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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 13.11.2017

gesellschaftspolitischer Roman

Leere Herzen
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Braunschweig in der nahen Zukunft! Britta Söldner und ihr Geschäftspartner Babak Hamwi haben ein Unternehmen, dass sie Die Brücke nennen. Es ist eine Heilpraxis für Suizid-Prävention, die aber nebenbei ...

Braunschweig in der nahen Zukunft! Britta Söldner und ihr Geschäftspartner Babak Hamwi haben ein Unternehmen, dass sie Die Brücke nennen. Es ist eine Heilpraxis für Suizid-Prävention, die aber nebenbei Selbstmordkandidaten als Attentäter vermitteln. Dieses ungewöhnliche Geschäftsmodell ist eine lukrative Sache.
Was für eine Idee für ein Romanthema! Zynisch und abgedreht!
Nach Außen hin führen sie ein bürgerliches Leben. Britta hat Mann und Kind und Freunde. Ihre Praxis gilt als vorbildlich.

Das System gerät aber anscheinend langsam in eine Schieflage. Britta steht unter Druck, hat Bauchschmerzen und Stress mit ihrem Mann.
Mit der jungen Julietta haben sie dann erstmals einen weiblichen Kandidaten im Programm und die bisherigen Regeln wanken.
Im Team kommt es zu Spannungen, da berufliches und privates vermischt wird. Zudem gibt es plötzlich erstmals Konkurrenz.

Der Roman lässt sich gut lesen, man kann sich kaum losreißen. Paradoxerweise ist man trotz des moralischen Dilemmas nah an den Figuren dran. Die sind ziemlich verpeilt, Britta glaubt wirklich, das ihre Tätigkeit die Welt besser macht. Allerdings gibt sie zu, nicht zu den Guten zu gehören.
Das man selbstmordgefährdete Menschen so steuern kann, wie Juli Zeh uns weiß machen will, glaube ich kaum. Die politisch irregeleitete Einstellung der Menschen kann man aber nachvollziehen.

Fazit: eigentlich unglaubwürdig und eine Kopfgeburt und doch bleibt ein ambitionierter gesellschaftspolitischer Roman.

Veröffentlicht am 07.10.2017

Lebens- wie Liebesgeschichte

Durch alle Zeiten
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Zeitlich sinnvoll versetzte Handlungsabschnitte zeigen das Leben von Elisabeth, der Protagonistin dieses Buches. Eine Lebens- wie Liebesgeschichte.
Die fünfziger und sechziger Jahre zeigen Kindheit und ...

Zeitlich sinnvoll versetzte Handlungsabschnitte zeigen das Leben von Elisabeth, der Protagonistin dieses Buches. Eine Lebens- wie Liebesgeschichte.
Die fünfziger und sechziger Jahre zeigen Kindheit und Jugend.
Es ist ein Leben mit Höhen und Tiefen. Die Kindheit in Armut, eine unglücklich verlaufende erste Liebe zu Niklas aber auch die schöne Zeit als sie durchsetzen konnte, auf die Haushaltsschule in England gehen zu können, schließlich auch eine Affäre, dann die Heimkehr schwanger. Heirat und Kinder.
Und all die Jahre immer wieder Niklas, obwohl sie beide mit anderen verheiratet sind.
Dass im Ablauf des Erzählens zeitlich hin- und hergesprungen wird ist effektiv, und zeigt, wie alles miteinander zusammen hängt.

Dieses Frauenportrait ist sehr realistisch, mit ihrer Stärke und ihren Fehlern, und in der jeweiligen Zeit glaubhaft verankert,

Prägend ist natürlich auch die Bergwelt, in der Elisabeth mit Ausnahme des kurzen Englandabschnitts ihr Leben verbringt.

