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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 25.10.2024

Zu große Erwartungen

Wenn nachts die Kampfhunde spazieren gehen
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Regina Richter geht es im Grunde gut. Die Psychotherapeutin betreibt eine eigene Praxis. Dennoch ist die Mutter zweier Töchter mit ihrem Leben unzufrieden. Dass sie ihre Promotion und akademische Karriere ...

Regina Richter geht es im Grunde gut. Die Psychotherapeutin betreibt eine eigene Praxis. Dennoch ist die Mutter zweier Töchter mit ihrem Leben unzufrieden. Dass sie ihre Promotion und akademische Karriere zugunsten ihrer Familie zurückgestellt hat, hat sie nie überwunden. An Wanda und Antonia stellt sie nun übertrieben hohe Erwartungen. Damit können die beiden nur schwer umgehen…

„Wenn nachts die Kampfhunde spazieren gehen“ ist ein Roman von Anna Brüggemann.

Die Struktur des Romans ist durchdacht und einleuchtend: Er besteht aus drei Teilen, die in insgesamt 65 kurze Kapitel untergliedert sind, und endet mit einem Epilog. Die Handlung umspannt die Jahre 1998 bis 2019.

Erzählt wird aus wechselnder Perspektive, aus der Sicht von Regina, Wanda und Antonia. Die Sprache ist ungekünstelt und unauffällig. Die anschaulichen, eindringlichen Beschreibungen vermitteln jedoch viel Atmosphäre.

Drei Frauen stehen im Mittelpunkt der Geschichte: Wie der Untertitel erahnen lässt, sind dies Mutter Regina und ihre beiden Töchter, wobei Antonia und Wanda mehr Raum einnehmen als die Mutter. Die Figuren werden mit viel psychologischer Tiefe dargestellt. Ihre Gedanken und Gefühle lassen sich sehr gut nachvollziehen. Leider verzichtet der Roman nicht auf Klischees und Stereotype, insbesondere was Regina angeht.

Auf inhaltlicher Ebene geht es um die Beziehungen zwischen Müttern und Töchtern. Dabei dreht es sich vor allen Dingen um Probleme, die durch gegenseitige Erwartungen entstehen können. Zudem wird erzählt, welche Auswirkungen mangelnde Mutterliebe haben kann. Das heißt, dysfunktionale Familiendynamiken stehen im Vordergrund. Dadurch regt die Lektüre an zum Nachdenken und Diskutieren. Darüber hinaus bietet der Roman viel Identifikationspotenzial.

Auf den rund 380 Seiten ist die Geschichte erstaunlich facettenreich. Sie ist allerdings ein wenig handlungsarm und weist einige Längen auf.

Das Cover empfinde ich als nichtssagend. Der Titel macht neugierig, erschließt sich mir aber nicht ganz.

Mein Fazit:
Mit „Wenn nachts die Kampfhunde spazieren gehen“ hat mich Anna Brüggemann trotz des interessanten Themas leider nicht komplett überzeugt. Insgesamt ein lesenswerter Roman, wenn auch mit kleineren Schwächen.

Veröffentlicht am 13.10.2024

Zwei gute Partien?

Intermezzo
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Die Brüder Peter und Ivan Koubek haben gerade ihren Vater beerdigt. Peter (32) ist klug, erfolgreich und weltgewandt. Er arbeitet als Anwalt in Dublin. Ivan ist fast zehn Jahre jünger und introvertiert. ...

Die Brüder Peter und Ivan Koubek haben gerade ihren Vater beerdigt. Peter (32) ist klug, erfolgreich und weltgewandt. Er arbeitet als Anwalt in Dublin. Ivan ist fast zehn Jahre jünger und introvertiert. Er tourt als Profi-Schachspieler durch Irland. Die Brüder haben nicht viel gemeinsam und doch zwei Parallelen: die Trauer und Probleme in ihren Liebesbeziehungen.

„Intermezzo“ ist ein Roman von Sally Rooney.

