Spannende Suche nach der Wahrheit
Das elfte ManuskriptWie konnte ich es nur schaffen, die ersten zehn Bücher der Hanne-Wilhelmsen-Serie nicht zu kennen? Ich kenne zwar die Schriftstellerin Anne Holt, aber nur ihre Selma-Falck-Reihe. Und die gefiel mir gut. ...
Wie konnte ich es nur schaffen, die ersten zehn Bücher der Hanne-Wilhelmsen-Serie nicht zu kennen? Ich kenne zwar die Schriftstellerin Anne Holt, aber nur ihre Selma-Falck-Reihe. Und die gefiel mir gut. Jetzt als Das elfte Manuskript als elfter Band der Hanne-Wilhelmsen-Krimis. Ich habe mit Freude darüber hergemacht und wurde am Ende nicht enttäuscht. Die Spannungskurve steigt nämlich in diesem Krimi nicht von gleich auf jetzt, man muss als Leser schon etwas Geduld mitbringen. Denn zuerst lernt man peu à peu die Protagonisten und die verschiedenen Handlungsstränge kennen. Jeder dieser Stränge für sich genommen birgt ein Rätsel.
Handlungsort und -zeit sind Norwegen, speziell Oslo, und der Beginn der Coronapandemie im März 2020. Als deutscher Leser fühlt man sich direkt in die eigene Vergangenheit versetzt, Norwegen hatte wohl genau die gleichen Probleme wie Deutschland. Der Lockdown am 20. März 2020 blieb mir in Erinnerung, die jetzt geweckt wurde.
Zum Buch gibt es viel zu erzählen, ich versuche es mal:
Ein Totengräber, selbst rüstiger Witwer, in der nördlichen Provinz, beerdigt eine einsame, merkwürdige Frau aus seinem Ort und macht sich so seine Gedanken über die Tote und ihr verstecktes Leben. Dabei kommt er ganz schön ins Grübeln. Mir hat der Alte sehr gefallen.
Eine Leiche ohne Gesicht und Identität wird gefunden, Kommissar Henrik Holme, etwas introvertiert und in Frauensachen komisch, beginnt mit den Nachforschungen. Sein akribischer Kollege Bo Tennøy forscht auf seine Weise.
Edda Braut, studierte Theologin, Mitte 20, wird im größten Belletristikverlag Norwegens als Lektorin angestellt. Gleich zwei Manuskripte überrollen sie am Beginn ihrer Tätigkeit, die Ex-Kriminalkommissarin Hanne Wilhelmsen hat ein Krimimanuskript eingereicht, das Manuskript „Das elfte Manuskript“ von Kate Howe ist spurlos verschwunden. Der Lockdown macht Lektoratsarbeit und Suche nicht leichter.
Eli Schwartz, deren Stelle Ebba übernommen hat, soll helfen, aber verschleiert mehr als sie enthüllt. Eddas Chefin Marion Kovig verbietet Edda das Nachforschen zum verschwundenen Manuskript. Hanne Wilhelmsen ist plötzlich aus ihrem eigenen Lockdown – sie sitzt seit Jahren im Rollstuhl und verlässt kaum das Haus –, erwacht und beginnt sich mehr für die unbekannte Tote als für ihre eigenes Manuskript zu interessieren. Als sie dann noch von dem verschwundenen Manuskript erfährt, ist sie ganz Feuer und Flamme. Dass sie zwar sehr gut denken und sprechen kann, aber ansonsten eher ein sozialer Besen und recht abschreckend ist, erschüttert Ebba zumindest ebenso wie Henrik Holme. Dieser ist nicht zu Unrecht ab und an beleidigt, springt aber wie ein abgerichtetes Hündchen, wenn Hanne pfeift. Holme ist ein langjähriger Freund und Kollege von Hanne, aber sie hält ihn gern auf Abstand, wenn es ihr passt.
Das alles liest sich schnell und gut. Leider aber auch des Öfteren für meinen Geschmack zu geschlechtergerecht, was den Lesefluss besonders in Kapitel III bei mir deutlich negativ beeinträchtig hat. Dabei interessierte mich gerade dort die Verlagsatmosphäre sehr, habe ich doch selbst einige Jahre im Verlagswesen gearbeitet.
Die Protagonisten werden gut beschrieben, man kann sich die Charaktere im wahren Leben lebhaft vorstellen, das macht Freude in diesem Buch. Dass die Geschichte auch ein wenig eigensinnig und verwirrend ist, fand ich nicht so schlimm. Als Leser erwartet man ja am Ende eine schlüssige Entwirrung aller Fäden. Da enttäuscht Anne Holt nicht.
Bei der Wortwahl der Übersetzerin bin ich mir nicht immer ganz sicher gewesen, ob die Autorin im Original genau das gemeint hat, was ich im Deutschen lesen konnte. Zum Beispiel hielt Henrik Holme auf dem Weg zur Arbeit ein Stullenpaket in der „Faust“. Ich könnte mir gut vorstellen, dass er es in der Hand hielt, sonst wären die Stullen wahrscheinlich platt wie eine Flunder. Es gibt noch andere Stellen, die mich wunderten, aber die Wortwahl kann auch am Original liegen. Im Gegensatz zu englischsprachigen Büchern kann ich hier leider keine Vergleiche ziehen, da ich nicht Norwegisch kann. Schade eigentlich. Denn in einem Kapitel wird auf die Etymologie bestimmter Begriffe eingegangen, Norwegisch ist eine schöne und interessante Sprache.
In den letzten Kapiteln gibt die Autorin dann Gas, es geht mit Volldampf durch das ganze Drama. Wer die schlechte Angewohnheit hat, Bücher zuerst hinten zu lesen, dem empfehle ich, es nicht zu tun. Wäre schade um den Aha-Effekt.
Zur Lieblingsfigur erhebe ich für mich Henrik Holme, er ist so hilflos mit Frauen und er kann ein richtig bewundernswerter Polizist sein. Ich wünsche ihm eine nette Frau, vielleicht sogar im nächsten Band der Reihe die junge Edda. Wenn es denn einen nächsten Band gibt, würde ich den gerne lesen. Dieser elfte hat mir gute Unterhaltung bereitet.
Vier Sterne