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Veröffentlicht am 30.09.2024

Ein Wohlfühlroman über eine ganz besondere Verbindung

Okaye Tage
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Ich habe „Okaye Tage“ als eine realistische Beziehungsgeschichte unheimlich gern gelesen und bis zum Schluss mit den beiden Figuren mitgefiebert. 🥺

Sam und Luc kennen sich eigentlich schon von früher, ...

Ich habe „Okaye Tage“ als eine realistische Beziehungsgeschichte unheimlich gern gelesen und bis zum Schluss mit den beiden Figuren mitgefiebert. 🥺

Sam und Luc kennen sich eigentlich schon von früher, begegnen sich aber zwei Jahre später erst so richtig wieder. Da Sam in Stockholm lebt und arbeitet, ist die Beziehung in London auf wenige Wochen befristet. Die beiden sind ziemlich verschieden, passen aber trotzdem oder gerade deshalb richtig gut zueinander. Das hindert weder Luc noch Sam jedoch daran, sich fortlaufend Gedanken über die gemeinsame sowie eigene Zukunft zu machen.

Was hier für mich ganz besonders hervorstach, ist die Liebenswürdigkeit der beiden Protagonist*innen. Jenny Mustard hat es tatsächlich geschafft, nicht nur eine sympathische Frauenfigur, sondern auch eine überaus sensible und nahbare männliche Hauptfigur zu schaffen. Luc widerspricht vielen Vorstellungen hegemonialer Männlichkeit, ohne sich dabei ständig selbst auf die Schulter zu klopfen. Er weint, hinterfragt, ist sensibel und aufmerksam - ich mochte ihn wirklich richtig gerne. 🫶🏻

Auch Sam ist mit ihrer direkten, wohlmeinenden Art authentisch und liebenswert. Deshalb habe ich mich das ganze Buch über in den Perspektiven der beiden einfach nur wohl gefühlt. Der Countdown sorgt für ein unbedingtes Weiterlesen-Wollen und ich kann so viel verraten: Es wird nicht bei einem bleiben. 😉

Hervorheben möchte ich die genderinklusive Schreibweise, die mir beim Eichborn-Verlag nun schon mehrfach positiv aufgefallen ist. Außerdem werden einige gesellschaftspolitische Themen behandelt, von denen ich mich sehr gesehen gefühlt habe. Und ganz besonders warm wurde mein Herz, weil im Buch nicht ständig Tiere gegessen und benutzt werden - eher ganz im Gegenteil. 🥹

Der Roman fühlt sich an wie eine Umarmung, weil er ohne überbordendes Drama auskommt, ohne dabei langweilig zu sein. Ich hätte auch noch 100 weitere Seiten von Sam und Luc lesen können. Meiner Meinung nach perfekt für den Herbst, auch wenn die Geschichte vor allem im Sommer spielt.

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Veröffentlicht am 12.09.2024

Grandioses Debüt, das mir so viel heilsamen Schmerz wie selten beschert hat

Gratulieren müsst ihr mir nicht
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[TW: Krankenhaus, Blut, medizinische Eingriffe]

Ich habe die Rezension zu „Gratulieren müsst ihr mir nicht“ lange aufgeschoben, weil ich schlicht nicht weiß, wie ich diesem großartigen Buch gerecht werden ...

[TW: Krankenhaus, Blut, medizinische Eingriffe]

Ich habe die Rezension zu „Gratulieren müsst ihr mir nicht“ lange aufgeschoben, weil ich schlicht nicht weiß, wie ich diesem großartigen Buch gerecht werden soll.

Lilli Polansky hat hier einfach ein Debüt geschrieben, bei dem ich nicht wollte, das es jemals endet. Die Tatsache, dass die Protagonistin den gleichen Namen trägt, und der abschließende Satz ihrer Danksagung lassen darauf schließen, dass es sich hier um ein Werk mit stark biographischen Zügen handelt. Das ändert nichts am Talent der Autorin, erklärt mir aber noch einmal mehr, warum sie so nahbar über diese schier unbegreiflichen Erlebnisse der Hauptfigur schreibt.

