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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 09.10.2024

Beunruhigend

Tunnel
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TUNNEL
Grit Krüger
Sie haben nichts zu essen, und die Heizung ist defekt. Eine Reparatur kann Mascha sich schon lange nicht leisten. Also bauen sie sich in der Wohnung eine Höhle aus Decken und Kissen ...

TUNNEL
Grit Krüger
Sie haben nichts zu essen, und die Heizung ist defekt. Eine Reparatur kann Mascha sich schon lange nicht leisten. Also bauen sie sich in der Wohnung eine Höhle aus Decken und Kissen – dort ist es wenigstens warm.

Was Mascha wirklich bräuchte, ist Arbeit. Oder besser gesagt: 3000 Euro. Dann könnte sie die Heizung reparieren lassen und das Ferienlager für ihre Tochter Tinka bezahlen. Doch das Amt blockiert. „Sie müssen sich bewerben“, sagt die unfreundliche Frau mit monotoner Stimme.

Auch die 7-jährige Tinka hat ihre Sorgen: Sie hat Angst vor dem „Tröster“, der immer Mutter in ihrem „Schlafwohnzimmer“ besucht. Wenn er da ist, pinkelt sie lieber in ihren Legoeimer anstatt auf die Toilette zu gehen.. Außerdem braucht sie dringend neue Turnschuhe. Die alten drücken, doch sie traut sich nicht, ihrer Mama davon zu erzählen. Genauso wenig, wie sie noch immer das Geld für den Klassenausflug benötigt. Die Blicke der anderen Kinder treffen sie jedes Mal, wenn die Lehrerin vor allen wieder erwähnt, dass ihre Zahlung noch aussteht.

Alles könnte sich ändern, als Mascha ein Jobangebot als ungelernte Pflegekraft in einem Seniorenheim erhält. Ob das die Wende bringt, müsst ihr selbst herausfinden.

Ein ergreifendes Buch. Der ungewöhnliche, fast poetische Schreibstil bringt die prekäre Lage der kleinen Familie eindringlich zur Geltung. Die Geschichte wird aus den Perspektiven unterschiedlicher Personen erzählt – Menschen am Rande der Gesellschaft, mit ihren ganz eigenen Sorgen und Nöten.

Was mir weniger zusagte, war die Geschichte des Tunnels. Ich konnte diesen lediglich als Metapher deuten – ein Symbol dafür, dass Mascha und Tomsonov ihrem jetzigen Leben entfliehen wollen.

Fazit:
Ein gelungenes Debüt, das ich mit Interesse gelesen habe.
4/ 5

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Veröffentlicht am 30.09.2024

Erschreckend und gut

Endling
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ENDLING
Jasmin Schreiber

2041:
Seit dem großen Baumsterben im Jahr 2012 und den folgenden 33 verheerenden Waldbränden ist der Baumbestand auf 10 % reduziert.
Buchen, Rotkehlchen und viele weitere Baum- ...

ENDLING
Jasmin Schreiber

2041:
Seit dem großen Baumsterben im Jahr 2012 und den folgenden 33 verheerenden Waldbränden ist der Baumbestand auf 10 % reduziert.
Buchen, Rotkehlchen und viele weitere Baum- und Tierarten sind seit langem ausgestorben. Eine Pandemie jagt die nächste – Covid im Jahr 2020 war nur der Anfang. Skandinavische Länder sind nicht mehr Teil der EU, und Deutschland hat sich zu einem faschistischen Staat entwickelt, der die Rechte der Frauen massiv eingeschränkt hat.
Unsere Protagonistin, die Biologin Zoe, hat jedoch auch ihre ganz eigenen, privaten Probleme: Nach dem Tod ihres Vaters begann ihre Mutter zu trinken. Anfangs war sie eine funktionale Trinkerin, die ihre Arbeit noch erledigen konnte, doch zuletzt nahmen ihre Alkoholexzesse immer mehr Überhand. Seit Jahren war Zoe nicht mehr zu Hause gewesen und hatte ihre kleine Schwester Hannah, das Nesthäkchen der Familie, sowie ihre Mutter lieber nach München eingeladen, um das "Elend" besser steuern zu können.

Doch nun erreicht sie ein Hilferuf ihrer Mutter, die sie bittet, während ihres freiwilligen Aufenthalts in einer Reha-Einrichtung auf Hannah und die Tante aufzupassen. Zoe kehrt zum ersten Mal nach Berlin zurück und findet dort ihre Tante Auguste vor, die das Haus nicht mehr verlässt und panisch auf jeden Keim reagiert, während ihre Schwester offenbar ein Drogenproblem entwickelt hat.

Als schließlich auch noch die beste Freundin von Tante Auguste vermisst wird, begeben sich die drei Frauen auf einen Roadtrip der besonderen Art – ein Abenteuer, das alle Beteiligten an ihre Grenzen bringen wird.

