Hervorragende Protestanalyse trifft unglaubwürdige Figurenkonstruktion
Tage mit Milena„Tage mit Milena“, der neue Roman von Katrin Burseg, erschienen 2024 bei Heyne, hat mich leider sehr zwiespältig zurückgelassen.
Thematisch dreht sich der Roman um wichtige Themen: Den Klimawandel und ...
„Tage mit Milena“, der neue Roman von Katrin Burseg, erschienen 2024 bei Heyne, hat mich leider sehr zwiespältig zurückgelassen.
Thematisch dreht sich der Roman um wichtige Themen: Den Klimawandel und die Klimaproteste respektive deren Radikalisierung sowie in einer Vergangenheitsschau der Geschichte der Proteste um die Hamburger Hafenstraßenbesetzung – und somit der Frage nach Radikalisierung und deren Folgen generell. Erzählt wird das anhand der sich entwickelnden Beziehung zwischen Annika, einer inzwischen bürgerlich-links in Lübeck lebenden Frau mittleren Alters, die durch die Bekanntschaft mit Luzie, einer gerade noch 17jährigen Klimaprotestlerin, an ihre Vergangenheit in der Hafenstraße und die Ereignisse der damaligen Zeit, die sie bis heute prägen, erinnert wird.
Das klingt auf der Oberfläche gut und spannend – und was den thematischen Teil angeht, ist das auch so. Die vielen geballten Informationen über Klimawandel und -proteste waren mir persönlich etwas zu üppig und referatsartig hineingestopft, das mag aber daran liegen, dass ich intensives Vorwissen habe. Der Teil, der die Hafenstraßenzeit aufgreift, ist sehr gelungen, ich glaube, vielen Menschen fehlt das tiefe Wissen darüber und Bruseg zeigt gekonnt die Parallelen in Protest und Radikalisierung auf, das habe ich so auch noch nirgends gelesen. Auch hier war mir persönlich die Ballung innerhalb des Handlungsstranges zu viel, da hätte etwas Luft gutgetan, aber die grundsätzliche Idee, wie Bruseg diese Inhalte formal in das Geschehen einbettet, ist sehr geschickt.
Womit ich aber leider durch das ganze Buch hindurch nicht warm geworden bin, sind die Charaktere, ihre nicht plausiblen Handlungen und übertriebene Zeichnung und die vielen Leerstellen für ihr Handeln, die sich für mich einfach nicht erklären. Was dazu geführt hat, dass die Hauptperson Annika mich geradezu aggressiv gemacht hat mit ihrem kindischen Verhalten, das sich durchweg nur um sich selbst dreht. Ich habe lange keine so durchweg übergriffige und ehrlich gesagt schon psychopathische Figur gelesen – und aus meiner eigenen Beziehung zu Teenagern kann ich nur sagen: Da würde jede:r Teenie ganz schnell das Weite suchen. Im Roman geschieht aber das Gegenteil, klar, sonst gäbe es keine Geschichte, aber ich konnte daran leider zu keinem Zeitpunkt glauben.
Das Buch ist durchweg gut geschrieben, da gibt es gar nichts zu meckern, der Inhalt ist super, da wo es um das Schreiben von Historie und Chronik geht, auch sehr ausführlich und genau recherchiert. Alles, was die Figuren betrifft, ist für mich leider klischiert und nicht glaubwürdig / wenn es glaubwürdig sein soll, dann fehlt mir hier der Mut zur Konsequenz. Das Leben sieht da meistens schon genauer hin und hat weniger Wattebäusche bereitgestellt. In der Leserunde, in der ich dieses Buch gelesen habe, gab es aber auch viele begeisterte Stimmen. Also selbst herausfinden – auch wenn ich mich aufgrund des Zwiespalts nur bei 3 Sternen einreihen kann!