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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 03.11.2024

Ein typischer Matt Haig

Die Unmöglichkeit des Lebens
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"Ich parkte am Bordstein, in einem Winkel, den Pythagoras ganz sicher interessant gefunden hätte." (Seite 67)

Grace erbt ein Haus auf Ibiza von einer Frau, der sie vor Jahren in einem schweren Moment ...

"Ich parkte am Bordstein, in einem Winkel, den Pythagoras ganz sicher interessant gefunden hätte." (Seite 67)

Grace erbt ein Haus auf Ibiza von einer Frau, der sie vor Jahren in einem schweren Moment geholfen hat. Sie selbst ist pensionierte Mathematiklehrerin und seit kurzem verwitwet.

Wie wir es von Matt Haig gewohnt sind, tauchen wir ein in eine Geschichte, die einen traumhaften Charakter besitzt und sich irgendwo zwischen Esoterik und Mystik ansiedelt. Das meine ich durchaus nicht negativ oder belächelnd. Im Gegenteil, ich habe Lust, Ibiza, die Insel des Geschehens, erneut kennenzulernen. Es ist so viel wahres, aber ebensoviel unglaubliches in diesem Buch. Was mich besonders beeindruckt hat, ist die Liebe zur Mathematik,  die Grace in jeder Pore ausstrahlt. Ich, die das Fach als solches nie wirklich begriffen hat, verspürte fast ein wenig Neid, dass die Faszination der Mathematik damals nicht auf mich übergesprungen ist.

Aus der surrealen Welt mit außerirdischen Mächten tauchen wir plötzlich auf und befinden uns mitten in einem Klimschutzkrimi. Das klingt alles etwas bizarr? Ist es auch. Matt Haig eben.

Ein abschließendes Fazit, wie mir das Buch gefallen hat, muss ich schuldig bleiben. Vieles hat mich begeistert, einiges war mir zu zäh und das Ende dann plötzlich zu schnell.

Wer die Bücher von Matt Haig liebt, wird auch hier seine Freude haben. Allen anderen sei das Buch dennoch empfohlen. Nur als Tipp: Denkt abseits von Genre-Grenzen.

"Wir sind aus dem Nichts geboren, das ganze Universum ist aus dem Nichts geboren und doch sind wir hier, dass unmögliche Etwas, das aus dem Nichts zum Sein gekommen ist. Die Unmöglichkeit des Lebens. Ein Glück, das es zu ehren gilt." (Seite 190)

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Veröffentlicht am 21.10.2024

Lovescammer aufgliegen lassen als Mittel gegen Schlaflosigkeit

Hey guten Morgen, wie geht es dir?
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Ich fand es ungemein spannend, das Buch zu lesen, ohne den Klappentext zu kennen bzw. mich daran zu erinnern. So war der gehandicapte Mann, der mit Juno eine Wohnung teilt, einfach ein Mitbewohner. Erst ...

Ich fand es ungemein spannend, das Buch zu lesen, ohne den Klappentext zu kennen bzw. mich daran zu erinnern. So war der gehandicapte Mann, der mit Juno eine Wohnung teilt, einfach ein Mitbewohner. Erst spät habe ich verstanden, dass dies der Ehemann ist und Juno neben ihrem Job seine Pflege übernommen hat. Plötzlich sah ich die Geschichte in einem völlig neuen Licht.

Juno ist Performance-Künstlerin und schlägt sich mit ihren Engagement recht gut durch. Nachts sucht sie Zerstreuung, in dem sie mit Lovescammern ihre Spielchen spielt. Lovescammer, die in der Regel oft ältere Frauen auf Social Media Kanälen anschreiben, um sich dort erst in das Herz und dann in ihr Bankkonto zu schleichen. Mir waren diese Typen, vom Erscheinungsbild meist gutsituierte, mittelalte, weiße Männer, am Rande schon ab und an aufgefallen. Aber wirklich viel wusste ich darüber nicht. Das hinter diesen Accounts, für die meisten als Fake-Profil ersichtliche, in der Regel junge Männer aus Afrika sitzen, war mir so nicht bewusst. Einer dieser Männer ist Benu und im Gegensatz zu anderen Männern, die apfortweg von der Bildfläche verschwinden, wenn Juno sie auffliegen lässt, bleibt er. Die nüchterne, schroffe Art von Juno scheint ihn anzuziehen. Oder ist auch das nur eine weitere Masche, Junos Vertrauen zu erlangen?
Ich mochte die Passagen, in denen sich die beiden hin und her schreiben besonders gern. Vor allem die schlagfertigen und oft pointierten Entgegnungen Junos.

