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Veröffentlicht am 13.08.2024

Freundschaften

Ich komme nicht zurück
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„Ganze Bücher könnte man füllen mit den ungesagten Worten.“

Rasha Kayat lässt Hanna über ihre Freundschaft mit Cem und Zeyna erzählen. Viel haben die drei zusammen in ihrer Kindheit und Jugend zusammen ...

„Ganze Bücher könnte man füllen mit den ungesagten Worten.“

Rasha Kayat lässt Hanna über ihre Freundschaft mit Cem und Zeyna erzählen. Viel haben die drei zusammen in ihrer Kindheit und Jugend zusammen erlebt. Cem, in Deutschland mit türkischen Wurzeln geboren, weiß ebenso wie beiden anderen was Armut bedeutet. Zeyna kam als Kind nach dem Tod ihrer Mutter mit dem Vater nach Deutschland. Hanna wächst bei ihren Großeltern auf, der Vater ist unbekannt, die Mutter nicht mehr da. Ihr Großvater freundet sich mit Zeynas Vater an und die beiden Mädchen wachsen fast wie Schwestern auf.

Doch irgendetwas ist geschehen, denn als Hanna nach dem Tod ihrer Großeltern wieder in der alten Heimat lebt, will Zeyna keinen Kontakt mehr zu ihr haben. Nach und nach erfahren wir, was die beiden alles miteinander erlebt haben, doch wie der Bruch zustande kam, bleibt lange im Verborgenen. Nur Cem ist weiterhin ein treuer Begleiter für Hanna.


Rasha Khayat geboren 1978 in Dortmund, wuchs in Jeddah, Saudi-Arabien, auf. Als sie elf war, siedelte ihre Familie nach Deutschland zurück. Sie studierte Vergleichende Literaturwissenschaften, Germanistik und Philosophie in Bonn. Seit 2005 arbeitet sie als freie Autorin, Übersetzerin und Dozentin. ›Ich komme nicht zurück‹ ist ihr zweiter Roman. Nachdem mir ihr 2016 erschienenes Debüt ›Weil wir längst woanders sind‹ schon sehr gut gefallen hatte, empfand ich es als Muss, auch diesen Roman zu lesen. Er hat mich vor allem in der zweiten Hälfte tief berührt.


Sie bearbeitet darin viele Themen. Zwischen den Zeilen ist Hannas Eifersucht auf Zeyna herauszulesen, weil sich die Großmutter genauso rührend um das mutterlose Mädchen kümmert, wie um die Enkelin. Sie thematisiert die Familienbande ebenso, wie Erinnerungen an den 11.September 2001, als der Terroranschlag auf die New Yorker Zwillingstürme auch das Verhältnis zu arabischstämmigen Menschen in Deutschland beeinflusste.

Bei mir entstanden während des Lesens deutlich Bilder, die Gefühle erwachen ließen. Ich empfand Rasha Khayats Worte als wahre Kunst, weil sie mich so unmittelbar ansprachen und mich teilweise in die Haut der Erzählerin schlüpfen ließen.


Fazit: Unbedingte Leseempfehlung!

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Veröffentlicht am 25.07.2024

Eine ganz besondere Reise

Handbuch für den vorsichtigen Reisenden durch das Ödland
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Als ich dieses Buch zur Hand nahm, habe ich einen Reisebericht zur Transsibirischen Eisenbahn im Jahre 1899 erwartet. Das Cover und die Leseprobe hatten mir Lust auf dieses Buch gemacht. Bekommen habe ...

Als ich dieses Buch zur Hand nahm, habe ich einen Reisebericht zur Transsibirischen Eisenbahn im Jahre 1899 erwartet. Das Cover und die Leseprobe hatten mir Lust auf dieses Buch gemacht. Bekommen habe ich allerdings viel mehr: Einen Roman voller Überraschungen, Spannung und Mystik – ein ganz außergewöhnliches Abenteuer.

Doch von vorn: Schon während der Vorstellung der einzelnen Reisenden herrscht eine eigenartige Stimmung. Egal ob es sich um Maria handelt, die unter einem falschen Namen reist, oder den Naturforscher Grey; alle rechnen mit einer Reise voller Gefahren. Erst nach und nach wird klar, worin die bestehen. Aber das sollte jeder Interessierte selbst nachlesen. Auf dieses Buch sollte man sich einlassen, ohne vorher zu viel vom Inhalt zu kennen. Nur so kann man die Spannung genießen, das Mystische auskosten.

