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Venatrix

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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 24.09.2024

Harte Kost, aber eine unbedingte Leseempfehlung

All die gestohlenen Erinnerungen
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Die (fiktive) Französin Irène Martin lebt schon über zwanzig Jahre in Hessen und arbeitet beinahe ebenso lange in den (realen) Arolsen Archives, die als International Tracing Service (ITS) kurz nach Ende ...

Die (fiktive) Französin Irène Martin lebt schon über zwanzig Jahre in Hessen und arbeitet beinahe ebenso lange in den (realen) Arolsen Archives, die als International Tracing Service (ITS) kurz nach Ende des Zweiten Weltkrieges gegründet worden ist, um jenen Menschen, die der NS-Terror verschleppt und ermordet hat, zu gedenken bzw. Überlebenden Auskunft über das Schicksale von deren Verwandte zu geben. Auch Daten zu den Millionen Displaced Persons, die nach dem Krieg in Europa herumirrten, sind hier dokumentiert. Spät, aber doch, gelingt es den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Licht ins Dunkel der Geschichte zu bringen und manchmal können auch Gegenstände dieser Personen, die im Archiv aufbewahrt werden, an Hinterbliebene zurückgegeben werden.

Ein solcher Gegenstand, um den es in diesem historischen Roman geht, ist ein abgeliebter Pierrot, der, wie ein Medaillon, Irène bei ihren Recherchen unter anderem bis nach Polen führt. Auf der Suche nach dem früheren Besitzer der Stoffpuppe begegnet sie in den Datenbanken nicht nur Opfern der Shoa, sondern auch Tätern. Dabei muss sie feststellen, dass auch der frühere Leiter des Archivs seinen Anteil an den dunklen Jahren der deutschen Geschichte hat.

Wenn nun Hinterbliebene ausfindig gemacht worden sind, oder jene von sich aus die Archive kontaktieren, ist genau abzuwägen, wie ihnen die Ergebnisse der Nachforschungen präsentiert werden sollen.

Meine Meinung:

Sehr einfühlsam und dabei doch eindrücklich beschreibt Gaëlle Nohant die Arbeit in den Archiven. Für die Menschen wie die fiktive Irène Martin, die dort arbeiten und forschen, ist dies nicht nur Beruf sondern Berufung, denn er gehört schon sehr viel Mut und Liebe dazu, sich mit den Schicksalen jener Menschen, die der Moloch der Nazis verschluckt hat,zu beschäftigen. Genau wie Irène habe ich mich zunächst gewundert, dass einige Datenbanken streng geheim und nicht für die Öffentlichkeit zugänglich sind. Als dann die Rolle des früheren Direktors bekannt wird, ist alles klar.

Auf die Frage, warum und wie sie sich auf ihrer Suche den vermissten Personen nähert, antwortet Irène:

„Der Instinkt und die Geduld. Ich verbringe wahnsinnig viel Zeit damit, an die Menschen zu denken, die ich suche.
Tag und Nacht. während ich laufe, beim Autofahren. Mein Sohn wirft mir das oft genug vor. Immer sind meine Ermittlungen in einer meiner Gehirnwindungen präsent. Ich folge meinen Intuitionen, ich überprüfe sie, um herauszufinden, ob sie standhalten. Ich versuche die Spuren miteinander zu verbinden, und die meiste Zeit ist das ziemlich beschwerlich. Und dann spüre ich unvermittelt, dass ich eine heiße Spur habe. Das ist dann ein ganz besonderes Brennen.“

Und genau dieses Brennen, das Irène spürt, kann man auch beim Lesen erleben. Dieser historische Roman liest sich fesselnd, auch wenn die eine oder andere Schilderung von den Gräueln der NS-Schergen schwer zu verkraften ist. Obwohl ich schon mehrere Meter Bücher zu diesem Thema gelesen habe, erfahre ich doch wieder etwas Neues.

Die Erzählweise, jedes Kapitel ist mit wiederkehrenden Namen wie Eva, Wita, Elsie, Teodor, Lazar, Myriam oder Allegra überschrieben, finde ich sehr interessant. Für mich ist jedes Kapitel ein Puzzleteil, das sich ausführlich mit jener Person des Namens beschäftigt. Zusammengesetzt ergeben diese Mosaiksteinchen ein Gesamtbild.

Kaum ist eine Frage halbwegs beantwortet, tauchen aus diesen Antworten neue Fragen auf. Wie ein Spinnennetz ergeben sich neue Spuren, die nicht immer zum Ziel führen, sondern auch in diverse Sackgassen oder zunächst unbedeutenden Nebenschauplätzen enden. Hier den Überblick zu bewahren, ist die große Kunst der Mitarbeiter des Arolsen Archives. Eine Schwierigkeit bei dieser Arbeit ist es auch, die noch vorhandenen Quellen richtig in den historischen Kontext einzuordnen. Denn, als klar wird, dass der Krieg verloren ist, wird ja angeordnet, so viele Dokumenten wie möglich, zu vernichten, um keine Beweise über ihre Gräueltaten den Siegermächten zu überlassen. Außerdem habe sich zahlreiche Nazis geschickt ihre eigenen Legenden gebastelt, um nicht zur Rechenschaft gezogen zu werden.

Ein besonders abstoßendes Kapitel in der ohnehin schon grausamen Geschichte des NS-Staates, bildet die Entführung von blonden, blauäugigen - also arisch aussehenden - Kindern aus den annektierten Gebieten, um sie in Familien überzeugter Nazis aufwachsen zu lassen. Dieses Kapitel der deutschen Geschichte ist noch nicht zur Gänze erforscht. Wie viele von diesen zwangsadoptierten Kindern, die vor allem aus Polen stammen, ist bis heute nicht genau bekannt, da man hier alle Spuren ziemlich gut verwischt hat.

