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Veröffentlicht am 22.01.2019

Persönliche und berührende Geschichte eines Nachkriegsschicksales

Hoffnungsschimmer in Trümmern
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Pia Wunder setzt mit diesem Buch ihrer Großmutter und Mutter ein Denkmal. "Jede Familie hat ihre einzigartige Geschichte" ist der erste Satz, und es gelingt der Autorin gut, diese einzigartige Geschichte ...

Pia Wunder setzt mit diesem Buch ihrer Großmutter und Mutter ein Denkmal. "Jede Familie hat ihre einzigartige Geschichte" ist der erste Satz, und es gelingt der Autorin gut, diese einzigartige Geschichte ihrer Familie zu erzählen. Damit erzählt sie auch ein Stück Zeitgeschichte, denn die Todesangst während des Krieges und auch der ersten Nachkriegszeit, die unglaublichen Leiden von Vertreibung, Flucht, Willkür einiger Besatzer sind ein Teil vieler europäischen Familienerinnerungen.

Pia Wunder erwähnt im Vorwort, daß in ihren Gesprächen mit Großmutter und Mutter einige Taschentücher verbraucht worden seien, und das kann ich gut verstehen, denn sogar als reine Leserin gab es einige Stellen, an denen mir die Tränen in die Augen stiegen. Die grausame Vergewaltigung einer 14jährigen (sehr dezent im Buch dargestellt) durch Besatzungssoldaten, das Leiden ihrer Eltern, deren Behandlung - das hat mich noch tagelang beschäftigt, ebenso wie überhaupt das Ausgeliefertsein an die Soldaten. Dagegen war die Schilderung des ersten Nachkriegsweihnachtsfestes, bei dem sich unerwartet Gutes ereignete, auf ganz andere, positive Weise anrührend. Die Großmutter der Autorin, Grete, hat viel durchgemacht. Direkt vom Anfang des Buches an hat sie es mit gedankenlosen, teils bösartigen Menschen zu tun, muß fast ständig auf sich selbst gestellt kämpfen. Es ist unglaublich, was diese zarte, aber offensichtlich zähe kleine Person alles erduldet und geleistet hat. Gretes Schicksal hat mich von Anfang an berührt. Die Leiden der letzten Kriegsmonate und der Flucht werden deutlich und eindringlich geschildert. Das Verhalten der Menschen wird hier ebenfalls gut dargestellt - die meisten sind sich selbst die Nächsten, das aber nicht aus reiner Bequemlichkeit oder Bosheit, sondern weil es um das nackte Überleben geht. Wenn es an diesen Urinstinkt, diese Urangst geht, dann treten andere menschliche Gefühle schnell weit in den Hintergrund. Dadurch sind die von der Autorin geschilderten wenigen Ausnahmen besonders eindringlich. Dieser erste Teil des Buches ist der packendste und der, der einen Leser auch nachher noch gedanklich beschäftigt.

Pia Wunder berichtet die Geschichte ihrer Großmutter und Mutter im Romanstil, eine gute Idee. Der Schreibstil liest sich flüssig, er ist einfach (an manchen Stellen für meinen Geschmack zu einfach) und schnörkellos. Ab und an fand ich einige Formulierungen etwas ungeschickt, oder Worte falsch gewählt (zB "linkisch" statt "link").
An mehreren Stellen hätten ein oder zwei erklärende Sätze das Verständnis erheblich erleichtern können, hier fehlten mir doch recht relevante Hintergrundinformationen.

Während der erste Teil des Buches (ca 60 %) sich auf Grete konzentriert und aus ihrer Perspektive berichtet, wechselt diese Perspektive im zweiten Teil zu ihrer Tochter Ilse und erzählt hauptsächlich deren Geschichte. Diese ist naturgemäß weniger dramatisch als die direkten Kriegs- und Nachkriegsjahre. Während ich es gut fand, daß wir auch Ilses Weg weiterverfolgen konnten, war mir hier einiges zu detailliert berichtet und ich habe einige Abschnitte eher überflogen. Hier hätte man meiner Meinung nach wesentlich straffen können, das mag aber auch rein persönliche Präferenz sein.