Mich beeindruckt auch die wirklich schön gemachte, genaue Sprache, die nicht zu viel und nicht zu wenig Mittel einsetzt. Kein Wunder, dass die 1940 geborene Autorin mit Ullstein fünf einen Verlag gefunden hat, der sich intensiv um neue deutsche Literatur kümmert.
Da ist der Anspruch: Zitat: „klassisch gut erzählen, vertraute Lebenswelten erschließen, uns aber auch in Teile unserer Welt führen, über die wir wenig wissen.“. Diesen Anspruch erfüllt Helga Hammer in hohen Maße.

Veröffentlicht am 12.09.2017

Eindringliche Kriminalliteratur mit Niveau

Ermordung des Glücks
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Der erste Teil um den pensionierten Ermittler Jakob Franck war nicht besonders spannend, aber bei “Ermordung des Glücks” ist von Anfang an eine düstere, intensive Atmosphäre spürbar. Ein Bob Dylan-Zitat ...

Der erste Teil um den pensionierten Ermittler Jakob Franck war nicht besonders spannend, aber bei “Ermordung des Glücks” ist von Anfang an eine düstere, intensive Atmosphäre spürbar. Ein Bob Dylan-Zitat ist dem Buch vorgestellt.

Der Münchener Exkommissar Jakob Franck ist eigentlich pensioniert, aber das Überbringen von Todesnachrichten bei Verbrechen übernimmt er noch. Das ist eine Aufgabe, die viele Beamte überfordert. Franck aber nimmt sich Zeit und geht auf die Angehörigen der Opfer ein. In diesem Fall ist ein junge ermordet worden. Leonard Grabbe war erst 11 Jahre alt, als er erschlagen wurde. Seine Familie ist von dem Ereignis traumatisiert.

Auch Franck nimmt dieser Fall mit. Im Gespräch mit seiner Ex-Frau Marion Siedler, mit der ihm immer noch viel verbindet, reflektiert er die Vergangenheit.
Mit seiner bedächtigen, aber beharrlichen Art ist Jakob Franck eine gute Hauptfigur. Er ermittelt, obwohl pensioniert, auf freie Art und konzentriert sich ganz auf den Fall.
Seine Gespräche mit den Beteiligten sind auf hohen Niveau!
Man erfährt aber auch viel durch Passagen, in denen nur die Familie miteinander redet, es gibt sogar einen Rückblick auf 13 Jahre vorher.
Dadurch nimmt die Komplexität des Buches zu.

Literarisch geht Ani über das hinaus, was in der deutschsprachigen Kriminalliteratur üblich oder zu erwarten ist. Es sind immer wieder Sätze enthalten, die außergewöhnlich, manchmal poetisch sind.
Friedrich Ani dringt in die Seelen seiner Figuren ein. Der gesamte Text ist durchgehend gehaltvoll.

August Zirner ist der Sprecher des Hörbuchs. Vielen Hörbuchfans ist er sicherlich durch die Hector-Romane von Francis Lelord bekannt, die er eingelesen hat. Natürlich ist er auch als Schauspieler bekannt, z.B. durch die Hermann Hesse-Verfilmung “Die Heimkehr”.

Er liest leise, langsam und gründlich. Dadurch wirkt seine Stimme so eindringlich wie es auch Friedrich Anis Prosa ist.

Veröffentlicht am 02.09.2017

Erzählerische Wucht

Underground Railroad
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Underground Railroad. Was für ein grandios Buch!

Zuerst ist Hörbuch Hamburg für die Gestaltung des Hörbuchs in einer CD-Pappbox mit 7 CDs zu loben. Das ist meine favorisierte Hörbuchform.

Gelesen von ...

Underground Railroad. Was für ein grandios Buch!

Zuerst ist Hörbuch Hamburg für die Gestaltung des Hörbuchs in einer CD-Pappbox mit 7 CDs zu loben. Das ist meine favorisierte Hörbuchform.

Gelesen von Helene Grass, die auch einmal zusammen mit ihrem Vater bei einer Lesung im Theater gesehen habe. Ihr Vortrag ist wirklich gelungen und passend.

