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Veröffentlicht am 15.10.2024

Wissenschaftler in der Resistance

Die Formel des Widerstands
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Die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde in der Physik durch bahnbrechende Entdeckungen im Bereich der Kernphysik geprägt, und maßgeblich beteiligt waren Marie und Pierre Curie sowie Irène und Frédéric ...

Die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde in der Physik durch bahnbrechende Entdeckungen im Bereich der Kernphysik geprägt, und maßgeblich beteiligt waren Marie und Pierre Curie sowie Irène und Frédéric Joliot-Curie. Kurz nachdem Otto Hahn und Fritz Straßmann 1938 erstmals eine Kernspaltung gelang, brach der Zweite Weltkrieg aus, und rasch wurde klar, dass diese Entdeckung militärisch bedeutsam war, da eine Atombombe den Kriegesverlauf entscheidend beeinflussen würde. Das Nazi-Regime setzte alles daran, diese zu entwickeln, und nach der Besetzung Frankreichs wurde auch das Labor von Frédéric Joliot-Curie unter deutsche Kontrolle gestellt. Es verfügte, im Gegensatz zu deutschen Forschungseinrichtungen, bereits über ein Zyklotron, das fortan deutsche Wissenschaftler für ihre kernphysikalischen Experimente nutzen wollten. Für die Überwachung der französischen Kollegen wurde Wolfgang Gentner entsandt, der bereits zuvor mit Joliot-Curie zusammengearbeitet hatte und mit ihm befreundet war. Für Gentner beginnt nun ein riskantes Spiel: Nach außen hin muss er im Sinne des deutschen Uranprojektes arbeiten, verdeckt schützt er seinen Freund Joliot-Curie, der eine wichtige Rolle in der Resistance innehat, und weitere französische Wissenschaftler im Widerstand.

Astrid Viciano beschreibt eindrücklich die Atmosphäre im besetzten Paris und die Situation in den Forschungsinstituten. Viele Wissenschaftler hatten sich dem Widerstand angeschlossen, waren Teil antifaschistischer, kommunistischer oder links-intellektueller Bewegungen, u.a. Frédéric Joliot-Curie, Jacques Solomon und Paul Langevin. Unter Lebensgefahr widersetzten sie sich den Besatzern und sabotierten das Atomprojekt. Gentner hält seine Hand über sie und setzt sich für die Freilassung von verhafteten Wissenschaftlern ein.

Der Fokus des Buches liegt klar auf den historischen Aspekten, die kernphysikalische Forschung wird nur sehr rudimentär angerissen. Es lässt sich daher auch für naturwissenschaftliche Laien problemlos lesen. Da die Autorin den Fokus auf mehrere Personen legt, springt das Buch sowohl zeitlich als auch räumlich immer wieder hin- und her, teilweise gibt es kleinere Redundanzen. Hier hätte ich mir vor allem zeitlich eine etwas stringentere Umsetzung gewünscht, zumal Viciano offenbar selbst etwas durcheinanderkommt. So schreibt sie, nachdem Frédéric Joliot-Curies Freund Jacques Solomon im Mai 1942 von den deutschen Besatzer ermordet wurde am Ende des fünften Kapitels: „Frédéric Joliot-Curie ist von der Ermordung Solomons so erschüttert, dass er beschließt, Mitglied der kommunistischen Partei zu werden. […] Er wählt dafür einen denkbar ungünstigen Moment. Werden die Deutschen doch einen Monat später, im Juni 1942, den Nichtangriffspakt mit der Sowjetunion brechen, indem sie gen Osten marschieren.“. Der Nichtangriffspakt wurde jedoch bereits ein Jahr zuvor, am 22. Juni 1941, also deutlich vor der Ermordung Solomons, aufgekündigt. Im sechsten Kapitel geht es dann verwirrenderweise auch am 29. Juni 1941 mit der Verhaftung Frédéric Joliot-Curies weiter.

