser eher eine Folge von Vorangegangenem war.
Verantwortlich für seinen Zustand war zuvorderst seine nicht ausgelebte Kindheit, unter seiner besitzergreifenden Mutter, für die er ihr alleiniger Lebensinn war. Dabei erdrückte sie ihren einzigen Sohn mit zu viel Liebe und verwehrte ihm das eigene Lieben zu lernen, woran er sein ganzes Leben litt.
Folglich konnte er keinen Schlussstrich unter die Jahrzehnte andauernde Beziehung zu Luiselotte Enderle setzen, betrog sie ständig mit Affären und belog sie bezüglich seinem Sohn mit der viel jüngeren Friedel Siebert.
Daneben prägten ihn die Jahre der Inneren Emigration nachhaltig. Sein angekündigter großer Roman über das Dritte Reich blieb schließlich ungeschrieben. Zu schwer lastete die Vergangenheit, zu tief waren die Wunden und zu grausam das persönliche Eingestehen, zu welchen Taten Menschen wirklich im Stande waren und immer noch sind.
Kästner hatte alles und war dennoch – anders als seine Romane es auf den ersten Blick vermuten lassen – ein von Kind auf unglücklicher und von der Zeit geprägter Mensch.

Auch wenn der Autor Gregor Eisenhauer für begeisterte Kästner-Leser nicht wirklich etwas Neues zu erzählen weiß, ist sein Buch eine ganz ungewohnte Annäherung an Kästner. Eisenhauer begibt sich auf eine biografische Suche nach Kästners Unglück und verfolgt mehrere mögliche Ansätze, deren Summe Kästners endgültigen Zustand nach sich zog.
Ein grandioses Buch, das bei keinem Kästner-Fan im Bücherregal fehlen darf!

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Veröffentlicht am 08.09.2024

»Was im Buch Plot ist, ist im Leben unser Schicksal.«

Daniel Kehlmann über Leo Perutz
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»Was im Buch Plot ist, ist im Leben unser Schicksal.«

Wer sich mit Daniel Kehlmann beschäftigt weiß, dass dieser eine große Begeisterung für die Werke von Leo Perutz hegt. Wer es noch nicht wusste, wird ...

»Was im Buch Plot ist, ist im Leben unser Schicksal.«

Wer sich mit Daniel Kehlmann beschäftigt weiß, dass dieser eine große Begeisterung für die Werke von Leo Perutz hegt. Wer es noch nicht wusste, wird dessen Begeisterung spätestens nach den ersten Seiten dieses Buchs merken. Darüberhinaus gelingt Kehlmann seine Leidenschaft auf den Leser zu übertragen, sodass dieser alle besprochenen und thematisierten Bücher gerne selbst – am Besten sofort – lesen möchte.
Allein aus diesem Grund lässt sich folgern, dass dieses nur knapp hundert Seiten umfassende Buch seine Wirkung – zumindest bei mir – regelrecht entfalten und mich begeistern konnte. Es wird Zeit, dass ich mich endlich(!) mal dem vielversprechenden Werke von Perutz widme.

Nach einer kurzen Einführung von Volker Weidermann, dem Herausgebers der Reihe „Bücher meines Lebens“, folgen knappe Kapitel über Besonderheiten bei Perutz’ literarischem Schaffen sowie eine Vorstellung dessen Biografie durch den Autoren. Währenddessen brilliert Kehlmanns Stil in diesen ersten Kapiteln!
Durch diese Kapitel erfahren die Lesenden z.B., dass Kafka zeitweise in der selben Versicherungsgesellschaft wie Perutz arbeitete.

Nachdem mehrere Erzählungen und Romane in nur wenige Seiten umfassenden Kapiteln angerissen wurden, widmet sich die gesamte zweite Hälfte des Buchs Perutz’ gemäß Kehlmann „beste[m] Roman“ und „geheimen Meisterwerk[]“: „Nachts unter der steinernen Brücke“. Dieses Buch umfasst vierzehn, auf den ersten Blick voneinander unabhängige Erzählungen, welche sich nach und nach zu einem Gesamtbild fügen.
Bis dato war mir nicht bekannt, dass Kehlmanns Roman „Ruhm“ in Anlehnung an diesen Roman geschrieben wurde und eine darin vorkommende Figur den Namen Leo als Würdigung dessen Kompositionsprinzips und Gesamtwerks trägt.

Ganz egal, ob ihr Leo Perutz bereits kennt oder ihr ihn erst noch entdecken wollt, dieses Buch bietet einen dankbaren Einstieg in sein literarisches Schaffen, das man sicherlich nicht nur einmal zur Hand nimmt.

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Veröffentlicht am 05.09.2024

Eine ganz große Empfehlung!

Freiheitsschock
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Schonungslos, radikal und ehrlich. Diese Wörter treffen den Stil von Kowalczuks Essay, der sich mit der Gesellschaft Ostdeutschlands ab dem Fall der Mauer auseinandersetzt, wohl am Besten.
Dem Begriff ...

Schonungslos, radikal und ehrlich. Diese Wörter treffen den Stil von Kowalczuks Essay, der sich mit der Gesellschaft Ostdeutschlands ab dem Fall der Mauer auseinandersetzt, wohl am Besten.
Dem Begriff „Freiheit“ wird dabei eine tragende Rolle zugeteilt, schließlich ist dieser für ihn kein starrer Zustand, sondern ein fortlaufender Prozess, mit dem sich jede Generation erneut auseinandersetzen muss, um sie zu erhalten.

Bei vielen Menschen aus Ostdeutschland lässt sich nach 1989 eine Überforderung, der sog. titelgebende „Freiheitsschock“, sowie eine Belastung durch Transformation und die dazukommende Verklärung der Vergangenheit erkennen. Darüberhinaus gab es keine Schulung über Demokratie und Freiheit, wie es in der BRD im Sinne der amerikanischen Re-Education stattfand.
So folgert Kowalczuk, dass keine mehrheitlich politische sowie demokratische Zivilgesellschaft entstanden ist, sondern sich die Trägheit autoritärer Vergangenheit widerspiegelt und teils gar als Sehnsuchtszustand fungiert.
Dazu kommt noch der Aspekt, dass nicht wenige Menschen der Auffassung sind, dass wir aktuell in einer Quasi-Diktatur leben und man sich durch die Wahl extremistischer Parteien davon befreien kann.
Anhand konkreter Beispiele macht der Historiker deutlich wie tief Diskriminierungen unterschiedlicher Ausprägung oder Nationalismus in den gesellschaftlichen Strukturen der DDR verankert waren und folglich nicht einfach verschwanden.

Für Dirk Oschmann, Sahra Wagenknecht und insbesondere die gesamte AfD hat er kaum ein gutes Wort übrig. Ebenfalls beäugt er die Umwandlung der SED zur PDS und zur späteren Partei „Die Linke“ als problematisch, schließlich wandelte sich eine Diktaturpartei zu einer demokratischen Partei der Emanzipation und unterstützt in mancher Hinsicht noch immer antiwestliche und prorussische Ansichten.
Dabei blickt er auch auf die Familien der Schauspielerin Sandra Hüller sowie der Schriftstellerin Jenny Erpenbeck und kommentiert deren überwiegend positive Erinnerungen an die DDR kritisch.

Eine ganz große Empfehlung!

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