Diese bekommt mit Anfang 20 einen Herzschrittmacher eingesetzt. Doch das ist nicht einmal das Schlimmste der Geschichte, denn was medizinisch danach folgt, ist von außen kaum zu begreifen. Die Autorin beschreibt aber nicht nur die Schmerzen und den Kampf zurück ins Leben, sondern ganz besonders auch das Gefühl, sich im eigenen Körper nicht mehr zuhause fühlen zu können. Das Spannungsfeld von „Mein Körper hat mich im Stich gelassen“ und „Er hat mich aber auch im Leben gehalten“ ist unfassbar ergreifend.

Wer jetzt denkt, das Buch sei deshalb schwere Kost und ziehe die Lesenden herunter, irrt. Lilli Polansky schafft es nämlich, durch verschiedene Rückblenden zu einem irgendwie ganz normalen Leben als Kind/Teenager und vor allem dank ihres wirklich tollen Humors, ein heilsames Buch zu schreiben. Heilsam insofern, dass auch Lesende ohne eine schwere Krankheitsgeschichte viel Lebensmut und Sanftheit aus diesem Roman mitnehmen können. Dabei verzichtet Polanski auf Pathos und schafft es mit Leichtigkeit, bei ihrer Leser*innenschaft Mitgefühl zu erzeugen, das jedoch nicht von Schwermut geprägt ist.

Ich war schockiert, ich habe geweint und gelacht, ich wollte noch 1.000 weitere Seiten lesen. Dieses Buch hat eure Aufmerksamkeit verdient und ich wünsche mir ausdrücklich weitere Bücher der Autorin. Eines meiner zwei Jahreshighlights!

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Veröffentlicht am 12.09.2024

Warmherziger, authentischer und tiefgründiger Coming-Of-Age-Roman

Imogen, Obviously
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[TW: Bi-/Queerfeindlichkeit]

Was für ein unglaublich tolles Buch! Wunderschön geschrieben mit ganz authentischen und liebenswerten Charakteren, mit einem guten Maß an Liebe und wirklich viel Tiefe. 🫶🏻

Imogen ...

[TW: Bi-/Queerfeindlichkeit]

Was für ein unglaublich tolles Buch! Wunderschön geschrieben mit ganz authentischen und liebenswerten Charakteren, mit einem guten Maß an Liebe und wirklich viel Tiefe. 🫶🏻

Imogen dachte immer, sie sei einfach ein großartiger straight Ally für all ihre queeren Freund:innen. Als sie für einige Tage ihre beste Freundin Lili an dem College besucht, auf das sie in einigen Monaten selbst gehen wird, sieht sie sich aber mit der eigenen Identität konfrontiert. Tessa, eine College-Freundin Lilis, scheint nämlich irgendetwas in ihr auszulösen. Aber ist es wirklich Anziehung oder will Imogen es nur wieder allen recht machen und ist deshalb schlicht sehr freundlich?

Imogen bei ihren Struggles zu begleiten, war wirklich nicht leicht und doch auf schmerzhafte Art nachvollziehbar. Obwohl die meisten Charaktere ausdrücklich nicht bi-feindlich sind, sitzen diese Gedanken ganz fest in der Protagonistin selbst. Darf sie sich jetzt wirklich bi nennen, auch wenn sie nur ein einziges Mädchen in ihrem ganzen Leben attraktiv finden sollte? Betreibt sie in irgendeiner Form Queerbaiting?

Ich fand es ganz stark, wie intensiv hier diese Debatte angegangen wurde. Es geht dabei nicht nur um Imogen selbst, sondern zum Beispiel auch um unterstelltes Queerbaiting von Schauspieler:innen. Wozu das führen kann, haben wir in unserer echten Welt am öffentlich erzwungenen Coming-Out von Kit Connor gesehen. Die Ängste queerer Menschen vor einem Ausnutzen gewisser Spaces durch nicht-queere Menschen werden thematisiert und ernst genommen. Trotzdem darf es nicht dazu führen, dass Personen sich ein Label geben oder outen müssen. Das vermittelt dieser tolle YA-Roman dank einer wirklich zugänglichen Sprache eindrücklich.

