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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 29.10.2024

Schockierend, aber distanziert

Reichskanzlerplatz
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“Reichskanzlerplatz” erzählt die Geschichte Magda Goebbels’ aus der Sicht des fiktiven Liebhabers Hans Kesselbach, der über einen zwanzigjährigen Zeitraum immer wieder Kontakt zu ihr hat. Diese ungewöhnliche ...

“Reichskanzlerplatz” erzählt die Geschichte Magda Goebbels’ aus der Sicht des fiktiven Liebhabers Hans Kesselbach, der über einen zwanzigjährigen Zeitraum immer wieder Kontakt zu ihr hat. Diese ungewöhnliche Perspektive finde ich gut gewählt.
Es ist aber keine reine Biografie, vielmehr ist es ein Porträt des Dritten Reiches, vom Aufkommen bis zum Ende, welches aufzeigt, wie schnell man (Mit-)Täter wird.
Während Magda aktiv zur überzeugten Nationalsozialistin konvertiert, lädt Hans sich Schuld auf, indem er wegschaut und verdrängt, versucht, sich selbst zu schützen - denn durch seine Homosexualität schwebt er selbst in großer Gefahr.
Der Schreibstil ist sehr sachlich und jeder Satz scheint Bedeutung zu haben - weswegen das Buch etwas Konzentration bedarf. Außerdem wird einiges Wissen vorausgesetzt.
Die beiden Protagonist*innen werden trotz ihrer Rollen sehr menschlich dargestellt und ihre verschiedene Charakterzüge beleuchtet.
Ich persönlich konnte durch die distanzierte Erzählart jedoch keinen guten Bezug zu ihnen oder der Geschichte aufbauen, weshalb ich das Buch trotz des schockierenden Inhalts als nicht allzu intensiv wahrgenommen habe.
Dennoch empfehle ich den Roman, da er gekonnt ein Kapitel deutscher Geschichte beleuchtet, welches nicht wiederholt werden darf und eindrücklich zeigt, wie schnell man zum Schuldigen wird, selbst wenn man sich selbst zu den Guten zählt - was aktueller denn je ist.
⭐️4/5⭐️

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Veröffentlicht am 26.10.2024

Verrückt und einzigartig

Draußen feiern die Leute
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In einem niedersächsischen Dorf passiert neben dem jährlichen Zwiebelfest nicht viel Aufregendes.
Doch nach und nach verschwinden immer mehr Jugendliche spurlos.
Eine Gruppe von Außenseitern beschließt, ...

In einem niedersächsischen Dorf passiert neben dem jährlichen Zwiebelfest nicht viel Aufregendes.
Doch nach und nach verschwinden immer mehr Jugendliche spurlos.
Eine Gruppe von Außenseitern beschließt, das Rätsel zu lösen und macht sich auf den Weg, die Vermissten zu finden.

Nach dem Klappentext habe ich von “Draußen feiern die Leute” wohl eine Mischung aus Krimi und Coming-of-Age-Roman erwartet. Was ich bekommen habe? Einen wilden Ritt durch alle Genres, einen Dorfroman mit absurden Wendungen, ein absolut einzigartiges und verrücktes Debüt.
Sven Pfizenmaiers Eloquenz zeigt sich schon in den ersten Sätzen, allein die Beschreibungen des Dorfes und des Zwiebelfestes sind großartig.
Zunächst scheint in besagtem Örtchen auch alles gewöhnlich zu sein, mit absoluter Leichtigkeit und als wär es das Normalste auf der Welt, stellt uns Pfizenmaier dann die Protagonist*innen vor: Drei Jugendliche mit besonderen Fähigkeiten, eine Art Anti-Avengers; der eine ein Pflanzenmensch, die nächste schläft wochenlang am Stück, der Dritte hat eine höchst ermüdende Aura und hat so schon als Baby seine eigene Mutter gelangweilt.
Natürlich sind das nicht alle skurrilen Charaktere, das ganze Buch wimmelt davon.
Und als wäre das nicht genug, überrascht der Autor ständig mit den unvorhersehbarsten Wendungen, geht ins absolut Absurde und setzt gut platzierte Pointen.
Dennoch hat das Buch auch ernste Themen, so wird schnell deutlich, dass die Verschwundenen sich alle nach etwas gesehnt haben: einer besseren Welt, in der sie sich verstanden und als Teil einer Gesellschaft fühlen können.
Die Suche nach ebendiesen ist ebenso spannend wie der sagenumwobene Drogenboss Rasputin (und was man sich über ihn erzählt, ist wirklich wild), der etwas mit ihrem Verschwinden zu tun hat.

Zusammengefasst steckt dieser Roman voller Sprachgewandtheit, Witz, skurrilen Figuren, jugendlichen Sehnsüchten und ganz vielen Drogen - ja, manchmal fühlt sich das Lesen wie ein einziger literarischer Trip an. Empfehlung an alle, denen der Humor zusagt und die auf der Suche nach etwas Neuem sind. Etwas Vergleichbares habt ihr noch nicht gelesen, versprochen. ⭐️4/5⭐️

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Veröffentlicht am 17.09.2024

Till Eulenspiegel im Dreißigjährigen Krieg

Tyll
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Der Dreißigjährige Krieg hält Europa in Atem, als der Vater des jungen Tyll Ulenspiegel wegen Hexerei verurteilt wird.
Gemeinsam mit einer Freundin aus dem Dorf flieht Tyll von zu Hause. Sie schließen ...

