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Veröffentlicht am 13.09.2024

Kesselbach

Reichskanzlerplatz
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Die Mutter seines Schulkameraden Helmut ist früh gestorben. Erst viel später traut sich Hans, einen Kondolenzbrief zu schreiben. Daraufhin werden er und Helmut Schulfreunde. Eine Stiefmutter namens Magda ...

Die Mutter seines Schulkameraden Helmut ist früh gestorben. Erst viel später traut sich Hans, einen Kondolenzbrief zu schreiben. Daraufhin werden er und Helmut Schulfreunde. Eine Stiefmutter namens Magda gibt es für Helmut, die seine Mutter in keiner Weise ersetzen kann. Mit den Jahren empfindet Hans mehr für Helmut. In den 1920ern hätte man darüber vielleicht noch hinweg gesehen. Helmut beginnt aber, sich für die nur wenige Jahre ältere Stiefmutter zu interessieren. Ein tragischer Todesfall bereitet aber allen Träumen ein Ende. Hans geht für einige Zeit zum Militär und beginnt dann sein Jurastudium. Als er Magda wieder trifft, hat diese den Joseph Goebbels kennengelernt.

Hans Kesselbach erzählt von seiner Zeit mit Helmut, die ihm im Leben die Wichtigste war. Doch auch Magda Quandt, später Goebbels, spielt eine große Rolle in seinem Leben. Natürlich kommt die Zeit, in der er seine Homosexualität noch mehr verbergen muss. Die Nazis gewinnen immer mehr an Einfluss, es scheint erst nicht so schlimm, Irgendwann werden sie sich selbst ausmerzen. Doch Hans erkennt, niemand unternimmt etwas. Und so wird es schlimmer und schlimmer. Hans ist nicht überzeugt, aber er will nicht verschwinden, also macht er soweit mit, wie es ihm notwendig erscheint. Magda jedoch, ist mit Überzeugung bei der Sache.

Wie beklemmend ist diese Beschreibung zunächst des Niedergangs der Weimar Republik, des Aufstiegs des dritten Reichs und schließlich dessen Untergangs. Spannend ist dabei die gewählte Sichtweise des Homosexuellen Hans, der sich nach der relativen Freiheit in der Weimarer Republik immer mehr verstecken muss. Warum greift niemand ein? Die Birten, die Franzosen? Haben sie wirklich geglaubt, die Sache werde sich selbst totlaufen? Hat sie irgendwie, allerdings mit den schlimmsten und größtmöglichen Verlusten. Irgendwann war es zu spät, etwas zu unternehmen. Welche Rolle spielten Frauen wie Magda Quandt? War sie durch ihre Geltungssucht so vernebelt, dass sie gar nichts gemerkt hat? Und immer schwingt diese immer weiter anwachsende Beklemmung mit. Die Mitläufer sind auch mitschuldig geworden. Nach der Lektüre muss man doch einmal durchatmen.

Der Roman steht auf der Longlist des Deutschen Buchpreis 2024 und da hat die Jury eine gute Wahl getroffen.

Veröffentlicht am 11.09.2024

Vertrauen

Treue
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In den 1920er Jahren ist Benjamin Rask wohl einer der gewieftesten Finanzmagnaten in New York. Doch sein Leben wird erst ganz als er seine Frau Helen kennenlernt. Dass diese ihren geliebten Vater an eine ...

In den 1920er Jahren ist Benjamin Rask wohl einer der gewieftesten Finanzmagnaten in New York. Doch sein Leben wird erst ganz als er seine Frau Helen kennenlernt. Dass diese ihren geliebten Vater an eine geistige Erkrankung verloren hat, wirkt fast wie ein grausames Omen. Dennoch sind die Eheleute in der ersten Zeit glücklich. Mit seinen genialen Händchen schafft es Rask sogar dem Börsencrash des Jahres 1929 zu entgehen und aus einer Situation, die wohl viele in den Ruin getrieben hat, noch Gewinn zu schlagen. Doch nicht immer ist alles so wie es scheint.

Aus vier Perspektiven wird die Geschichte eines genialen Finanziers erzählt. Auf den ersten Blick scheint es sich um sehr unterschiedliche Geschichten zu handeln. Erst beim Lesen begreift man, dass es doch um das gleiche Thema geht. Ein Mensch hat so viel Vorausschau, dass er dem großen Crash zuvorkommt. Doch nicht umsonst werden unterschiedliche Sichtweisen gewählt, um die Story zu erzählen. Nach und nach ergeben sich immer mehr Feinheiten, die die Geschichte in einem völlig anderen Licht dastehen lassen.

Trust lässt sich soweit bekannt unter anderen mit Finanztrust, Investmentgesellschaft oder auch mit Vertrauen übersetzen. Wie der Roman zu seinem deutschen Titel „Treue“ gekommen ist, erschließt sich nicht so ganz. Zumindest in der englischsprachigen Ausgabe wird Treue nicht in nennenswerten Umfang erwähnt, wenn überhaupt.

