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Veröffentlicht am 16.09.2024

Keine bequeme Geschichte

Kleine Monster
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Luca ist ein kluger, sensibler siebenjähriger. Seine Klassenlehrerin Frau Bohle ist in Sorge. Alena, Lucas Mitschülerin, befand sich mit Luca allein im Klassenzimmer, als die anderen Kinder auf dem Schulhof ...

Luca ist ein kluger, sensibler siebenjähriger. Seine Klassenlehrerin Frau Bohle ist in Sorge. Alena, Lucas Mitschülerin, befand sich mit Luca allein im Klassenzimmer, als die anderen Kinder auf dem Schulhof waren. Sie hat erzählt, dass Luca sie … Lucas Eltern Pia und Jakob fehlt die Vorstellung, schließlich ist er ihr Kind und sie kennen ihn.

In der WhatsApp – Elterngruppe werden sie ausgeschlossen. Es macht Pia nervös, dass man sie ausgrenzt, es fühlt sich an, als werde Luca verdächtigt, eine Straftat begangen zu haben, aber er ist doch noch ein Kind. Der Vorfall katapultiert Pia in die eigene Kindheit. Wie ihre ältere Schwester Romi von ihrer jüngeren Schwester Linda bewundert wurde, weil sie auf Bäume kletterte und sich nichts sagen ließ. Der Vater war den ganzen Tag weg und wollte am Abend seine Ruhe. Die Mutter war mit Romi überfordert, als die begann an der Mutter zu klammern. Eigentlich sollte Romi das einzige Kind sein. Sie hatten sie adoptiert, als sie ein kleines hospitalisiertes Kind mit schweren Entwicklungsstörungen war. Allen Unkenrufen zum Trotz brachte die Mutter Romi das Laufen bei. Mit Pia hatte die Mutter nicht mehr gerechnet und dann wurde sie doch schwanger.

Pia will, dass Luca sich ihr anvertraut. Niemand wollte ihnen Genaueres zu dem Vorfall sagen, also soll er seine Sicht schildern, aber Luca schweigt verbohrt. Pia fährt ihn zu ihren Eltern, sie möchte ihn nicht zur Schule bringen, weil sie befürchtet, dass er sanktioniert wird. Als sie ihn wieder abholen will, ist Pias Vater gerade mit Luca im Wald und eigentlich will sie das nicht. Ihre Mutter nennt Luca Luci und auch das gefällt ihr nicht. In ihrem alten Kinderzimmer drängen sich ihr wieder Kindheitserlebnisse mit Romi auf, wie sie sich im Stall versteckte, obwohl die Eltern fahren wollten. Pia fand sie und versuchte sie zu überreden mitzukommen, doch Romi wollte, dass Pia zuerst den Hund streichelte, der an einer Kette lag. Pias Oberlippe musste mit drei Stichen genäht werden.

Fazit: Ich mag die Technik von Jessica Lind, wie sie ihre Protagonistin gedanklich von der Gegenwart in die Vergangenheit springen lässt. Durch die Erinnerung an die ältere Schwester und den schrecklichen Vorfall im Elternhaus gerät die nötige Loyalität zu ihrem eigenen Kind erheblich ins Wanken. Die längst überfällige Analyse ihrer eigenen Familiengeschichte erzeugt vehementes Misstrauen in ihren Sohn. Aus dem klugen, sensiblen Kind wird in Pias Kopf ein unberechenbares Wesen. Sie reagiert mit Manipulation, Druck und Gewalt. Die Geschichte schmerzt richtig. Selten bin ich von den Ereignissen in einem Buch so unangenehm berührt worden. Im wirklichen Leben wäre die Aufarbeitung der eigenen Kindheit dringen zu anzuraten gewesen, das allerdings setzt voraus, dass die Betroffenen wissen, dass sie ein Problem haben. Kleine Monster ist eine gut gemachte, unbequeme Geschichte, die nachwirkt.

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Veröffentlicht am 10.09.2024

Kleingartenverein mit Befindlichkeiten

Radieschen-Revolution
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Der introvertierte Gerd liest und bespricht Bücher. Jetzt soll er sich aufraffen, am Wochenende seiner Freundin Elfie zur Hand zu gehen, denn sie hat ein Beet gepachtet. Es werde ihm guttun, glaubt sie ...