Martina Hefter macht ein Thema auf, dass mir in der Literatur noch nicht begegnet ist. Sie schafft dabei einen wunderbaren Spagat zwischen gut durchdachten Worten in traumweltlerischen Gedankengängen und gewitzten, kurzweiligen Dialogen. Die Müdigkeit vom Leben spürt man bei Juno ebenso sehr, wie ihre Sehnsucht nach etwas oder jemand nicht greifbaren.
Die nächtlichen Online-Wortwechsel sind für Juno ein Ausbruch aus dem oft drögen Alltag, vor allem wenn gerade keine Auftritte geplant sind.

Zwischendurch plätschert das Buch auch einfach mal so vor sich hin, aber es bleibt immer lesbar und genau das gefällt mir an einem Short-List-Buch, dass am Ende als Sieger hervorgeht. Diesmal hat nicht der hochgestochene Feuilleton gewonnen, sondern ein Buch, dass durchaus auch die Masse ansprechen kann.

Wunderbar. Und Herrn Meyer rate ich, das gönnen zu üben.

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Veröffentlicht am 09.09.2024

Interessant aber distanziert

Reichskanzlerplatz
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"Die Deutschen haben die Demokratie so schnell vergessen, wie eine Vokabel aus ihrer Schulzeit. Das hier hat sich besser durchgesetzt, gefressen werden muss immer." (S. 261)

Dies ist ein Buch über Magda ...

"Die Deutschen haben die Demokratie so schnell vergessen, wie eine Vokabel aus ihrer Schulzeit. Das hier hat sich besser durchgesetzt, gefressen werden muss immer." (S. 261)

Dies ist ein Buch über Magda Göbbels aber es ist auch kein Buch über Magda Göbbels. Und um eins vorwegzunehmen, es ist keine Biographie.

Was wusste ich zuvor über diese Frau. Das sie die Frau an der Seite Josef Göbbels war. Dass sie Hitlers deutsche Vorzeigefrau und -Mutter war. Dass sie ihre Kinder umgebracht hat. Über die Zeit vor Josef Göbbels und vor dem Nationalsozialismus wusste ich wenig.

Das Buch setzt früh an, wir erfahren von dem jüdischen Stiefvater, von ihrer Ehe mit Industriellen Quandt, von ihren Liebeleien außerhalb der Ehe. Dennoch bleibt Magda in diesem Buch eine Randfigur, die mal mehr, mal weniger Raum einnimmt.

Erzählt wird aus Sicht von Hans. Hans, der die Quandts bereits als Kind kennenlernt und sich in Hellmuth verliebt, seinen Schulkameraden und Stiefsohn Magda Göbbels, damals noch Quandt. Hans ist auch von der Stiefmutter fasziniert, die zwar den Prestige der reichen Ehe genießt aber sonst in ihr nicht glücklich zu sein scheint. Von Anfang an ist da eine fehlende Wärme von dieser Frau zu spüren. Wobei es vermutlich auch gar nicht möglich ist, etwas über sie zu lesen und dabei unbelastet zu sein.

Hans unerwiderte Verliebtheit zu Hellmuth nimmt ein vorzeitiges Ende, als Hellmuth einer verschleppten Krankheit erliegt. Hans und Magda entwickeln ein Verhältnis miteinander, bis Josef Göbbels in Magdas Leben tritt. Der Kontakt zu Magda bleibt dennoch über die Jahre bestehen.

Die Beziehung, die die beiden miteinander haben, lässt sich nur schwer definieren. Und auch Hans bleibt mir als Leserin distanziert. Man erahnt, dass seine Homosexualität zur Gefahr werden könnte, aber diese wird selten greifbar. Zu sehr scheint es, dass er doch ein recht privilegierten Leben führen kann. Für mich bleibt es unverständlich, wie trotz des Wissen was um ihn herum geschieht, weiter als Beamter für das System arbeiten kann.
Hans hat es so nicht unbedingt gegeben. Die dichterische Freiheit dieser Person ist passend.