Das Setting des Buches hat mir, trotz der schweren Themen, besonders gut gefallen. Es geht um Klimawandel, Artensterben, Alkoholmissbrauch, Patriarchat und psychische Probleme, die in der Geschichte unglaublich gut umgesetzt sind. Weniger gefallen hat mir der mythologische Teil der Geschichte. Ich hätte es schöner gefunden, wenn die Autorin in der realen Welt mit all ihren Umweltproblemen geblieben wäre.

Ab der Mitte hat mich das Buch, dank der sympathischen Protagonisten, völlig in seinen Bann gezogen. Der Plot war im Vergleich zum Rest der Geschichte eher simpel und wurde viel zu schnell aufgelöst. Dennoch ist es insgesamt ein gutes Buch, das ich gerne gelesen habe und das ich euch empfehlen möchte.
4/ 5

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Veröffentlicht am 24.09.2024

Gutes Buch!

Zwei Leben
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ZWEI LEBEN
Ewald Arenz

1971:

Die junge Roberta kehrt nach ihrer Ausbildung als Schneiderin zurück auf den elterlichen Hof im kleinen Dorf Salach. Eigentlich träumte sie davon, als Schneiderin zu arbeiten, ...

ZWEI LEBEN
Ewald Arenz

1971:

Die junge Roberta kehrt nach ihrer Ausbildung als Schneiderin zurück auf den elterlichen Hof im kleinen Dorf Salach. Eigentlich träumte sie davon, als Schneiderin zu arbeiten, doch in der Fabrik, wo täglich nur Kittel und immer gleiche Schnitte gefertigt wurden, konnte sie sich nicht weiterentwickeln. Zudem ist sie das einzige Kind ihrer Eltern und fühlt sich verpflichtet, den Hof eines Tages zu übernehmen. Dass sie überhaupt eine Lehre machen durfte, war schon ein großes Zugeständnis ihres Vaters.

Zurück auf dem Hof begegnet sie Wilhelm, dem Sohn des Pfarrers, wieder. Seit ihrer Kindheit sind sie befreundet, und gemeinsam mit Wolfgang haben sie viele Nachmittage verbracht. Doch irgendetwas hat sich verändert. Es knistert zwischen ihnen, und die Schmetterlinge in ihrem Bauch lassen sie nicht zur Ruhe kommen. Schließlich verlieben sich die beiden ineinander.

Gertrud, die Frau des Pfarrers, fühlt sich schon lange fremd im Dorf Salach. Ihr Sohn steht kurz vor dem Erwachsenenalter und wird nach seinem Zivildienst studieren. Ihr Mann hatte ihr damals versprochen, nur für ein paar Jahre die Pfarrei in dem kleinen Dorf zu leiten. Danach wollten sie in die Stadt ziehen, doch aus den Jahren wurde gefühlt ein ganzes Leben. Während er in seiner eigenen Welt lebt und das Dorf genießt, bleibt ihr Unglück unbemerkt. Als sie die Chance erhält, ihren Bruder auf einer zweimonatigen Tagungsreise durch Europa zu begleiten, nutzt sie die Gelegenheit, um dem Dorf endlich zu entfliehen.

Wie diese beiden Schicksale miteinander verwoben sind und wie es weitergeht, müsst ihr allerdings selbst herausfinden.

Alle Bücher von Ewald Arenz kenne ich, und „Alte Sorten“ war für mich ein absolutes Highlight. Als ich hörte, dass auch dieses Buch wieder einen Hof als Schauplatz hat, war ich völlig begeistert. Dann wurde es mir sogar als sein bestes Werk angekündigt, und meine Erwartungen waren entsprechend hoch – vielleicht zu hoch. Denn die ersten zwei Drittel plätscherten für mich nur so dahin. Die Naturbeschreibungen sind zwar wunderschön und authentisch, aber nichts wirklich Neues. Erst das letzte Drittel konnte mich richtig fesseln. Es war so berührend, tiefgründig und intensiv, dass ich das Buch (und die Taschentücher) nicht mehr aus der Hand legen konnte.

Zusammenfassend würde ich sagen, dass es ein gutes Buch ist. Das Ende hat mich versöhnt, der Schreibstil ist – wie immer bei Arenz – authentisch und lebendig. Er schafft es, einem das Gefühl zu geben, einen langen, heißen Sommer inmitten der schönsten Natur erlebt zu haben. Außerdem gab es kleine Flashbacks, die mich daran erinnerten, dass die Zeit vergeht. Wer von euch erinnert sich noch an die alte Ariel-Trommel, in der man früher Dinge aufbewahrte?
4-/ 5

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Veröffentlicht am 20.09.2024

Gut

Tabu
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TABU
Ferdinand von Schirach
In "Tabu" nimmt Ferdinand von Schirach die Leser auf eine Reise in die tiefen Bereiche der menschlichen Psyche und Gesellschaft. Das Buch erzählt die Geschichte von Sebastian ...