Es ist der Autorin gelungen, die Geschichte ihrer Großmutter und Mutter mitreißend zu erzählen, zu zeigen, wie wichtig der Familienzusammenhalt war, welche Nachwirkungen die schwierigen Jahre später in der Mutter-Tochter-Beziehung oder auch sogar bei der Berufswahl der Tochter hatten. Mit wenigen Worten wird aufgezeigt, daß die Traumata der Kriegs- und Nachkriegszeit bei den betroffenen Generationen fortwirken.

Es ist ein lesenswertes Buch, das eine katastrophale Epoche unserer Geschichte beleuchtet und mit persönlichen Schicksalen verknüpft.

Veröffentlicht am 19.10.2024

Zuerst etwas ziellos, dann sehr berührend

Die Abende in der Buchhandlung Morisaki
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Dieses Buch bezaubert schon durch den wundervoll gestalteten Einband, dessen Motiv Wärme und Gemütlichkeit ausstrahlt. Auch haptisch überzeugt der feste, wertige Einband. Der Ort der Handlung, die Buchhandlung ...

Dieses Buch bezaubert schon durch den wundervoll gestalteten Einband, dessen Motiv Wärme und Gemütlichkeit ausstrahlt. Auch haptisch überzeugt der feste, wertige Einband. Der Ort der Handlung, die Buchhandlung Morisaki, ist ein uraltes Antiquariat im Stadtteil Jinbocho der Stadt Tokio. Ich hatte vorher noch nie von diesem Stadtteil gehört und fand es ganz faszinierend, diesen nun kennenzulernen. Schon allein dafür hat sich die Lektüre gelohnt. Die Atmosphäre von Laden und Viertel wird gut eingefangen – wahrscheinlich kennt jeder buchaffine Mensch diese besondere Stimmung, die von alten Antiquariaten ausgeht.

Ich habe den Vorgängerband nicht gelesen, dies schadete aber zum Glück nicht, denn dort, wo auf vorherige Geschehnisse Bezug genommen wird, gibt es entsprechende Erklärungen, so daß man auch als Neueinsteiger die relevanten Zusammenhänge versteht. Das ist gut gemacht. Allerdings sind einem die Charaktere nicht so vertraut und sie werden verständlicherweise nicht so ausführlich eingeführt, wie es wahrscheinlich im ersten Band der Fall ist. So brauchte ich eine Weile, bis ich wirklich in der Geschichte angekommen war – dies ist aber kein Manko des Buches. Die Handlung wirkt allerdings anfangs noch etwas unschlüssig und konnte mich länger nicht fesseln. Es wird viel Belangloses geschildert. Eine Episode, in der die Protagonistin zwei Freunden Schützenhilfe beim Zueinanderfinden leistet, fand ich wenig überzeugend und auch die Beziehung der Protagonistin selbst bleibt blass und uninteressant, ihr Freund ist durchweg farblos. Ich habe mich in der ersten Hälfte oft gefragt, was der Autor eigentlich erreichen, sagen möchte. Auch die Liebe zu Büchern und zum Lesen kam nicht so durch, wie ich anhand des Klappentexts und Themas erwartet hatte.

Auch der Schreibstil überzeugte mich nicht richtig. Er ist schlicht und die Dialoge wirken oft unnatürlich. Wenn man beim Lesen dauernd denkt: „Kein Mensch würde so reden!“, dann spricht das nicht für ein Buch. Allerdings gibt es auch einige wirklich sehr schöne Sätze, und zum Ende hin werden die Dialoge natürlicher. Erfreulich ist, daß das Buch leicht lesbar ist, es eignet sich gut als entspannende Schmökerlektüre.

Im letzten Drittel wurde das Buch dann wesentlich besser und zog mich in seinen Bann. Nun gab es eine wirkliche Handlung, gewannen die Charaktere der Protagonistin, ihrer Tante und ihres Onkels richtig Kontur. Wie erwähnt wurden die Dialoge natürlicher und auch die Emotionen wirkten nachvollziehbarer und authentischer. Es schien fast, als ob der Autor sich da erst wirklich in Form geschrieben hätte. Das erste Drittel hatte einen gewissen Reiz des Neuen, das zweite Drittel ließ mich oft mit einem „Was soll das?“-Schulterzucken zurück und das letzte Drittel ließ mich wünschen, das ganze Buch wäre so gewesen. Hier wird die Geschichte berührend, die Beziehungen zueinander sind nicht wie vorher mit dem Holzhammer geschildert, sondern ganz fein, nuanciert und enorm wirkungsvoll. Die ganze Klaviatur der Emotionen wird meisterhaft gespielt und ja, hier spürte man es dann: die Macht der Worte, der Literatur, der Emotionen und des Zusammenhaltens.