Die Struktur des Romans ist klar und durchdacht: Er besteht aus drei Teilen und insgesamt 17 Kapiteln. Erzählt wird im Präsens und in chronologischer Reihenfolge aus wechselnder Perspektive, die sich stilistisch unterscheiden.

In sprachlicher Hinsicht hat mich der Roman definitiv überzeugt. Der Schreibstil ist atmosphärisch, wortgewaltig, bildstark, einfühlsam und stellenweise poetisch. Die Dialoge klingen authentisch. Gelungen erscheint mir auch die deutsche Übersetzung von Zoë Beck.

Die beiden Brüder stehen eindeutig im Fokus der Geschichte. Die Charaktere wirken auf mich nicht sympathisch, aber lebensnah. Die Personen verfügen über viel psychologische Tiefe.

Auf inhaltlicher Ebene geht es diesmal zwar auch um Liebe und romantische Beziehungen, vorwiegend jedoch um die Familie. Wichtige Themen sind die Trauer und das Weiterleben nach einem Verlust. Dies macht die Geschichte ein wenig düster, aber auch bewegend und zum Nachdenken anregend.

Auf den fast 500 Seiten hat der Roman durchaus ein paar Längen. Überwiegend ist die Geschichte dennoch unterhaltsam und fesselnd, obwohl die Handlung recht übersichtlich bleibt.

Der deutsche Titel, ein Begriff aus der Schachwelt, der aus dem englischsprachigen Original wörtlich übernommen wurde, ist wegen seiner Mehrdeutigkeit eine gute Wahl. Auch das Cover gefällt mir.

Mein Fazit:
Mit „Intermezzo“ hat Sally Rooney einen lesenswerten und ausgereiften Roman geschrieben, der Lust darauf macht, auch ihre früheren Geschichten zu entdecken.

Veröffentlicht am 10.09.2024

Eine rätselhafte Erbschaft und andere Merkwürdigkeiten

Die Unmöglichkeit des Lebens
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Für Grace Winters (72) kommt die Nachricht unverhofft: Die pensionierte Mathematiklehrerin aus England hat ein Häuschen auf der Insel Ibiza geerbt - von einer Freundin, die sie schon fast vergessen hatte. ...

Für Grace Winters (72) kommt die Nachricht unverhofft: Die pensionierte Mathematiklehrerin aus England hat ein Häuschen auf der Insel Ibiza geerbt - von einer Freundin, die sie schon fast vergessen hatte. Wer war Christina van der Berg wirklich und wie ist sie zu Tode gekommen? Das versucht Grace auf den Balearen herauszufinden.

„Die Unmöglichkeit des Lebens“ ist ein Roman von Matt Haig.

Der Roman beginnt und endet mit jeweils zwei E-Mails, die als eine Art Prolog und Epilog verstanden werden können. Dazwischen befinden sich mehr als 100 kurze Kapitel. Erzählt wird in der Ich-Perspektive aus der Sicht von Grace. Ein Großteil der Handlung spielt auf Ibiza. Die reich illustrierte Landkarte in den Innenklappen gibt einen guten Überblick über die dortigen Örtlichkeiten.

Der Schreibstil ist gewohnt anschaulich und mitreißend. Die humorvolle, ein wenig freche Erzählstimme hat mir sehr gefallen.

Protagonistin Grace ist eine interessante und sympathische Figur, deren Innenleben sich prima nachvollziehen lässt. Ein authentischer und psychologisch ausgefeilter Charakter.

Wieder einmal überrascht uns der Autor mit einer ungewöhnlichen und kreativen Geschichte. Mit seinen philosophischen Fragen und Impulsen entwickelt der Roman viel Tiefgang und bietet Stoff zum Nachdenken und Diskutieren. Dabei geht es insbesondere um die Unwahrscheinlichkeit und das Wunder des Lebens.

Auch diesmal hält die Story fantasievolle Elemente bereit. Anders als in seinen früheren Romanen wirken einige Passagen auf mich hier jedoch zu überzogen und abgedreht, was meinen Lesegenuss ein wenig geschmälert hat.

Auf den rund 400 Seiten bleibt die Geschichte fesselnd und unterhaltsam. Bis zum Schluss ist sie unvorhersehbar, originell und verblüffend.

