Ungewöhnliche, originelle Geschichte, Erzählweise nicht ganz überzeugend
Sing, wilder Vogel, singDie Geschichte hat durch den gelungenen, farbigen Einstieg gleich mein Interesse geweckt – die Protagonistin Honora arbeitet in einem Bordell im amerikanischen Westen und trägt offensichtlich eine schwere ...
Die Geschichte hat durch den gelungenen, farbigen Einstieg gleich mein Interesse geweckt – die Protagonistin Honora arbeitet in einem Bordell im amerikanischen Westen und trägt offensichtlich eine schwere innere Last auf den Schultern. Das macht neugierig und war lebhaft beschrieben. Nach diesem Einstieg reisen wir erst einmal zurück in der Zeit und erfahren, wie Honora an diesen Punkt gekommen ist. Wir begleiten sie ins Irland des Jahres 1849, mitten in die große Hungersnot. Das Geschehen ist sehr eindringlich beschrieben, auch wenn hier und da ein paar Hintergrundinformationen gefehlt haben (welche dem irischen Lesepublikum sicher bekannt sind). Die historische Situation ist gut recherchiert und in die Geschichte verwoben.
Die Charaktere sind allerdings abgesehen von Honora selbst nicht sonderlich gut ausgearbeitet, auch die Beziehungen fand ich manchmal nicht ganz nachvollziehbar. Besonders irritierte mich das, als Honora in einem Fall selbst ausführlich darüber nachdenkt, dass eine andere Person eine habituelle Lügnerin ist und man ihr nicht vertrauen kann, sie genau dieser Person dann aber in einer wichtigen Situation vertraut – ab da wurde die Geschichte dann sehr konstruiert.
Auch fand ich die Erzählweise oft seltsam distanziert – Honora passieren sehr viele schreckliche Dinge (irgendwann war es mir zu viel), aber das Geschehen erreichte mich emotional nicht. Auch werden relevante Passagen oft einfach übersprungen. Ein Beispiel dafür ist Honoras unfreiwillige Arbeit im Bordell – wir erfahren, daß sie dort arbeiten muß und dann gibt es einen Zeitsprung (dessen Länge wir nicht erfahren, überhaupt sind Zeitangaben leider zu vage gehalten) und viele Fragen bleiben offen: wie sie die anfängliche Zeit dort bewältigt hat, wie das für sie war, etc. So ist es immer, wenn sie in neue Situationen kommt – die Anfangszeit wird jedes Mal übersprungen, was wichtige Bestandteile der Geschichte unterschlug und dem Geschehen die Unmittelbarkeit nahm, weil das Geschehene dann nur kurz zusammengefasst wird.
Der Schreibstil liest sich gut und leicht. Es gibt viele farbige, gelungene Beschreibungen und es wurde – entgegen meiner anfänglichen Befürchtungen – nicht zu blumig oder poetisch. Bei den Dialogen war mir die Sprache oft zu modern, so daß ich mir manchmal in Erinnerung rufen mußte, daß die Geschichte im 19. Jahrhundert spielt.
Die Geschichte an sich ist erfreulich ungewöhnlich und hebt sich vom Einerlei historischer Romane ab, auch wird die Situation der Iren sowohl in ihrem Heimatland, wie auch auf der Überfahrt nach Amerika und vor Ort gut dargestellt. Manches war zu langatmig geschildert, was in Verbindung mit dem bereits erwähnten Überspringen wichtiger Phasen eine ungünstige Gewichtung darstellt.
Zum Ende hin verlor mich die Geschichte zunehmend. Ich fand sie immer weniger plausibel, gerade weil die Beziehungen unter den Charakteren oft nicht nachvollziehbar sind. Vieles entwickelt sich aus dem Nichts und die Geschichte bekommt etwas zunehmend Konstruiertes.
So hat mich dieses Buch in der ersten Hälfte noch richtig in seinen Bann gezogen, mich dann aber in der zweiten Hälfte wesentlich weniger überzeugt. Hier hätte man bei besserer handwerklicher Umsetzung eine wesentliche überzeugendere Geschichte schaffen können.