Geht richtig unter die Haut
Aufgrund einer Rezension auf ABookshelf Full of Sunshine bin ich auf dieses Buch aufmerksam geworden und wusste dank der Inhaltsangabe sofort, dass ich es unbedingt lesen muss. Es hat mich tief bewegt ...
Aufgrund einer Rezension auf ABookshelf Full of Sunshine bin ich auf dieses Buch aufmerksam geworden und wusste dank der Inhaltsangabe sofort, dass ich es unbedingt lesen muss. Es hat mich tief bewegt und erschüttert, aber ich habe die Lektüre trotzdem nicht bereut.
Ein starkes Plus ist die Figur der Angie, die die gesamte Geschichte beinahe im Alleingang trägt. Ihre innere Zerrissenheit, die panische Angst davor anzuerkennen, was passiert ist und vor allem die Geheimnisse, die sie umgeben, werden so lebensnah und realistisch demonstriert, dass man regelrecht in die Ereignisse hineingezogen wird. Lange Zeit rätselt man mit ihr, was und warum sie alles vergessen beziehungsweise verdrängt hat und was die ominösen inneren Stimmen in ihr zu bedeuten haben. Mit viel Feingefühl führt einen die Autorin ganz nah und ohne Voyeurismus an die Psyche dieses Mädchens heran, sodass man bei so manchen Szenen eine regelrechte Gänsehaut bekommt. Man muss häufig schlucken, so sehr kann einen Angies Schicksal mitnehmen.
Doch auch das Verhalten von Freunden und Eltern sind meiner Meinung nach sehr nachvollziehbar und mit der nötigen Tiefe dargestellt, obwohl man sie lediglich aus der Sicht des Hauptcharakters miterlebt.
Der Schreibstil ist ebenso eindringlich wie flüssig zu verfolgen. Dank der umgangssprachlichen Wendungen und der kurzen Sätze ist man schnell mitten im Geschehen gefangen und erhält einen bewegenden Einblick in Angies Seelenleben. Doch das Besondere dabei ist, dass die einzelnen Kapitel den Leser mit unterschiedlichen Erzählperspektiven überraschen: Mal werden die Ereignisse aus der dritten, mal aus der ersten Person geschildert, dazwischen befinden sich Abschnitte in Du- und Wir-Form. Liz Coley gelingt dieser Wechsel, ohne zu verwirren oder der Handlung die Spannung zu nehmen, was mich sehr begeistert hat. Genau wie die Protagonistin kann man sich ab einem gewissen Punkt der Wahrheit nicht mehr entziehen, so grausam und schwer zu ertragen sie auch sein mag.
Das Einzige, was mich ein kleines Bisschen gestört hat, war, dass bestimmte Sachverhalte einfach ausgeklammert wurden, die in meinen Augen wichtig gewesen wären. Stattdessen werden sie nur angerissen und im Nachhinein kurz darüber gesprochen. Das war deswegen für mich so schade, weil es wahrscheinlich die Reaktionen der Familie viel plastischer gemacht hätte, hätte man in der Richtung ein paar aktive Szenen eingebaut.
Fazit
Scherbenmädchen von Liz Coley ist ein eindringlich geschriebenes Werk über ein sensibles Thema, das einem an die Nieren geht. Das Schicksal der Hauptfigur nimmt einen aufgrund der starken und facettenreichen Charakterisierung aller Personen unglaublich mit. Und der ungewöhnliche Schreibstil mit den wechselnden Erzählperspektiven trägt noch dazu bei, diese teils bedrückende, teils geheimnisvolle Atmosphäre zu erzeugen und aufrechtzuerhalten.
Lediglich den einen oder anderen Sachverhalt hätte man deutlicher darstellen beziehungsweise aktiver gestalten können.
Wer Jugendromane mag, die sich mit ernsten Problemen auseinandersetzen, Protagonisten bevorzugt, die durch eine unglaubliche Tiefe bestechen und sich gerne mal für eine sehr schwierig zu verarbeitende Handlung mehr Zeit zum Lesen lässt, für den ist dieser Roman genau das Richtige!