Der introvertierte Gerd liest und bespricht Bücher. Jetzt soll er sich aufraffen, am Wochenende seiner Freundin Elfie zur Hand zu gehen, denn sie hat ein Beet gepachtet. Es werde ihm guttun, glaubt sie und strahlt ihn mit roten Wangen und zerzausten Haaren an. Gerd will nicht, bliebe am liebsten an seinem Schreibtisch sitzen, um in Dateien zu wühlen und Wortunkraut zu rupfen, aber das sagt er nicht.

Im Laufe des nächsten Vormittags lernt Gerd die anderen Gärtner kennen. Ekke taucht die Mistgabel in den Kompost und befördert alles an unverdautem und sperrigem Gestrüpp in die Büsche. Gerd packt an und erzählt von den Birnbäumen und seinem Opa, wie der die Kreissäge bedient hat. Ekke ist Lehrer, unterrichtet Werkeln und Kunst. Er kennt den Literaturkritiker Gerd aus der Zeitung.

Allmählich trudeln die anderen ein und kümmern sich um ihre Beete. Schon bald lernt Gerd die andere Seite der Kleingärtnerei kennen, die Vereinsmeierei. Erwin, der Obmann, will, dass der Tümpel zugeschüttet wird, zu gefährlich. Die Allgemeinheit müsse für den Heckenrückschnitt sorgen, damit die Anlage präsentabel ist. Ab 22 Uhr müssen alle das Gelände verlassen haben, dann muss Ruhe herrschen. Die Einhaltung der Vorschriften wird mit Argusaugen von einem der oberen Balkone beäugt und wenn nötig dokumentiert.

Gerd macht seine Elfie glücklich, weil er sich mit dem ganzen Körper in die Anlage hineinkniet. Umso tiefer geht sein Groll, als man Elfie und ihn des Vereins verweist. Doch Gerd hat vom Kompost geleckt und ruft sofort einen eigenen Kleingarten ins Leben, nicht so zur Freude Elfies, die wieder mehr Zeit mit Gerd und allem, was Gerd zur Verfügung steht, verbringen möchte.

Fazit: Christian Lorenz Müller hat eine feine Geschichte über eine Nachbarschaft geschrieben, die sich in der Stadt eine Insel geschaffen hat, um ihre Naturverbundenheit auszuleben. Doch wie immer, wenn mehrere Charaktere zusammengewürfelt werden, entwickeln sich Schwierigkeiten. Der Autor hat subtil die Befindlichkeiten aller Darsteller herausgearbeitet. Der Protagonist hängt sich voll rein, knüpft die Kontakte für das neue Projekt und andere wollen von ihm profitieren, sich mit seinen Federn schmücken. Mit feiner Ironie beleuchtet der Autor menschliche Abgründe. Am Ende haben alle Beteiligten an Lebenserfahrung gewonnen. Lesenswert.

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Veröffentlicht am 09.09.2024

So eine skurrile Geschichte

Armes Ding
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Oskar arbeitet auf dem Hof von Ola und Aud Blum. Die beiden Blum Töchter schenken ihm keine Beachtung. Zum Lohn bekommt er ein warmes Essen und ein Bett. An dem Tag, als er mit der Sense die Wiesen bearbeitet, ...

Oskar arbeitet auf dem Hof von Ola und Aud Blum. Die beiden Blum Töchter schenken ihm keine Beachtung. Zum Lohn bekommt er ein warmes Essen und ein Bett. An dem Tag, als er mit der Sense die Wiesen bearbeitet, bemerkt er auf dem Rückweg ein Geräusch im Unterholz, das zu laut war für ein gängiges Tier. Er späht ins Unterholz, sieht den Schatten einer kleinen menschenähnlichen Gestalt davon Preschen und setzt ihr nach. Das Wesen vor ihm bewegt sich auf allen Vieren, fast wie ein Hund, schlägt Haken und ist schnell verschwunden.

Oskar beeilt sich zum Hof der Blums zurückzukommen denn heute ist ein Fleischtag. Seine Gedanken kreisen um den kleinen Derwisch, das merkt auch Ola Blum, der ihn während des Essens aufzieht. Doch Oskar schaut nur betreten zu Boden und schweigt. In der Nacht stiehlt er einen Laib Brot und die bernsteinfarbene Flasche mit den Worten Dosic und Morphium auf dem Etikett. Im Schuppen findet er noch Nylonschnur, ein Seil, die Axt und eine Taschenlampe. Er packt seinen Rucksack und macht sich auf den Weg.