Abgesehen davon bietet das Buch jedoch sehr interessante Einblicke und verdeutlich die Brisanz der physikalischen Forschung zur damaligen Zeit sowie die Rolle der französischen Forscher in der Resistance. Sehr lesenwert!

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Veröffentlicht am 25.09.2024

Auf den Spuren von Truman Capote

Truboy
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Vor 40 Jahren starb Truman Capote und nahm das Geheimnis um sein letztes großes Werk „Erhörte Gebete“ mit ins Grab. Nur drei Kapitel wurden vorab veröffentlicht, und insbesondere das erste, in dem Capote ...

Vor 40 Jahren starb Truman Capote und nahm das Geheimnis um sein letztes großes Werk „Erhörte Gebete“ mit ins Grab. Nur drei Kapitel wurden vorab veröffentlicht, und insbesondere das erste, in dem Capote kaum verfremdet intime Geheimnisse der High Society ausplauderte, in deren Kreisen er sich jahrelang bewegt hatte, sorgte 1975 für einen Skandal. Erhalten ist lediglich ein literarisches Fragment, und bis heute ist unklar, ob Capote dieses Werk jemals vollendet hat. In „Truboy“ begibt sich Anuschka Roshani auf die Suche nach dem Manuskript, befragt alte Weggefährten und durchforstet Teile seines Nachlasses.

„Truboy“ ist flüssig und lebendig zu lesen, die teilweise recht eigenwilligen bis kauzigen Interviewpartner sind besonders unterhaltsam, allen voran Gordon Lish. Auffällig ist, dass der grundsätzlich gehobene Schreibstil Roshanis immer wieder unterbrochen wird durch deplatziert wirkende Begriffe wie deppert, stulle (als Adjektiv in der Bedeutung blöd), hinterfotzig u.ä.

Auf jeder Seite ist Roshanis Bewunderung, ja Verehrung, Capotes zu spüren. Und auch ihre sieben Interviewpartner/innen, darunter Capotes Ziehtochter, sein Anwalt, Freunde aus der Künstlerszene, ein Literaturredakteur und sein Biograph, schwärmen in den höchsten Tönen von Capotes einnehmendem Wesen, seinem Charme, Witz und seiner Liebenswürdigkeit. Die Auswahl der Gesprächspartner/innen ist hier sicherlich nicht ganz ausgewogen, und ich habe mich während des Lesens immer wieder gefragt, was wohl andere Zeitzeugen, die über eine etwas kritischere Distanz verfügten, über Capote ausgesagt hätten, da die Lobeshymnen doch etwas dick aufgetragen wirken.

Insgesamt entsteht das Bild eines sehr feinfühligen, mit großem Talent gesegneten Menschen, der sich danach sehnt, dazuzugehören, aber im Grunde immer ein Außenseiter bleibt, mit dem sich die High Society zwar gerne schmückt, ihn aber nie als einen der Ihren akzeptiert. Capotes exzentrisches Wesen und seine bereits in jugendlichen Jahren offen gelebte Homosexualität waren in der damaligen Zeit sicher für viele provokativ. Seine Alkohol- und Tablettensucht machen ihm zunehmend zu schaffen und verhindern wohl auch in den letzten Jahren, dass er noch einmal künstlerisch an seine Hochzeit anknüpfen kann.

Immer wieder führt Roshani Trumans Sensibilität und diverse psychische Probleme auf die Abwesenheit seiner Mutter hin, die Capote jahrelang bei Verwandten ließ. Ein Kindheitstrauma, das Truman Capotes gesamtes Leben und Werk durchzieht und prägt. Umso verwunderlicher ist es, dass sie nur wenige Worte über Capotes Kindheit und sein späteres Verhältnis zu seiner Mutter verliert, so dass diese zentrale Beziehung im Buch nicht greifbar wird. Auffällig ist, dass Roshani der Mutter Capotes die gesamte Schuld zuschiebt, der ebenso abwesende und offenbar unfähige Vater jedoch glimpflich bzw. unerwähnt davon kommt (die Ehe der Eltern wurde geschieden, ein Vater war also durchaus vorhanden).