Das Buch ist voller Überraschungen. Mich hat es ein wenig an das Leseerlebnis erinnert, das ich vor vielen Jahren im ersten Teil der Tintenblut-Trilogie von Cornelia Funke hatte. Auch dort standen unheimliche Dinge im Vordergrund.

Sahra Brooks ist mit ihrem Debütroman ein großartiger Wurf gelungen. Ihr Schreibstil ist bildhaft und hebt die teilweise gruseligen Aspekte gekonnt hervor. Die Charaktere sind vielfältig und so beschrieben, dass sie sich gut auseinander halten lassen. Das Unheilvolle, das über der ganzen Reise schwebt, kann Gänsehaut entfachen. Auch spart sie nicht an Gesellschafts- und Umweltkritik. Kurzum: Wer mal etwas ganz anderes lesen möchte, ist hier gut aufgehoben.

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Veröffentlicht am 16.08.2024

Das Gedächtnis des Wassers

Am Himmel die Flüsse
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Das Wasser hat in seinem unermüdlichen Kreislauf viel erlebt. Dem geht die Autorin in ihrem Roman nach, der zwischen 630 v.Chr. bis in die Jetztzeit spielt. Vier Personen lässt sie abwechselnd in den Vordergrund ...

Das Wasser hat in seinem unermüdlichen Kreislauf viel erlebt. Dem geht die Autorin in ihrem Roman nach, der zwischen 630 v.Chr. bis in die Jetztzeit spielt. Vier Personen lässt sie abwechselnd in den Vordergrund treten:

Zuerst tritt König Assurbanipal aus Ninive (in der Nähe des Tigris) in Erscheinung. Er hatte bereits lange vor unserer Zeitrechnung eine legendäre Bibliothek mit 32000 Tontafeln aufgebaut, liebte die Kunst und war ein machtvoller, aber auch grausamer Herrscher.

Scherben dieser Tontafeln faszinierten Arthur, der 1830 als Sohn einer Schatzsammlerin im Themseschlamm geboren wurde und den Namen >König der Abwasserkanäle und Elendsquartiere< erhielt. Er hat in diesem Roman ein unglaubliches Gedächtnis, war sehr wissensdurstig und sein Lebensweg führte ihn schließlich bis nach Mesopotamien.

Das Land zwischen Euphrat und Tigris war 2014 auch das Ziel von Narin und ihrer Großmutter. Beide gehören zu den Yesiden, die wegen eines geplanten Stausees aus der Heimat vertrieben und unsäglichen Grausamkeiten durch den IS ausgesetzt sind.

Die in London lebende Hydrologin Zaleekhah stammt aus dem Irak und stellt immer wieder die Verbindung zum Wasser her.


Das Buch beginnt ziemlich brutal, doch dann wird es unglaublich interessant. Wir bekommen Informationen über das Altertum und hören von Geschichten aus der Bibel, die schon lange vor der Niederschrift von Generation zu Generation weitererzählt wurden. Die Zeit, in der das British Museum in London Fragmente aus der Ferne bekommt und diese ausgewertet werden, regt ebenso zum Weiterrecherchieren an, wie die Jetztzeit, in der der IS die Macht übernimmt und sich zum Herrscher aufspielt.


Die britisch-türkische Schrftstellerin Elif Shafak wurde im Oktober 1971 in Straßburg geboren und gehört in der Türkei zu den meistgelesenen Schriftstellern. Für mich war >Am Himmel die Flüsse< nach >Der Architekt des Sultans< und >Das Flüstern der Feigenbäume< ihr drittes Buch. In allen thematisiert sie die Vergangenheit. Sie erzählt mitreißend vom Orient und macht auf viele Probleme aufmerksam, die das Leben in der Fremde mit sich bringt.


Mich hat dieses von Pegah Ferydoni eingelesene Hörbuch knappe 15 Stunden regelrecht in sich hineingezogen. Mehrmals habe ich mir gegönnt, nichts nebenbei zu tun, sondern mich ganz entspannt hinzusetzen und nur der Stimme und der außerordentlich gelungenen Geschichte zu lauschen. Das war eine tief beeindruckende Erfahrung und hat mir eine Menge Wissen vermittelt.


Fazit: Ein Highlight des Bücherjahres 2024.

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Veröffentlicht am 03.10.2024

Über die Liebe

Die schönste Version
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Dieses Buch zu lesen schmerzt. Es hat in meinem Kopf viele Fragen entstehen lassen. Wieso gieren Jugendliche so sehr nach Liebe, dass vor allem Mädchen alles mit sich machen lassen? Warum bringt ihnen ...