TABU
Ferdinand von Schirach
In "Tabu" nimmt Ferdinand von Schirach die Leser auf eine Reise in die tiefen Bereiche der menschlichen Psyche und Gesellschaft. Das Buch erzählt die Geschichte von Sebastian von Eschburg, einem Künstler und Außenseiter, der in seiner Kindheit ein traumatisches Erlebnis durchmacht. Seitdem sieht er die Welt anders als die meisten Menschen.

Sebastian wird in einer kalten und einsamen aristokratischen Familie geboren. Schon früh verliert er den Kontakt zu traditionellen Werten und entwickelt eine abstrakte Sicht auf die Welt. Er wird Künstler und widmet sein Leben der Frage nach Wahrheit und der Bedeutung von Bildern. Doch plötzlich wird er eines Mordes verdächtigt und gerät in die Fänge der Justiz.

Hier kommt der erfahrene Anwalt Konrad Biegler ins Spiel. Er kämpft nicht nur um Sebastians Freiheit, sondern auch gegen ein Rechtssystem, das auf festen Überzeugungen und gesellschaftlichen Regeln basiert.

Von Schirachs Sprache ist knapp, kühl und distanziert, was gut zum Thema des Romans passt. Mit wenigen Worten schafft er starke Bilder und lässt die Leser in die Gedanken der Figuren eintauchen. Das Thema der Wahrnehmung und Wahrheit durchzieht das ganze Buch. Als Strafverteidiger bringt von Schirach dem Justizteil des Romans eine besondere Authentizität.

"Tabu" stellt Fragen zur Realität, Wahrnehmung und Kunst. Es regt zum Nachdenken über unser Rechtssystem und die menschliche Natur an.

Fazit:
Ein spannender und nachdenklicher Roman, ideal für Leser, die philosophische Justizromane schätzen.
4/5

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Veröffentlicht am 06.09.2024

Tiefgreifender gesellschaftsroman

Das erste Licht des Sommers
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Das erste Licht des Sommers
Daniela Raimondi

Raimondi erzählt auf vielschichtige Weise die Geschichte einer Familie über drei Generationen hinweg.

Im Zentrum der Handlung stehen Norma und ihre Familie.

Im ...

Das erste Licht des Sommers
Daniela Raimondi

Raimondi erzählt auf vielschichtige Weise die Geschichte einer Familie über drei Generationen hinweg.

Im Zentrum der Handlung stehen Norma und ihre Familie.

Im ersten Teil der Geschichte wird Normas Kindheit in den 1950er Jahren in der ländlichen Provinz Italiens beschrieben. Sie verbringt viel Zeit mit ihrer Cousine Donata und lernt ihren Jugendfreund Elia kennen, den sie jedoch später aus den Augen verliert. Der zweite Teil wechselt zu Normas und Elias Erwachsenenleben in London. Der Stil wird hier lebendiger, wodurch die Beziehung der beiden intensiver und greifbarer wirkt. Im letzten Teil kehren Norma und die Handlung nach Italien zurück, um sich den Ursprüngen der Familie in Stellata zu widmen.

Die Geschichte rückt neben der Liebesgeschichte mit Elia vor allem die Frauen und ihre Kämpfe in den Mittelpunkt – Mütter und Töchter, die versuchen, ihren eigenen Weg zu finden. Diese Konflikte sind besonders bei Norma, ihrer Mutter Elsa, aber auch bei anderen Frauen der Familie, wie der Großmutter Neve oder der Cousine Maria Luz, präsent und prägen das Generationenporträt entscheidend.

Normas Lebensweg, der sich über fast sieben Jahrzehnte erstreckt, wird mit viel Feingefühl erzählt. Besonders die Beziehung zu ihrer emotional distanzierten Mutter Elsa wird eindrucksvoll geschildert. Trotz der Kälte, die Elsa ihrer Tochter entgegenbringt, begleitet Norma sie bis zu ihrem Tod – eine bewegende Darstellung von Liebe und Pflichtgefühl.

Die Autorin verknüpft geschickt die persönlichen Erlebnisse der Figuren mit den politischen und historischen Entwicklungen sowie den Zwängen, denen italienische Frauen in dieser Zeit ausgesetzt waren.

Obwohl ich Raimondis Vorgänger "An den Ufern von Stellata" gelesen und gemocht habe, fiel es mir anfangs schwer, in das Buch hineinzufinden. Zudem erschien mir die Handlung stellenweise überladen. Doch nachdem ich mich eingelesen hatte, fesselte mich die besondere Liebesgeschichte zwischen Norma und Elia mit ihren Schilderungen in London und Brasilien.

Trotz dieser kleinen Kritikpunkte habe ich das Buch gerne gelesen und möchte es euch als einen tiefgehenden Gesellschaftsroman empfehlen.

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