Der Autor hat mit seinem Roman den Pulitzer Preis 2023 gewonnen und manchmal stechen Preisbücher wirklich hervor und manchmal sind sie einfach nur schwierig zu lesen. Und so war man vielleicht etwas skeptisch. Als sich nun jedoch die Gelegenheit ergab, das Buch im Original zerwerfen, war die Neugier doch vorhanden. Und siehe da, das Buch sticht durchaus heraus. Zum einen ist da die Form der unterschiedlichen Perspektiven und zum anderen der Inhalt an sich. Dieser handelt von einem Finanzmagnaten und seiner Frau und wie die berufliche Tätigkeit und die Ehe sich aus verschiedenen Blickwinkeln darstellt. Da wird aus einer konventionellen Geschichte eine erstaunliche. Um Sympathie geht es allerdings weniger, was vielleicht etwas fehlt. Dies tritt aber hinter den Entdeckungen, die das Buch bietet, zurück.

Veröffentlicht am 08.09.2024

Eine alte Dame erzählt

Das Philosophenschiff
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Die hundertjährige Architektin Anouk Perleman-Jacob hat vor einiger Zeit mit dem Rauchen begonnen. Sie will es dem Tod, der sicher bald kommt, etwas leichter machen. Weil der Schriftsteller dafür bekannt, ...

Die hundertjährige Architektin Anouk Perleman-Jacob hat vor einiger Zeit mit dem Rauchen begonnen. Sie will es dem Tod, der sicher bald kommt, etwas leichter machen. Weil der Schriftsteller dafür bekannt, nicht immer ganz bei der Wahrheit zu bleiben, ist genau der Richtige, um einen Teil ihrer Lebensgeschichte zu erzählen. Und tatsächlich nimmt der Autor sich der Aufgabe an. Manchmal ist es leichter sich unter Fremden zu unterhalten und seine Geschichte zu erzählen. Als junges Mädchen wurde sie gemeinsam mit ihren Eltern im Jahr 1922 aus Petersburg verbannt. Auf einem Passagierschiff müssen sie Russland mit unbekanntem Ziel verlassen.

Anouk Perleman-Jacob hat ihren Weg gemacht. Über Deutschland und Amerika hat sie ihr Weg nach Österreich geführt. Doch von ihrer Karriere, ihrem Privatleben will sie nur am Rande erzählen. Nein, ihr geht es um die Ausweisung von ihrer eigenen Regierung aus ihrem Heimatland, aus ihrer Heimatstadt. Was hat ihrer Meinung nach dazu geführt? Und wieso verliert das Schiff plötzlich an Fahrt? Geht es ihnen nun allen an den Kragen? Offensichtlich nicht, denn dann wäre Anouk nicht mehr da, um zu berichten. Ein anderes Boot geht längsseits und ein geheimnisvoller Reisender wird an Bord gebracht.

Wenn ein Roman zum Nachforschen animiert, was Fiktion ist und was Wahrheit, dann ist der Ansatz gelungen. Wie auch in den Informationen zu lesen, handelt es sich tatsächlich teilweise um geschichtlich belegte Ereignisse. Anouk und ihre Lebensgeschichte in diesen Kontext hineinzuschreiben hat etwas Besonderes. Man fragt sich selbst, wie wäre es, wenn das Land einen als unliebsam abstempelt und einen ausweist. Keine schöne Vorstellung. Das macht etwas mit einem, das Weltbild wird verrückt. Vielleicht wird man auch selbst verrückt. Anouks Resilienz ist spektakulär und auch wie pfiffig sie mit dem Autor spielt. Da muss der Autor fast schon kriminalistische entwickeln, um zu kontern. Einzig der Sinn mancher Nebensätze erschließt sich nicht immer. Anouks Geschichte dagegen berührt, der geheimnisvolle Fremde gibt Rätsel auf und die Nominierung dieses Romans sowohl für den deutschen als auch für den österreichischen Buchpreis erscheint mehr als gerechtfertigt.

Das Titelbild mit dem in der Ferne sichtbaren Dampfschiff in der ein wenig diesig und trostlos wirkenden Küstenlandschaft passt gut zu der Stimmung, die einen wohl überfällt, wenn man vom eigenen Land den Stuhl vor die Tür gestellt bekommt.

Veröffentlicht am 05.09.2024

Der Gute

Mrs Potts' Mordclub und der tote Bürgermeister
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Suzie Harris schmuggelt sich in eine Sitzung des Stadtrats. Sie will Bürgermeister Geoffrey Lushington ein Vorhaben nahebringen. Leider scheitert ihr Plan, denn der beliebte Bürgermeister stirbt vor ihren ...

