Sündenbock
Ganz klar, das Haus in Kassel ist schuld an allem, das nicht so läuft, wie es soll. Stimmt doch! Oder doch nicht? Die namenlose Ich-Erzählerin schildert herrlich ironisch die Ereignisse, wie sie waren ...
Ganz klar, das Haus in Kassel ist schuld an allem, das nicht so läuft, wie es soll. Stimmt doch! Oder doch nicht? Die namenlose Ich-Erzählerin schildert herrlich ironisch die Ereignisse, wie sie waren oder zumindest vom einen oder anderen Familienmitglied gesehen wurden. Wie sich eins ans andere reiht, klingt nicht nur wahnwitzig, sondern ergibt in erschreckender Weise auch noch Sinn. Dabei legt sie auch in jede große oder kleine Wunde des Lesers oder Hörers ihren Finger und sorgt dafür, dass man es körperlich spürt, was sie sagen möchte. Das ist gleichermaßen gemein wie auch genial.
Man kann es ganz schlecht in Worte fassen, was man da so hört oder liest. Es plätschert scheinbar belanglos so vor sich hin. Vieles erkennt man wieder, anderes ist unfassbar und dann ist da auch noch das eine oder andere, das richtig an die Nieren geht. Aber genau diese Dinge mag ich. Wenn ich emotional so tief hineingezogen werde, dann ist ein Buch richtig gut.
Es ist klar, dass es hier nicht rein um ein Gebäude geht. Das Haus, das ist hier auch das Familiengefüge. Es wird zum Platzhalter für alles, was man nicht anders formulieren mag. Und solche Dinge gehen einfach tief, da sie nie ohne Schmerz funktionieren. Die Mutter will zurück nach Baden-Württemberg, in die Bergstraße, raus aus Hessen, weg von Kassel. Damit könnte sie auch die Familie ihres Mannes auf Abstand bekommen und darum geht es, meiner Meinung nach, viel mehr, als um das unselige Haus, das zur Manifestation aller Probleme wird. Da wundert es nicht, dass der Auszug dann problematisch verläuft und man ihn irgendwie dann doch umgehen, verhindern möchte. Das alles funktioniert jedoch nicht immer und überall, es muss in den 1980ern und 1990ern seine Glanzzeit haben, sonst wirken die Sprüche nicht. Und das ist wohl auch mit ein wichtiger Punkt für die Zielgruppe der Leserschaft. Wer diese Zeit nicht miterlebt hat, wird nicht komplett nachempfinden können, was zwischen den Zeilen geschrieben steht und abgeht. Man belügt sich selbst und wahrt nach außen den Schein, man schiebt Gründe und Schuld hin und her, nimmt aber niemals etwas auf die eigene Kappe. Kann das gut gehen? Natürlich nicht! Aber es liest und hört sich super. Ich hatte emotionale Achterbahnfahrten und gute Unterhaltung. Mir ist das fünf Sterne wert.