An der Stelle angekommen, wo er Tags zuvor das Geräusch hörte, schleicht er etwas weiter in den Wald, präpariert das Brot und bastelt eine Falle, mit der man Kleinsttiere stellt. Er macht sich auf den Rückweg, um noch ein wenig zu ruhen. Am nächsten Morgen schaut er sich sein Nachtwerk an. Und weil Oskar so einsam ist, wie ein neunzehnjähriger Bursche, der mit zwölf von seiner Familie verstoßen wurde nur sein kann, fängt er das arme Ding und nimmt es mit zum Blumhof.

Als er es in seine Stube gebracht hat, baut er ihm ein Nest aus Decken und legt es hinein. Er betrachtet es genauer, es stinkt intensiv nach modrigem Wald, die Haare stehen verfilzt ab. Er prüft den Puls, weil er befürchtet, dass er das Morphium überdosiert hat, doch es schläft nur und Oskar wartet.

Fazit: Selten habe ich eine so abgefahrene Geschichte gelesen. Matias Faldbakken hat einen einfach strukturierten Protagonisten geschaffen, der seiner Einsamkeit und Melancholie zu entkommen versucht, indem er ein junges Mädchen fängt. Nachdem er das arme wilde Ding gezähmt hat, bringt er ihm das Sprechen und Benehmen bei. Oskar ist der Einzige, zu dem das Mädchen Vertrauen findet. Die Stimme erzählt aus der Sicht eines auktorialen Erzählers. Zu Anfang ist die Geschichte spannend, dann schlüpfrig und voller Ironie. Später wechselt das ungleiche Paar den Ort und die Entwicklung nimmt einen rasanten Lauf ins Tragische. Die Nebendarsteller sind charakterlich fein ausgearbeitet. Die Zeit, in der die Geschichte spielt, ist mir unklar geblieben. Das Ende hat viele Fragen aufgeworfen. Insgesamt keine runde Geschichte, aber definitiv skurril.

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Veröffentlicht am 06.09.2024

Amüsante Geschichte über ganz normale Menschen

Aus dem Haus
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Ihr Elternhaus, das idiotische selbst gebaute Haus, in das sie gezogen sind, als sie vierzehn war. Nichts unterstreicht die gesamte Familientragödie besser, als dieses Scheißhaus, in dem sich ein Wasserschaden ...

Ihr Elternhaus, das idiotische selbst gebaute Haus, in das sie gezogen sind, als sie vierzehn war. Nichts unterstreicht die gesamte Familientragödie besser, als dieses Scheißhaus, in dem sich ein Wasserschaden an den nächsten reiht.

Sie waren vom fröhlichen Süddeutschland ins kühle Kassel, mit den distanzierten Menschen gezogen, wo der Privatwagen alles über den finanziellen Stand des Menschen auszusagen scheint. Wer keinen Führerschein hat gilt als mental minderbemittelt. Die Kinder finden ihren Wert, indem sie sich mit den Berufen der Väter brüsten.

Mit der Entscheidung nach Kassel zurückzuziehen, nahm das familiäre Unglück eine Rundung, die famos ins Rollen kam. Zuerst das Grundstück, das nicht ihr eigenes war. Es gehört der Stiefmutter des Vaters, die, die immer ein wenig wunderlich und zutiefst religiös war. Dann das HAUS, das von außen einen gediegenen Anschein macht, es aber in sich hat. Außerdem die Baufirma, die ihren Eltern viel mehr Geld abknöpfte, als vereinbart.

Sie hatte die Mutter einmal gefragt, warum sie das HAUS nicht verkaufen, jetzt da es abbezahlt war. Doch die Vorstellung, jemand könnte sich ernsthaft für dieses Objekt interessieren, war vollkommen abwegig. Und die Eltern waren mit den Kräften am Ende, erledigt, es war zu spät, sie konnten nicht mehr, sagte die Mutter, die die größte Schwarzseherin war, neben ihrem Mann, dem besten Realitätsverweigerer.

Wenn der Vater die Mutter verärgert, warum weiß er nicht, schließt die sich tagelang in ihrem Zimmer ein und sieht fern. Die Tochter war während ihres Studiums noch jedes Wochenende nach Hause gefahren, was bei ihrer Mitbewohnerin zu resigniertem Kopfschütteln geführt hatte. Heute beobachtet sie ihre Eltern aus der Ferne, ein wöchentlicher Anruf muss genügen, bei dem die Tochter auf die subtilen Zwischentöne der Eltern lauscht, ob der sich anbahnenden neusten Katastrophe.