Anfangs ist es ziemlich hart, da das Sklavenleben deutlich beschrieben wird. Dazu gehören neben der harten Arbeit auch grausame Bestrafungen, Vergewaltigungen und weitere unmenschliche Behandlungen.
Das muss man als Leser bzw. Hörer auch erst einmal ertragen. Doch bei dem, was die Menschen damals ertragen mussten, verbietet sich mir ein weghören.

Mit Cora gibt es eine starke Persönlichkeit als Hauptfigur.
Es gibt auch authentisch wirkende Nebenfiguren wie Caesar, die Brüder Randall, Miss Lucy und die unterschiedlichen Mitarbeiter der Underground Railroad. Die Vereinigung der Underground Railroad hat eine Route in die mögliche Freiheit Richtung Norden bis zu Kanada aufgebaut.

Es folgt die abenteuerliche Flucht und das Leben in Freiheit.
Cora und Caesar werden getrennt, als eine neue Flucht erforderlich wird.
Erschreckende Szenen folgen. Und entschlossene Sklavenjäger setzen sich auf Coras Spur. Der Sklavenfänger Ridgeway ist eine für mich erschreckend glaubwürdige Figur. Sein Herrenmenschendenken war damals sicher verbreitet, bei manchen selbst noch heute. Das der US-Präsident Trump sich nicht gegen den Ku Klux Klan und anderen Rassisten ausspricht ist ein Verbrechen.

Cora bewegt sich durch verschiedene US-Staaten: Von Georgia aus durch South und North Carolina, Tennessee und Indiana.

Viele Motive des Romans sind auf eine symbolische Ebene gebracht. Die wirklich versteckt fahrende Eisenbahn ist ein Stück magischer Realismus. Das und die erzählerische Wucht machen das Buch zu etwas besonderen. Kein Wunder, dass es den Pulitzer und den National Book Award gewann.

Veröffentlicht am 24.08.2017

Komplexer Generationsroman

Heimkehren
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Heimkehren ist ein richtig komplexer Roman, da er seine Themen durch einen großen Zeitraum transportiert und dabei die handelnden Figuren relativ rasch wechseln. In der Regel tauchen die alten Personen ...

Heimkehren ist ein richtig komplexer Roman, da er seine Themen durch einen großen Zeitraum transportiert und dabei die handelnden Figuren relativ rasch wechseln. In der Regel tauchen die alten Personen in den neuen Kapitel auch nur selten auf, dennoch gibt es offensichtlich ganz starke Verbindungen.

Das sich der Ton der Geschichten im Verlaufe der Zeit verändert, merkt der Leser erst allmählich, zum Beispiel in Teil 2 mit H. als Protagonist 1880 spürt man eine andere Sprache als noch zu Anfang des Buches. Natürlich ist da auch zwischen den afrikanischen und den amerikanischen Abschnitten zu unterscheiden
Auch inhaltlich gibt es Veränderungen, das wird z.B. deutlich im Abschnitt als Willie und Robert nach Harlem gehen und die Beschreibungen des Jazzclubs Jazzing.
Auch die Geschichte von Yaw und der Entstehung seiner Brandnarbe oder von Sonny und seine Arbeit für das NAACP sind beeindruckend. Das gilt auch für die Geschichte von Marjorie und Marcus, mit der der Roman schließlich schließt..
Es gibt in fast allen dieser Episoden so viel zu entdecken und manche hätten das Potential für eigene Romane.

Diese Romankonzeption ist ein großer, umfassender Ansatz um die Geschichte der Sklaverei zu erzählen und die Autorin hat die entsprechenden Mittel.
Wenn eine junge Autorin so schreiben kann, darf man viel von ihr erwarten. Es sei denn, das war schon ihr wichtiges Thema, mit dem sie sich dann ausgeschrieben hat.
Das muss man abwarten.