Wie die Kurzbeschreibung des Verlages bereits vorwegnimmt, findet Roshani tatsächlich ein Fragment des verschollenen Romans. Hierüber schreibt sie jedoch erstaunlich wenig, und ich hätte gerne mehr über die Länge des Textes, seine Rezeption in der Fachwelt und eine mögliche Veröffentlichung bzw. Einbindung in das Fragment „Erhörte Gebete“ erfahren. Stattdessen begibt sich Roshani im letzten Kapitel auf für mein Empfinden gewagtes Terrain, als sie unter Annahme, die Figur P. B. Jones aus „Erhörte Gebete“ sei Capotes düsteres Alter Ego, aus dem Fragment selbst und mit Hilfe einer Psychoanalytikerin Schlüsse auf Capotes späte Psyche zieht. Das wirkte auf mich doch etwas unseriös.

Fazit: „Truboy“ ist sicherlich keine Biographie, hierzu fehlt auch eine gewisse objektive Distanz der Autorin, sondern eher eine Hommage an Truman Capote. Ich empfehle dieses Buch vor allem Fans von Capote, die sein Werk bereits kennen, da Roshani immer wieder aus Capotes Büchern zitiert und Querverbindungen herstellt. Insgesamt habe ich „Truboy“ sehr gerne gelesen und wurde hierdurch neugierig auf Capotes Bücher. „Kaltblütig“ liegt bereits bereit, und ich bin gespannt!

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Veröffentlicht am 10.09.2024

gut strukturiertes, alltagstaugliches Backbuch

Süßes backen
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Nach einem Brotbackbuch und einem Kochbuch mit leckeren Ofengerichten ist dies bereits mein drittes Buch von Christina Bauer. Ich mag ihre unkomplizierten Rezepte, die ich schnell und gut in meinen Alltag ...


Nach einem Brotbackbuch und einem Kochbuch mit leckeren Ofengerichten ist dies bereits mein drittes Buch von Christina Bauer. Ich mag ihre unkomplizierten Rezepte, die ich schnell und gut in meinen Alltag integrieren kann und die auch bei meiner Familie gut ankommen. Besonders gut gefällt mir, dass die Bilder der Gerichte immer sehr realitätsnah sind und die Ergebnisse tatsächlich so aussehen.

Christina Bauer startet mit Wissenswertem über die Grundzutaten und Basics und gibt hilfreiche Tips zu Zutaten und Techniken. Im Anschluss folgen die Grundteige Rührteig, Plunderteig, Mürbteig und Streusel, Biskuitteig, Hefeteig, Brandteig und Blätterteig.

Nun kommt der eigentliche Rezeptteil, der von Kleingebäck wie Muffins und Cupcakes über Kuchen und Schnitten sowie Torten bis hin zu Desserts reicht. Hier finden sich sowohl absolute Basics wie Zitronenkuchen und Guglhupf als auch ungewöhnlichere Kuchen wie Kardinalschnitten oder Napoleonschnitten. Aufgefallen ist mir, dass Christina für die Füllung Kuchen und Torten häufig Frischkäse, Vanillepuddingpulver oder Mascarpone als Zutaten verwendet. Das kommt mir leider nicht entgegen, da ich die ersten beiden überhaupt nicht mag und Mascarpone nur in Ausnahmefällen. Das ist aber natürlich Geschmackssache. Wie bei den meisten Backbüchern ist mir auch der Zuckeranteil deutlich zu hoch und ich reduziere stets auf höchstens die Hälfte.