Der Dreißigjährige Krieg hält Europa in Atem, als der Vater des jungen Tyll Ulenspiegel wegen Hexerei verurteilt wird.
Gemeinsam mit einer Freundin aus dem Dorf flieht Tyll von zu Hause. Sie schließen sich einem Gaukler an, um dessen Künste zu erlernen.
Und trotz Hunger, Schnee und Armut gelingt es Tyll, sich in ganz Deutschland einen Namen zu machen.

Unschwer erkennbar hat sich Daniel Kehlmann für seinen Protagonisten den bekannten Schelm Till Eulenspiegel zum Vorbild genommen und ihn etwa zweihundert Jahre in die Zukunft versetzt, mitten in den Dreißigjährigen Krieg.
Dieser Krieg ist auch das eigentliche Thema des Buches. Tyll ist dabei zwar Dreh- und Angelpunkt, aber mitnichten der einzige Protagonist. Die Handlung erfahren wir aus verschiedenen Perspektiven und so entsteht ein ziemlich ganzheitliches Bild des Krieges.
Der Erzählton ist dabei manchmal rau, manchmal zart, manchmal spöttisch und manchmal klug; was ihn eint, ist die Tatsache, dass der Text auf knapp 500 Seiten wirklich gut und flüssig lesbar ist und die Worte Kehlmann leicht von der Hand gegangen zu sein scheinen.
Ich persönlich hätte mir ein bisschen mehr Tyll und ein bisschen weniger Politik gewünscht, aber das ist ja Geschmackssache. Der Roman ist allen Leser*innen von Historien und Neuerzählungen zu empfehlen. ⭐️4/5⭐️

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Veröffentlicht am 10.09.2024

Ein Mutmachbuch

Das magische Funkeln
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Das kleine Bärenjunge ist ängstlich, traut sich vieles nicht zu. Dann bekommt es eine magische Feuervogelfeder geschenkt und mit ihr als Sicherheit schöpft er Mut. Bis die Feder auf einmal verschwindet ...

Das kleine Bärenjunge ist ängstlich, traut sich vieles nicht zu. Dann bekommt es eine magische Feuervogelfeder geschenkt und mit ihr als Sicherheit schöpft er Mut. Bis die Feder auf einmal verschwindet ...

"Das magische Funkeln" ist ein Mutmachbuch für Kinder ab 4 Jahren. Ich würde es tatsächlich auch schon für Dreijährige empfehlen. Die Texte sind kurz und verständlich gehalten, sodass auch schon kleinere Kinder der Geschichte gut folgen können.
Außerdem sprechen die wunderschönen Illustrationen für sich, allein durch das Betrachten dieser begreift man die Handlung.
Das gesamte Buch macht einen hochwertigen Eindruck, die Seiten sind etwas dicker und stabiler, das Cover hat sogar eine Goldprägung.

Einen Stern ziehe ich ab, da ich die Auflösung nicht gut vermittelt finde. Für Kinde wäre es verständlicher, wenn der kleine Bär selbst gemerkt hätte, dass er die Feder nicht mehr braucht und sie nicht einfach - wie im Buch - verschwindet.

Dennoch ist es allein schon wegen der wirklich besonderen Illustrationen ein kleiner Schatz im Bücherregal, meine Tochter mag es sehr. ⭐️4/5⭐️

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Veröffentlicht am 02.09.2024

Warmherzig

Leonard und Paul
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Leonard und Paul sind gute Freunde. Sie leben beide mit Mitte 30 noch in ihrem Elternhaus, treffen sich zu Brettspielabenden und führen ein ruhiges Leben in geordneten Bahnen.
Bis beiden etwas Unerwartetes ...

Leonard und Paul sind gute Freunde. Sie leben beide mit Mitte 30 noch in ihrem Elternhaus, treffen sich zu Brettspielabenden und führen ein ruhiges Leben in geordneten Bahnen.
Bis beiden etwas Unerwartetes widerfährt und sie sich zwangsläufig den Veränderungen anpassen müssen.

“Leonard und Paul” ist ein Buch, welches jene in den Mittelpunkt rückt, die sonst kaum Beachtung finden: zwei ruhige, introvertierte Männer, die mit wenig zufrieden sind.
Es ist nicht reißerisch, spannend oder laut erzählt, sondern im Gegenteil: ganz unaufgeregt beschränkt es sich auf alltägliche Situationen und es ist schön, die kleinen Entwicklungen der beiden zu verfolgen.
Dabei wachsen einem die beiden Protagonisten, aber auch Pauls liebevolle Familie, Kapitel für Kapitel mehr ans Herz.
Die Geschichte ist so warmherzig, geistreich und humorvoll erzählt, dass das Buch ein wahrer Wohlfühlroman ist. Auch wenn es kein Highlight für mich war, habe ich es sehr gerne gelesen und empfehle es allen ruhigeren Personen da draußen, die auch gerne mal aus der Norm fallen und keinen Nervenkitzel in ihrem Leben brauchen. ⭐️4/5⭐️

*Aus dem irischen Englisch übersetzt von Andrea O'Brien

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