Eine bewegende Lebensreise
Die Romanbiografie „Die Bilder meines Vaters“ von Astrid Goltz lassen Marie Luise Vogeler ihr Leben als Tochter des Worpsweder Künstlers Heinrich Vogeler und als Lebensgefährtin und spätere Frau des Schriftstellers ...
Die Romanbiografie „Die Bilder meines Vaters“ von Astrid Goltz lassen Marie Luise Vogeler ihr Leben als Tochter des Worpsweder Künstlers Heinrich Vogeler und als Lebensgefährtin und spätere Frau des Schriftstellers Gustav Regelers im Rückblick erzählen. Aus dem Exil in Mexico erzählt die an Krebs erkrankte Marie Luise im Angesicht des Todes von ihrer Kindheit in der Worspweder Künstlerkommune, von ihrer Ausbildung zur Goldschmiedin, ihrer Entfremdung des sich immer mehr dem Kommunismus zuneigenden Vaters und ihrer Begegnung mit ihrem späteren Ehemann Gustav Regeler. Dieser verschreibt sich unter Einfluss des Schwiegervaters in Spe zunehmend selbst dem Kommunismus und der stalinistischen Partei. Auch wenn ihn die Reisen, die er mit Marie Luise zu ihrem Vater nach Russland unternimmt und im Rahmen derer er an den Schauprozessen Stalins gegen seine politischen Gegner teilnimmt, vom Stalinismus Abstand nehmen lässt, so nimmt er doch den Kampf gegen den Faschismus auf, was ihn zunächst aus Deutschland nach Frankreich fliehen und von dort in den Kampf gegen Franco nach Spanien ziehen lässt. Mit Expansion des 3. Reiches muss er weiter nach Mexiko ins Exil.
So liest sich das vorliegende Buch zunächst eher so wie die Biographie von Marie Luises Vater und dann Lebensgefährten, was daran liegt, dass sie ihrem Motto gemäß „Seid getreu bis in den Tod und ich will euch die Krone des Lebens geben.“, das der Vater ihr einst in einem Brief aus dem 1. Weltkrieg schrieb, ihr Leben stets ganz den Idealen der Männer in ihrem Leben unterordnet. Dabei geht es ihr aber eher um die Person als um deren Ideen oder Ideale. So distanziert sie sich vom Vater, als dieser den geliebten Barkenhof ihrer Kindheit in eine kommunistische WG umwandelt, ohne sich aber ganz vom Vater lösen zu können. Genauso tritt sie zwar nie in die kommunistische Partei ein, wendet aber freiwillig Worpswede und Deutschland den Rücken, lebt im französischen Exil im Warten auf bzw. Bangen um den in Spanien kämpfenden Geliebten, um dann mit ihm unter dramatischten Umständen nach Mexiko zu fliehen, weil das freiheitsliebende Nordamerika keine Flüchtlinge und schon gar keine Kommunisten aufnimmt. Dort kämpft sie nicht nur mit dem Krebs, sondern auch um eine sinnvolle Existenz und die Liebe ihres Mannes, der schon längst einer anderen schreibt.
Ihr eigenes Künstlersein, gelernte Goldschmiedin und begabte Malerin, versucht sie in diesem Leben, das sich stets auch ein Stück weit von dem Einfluss der Männer zu entziehen sucht, als etwas ihr Eigenständiges zu wahren. Die phantasiebegabte „Heckenrose“, so ihr Spitzname, vermag es mit den Moorgestalten zu kommunizieren und in der Natur das Wesen hinter den sich manifestierenden Gestalten zu sehen, denen sie dann in ihren Bildern Ausdruck verleiht.
So sind die Naturbeschreibungen in diesem Roman auch eine besondere Stärke und verleihen ihm ein stimmungsvolle Atmosphäre, sei es in der Worpsweder Moorlandschaft, sei es in russischen Winterlandschaften oder in der mexikanisch exotischen Vegetation.
Zu Anfang muss man sich ein wenig an das Springen zwischen den verschiedenen Zeitebenen gewöhnen. Bisweilen sind die Übergänge zwischen den Ereignissen in Mexiko, sozusagen der Gegenwart Marie Luise Vogelers, und den Rückblicken sehr fließend und sorgen anfänglich für Verwirrung, zumal die Erinnerungen auch zwischen den Lebensereignissen des Vaters, der restlichen Familie Vogeler und den eigenen der Erzählerin wechseln. Dazwischen eingeschoben sind Beschreibungen einzelner Bilder Vogelers, die entweder ein besondere Bedeutung für das Leben der Protagonistin haben oder eine bestimmte Entwicklungsstufe des Vaters spiegeln. Mir ist es allerdings nicht ganz leicht gefallen, von diesen Beschreibungen eine Anschauung des Bildes zu gewinnen.
Im Verlauf wird die Erzählstruktur aber insofern klarer, als die Erzählerin in Mexiko einer Freundin die Geschichte ihrer Beziehung mit Gustav Regeler erzählt, unter dem Eindruck der zunehmenden Entfremdung von ihrem Mann, für den sie Trost bei der Freundin sucht.
Insgesamt ist das Buch sehr spannend zu lesen, und zwar in mehrfacher Hinsicht, für die man die anfänglich strukturelle Verunsicherung gerne in Kauf nimmt: zum einen die Darstellung der schillernden Figur des Heinrich Vogeler, desweiteren die Schilderung der künstlerischen, der ideologischen und der politischen Strömungen der Zeit Anfang des 20. Jahrhunderts und zwar über die Achse Deutschland, Russland, Frankreich, Spanien und Mexiko aus einer globalen Perspektive. Und last but not least das bewegende und bewunderungswürdige Leben einer jungen Frau, die sich neugierig auf eine Reise durch eine wirre Welt begibt, und das weniger aus Abenteuerlust, ist sie doch eigentlich in Worpswede tief verwurzelt und genießt das Sitzen mit den Freundinnen in der gemütlichen Stube bei Tee und Butterkuchen, sondern in tiefer Verbundenheit und Treue zu zwei sehr schwierigen, sehr um sich kreisenden Künstlermännern, die ihr Leben bestimmt und denen sie treu bis in den Tod folgt, doch ohne sich selbst dabei aufzugeben.
Dem Wunsch der Autorin, ihren Roman „als Ausgangspunkt [zu] nehmen, um mehr über die historischen Personen sowie ihre Zeitgeschichte zu erfahren und sich ein eigenes, ganzheitliches Bild zu machen, will man nach Lektüre des Romans nur zu gerne nachkommen.