Auch wenn Christina in der Einleitung grundsätzliche Tipps gibt, wie Eier und Butter tierfrei ersetzt werden können, sind die Rezepte generell für Allesesser/innen ausgelegt, von vornherein vegane Kuchen finden sich im Buch nicht. Alle Rezepte sind ausführlich beschrieben und die Zutatenlisten sehr übersichtlich gestaltet. Zubereitungszeit, Backzeit und Temperatur sind auf einen Blick ersichtlich.

Fazit: Ein sehr ansprechendes, durchdacht gestaltetes Backbuch mit Rezepten für die unterschiedlichsten Gelegenheiten, bei dem für die meisten etwas dabei sein dürfte. Da für mich aufgrund der oben genannten Zutaten viele Kuchen wegfallen, ziehe ich einen Stern ab.

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Veröffentlicht am 02.09.2024

schwere Kost

Die Gleichzeitigkeit der Dinge
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Bezüglich dieses Buches bin ich hin- und hergerissen. Husch Jostens Schreibstil ist faszinierend, sein Blick aufs Leben und den Tod, auf Freundschaft, Schuld und schicksalhafte Entscheidungen stimmte mich ...

Bezüglich dieses Buches bin ich hin- und hergerissen. Husch Jostens Schreibstil ist faszinierend, sein Blick aufs Leben und den Tod, auf Freundschaft, Schuld und schicksalhafte Entscheidungen stimmte mich beim Lesen sehr nachdenklich. Und dennoch war ich in gewissem Sinne erleichtert, als ich am Ende angelangt war, da ich die allgegenwärtige Melancholie und die Omnipräsenz des Todes nur schwer aushielt. Hinzu kommt, dass mir die Hauptfigur, Emmanuel Sourie, von Anfang an sehr unsympathisch war, im wahren Leben wäre ich ihm aus dem Weg gegangen. Rückblickend ist „Die Gleichzeitigkeit der Dinge“ kein Buch für mich, da ich es als düster, beklemmend und schwermütig empfunden habe und mir heitere, auflockernde Gegenpole gefehlt haben. Wer sich jedoch nicht davor scheut, sich intensiv mit dem Thema der Sterblichkeit auseinanderzusetzen, findet hier eine tiefgründige und lesenswerte Lektüre.

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Veröffentlicht am 28.08.2024

Hochaktuell und lesenswert

Fenster ohne Aussicht
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In "Fenster ohne Aussicht" beschreibt der israelische Schriftsteller Dror Mishani sein Leben unmittelbar nach dem Terrorangriff vom 7. Oktober 2023 und dem ersten halben Jahr danach. Er lebt mit seiner ...

In "Fenster ohne Aussicht" beschreibt der israelische Schriftsteller Dror Mishani sein Leben unmittelbar nach dem Terrorangriff vom 7. Oktober 2023 und dem ersten halben Jahr danach. Er lebt mit seiner Frau, seinem Sohn und seiner Tochter im Teenager-Alter in Tel Aviv. Sehr offen und ehrlich schildert er seine Gedanken, erzählt von Ängsten, von Diskussionen mit der Mutter, dem Bruder, der Ehefrau, den Kindern, die das Geschehen teils unterschiedlich wahrnehmen und darauf reagieren. Sein Hang zur Literatur wird spürbar, wenn er Trost in Schriften und Büchern sucht. So zitiert er immer wieder mit dem Buch Ezechiel aus der Heiligen Schrift, und auch Homers Ilias zieht er regelmäßig zu Rate. Mishani meldet sich freiwillig zum Ernteeinsatz nahe Gaza, besucht die Mahnwache am "Geiselplatz", und denkt intensiv darüber nach, wie die Spirale der Gewalt enden kann. Er gibt einen seltenen unmittelbaren unf bewegenden Einblick in das Leben mit einer ständigen existenziellen Bedrohung und verliert hierbei doch nie auch das Leid auf der anderen Seite aus dem Blick.

Ein hoch aktuelles und sehr lesenswertes Buch!

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