Fazit: Die Autorin lässt ihre Ich erzählende Protagonistin gekonnt ihre Herkunftsfamilie beschreiben. Das familiäre Bild ist ironisch überzeichnet. Die Mutter leidet frustriert unter der Andersartigkeit ihres Mannes, der sich unter ihrer Zickigkeit wegduckt und geduldig auf baldige Gesprächsbereitschaft wartet. Das Leben scheint ihnen jede Fülle vorzuenthalten und sie gnadenlos benachteiligt zu haben. Die Lebensfreude sinkt proportional mit der Zunahme der Unstimmigkeiten. Beide kreisen pessimistisch in ihrer kleinen Welt um Dramen. Veränderung ist angstbesetzt, denn, nicht auszudenken, wenn alles noch schlimmer wird. Eine amüsante Geschichte über ganz normale Menschen mit Unzulänglichkeiten, die ich gerne gelesen habe.

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Veröffentlicht am 30.08.2024

Feinsinnige Geschichte, die es in sich hat

Mein Mann
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Seit dreizehn Jahren liebt sie ihren Mann über alles und ist voller Angst, ihn zu verlieren. Sie leidet unter ihrer vollkommenen Liebe, darunter zurück geliebt werden zu müssen, unter der Erwartung, dass ...

Seit dreizehn Jahren liebt sie ihren Mann über alles und ist voller Angst, ihn zu verlieren. Sie leidet unter ihrer vollkommenen Liebe, darunter zurück geliebt werden zu müssen, unter der Erwartung, dass er ihre riesige Leere füllt.

Ihr Beruf als Englischlehrerin macht ihr seit fünfzehn Jahren große Freude. Eine Stunde lang steht sie im Zentrum der Aufmerksamkeit und kontrolliert die Zeit. Am liebsten sind ihr die Montage, wenn sie mit neuem Schwung die Klasse erobert.

Wenn sie nach Hause kommt, korrigiert sie die Arbeiten ihrer Schülerinnen. Sie achtet darauf, immer ein aufgeschlagenes Büchlein neben sich liegen zu haben, in das sie ihre Deklinationen schreibt. Sie mag es nicht, wenn er früher zu ihr kommt und sie am Computer sitzen sieht, es wirkt so gewöhnlich. Normalerweise bereitet sie dann das Essen vor und wartet auf dem Sofa im Wohnzimmer sitzend, den Blick in ein Buch gerichtet, im Moment ist es der Liebhaber von Dumas, im Schein einer schmeichelnden Lampe. Sie weiß, dass sie ihm so am besten gefällt, ihrem Mann. Um 21 Uhr 20 beschleunigt ihr Herzschlag und sie weiß, dass sie in Alarmbereitschaft ist. Noch ein kurzer Blick in den Spiegel, den Rock zurechtgerückt. 21 Uhr 30, sein Auto hält, die Tür schlägt zu und dann fährt der Schlüssel ins Schloss.

Gestern ist er eingeschlafen, ohne ihr „Gute Nacht“ zu wünschen, deshalb dreht sie sich am Morgen von ihm weg, als er sie umarmen will. So sind die Regeln, die muss sie einhalten.

Schon damals hat er ihr mit einer Grippe die Flitterwochen versaut. Sie waren in einem der schönsten Hotels, in dem er sieben Tage lang im Bett lag. Fast wäre die Erholung und die Unterhaltung, auf die sie sich doch so gefreut hat, an ihr vorbeigegangen.

Fazit: Ich mag die französische Klangfarbe von Maud Ventura. Alles ist leise und sehr genau beobachtet. Sie lässt ihre Protagonistin in permanente Innenschau gehen, zeigt, wie kontrollierend und selbstbezogen sie ist. Jede kleinste Veränderung im Verhalten ihres Mannes lässt sie das schlimmste vermuten und mit Selbstzweifeln martern. Die Abhängigkeit ist übergroß. Die Protagonistin erlebt die gesamte Kaskade an Gefühlen, die uns sabotieren können. Eifersucht, Neid, Missgunst, Minderwertigkeit und versucht sich durch ihren Alltag zu hangeln. Ihre Kompensationsversuche erregen Mitgefühl. So wenig wie ich über den Charakter ihres Mannes erfahre, so sehr dreht sich die Welt um seine anstrengende Frau. Das Ende hat mich völlig überrascht. Ich bin erleichtert, dass ich nicht in der Haut der Protagonistin stecke. Meine Leseempfehlung für diese feinsinnige Geschichte, die es in sich hat.

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