Positiv fand ich außerdem, dass die "böse" Figur der Handlung nicht als eindeutig gemein gezeichnet wurde, sondern in sich ambivalent war. Ich fand die Figur wirklich sehr verletzend, aber es wirkte nicht überzeichnet.
Absolute Empfehlung für alle - ob YA oder älter. Bi-Feindlichkeit ist total komplex und dabei so präsent in uns allen. Ich hoffe, es wird noch viel mehr Repräsentation geben. You are valid. 🩷💜💙

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Veröffentlicht am 30.08.2024

Ein emotional extrem starker Familienroman mit authentischen und vielschichtigen Figuren

Blue Sisters
1

[TW: Alkohol- und Drogenmissbrauch, häusliche Gewalt, Überdosis, Tod, problematisches Essverhalten]

Ich verneige mich vor Coco Mellors, die mir nach langer Zeit endlich mal wieder ein Jahreshighlight ...

[TW: Alkohol- und Drogenmissbrauch, häusliche Gewalt, Überdosis, Tod, problematisches Essverhalten]

Ich verneige mich vor Coco Mellors, die mir nach langer Zeit endlich mal wieder ein Jahreshighlight beschert hat. Eine klare Empfehlung für alle, die komplexe Familienromane, Perspektivwechsel und ambivalente Figuren mögen.

Die Schwestern Avery, Bonnie und Lucky versuchen nach dem Tod der vierten Schwester Nicky eine neue Dynamik zu finden. Doch nicht nur die gestaltet sich reibungsintensiv, die drei kämpfen auch jeweils mit ihren ganz eigenen Problemen. Dadurch passiert unglaublich viel, ohne dass die Handlung überladen wirkt.

Coco Mellors fängt unfassbar stark jede einzelne Beziehung und Figur ein. Avery, die als älteste Schwester die Rolle der Mutter übernehmen musste, weil diese mit dem Alkoholismus ihres Mannes beschäftigt ist, und die nicht so recht weiß, wie sie mit dem Kinderwunsch ihrer Frau umgehen soll. Bonnie, die ihre erfolgreiche Boxerinnenkarriere nach Nickys Tod auf brutale Art beendete und sich seitdem komplett abschottet. Und schließlich Lucky, ein Model mit zu hohem Alkohol- und Drogenkonsum, die sich als Jüngste alleingelassen fühlt.

Was die Schwestern bei aller Verschiedenheit eint: Schuldgefühle und die Einstellung, lieber nicht über die eigenen Probleme zu sprechen. Damit baut Mellors einen Spannungsbogen aus tickenden Zeitbomben auf, der mich regelrecht süchtig gemacht hat. So konnte ich das Buch kaum aus der Hand legen und habe am Ende auf jeden Fall ein paar Tränchen verdrückt. 🥺

Positiv herausheben möchte ich noch, dass der Verlag sich hier für eine entgenderte Schreibweise entschieden hat und dass Coco Mellors ungeschönt auf das Thema Endometriose blickt.

Ein Roman mit viel Schwere, die die Autorin aber durch ganz viel Wärme im Schreiben ausgleicht. Für mich durch die Vielfalt der Themen, die Tiefe der unperfekten Figuren und die messerscharfe Beobachtung von Familiendynamiken definitiv eines der besten Bücher des Jahres. 💙

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Veröffentlicht am 13.08.2024

Eine Fünfzehnjährige mit Suizidgedanken trifft auf einen dementen Rentner und es entsteht die allerschönste Beziehung

Der Bademeister ohne Himmel
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[TW: Demenz, Suizid(-gedanken), Unfall, Tod]

Zum Hörbuch: Das war die bislang beste Sprechperson für mich! Marie-Isabel Walke ist unfassbar talentiert darin, ihre Stimme für die einzelnen Charaktere zu ...