Es ist also in mehrerlei Hinsicht ein ungewöhnliches Buch, das sich zu entdecken lohnt und das seine ganze Schönheit und Kraft zum Ende hin entfaltet.

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Veröffentlicht am 25.09.2024

Ungewöhnliche, originelle Geschichte, Erzählweise nicht ganz überzeugend

Sing, wilder Vogel, sing
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Die Geschichte hat durch den gelungenen, farbigen Einstieg gleich mein Interesse geweckt – die Protagonistin Honora arbeitet in einem Bordell im amerikanischen Westen und trägt offensichtlich eine schwere ...

Die Geschichte hat durch den gelungenen, farbigen Einstieg gleich mein Interesse geweckt – die Protagonistin Honora arbeitet in einem Bordell im amerikanischen Westen und trägt offensichtlich eine schwere innere Last auf den Schultern. Das macht neugierig und war lebhaft beschrieben. Nach diesem Einstieg reisen wir erst einmal zurück in der Zeit und erfahren, wie Honora an diesen Punkt gekommen ist. Wir begleiten sie ins Irland des Jahres 1849, mitten in die große Hungersnot. Das Geschehen ist sehr eindringlich beschrieben, auch wenn hier und da ein paar Hintergrundinformationen gefehlt haben (welche dem irischen Lesepublikum sicher bekannt sind). Die historische Situation ist gut recherchiert und in die Geschichte verwoben.

Die Charaktere sind allerdings abgesehen von Honora selbst nicht sonderlich gut ausgearbeitet, auch die Beziehungen fand ich manchmal nicht ganz nachvollziehbar. Besonders irritierte mich das, als Honora in einem Fall selbst ausführlich darüber nachdenkt, dass eine andere Person eine habituelle Lügnerin ist und man ihr nicht vertrauen kann, sie genau dieser Person dann aber in einer wichtigen Situation vertraut – ab da wurde die Geschichte dann sehr konstruiert.

Auch fand ich die Erzählweise oft seltsam distanziert – Honora passieren sehr viele schreckliche Dinge (irgendwann war es mir zu viel), aber das Geschehen erreichte mich emotional nicht. Auch werden relevante Passagen oft einfach übersprungen. Ein Beispiel dafür ist Honoras unfreiwillige Arbeit im Bordell – wir erfahren, daß sie dort arbeiten muß und dann gibt es einen Zeitsprung (dessen Länge wir nicht erfahren, überhaupt sind Zeitangaben leider zu vage gehalten) und viele Fragen bleiben offen: wie sie die anfängliche Zeit dort bewältigt hat, wie das für sie war, etc. So ist es immer, wenn sie in neue Situationen kommt – die Anfangszeit wird jedes Mal übersprungen, was wichtige Bestandteile der Geschichte unterschlug und dem Geschehen die Unmittelbarkeit nahm, weil das Geschehene dann nur kurz zusammengefasst wird.

Der Schreibstil liest sich gut und leicht. Es gibt viele farbige, gelungene Beschreibungen und es wurde – entgegen meiner anfänglichen Befürchtungen – nicht zu blumig oder poetisch. Bei den Dialogen war mir die Sprache oft zu modern, so daß ich mir manchmal in Erinnerung rufen mußte, daß die Geschichte im 19. Jahrhundert spielt.

Die Geschichte an sich ist erfreulich ungewöhnlich und hebt sich vom Einerlei historischer Romane ab, auch wird die Situation der Iren sowohl in ihrem Heimatland, wie auch auf der Überfahrt nach Amerika und vor Ort gut dargestellt. Manches war zu langatmig geschildert, was in Verbindung mit dem bereits erwähnten Überspringen wichtiger Phasen eine ungünstige Gewichtung darstellt.

Zum Ende hin verlor mich die Geschichte zunehmend. Ich fand sie immer weniger plausibel, gerade weil die Beziehungen unter den Charakteren oft nicht nachvollziehbar sind. Vieles entwickelt sich aus dem Nichts und die Geschichte bekommt etwas zunehmend Konstruiertes.

So hat mich dieses Buch in der ersten Hälfte noch richtig in seinen Bann gezogen, mich dann aber in der zweiten Hälfte wesentlich weniger überzeugt. Hier hätte man bei besserer handwerklicher Umsetzung eine wesentliche überzeugendere Geschichte schaffen können.