Der deutsche Titel ist eng ans englischsprachige Original („The Life Impossible“) angelehnt und passt hervorragend. Auch das etwas stilisierte Cover, das optisch mit den anderen Romanen des Autors harmoniert, wurde übernommen und ist eine gute Wahl.

Mein Fazit:
Mit „Die Unmöglichkeit des Lebens“ liefert Matt Haig erneut eine kreative, tiefgründige und spannende Geschichte ab, die mir schöne Lesestunden beschert hat. Für mich ist der neue Roman allerdings nicht sein stärkstes Buch.

Veröffentlicht am 22.08.2024

Familiäre Abgründe

Kleine Monster
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Für Pia Reiserer ist es ein Schock: Ihr Sohn Luca (7) soll Alena, eine Mitschülerin, sexuell belästigt haben. Das Gespräch mit der Klassenlehrerin wühlt die Mutter sehr auf und bringt die Schatten ihrer ...

Für Pia Reiserer ist es ein Schock: Ihr Sohn Luca (7) soll Alena, eine Mitschülerin, sexuell belästigt haben. Das Gespräch mit der Klassenlehrerin wühlt die Mutter sehr auf und bringt die Schatten ihrer eigenen Vergangenheit wieder zum Vorschein. Können Kinder bösartig sein? Was ist ihnen zuzutrauen?

„Kleine Monster“ ist ein Roman von Jessica Lind.

Die Struktur ist sehr klar: Drei Teile mit insgesamt 61 kurzen Kapiteln umfasst der Roman. Erzählt wird im Präsens in der Ich-Perspektive aus der Sicht von Pia auf zwei Zeitebenen: einerseits in der Gegenwart, andererseits aus der Kindheit der Protagonistin. Die Handlung findet in und um St. Pölten in Österreich statt.

Die Sprache ist überwiegend ungekünstelt, gleichzeitig aber atmosphärisch dicht und eindringlich. Neben authentischen Dialogen und anschaulichen Beschreibungen beweist die Autorin vor allem in den emotionsgeladenen Passagen, dass sie vortrefflich mit Worten umgehen kann.

Protagonistin Pia ist mit großer psychologischer Tiefe angelegt. Ihre Gedanken und Gefühle erhalten viel Raum. Sie offenbaren schon früh, dass Pia ein unverarbeitetes Trauma erlitten hat und nach wie vor darunter leidet. Auch die anderen Figuren wirken lebensnah und vielschichtig, bleiben aber etwas blasser, was der Story geschuldet ist.

Zu was sind Kinder fähig? Und wie gut kennen wir unsere Söhne und Töchter? Diese zwei interessanten Fragen wirft der Roman immer wieder auf und bietet damit viel Stoff zum Nachdenken. Anders als der Klappentext vermuten lässt, geht es dabei jedoch weniger um den besagten sexuellen Übergriff, sondern um ein Drama, das sich in der Kindheit der Protagonistin ereignet hat. Die Herausforderungen der Mutterschaft und bedenkliche Familiendynamiken werden darüber hinaus ebenfalls beleuchtet. Diese und weitere Themen machen den Roman zu einer gleichsam bewegenden wie beklemmenden Lektüre.

Das Rätseln darüber, was genau im Klassenzimmer vorgefallen ist und was damals vor vielen Jahren passiert ist, sorgt für Spannung und verstärkt den Lesesog. Wegen einiger Redundanzen zieht sich der Mittelteil dennoch ein wenig. Der dritte Teil hingegen wird für meinen Geschmack zu kurz abgehandelt. Der Schluss ist insgesamt etwas unbefriedigend, da viel im Verborgenen bleibt, und inhaltlich nicht ganz rund.

Das ungewöhnliche, kreative Cover passt in mehrfacher Hinsicht hervorragend zum Buch. Das gilt ebenso für den Titel, wenn man ihn auch in metaphorischem Sinne versteht.

Mein Fazit:
Obwohl mich der Roman nicht in jedem Detail überzeugt hat, ist „Kleine Monster“ von Jessica Lind eine fesselnde und aufwühlende Lektüre, die mich gut unterhalten hat.