[TW: Demenz, Suizid(-gedanken), Unfall, Tod]

Zum Hörbuch: Das war die bislang beste Sprechperson für mich! Marie-Isabel Walke ist unfassbar talentiert darin, ihre Stimme für die einzelnen Charaktere zu verändern. Ob der polnische Akzent Ewas oder der etwas knurrige Tonfall Huberts - alle kann sie perfekt einfangen, was das Hören zu einem so angenehmen Erlebnis macht. Ich hatte nur bei den erwachsenen Frauen wie Lindas Mutter, dem Nachtfalter oder Kevins Mutter manchmal Schwierigkeiten, sie auseinanderzuhalten. Sie spielen ja aber auch keine so große Rolle. Die Übergänge zwischen den Kapiteln waren flüssig, allerdings hätte es mir geholfen, wenn die Kapitel auch sprachlich benannt worden wären, um organisch Hörpausen einlegen zu können. Alles in allem aber ein echter Hörgenuss und ich muss als Vielleserin zugeben, dass das Erlebnis beim Lesen weniger gut gewesen wäre, weil ich die Stimmen selbst nicht variiert hätte.

Zum Buch selbst: „Der Bademeister ohne Himmel“ ist ein Wohlfühlroman, obwohl er so viele traurige Elemente in sich trägt. 🥺

Die fünfzehnjährige Linda hat konkrete Suizidgedanken, doch Hubert und Kevin halten sie im Leben. Hubert ist dement und wird zuhause von Ewa gepflegt. Die Polin hat ein großes Herz und kümmert sich mit viel Hingabe um ihn. Manchmal scheint sie jedoch Huberts Bedürfnissen in einer Welt, die ihm zunehmend fremd wird, mit ihrer direkten Art nicht ganz nachkommen zu können. Hier kommt Linda ins Spiel, die mit ganz viel Herz, Ernsthaftigkeit und Respekt eine enge Bindung zu ihm aufbaut. Ihr Freund Kevin wiederum leidet unter Weltschmerz und verbringt sehr viel Zeit zurückgezogen vor dem PC.

Petra Pellini hat hier eine so feinfühlige Erzählung geschaffen, die Würde in der Pflege sowie ganz besondere Verbindungen in den Fokus nimmt. Ewa ist bereits eine tolle Pflegerin und wirklich absolut herzliche Figur. Linda hat aber einfach einen so ehrlichen Kontakt auf Augenhöhe zu Hubert, dass ich immer wieder den Eindruck hatte, sie kann auf diesem Wege mehr zu ihm durchdringen. Wenn Hubert sich nicht mehr an seine Hochzeit erinnert, ändert Linda die Strategie und führt ihn mit eigenen Erzählungen wieder auf sicheres Terrain. Befindet sich Hubert wieder in seiner Zeit als Bademeister, bläst sie eben mit ihm Schwimmflügel auf. Nie vermittelt sie ihm das Gefühl, schockiert zu sein über seine Gedächtnislücken und genau das gibt ihm wohl ein Maximum an Sicherheit in dieser für ihn so beängstigenden Welt.

Nebenbei passiert aber auch noch viel mehr. Kevin hat zu kämpfen mit all den immer größer werdenden Krisen. Lindas Mutter hat einen neuen Partner, mit dem diese so gar nichts anfangen kann. Ewa lernt endlich ihre „zweite Hälfte“ kennen. Und Linda läuft tatsächlich vor ein Auto, doch am Ende kommt alles ganz anders als erwartet..

Der Schluss hat mich schockiert, weil ich ihn nicht habe kommen sehen. Dann geht auch alles recht schnell, während die Geschichte vorher deutlich langsamer war. Das passt für mich aber sehr gut, denn die intensive Zeit mit Hubert bewegte sich eben irgendwie in einer anderen Dimension.

Ein wirklich liebevolles Buch zu so schmerzhaften Themen, die von einer Autorin mit viel Erfahrung auf diesem Feld aber hervorragend eingepackt werden. Es hat mich viele Emotionen fühlen lassen und mir wieder bewusst gemacht, wie wichtig menschliche Verbindungen sind.

„Wir gleichzeitig Lebenden sind füreinander von geheimnisvoller Bedeutung.“ ❤️‍🩹

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