Dieses Buch zu lesen schmerzt. Es hat in meinem Kopf viele Fragen entstehen lassen. Wieso gieren Jugendliche so sehr nach Liebe, dass vor allem Mädchen alles mit sich machen lassen? Warum bringt ihnen niemand rechtzeitig bei, sich gegen tätliche Übergriffe zu schützen?

Doch von vorn: Jella glaubt in Yannick den Menschen gefunden zu haben, mit dem echte Liebe möglich ist. Bis er sie während eines Streites würgt. Da flieht sie zurück ins Elternhaus.
In den nächsten Tagen lässt sie ihre Vergangenheit Revue passieren. Sie denkt zurück an ihre Jugend, an ihre Freundin, mit der sie sich extra schön hergerichtet hat, um Jungs zu gefallen. Und an ihre ersten Erfahrungen, die mir vor Entsetzen die Atemluft raubten.
Yella ist nicht dumm, sie studiert und verdient sich in einer Bibliothek ihren Unterhalt. Als Yannick in ihr Leben tritt, fühlt sie sich geliebt. Ihr Leben verändert sich, sie ziehen zusammen. Er, der erfolglose Künstler, Sohn reicher Eltern, engt sie aber auch ein. Gesteht ihr weniger Freiraum zu. Immer öfter kommt es zu Auseinandersetzungen, die mit eine Versöhnung enden. Bis alles eskaliert und sie in ein Trauma reißt.

Es ist nicht das erste Buch, das ich in letzter Zeit über toxische Beziehungen las. Das scheint augenblicklich eines der Modethemen zu sein. Wahrscheinlich reichen Zeitungsmeldungen über Familiendramen nicht aus, um die Gesellschaft aufzurütteln. Können Bücher mehr bewirken? Erreichen sie die richtigen Adressaten? Können sie Mädchen einen Spiegel vorhalten und sie dazu auffordern, nicht alles mit sich machen zu lassen? Wie kann man Jugendlichen näherbringen, wie wichtig Respekt für ein gelingendes Leben ist?

Fazit: Dieses Buch lässt mich aufgewühlt zurück.

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Veröffentlicht am 14.09.2024

Freundschaften

Bei Licht ist alles zerbrechlich
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Dieses Buch ist in drei Teile gegliedert. Im ersten Teil erzählt Davide, der Schweinehirt ohne Schulbildung, aber voller Wissensdrang, über seine Freundschaft mit Teresa und Nicolas, dem Judenjungen, der ...

Dieses Buch ist in drei Teile gegliedert. Im ersten Teil erzählt Davide, der Schweinehirt ohne Schulbildung, aber voller Wissensdrang, über seine Freundschaft mit Teresa und Nicolas, dem Judenjungen, der 1942 auf Anordnung von Mussolini ins Dorf kam. Da sein mit strenger Hand herrschender Vater Davide den Schulbesuch nicht gestattete, lernt er heimlich bei seinen Freunden das Schreiben und Lesen, sowie einen menschlichen Umgang miteinander.
„Seit ich auf der Welt war, hatte ich noch nie zwei Menschen miteinander reden hören, ohne dass der eine den anderen niedermachte oder recht haben wollte“

Wie es Davide erging, nachdem er schon recht früh seine Familie und das Dorf verlassen hatte, um in Neapel Fuß zu fassen, erfahren wir im zweiten Teil des Buches. Erstaunlich, was für eine Entwicklung er hinlegt! Seine Jugendfreunde hat er dabei nie ganz vergessen.

Während einer Schaffenskrise kehrt er im dritten Teil des Romans zurück in seine alte Heimat, die er nach dem Krieg weniger verändert vorfindet, als er dachte. Hier schließt sich der Erzählkreis auf eine unerwartete Art und Weise:
„… abermals überlagerten sich unsere Leben wie ganz am Anfang ...“


Ich habe Davides Erzählungen gern gelesen. Sie sind in einem lockeren Stil gehalten, eben so, wie man sich die Stimme eines einfachen Dorfjungen vorstellt. Je älter er wird, desto mehr denkt er über sein Leben und dessen positive Wendungen nach. Sein neuer Beruf als Schauspieler hilft ihm dabei. Wie sehr Freundschaften das Leben beeinflussen können, ist sehr schön herausgearbeitet – auch wenn so manche Entwicklung unglaublich ist. Aber das muss jeder Leser und jede Leserin für sich selbst beurteilen.


Gianni Solla ist Jahrgang 1974 und lebt mit seiner Familie in Neapel. Er schreibt Romane, Erzählungen und Theaterstücke. Ich kann dieses Buch, das in zwölf Sprachen erschienen ist, auf jeden Fall empfehlen.

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