Veröffentlicht am 22.08.2024

Die Möglichkeit einer Heimat

Als wir Schwäne waren
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Mit neun Jahren kommt Reza aus dem Iran nach Deutschland. Er gehört einer persischen Familie an: der Vater ein Poet, die Mutter Soziologin. Ihre akademischen Abschlüsse werden jedoch nicht anerkannt, was ...

Mit neun Jahren kommt Reza aus dem Iran nach Deutschland. Er gehört einer persischen Familie an: der Vater ein Poet, die Mutter Soziologin. Ihre akademischen Abschlüsse werden jedoch nicht anerkannt, was den Vater zu einem Job als Taxifahrer zwingt. In einer Wohnung im Plattenbau in Bochum leben sie als drei Ausländer unter vielen.

„Als wir Schwäne waren“ ist ein Roman von Behzad Karim Khani.

Der Roman setzt sich - nach dem Prolog - aus drei Teilen zusammen. Sie bestehen jeweils aus kurzen, teils sehr knappen Kapiteln.

Erzählt wird im Präsens in der Ich-Perspektive aus der Sicht von Reza. Geschildert werden seine Kindheit, seine Jugend und die Zeit als junger Erwachsener. Trotz der chronologischen Erzählweise wirkt der Roman in den ersten beiden Teilen auf mich wie eine Aneinanderreihung von Anekdoten. Das liegt möglicherweise an den thematischen und zeitlichen großen Sprüngen zwischen den Kapiteln.

In sprachlicher Hinsicht hat mich der Roman dennoch überzeugt. Der Stil ist geprägt von kurzen Sätzen, einer reduzierten Sprache und treffenden Bildern. Dabei wird viel Atmosphäre und Zeitgeist vermittelt, etliche Assoziationen werden geweckt. Kein Wort ist dabei zu viel, keins zu wenig.

Im Mittelpunkt des Romans steht die dreiköpfige Familie. Nicht nur Rezas Innenleben wird anschaulich dargestellt, sondern auch die Ansichten und Gefühlslage der Eltern werden deutlich. Diese und weitere Figuren wirken lebensnah. Dem Roman ist anzumerken, dass der Autor autobiografische Elemente verarbeitet hat.

An der Lektüre hat mich gereizt herausfinden, wie Migranten Deutschland empfinden und welche Schwierigkeiten das Ankommen bereitet. Zwar begegnet Reza hin und wieder Alltagsrassismus. Dieser wird jedoch nur am Rande thematisiert. Das mag auch damit zu tun haben, dass seine Familie im Ghetto lebt und der Junge viel mehr Zeit mit anderen Ausländern als mit Deutschen verbringt, obwohl er es aufs Gymnasium schafft. Wieso er eine riesige Wut auf Deutschland entwickelt, warum er trotz des höheren Bildungswegs zwischenzeitlich abrutscht und weshalb er der Ansicht ist, im Ausland mehr Glück zu haben, all das wird leider nur in Ansätzen erklärt. Zwar mag dies damit begründet sein, dass der Lebenslauf exemplarisch für so viele Migrantenbiografien stehen soll. Diese und sonstige Leerstellen auf den nur knapp 190 Seiten machten es für mich allerdings schwierig, alles nachzuvollziehen und zu verstehen.

Auf inhaltlicher Ebene geht es stattdessen zumeist um Gewalt und Kriminalität. Dennoch hat die Geschichte auch ihre witzigen Momente, wobei ich nicht sicher bin, ob die Komik an all diesen Stellen beabsichtigt ist.

Gut gefallen hat mir, wie toll das ungewöhnliche Cover und der Titel miteinander harmonieren. Der Schwäne-Vergleich klingt nicht nur poetisch, sondern passt auch hervorragend zur Geschichte.

Mein Fazit:
Mit „Als wir Schwäne waren“ hat Behzad Karim Khani einen sprachlich beeindruckenden Roman geschrieben, der zwar einige Fragen offen lässt, aber durchaus lesenswert ist.