Selbstbewusst, mutig, radikal
Zusammenkunft“Es ist eine Geschichte. Sie handelt von Herausforderungen. Von harter Arbeit. Sich am Riemen reißen. Hochgerollten Hemdsärmeln. Sie handelt davon, wie man sich zwingt. Hoch. Bewältigung. Überwindung, ...
“Es ist eine Geschichte. Sie handelt von Herausforderungen. Von harter Arbeit. Sich am Riemen reißen. Hochgerollten Hemdsärmeln. Sie handelt davon, wie man sich zwingt. Hoch. Bewältigung. Überwindung, et cetera.”
So beginnt dieser auf den ersten Blick unscheinbar dünne Roman “Zusammenkunft” von Natasha Brown. Doch schon nach den ersten Seiten wird klar, dass er alles andere als unscheinbar ist, dass er ganz im Gegenteil politisch und radikal ist, Gesellschaftskritik übt und dass er sich mit Themen wie sozialem Aufstieg, institutionalisiertem und alltäglichem Rassismus sowie Kolonialismus auseinandersetzt.
Die Protagonistin lebt als Tochter von jamaikanischen Einwanderern in London, arbeitet im Finanzsektor, hat sich bis zum Besitz eines gregorianischen Townhouses mit Kunst an den Wänden hochgearbeitet, zu einer privaten Krankenversicherung und einem Vermögensberater. Doch das ist nur die eine Seite ihres Lebens, der schöne Schein. Denn gleichzeitig sind da die Abendessen mit den Kollegen, die Aufdringlichkeiten und Annäherungsversuche, die Erniedrigungen, der ständige Kampf oben zu bleiben, nicht abzustürzen und die Angst, nicht wirklich oben anzukommen und diejenigen, zu denen sie dazugehören muss, nicht richtig nachahmen zu können.
Dann ist da noch der Freund der Protagonistin, der aus reichem Hause kommt und in der Politik arbeitet. Seine liberalen Eltern tolerieren sie, geben ihr aber gleichzeitig zu verstehen, dass sie sie nur als eine Phase des Sohnes betrachten, als einen Übergang. Denn eine Heirat würde den guten Namen und das Stammbuch der Familie beschmutzen: “Es ging um die Reinheit der Abstammung, der Geschichte; geteilter kultureller Sitten und Empfindungen. Die Fortführung eines Lebensstils, einer Klasse, des notwendigen höheren gesellschaftlichen Rangs.” Die Durchlässigkeit der Klassen, der soziale Aufstieg durch harte Arbeit: das alles entlarvt Brown als Farce.
An die Stelle dieses Narrativs von Aufstieg und Erfolg durch Arbeit rückt Brown die Angst vor dem Abstieg, die allgegenwärtig ist, die Fragilität, die Kompromisse und die Fiktionalisierung des Ichs. Denn dass die Protagonistin eine Rolle spielt, kommt immer wieder zum Ausdruck. Sie muss sich einen Habitus aneignen, der nicht der ihrige ist, wird zu einer Parodie ihrer selbst: “Hier geboren, Eltern hier geboren, immer hier gelebt - trotzdem, nie von hier. Ihre Kultur wird auf meinem Körper zur Parodie”. Sie “spaltet sich ab”, um dazuzugehören, verzichtet auf ihr Glück, um das, was noch ihren Eltern und Großeltern verwehrt wurden, erreichen zu können, nämlich ein Stück oberen Mittelklassekomforts.
Natasha Brown reduziert ihren Roman auf das Wichtigste, auf den Kern und verzichtet auf Ausschweifungen. Ihre Worte treffen dabei ins Mark. Auf den ersten Blick mag der Erzählstil mit seinen kurzen Sätzen und Abschnitten fragmentarisch anmuten, doch die Zusammenhänge sind allzu klar, als dass man sie nicht erkennen würde. “Zusammenkunft” ist ein wütendes Buch und ein lautes, weil es kein Blatt vor den Mund nimmt, weil es sich nicht scheut, das zu sagen, was gesagt werden muss. Weil es von der Ausbeutung der kolonialisierten Länder spricht, die bis heute andauert, von einer Gesellschaft, die sich sträubt, die Verbrechen des Kolonialismus überhaupt anzuerkennen und stattdessen ein märchenhaftes, wohlwollendes Empire verherrlicht.
Zu Recht hat dieser Roman im englischsprachigen Raum für Furore gesorgt. Denn er spricht über das, was oft ungesagt bleibt, hält der (britischen) Gesellschaft einen Spiegel vor und ist deshalb eine Bereicherung für die Gegenwartsliteratur.