Der Schreibstil ist literarisch aber dennoch flüssig. Ich fand es interessant zu lesen und habe viel erfahren. Für mich ein gutes Buch etwas über Magda Göbbels zu erfahren, ohne zu sehr ins Detail zu gehen. Für mich an Wissen tatsächlich auch ausreichend, für andere schließt sich vielleicht besser eine Biographie ein.

Ob es für sie Shortlist reicht, kann ich nicht sagen. Mir fehlen (noch) die Vergleiche.

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Veröffentlicht am 28.08.2024

Einwanderatory mal anders herum

Nebenan ist doch weit weg
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Edith kann es immer noch nicht fassen. Sie werden umziehen. Nicht einfach nur in eine andere Wohnung, nein sie verlassen nicht nur Berlin, sondern gleich auch noch Deutschland. Sie werden zukünftig in ...

Edith kann es immer noch nicht fassen. Sie werden umziehen. Nicht einfach nur in eine andere Wohnung, nein sie verlassen nicht nur Berlin, sondern gleich auch noch Deutschland. Sie werden zukünftig in einem Land wohnen, über dass sich Edith nun ständig blöde Witze anhören müssen. Es geht nach Krakau in Polen.
Edith vermisst ihre Freunde und sucht Trost in ihren Tagebuch.
Trotz einiger Fettnäpfchen findet sie in der Schule Freunde. Und mit ihnen gemeinsam begibt sie sich auf eine spannende Reise in die Geschichte Krakaus, denn das Haus, in das Edith mit ihrer Familie gezogen ist, birgt ein großes Geheimnis.

Antje Bones schafft ein Kinderbuch, dass viele Themen anspricht. Das Verlassen der Heimat, Vorurteile und ein Blick in einen dunklen Teil der Geschichte, der uns eng mit Polen verbindet. Dabei ist die Sprache immer kindgerecht. Besonders gut gefallen hat mir, dass polnische Wörter und Sätze in den Text oder in kleinen Bildern einfließen. So bekam ich gleich Lust, wieder einmal etwas polnisch zu lernen.
Die Geschichte rund um das Geheimnis ist spannend und bewegend, dieser Teil des Buches hat es mir besonders angetan.
Eine Geschichte, die hoffentlich zu weiterem Interesse an unserem Nachbarland führt, denn die Vorurteile sind durchweg Nonsens.

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Veröffentlicht am 28.08.2024

Kurzweiliger Pageturner

Finster
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Tatsächlich war ich von Mengers Vorgängerroman 'Angst' enttäuscht und hatte ihn für mich als Autor erst einmal nicht mehr auf dem Schirm. Dann las ich von zwei Bloggerinen Rezensionen zum neuen Buch, die ...

Tatsächlich war ich von Mengers Vorgängerroman 'Angst' enttäuscht und hatte ihn für mich als Autor erst einmal nicht mehr auf dem Schirm. Dann las ich von zwei Bloggerinen Rezensionen zum neuen Buch, die begeistert klangen. Da sich die Urteile der beiden oft mit meinen decken, wurde ich neugierig.

Gleich vorweg, dieses Buch hat mir besser gefallen.  Konnte ich bei 'Angst' den wahren Täter viel zu schnell identifizieren, tappte ich hier viel länger im Dunkeln. Menger lässt die Charaktere des wenig einladenden Dorfes Katzenbrunn fast durchweg verdächtig erscheinen. Immer wieder spielt er mit Cliffhangern. Die kurzen Kapitel und der flüssige und leicht verständliche Schreibstil haben mich durch die Geschichte rauschen lassen. 

Die Auflösung war schlüssig und der Hauptprotagonist war mir sehr sympathisch. Einziger Wermutstropfen: Einige Nebenschauplätze blieben unaufgeklärt. Das ließ mich etwas unbefriedigt zurück, wobei es anders herum vermutlich aber auch zuviel des Guten gewesen wäre.

Ein kurzweiliger Thriller, der gute Unterhaltung bietet. Für Leser:innen, die Thriller mögen, es aber nicht zu hart und grausam mögen.

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