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Veröffentlicht am 11.09.2024

Herrliche Sprache, interessantes Thema mit ein paar Längen

Die Bilder meines Vaters
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Im Nachwort zu diesem Buch schreibt die Autorin, sie wäre glücklich, wenn die Leser „diesen Roman als Ausgangspunkt nehmen, um mehr über die historischen Personen sowie ihre Zeitgeschichte zu erfahren“. ...

Im Nachwort zu diesem Buch schreibt die Autorin, sie wäre glücklich, wenn die Leser „diesen Roman als Ausgangspunkt nehmen, um mehr über die historischen Personen sowie ihre Zeitgeschichte zu erfahren“. Ich kann jedenfalls für mich vermelden, daß dieses Ansinnen auf fruchtbaren Boden gefallen ist. Ich wußte vor dem Buch gar nichts über Marie Luise Vogeler oder ihr Familienumfeld, auch wenn mir über Worpswede einiges bekannt ist. Nun habe ich dank Astrid Goltz eine Reise in eine für mich ungewohnte, anschaulich geschilderte Welt gemacht. Marie Luise Vogelers Leben wird sehr stark durch ihren Vater und ihren Ehemann definiert – nicht einmal der Titel dieses Buches gehört ihr. Dass es vorwiegend ihre Beziehungen zu anderen sind, die ihre Geschichte ausmachen, lässt sie manchmal etwas blass wirken, führt aber andererseits auch dazu, dass hier viele interessante Perspektiven dargestellt werden.

Marie Luise fungiert in diesem Buch als Ich-Erzählerin im oft genutzten Muster der zwei Zeitebenen. Ihre von Krankheit erfüllten letzten Lebensjahre in Mexiko sind die Rahmenhandlung, vor der sie ihr Leben erzählt. Der Schreibstil ist hervorragend, ich habe ihn sehr genossen. Ich fand es ganz wunderbar, wie gekonnt die Autorin mit Sprache umgeht, und hoffe sehr, daß das nicht ihr letztes Buch sein wird. Unerfreulich fand ich lediglich, daß sie am Anfang, in den Kinderjahren Marie Luises, ganze Unterhaltungen auf Plattdeutsch schreibt. Das geht an manchen Stellen über ganze Seiten und ist für jemanden, der mit diesem Dialekt nicht vertraut ist, äußerst beschwerlich zu lesen und teils schlichtweg nicht verständlich. So sehr ich es befürworte, im Sinne der Authentizität ein wenig Dialekt einzubringen, sollte sich das im Rahmen halten. Hier war es irgendwann so, daß ich diese langen Passagen überspringen mußte, weil ich sie so gut wie unleserlich fand.
Auch die jetzt so beliebten Genderdoppelungen wie „Künstlerinnen und Künstler“ oder „Saarländerinnen und Saarländer“ fand ich wenig angebracht. Ganz abgesehen davon, daß diese die Lesefreundlichkeit beeinträchtigen, sind sie hier nicht authentisch, weil mit der Erzählstimme einer Frau geschrieben wird, die in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts lebte, in der solche Doppelungen nicht verwendet wurden. Wenn als Ich-Erzählerin geschrieben wird, dann sollte das auch stimmig sein.
Ganz wundervoll fand ich dagegen das stetige Einweben von Farben in den Text. Das ist herrlich authentisch und erinnert uns daran, daß Marie Luise als Malerin die Welt in Farben sah, auf Farben achtete, auch paßt es ausgezeichnet zum Titel und Motiv des Buches. Es wirkt völlig natürlich, wie diese Farben immer wieder Eingang in den Text finden und ich hatte beim Lesen viel Freude daran.