Suzie Harris schmuggelt sich in eine Sitzung des Stadtrats. Sie will Bürgermeister Geoffrey Lushington ein Vorhaben nahebringen. Leider scheitert ihr Plan, denn der beliebte Bürgermeister stirbt vor ihren Augen. Nach dem ersten Schrecken reagiert Suzie geistesgegenwärtig und informiert ihre Freundinnen Judith und Becks, die sofort herbeieilen. Denn so einfach ist der Bürgermeister nicht gestorben. Die Polizei stellt fest, dass sein Kaffee vergiftet wurde. Judith, Suzie und Becks werden zu externen Beraterinnen ernannt. Polizistin Tanika Malik ist befördert worden und darf diese Entscheidung selber treffen. Mit Feuereifer gehen die drei Frauen an die Arbeit.

Judith Potts und ihre Freundinnen sind wieder da und ermitteln in ihrem dritten Fall. Es ist ein Rätsel. Wer sollte den überaus beliebten Bürgermeister umbringen wollen? Zunächst ergeben die Nachforschungen eher, dass Geoffrey Lushington den Menschen in seiner Umgebung selbstlos geholfen hat, wenn sie irgendwie in Not geraten waren. Das passt doch irgendwie nicht. Der Mann war einfach zu gut. Die Freundinnen fangen an, zu graben und zu überlegen. Wenn man es genau nimmt, kann der Täter nur ein Teilnehmer oder eine Teilnehmerin der Sitzung sein.

Eins auf Deutsch gelesen, eins auf Englisch und jetzt wieder auf Deutsch, aber immer erfreulich. Judith Potts, Suzie Harris und Becks Starling laufen zu hoher Form auf. Allerdings kommt Officer Tanika Malik ein wenig kurz. Durch das Einbeziehen der Freundinnen in die Ermittlung fehlt ein wenig die Anspannung der Heimlichkeit, mit der die Freundinnen vorher vorgehen mussten. Einerseits, andererseits können Judith und ihre Mitstreiterinnen so ihre Qualitäten besser ausspielen. Und die werden richtig gefordert, denn es gibt keine keine richtigen Verdächtigen, nur das mit der Vergiftung ist klar. Es ist spannend zu lesen, die sich immer neue Informationen und Verwicklungen ergeben. Schön ist es auch, dass auch eine ältere Dame wie Judith es schafft, sich weiterzuentwickeln. Ein schöner britischer Kriminalroman, dessen Cover eine schöne Vorstellung des Örtchens Marlow gibt.

Veröffentlicht am 05.09.2024

Mord an Mittsommer

Refugium
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Ihr Vater hat Gäste auf seine Insel eingeladen. Die 13jährige Astrid ist nicht glücklich, dass sie gewissermaßen repräsentieren muss. Als jedoch ein Boot am Anleger vorfährt und die Insassen unvermittelt ...

Ihr Vater hat Gäste auf seine Insel eingeladen. Die 13jährige Astrid ist nicht glücklich, dass sie gewissermaßen repräsentieren muss. Als jedoch ein Boot am Anleger vorfährt und die Insassen unvermittelt beginnen auf Eltern und Gäste zu schießen, ist Astrid so schockiert, dass sie erstmal verstummt. Zum Glück überlebt das junge Mädchen den Anschlag. Die ehemalige Polizistin Julia Malmros und ihr Gast Kim Ribbing hören die Schüsse und eilen an den Tatort. Helfen können sie nicht mehr. Immerhin finden sie Astrid, die nur leicht verletzt ist. Weshalb die wohlhabenden Eltern von Astrid und deren Gäste umgebracht wurden, ist so schnell nicht festzustellen.

Die ehemalige Polizistin Julia Malmros und der Hacker Kim Ribbing treffen in diesem Reihenstart erstmals aufeinander. Ein ungleiches Paar sollte man meinen, doch sie ergänzen sich gut. Julias Ex-Mann Johnny leitet die Ermittlungen von Seiten der Polizei. Das gibt manchmal Anlass zu Spannungen, allerdings sehen beide ein, dass die Regeln im Sinne der Ermittlungen hin und wieder etwas gebogen werden müssen. Trotzdem sind zu Beginn nur wenige Hinweise zu finden. Und Astrid ist zunächst noch so verstört, dass sie nichts über die Ereignisse sagen kann.

Das Ermittler-Team ist schon recht zusammengewürfelt. Die Ex-Eheleute und der jüngere Hacker bilden kein gleichschenkliges aber ein interessantes Dreieck. Dabei ist Kim Ribbing als finanziell unabhängiger Erbe mobiler als die anderen. Mit Leichtigkeit reist er um die Welt, um auch vagen Hinweisen nachzugehen. Mit seinen Mitmenschen hat er es nicht so leicht. Julia greift eigentlich auf ihre Fähigkeiten von früher zurück, da ihr Projekt als Krimi-Autorin ins Stocken geraten ist. Der Beginn des Romans bekommt dadurch einen besonderen Reiz. Später hat man eher einer normale Verbrecherjagd, die jedoch so packend geschildert sind, dass dieser Thriller schnell gelesen ist. Die Story entwickelt sich rasant und durch die vielen Schauplätze fast schon filmreif. Der nächste Band der Reihe ist bereits erschienen. Nur als kleine Erinnerungsstütze.