Das Erzähltempo ist gemischt. Die erste Hälfte fand ich teilweise ziemlich langatmig, was vor allem an den ausführlichen Kindheitserlebnissen mit allerlei Spielen, den o.e. Unterhaltungen auf Platt und vielen berichteten Details lag, die ich für das Gesamtbild nicht notwendig fand. Im Nachwort las ich dann, daß die meisten dieser Aspekte von der Autorin erfunden wurden. Sie erklärt im Nachwort gut, was belegbare Informationen sind; was zwar nicht explizit belegt, aber schlüssig ist, und was reine Erfindung von ihr ist. Hier war ich teilweise etwas befremdet. So hat Marie Luise im Buch eine Fehlgeburt, die sich im Nachwort als fiktiv herausstellt. Das überschreitet bei einer Romanbiographie über eine tatsächliche Person für mich persönlich die Grenzen.
Auch wird allerlei Mystisches in den Romantext verwebt. Beim Lesen irritierte es mich, daß Marie Luise häufiger von ihren Konversationen mit Katzen berichtete. Im Nachwort stellte sich heraus, daß es keine liebenswerte Marotte der tatsächlichen Marie Luise war, sondern ebenfalls reine Erfindung, um „die magische Seite ihrer Kindheit sowie ihre Imaginationskraft“ zu betonen. Das hätte man gerade in einem künstlerischen Haushalt doch etwas weniger überspannt und für die Leser nachvollziehbarer lösen können.
Recherchiert wurde allerdings insgesamt ganz ausgezeichnet, auch das erkennt man sowohl am Nachwort wie auch an der umfangreichen Quellenangabe. Einiges habe ich schon im Internet nachgelesen und stellte fest, wie farbig und gut die Ereignisse im Roman berichtet werden. Man lernt durch die Lektüre auf unterhaltsame Weise eine ganze Menge und man bekommt durch die hervorragende Sprache einen gelungenen Einblick in die Welt der Künstler, der Kommunisten, der Emigranten. Marie Luises Krankheit wird gerade zum Ende hin sehr eindringlich und berührend geschildert. Ganz zum Schluss finden sich dann noch einige Fotos von Marie Luise, was mir gut gefiel.

Insgesamt kann das Buch gerade durch die Sprache und das ungewöhnliche Sujet überzeugen – es gibt unzählige Bücher über deutsche Schicksale in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, aber die Kombination aus den hier geschilderten Themen, zudem mit wahrem Hintergrund, findet sich eher selten und eröffnet interessante Blickwinkel.

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Veröffentlicht am 01.07.2024

Unterhaltsamer Krimi, von dem ich mir mehr Tiefe erwartet hatte

Im Kopf des Bösen - Ken und Barbie
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Auf dieses Buch kam ich wegen meines großen Interesses an dem Homolka-Bernardo-Fall, der hier als Inspiration genommen wurde. Der tatsächliche damalige Fall dient als Grundlage für diesen fiktiven Roman ...

Auf dieses Buch kam ich wegen meines großen Interesses an dem Homolka-Bernardo-Fall, der hier als Inspiration genommen wurde. Der tatsächliche damalige Fall dient als Grundlage für diesen fiktiven Roman und es wird aufgezeigt, wie er in heutiger Zeit und mit heutigen Mitteln hätte gelöst werden können. Das ist ein origineller und spannender Ansatz, auch machte mich die Mitarbeit von Axel Petermann, den ich aus mehreren Dokumentationen kenne und schätze, neugierig.

Das recht kurze Buch steigt gleich erfreulich ins Geschehen ein, hält dieses dann aber erst einmal durch zwei lange erklärende Einschübe von je einer Seite auf, so daß ich den Einstieg nicht wirklich flüssig fand. Zudem bekommt die Ermittlerin Sophie sehr viel Raum, was gerade in der ersten Hälfte zu Lasten des Erzähltempos und Falls geht. Nachdem es lange Mode war, Krimiermittler mit allerlei Traumata auszustatten, scheint es jetzt in Mode zu kommen, Ermittler mit psychologischen Besonderheiten/Fähigkeiten als Protagonisten zu nehmen. Ich fühlte mich hier in mancherlei Hinsicht an die Bücher von Max Seeck erinnert – auch den ererbten Reichtum haben beide Protagonistinnen. Sophie ist Autistin, hat zudem noch ein Kindheitstrauma und den erwähnten Reichtum, welcher für die Handlung völlig bedeutungslos ist und auf mich etwas wahllos hineingeworfen wirkte. Ihr Autismus dominiert viele Szenen, schon weil ihre diesbzgl. Fähigkeiten ihr bei der Arbeit als Profilerin dienlich sind, ihr andere Autismus-Aspekte aber viele Situationen schwieriger gestalten. Es gibt darüber hinaus mehrere ausführliche Szenen, die ausschließlich dazu dienen, Sophies Autismus darzustellen. Diese unterbrachen leider den Handlungsfluss, waren sehr detailverliebt und wiederholten sich inhaltlich außerdem ziemlich. Zwei Fakten zu Sophie (ihr eidetisches Gedächtnis und ihre Abneigung, aus Gläsern zu trinken) werden uns mehrfach fast wortgleich mitgeteilt, auch sonst fielen mir häufiger Wiederholungen auf.

Nachdem ich von der ersten Hälfte des Buches also eher enttäuscht war, weil es wesentlich mehr um Sophie als um die Ermittlungen ging, nimmt die Handlung dann endlich Fahrt auf und wird richtig gut. Der Schreibstil ist flüssig, ein wenig störte mich abgesehen von den Wiederholungen die Tendenz, das „show, don’t tell“ etwas zu vernachlässigen. Gesichtsausdrücke, Stimmungen, einfache Schlussfolgerungen etc. wurden den Lesern oft erklärt anstatt gezeigt, manchmal gezeigt und zusätzlich erklärt. Erfreulich fand ich dagegen, daß Hintergrundinformationen gut eingebunden werden. Es gibt kein Infodumping, sondern es ist immer nachvollziehbar, wenn Hintergründe in einem Dialog zur Sprache kommen oder Ermittlungsmethoden erklärt werden. Eine ausgezeichnete Szene, in der Sophie in bester Sherlock-Holmes-Manier einem Kollegen zeigt, was sie durch reine Beobachtungen und Schlussfolgerungen alles über ihn weiß, erläutert das Prinzip des Profiling handfest und nachvollziehbar.

Auch die Ermittlungen werden gut geschildert. Es gibt keine hanebüchenen Zufälle oder übertriebene Schockeffekte. Es wird ganz klassisch ermittelt, mit logisch nachvollziehbaren Schlussfolgerungen und realistischer Darstellung. Auch die Gespräche mit Zeugen oder Verwandten sind realistisch und farbig geschildert – man sieht die Szenen vor sich. Das Grausige der Tat wird uns ohne blutrünstige Schilderungen vermittelt – wir erfahren einige Szenen aus Sicht eines der Opfer. Diese Szenen sind ausgezeichnet, sie zeigen sowohl die absolute Menschenverachtung der Täter wie auch die Ausweglosigkeit und das Grauen, in welchen sich das Opfer befindet. Es sind äußerst beklemmende Szenen mit tiefdunklen Einblicken.

Der letzte Teil bringt manch überraschende Wendung und kommt erfreulicherweise ohne langgezogenen Showdown aus (leider dafür nicht ohne das überbenutzte und enervierende Klischee der Romanze zwischen Ermittlern). Dann endet die Geschichte leider sehr abrupt. Tiefere Einblicke in das Täterpaar erhalten wir überraschenderweise kaum, ihre Gedankenwelt und Beziehung wird im Buch sehr rasch abgehandelt, was insbesondere angesichts der extrem ausführlichen Beschreibung von Sophies Psyche erstaunlich und enttäuschend ist. Ein Nachwort schildert den echten Fall und zeigt auf, was im Krimi verändert wurde und was übereinstimmt – der echte Fall ist sehr nah dran, trotzdem finde ich den Begriff „True Crime“ angesichts der Gestaltung eher vollmundig, denn wir bekommen kein True Crime, sondern einen fiktiven Krimi, der von einem True-Crime-Fall inspiriert ist. Letztlich ließ mich das Buch etwas enttäuscht zurück. Vielleicht habe ich mit dem Namen Petermann zu hohe Erwartungen verknüpft. Der besondere Tiefgang, den ich gerade hinsichtlich der Psyche und des Zusammenspiels des Täterpaares erwartet hatte und der hier ein Alleinstellungsmerkmal hätte darstellen können, fehlt leider (denn auch von echten Fällen inspirierte Krimis gibt es mehrere). Meines Erachtens hätte der Fokus mehr von Sophie weggenommen und dem Täterpaar gewidmet werden können. Das Buch bietet interessante Einblicke in Ermittlungstechniken und Profiling – das machen andere Romane allerdings auch, und dies teilweise mit mehr Tiefe. „Im Kopf des Bösen“ bietet letztlich überwiegend konventionelle Krimiunterhaltung mit den bekannten und oft verwendeten Elementen des Genres. Diese ist gut erzählt und punktet durch Realismus sowie die Profilerelemente.

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