Der interessierte Leser kann hier durchaus Parallelen zu den aktuellen Entwicklungen in der Ukraine entdecken.

Fazit:

Mit diesem eindrucksvollen historischen Roman hat Gaëlle Nohant die akribische Arbeit der Arolsen Archives vor den Vorhang geholt. Gerne gebe ich diesem Buch eine Leseempfehlung und 5 Sterne!

Veröffentlicht am 23.09.2024

Eine gelungene Fortsetzung

Die rauen Nächte von Graz
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Charlotte hat gemeinsam mit den Kindern Armin Trost endgültig verlassen. Nur Zeus, der Berner Sennenhund ist bei ihm, als er bei einem Spaziergang beobachtet, wie ein Bündel aus einem weißen Lieferwagen ...

Charlotte hat gemeinsam mit den Kindern Armin Trost endgültig verlassen. Nur Zeus, der Berner Sennenhund ist bei ihm, als er bei einem Spaziergang beobachtet, wie ein Bündel aus einem weißen Lieferwagen geworfen wird. Als er Nachschau hält, entdeckt er eine schwer verletzte unbekannte Frau, die wenig später im Krankenhaus stirbt. Beinahe gleichzeitig verschwindet die junge Freundin von Balthasar Gierack, seinem ehemaligen Vorgesetzten und aktuellen Todfeind. Blöderweise ist sie noch dazu die Tochter eines hochrangigen Politikers. Daher erteilt man höheren Ortes, entgegen Gieracks Willen, dem Einzelgänger Trost den Auftrag, den Mörder bzw. die Vermisste zu finden. Das ehemalige Team von Armin Trost ist auch nicht untätig und ermittelt unter anderer Leitung und größter Geheimhaltung ebenfalls. Das führt dazu, dass man in Trosts Wohnung eine Kommandozentrale einrichtet und alle Ermittler, Trost inklusive, verkabelt sind und Decknamen haben. So wird Trost zum „Schwarzen Mandl“ und Anne Lemberg zur Schöcklhex.

Als dann noch eine junge Frau verschwindet, sieht Armin auch seine Nachbarin, die Schauspielerin Eva Schön, in Gefahr. und flugs dichtet im Gierack ein Gspusi mit der Schauspielerin an.

Es wäre kein Krimi von Robert Preis, wenn sich nicht auf den letzten Seiten die mystische Stimmung in einem gewaltigen Showdown entladen würde.

Meine Meinung:

Ich kenne ja Armin Trost schon seit seinem ersten Fall und beobachte gespannt seine Entwicklung. Obwohl er immer wieder durch riskante Alleingänge sein Leben und seine Gesundheit gefährdet, schafft er eine nahezu 100% Ausklärungsquote, was ihm den Hass und Neid von Balthasar Gierack, einträgt. Dabei schmückt er sich dann gerne mit Trosts Erfolgen. Während Gierack ein geschniegelter Schreibtischtäter ist und seine italienischen Schuhe nicht schmutzig machen will, legt Trost keinen Wert auf irgendwelchen Komfort. Und auch die Beweihräucherung durch Politiker oder Medien sind Trost zuwider. Das Rampenlicht überlässt er gerne Gierack. Bezeichnend für Gieracks Charakter ist, dass er Trost ein Gspusi mit der Nachbarin andichtet, ohne auch nur einen realen Beweis zu haben. Er manipuliert damit Anne Lemberg, die nach wie vor Gefühle für Trost hegt. Gierack selbst ist natürlich Ehemann und Vater, kann aber die Finger von ziemlich jungen Frauen nicht lassen. Ob ihm demnächst endlich einmal einer auf die Finger klopft?

Für alle jene, die erst jetzt in die Reihe einsteigen, ist vieles nicht ganz klar. Es ist für das Verständnis von Armin Trosts Charakter bzw. seine oft eigenartig anmutenden Handlungen hilfreich, die Vorgängerbände zu kennen. Unbedarfte Leser könnten sonst den Eindruck haben, Trost stolpere nur durch seine Ermittlungen.

Robert Preis schafft es immer wieder, tief in die Abgründe der menschlichen Seele einzutauchen. Dabei nimmt er auch Anleihen bei steirischen Sagen und Mythen. Diesmal spielen die Raunächte, also jene Zeit zwischen 21. Dezember und 6. Jänner, und die Wilde Jagd eine große Rolle.

Fazit:

Gerne gebe ich diesem durchaus spannenden 9. Fall für Armin Trost 5 Sterne.

Veröffentlicht am 23.09.2024

Herrlich skurriler Krimi aus der Schweiz

Frau Morgenstern und das Vermächtnis
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Violetta Morgenstern, die pensionierte Lehrerin und ehemalige Auftragsmörderin im Namen des Schweizer Staates genießt seit acht Monaten ihren Ruhestand gemeinsam mit Maurice von Brandenberg auf der Insel ...

Violetta Morgenstern, die pensionierte Lehrerin und ehemalige Auftragsmörderin im Namen des Schweizer Staates genießt seit acht Monaten ihren Ruhestand gemeinsam mit Maurice von Brandenberg auf der Insel Gozo. Doch mit der Ruhe ist es augenblicklich vorbei, als Morgensterns ehemaliger Chef Meier auftaucht und ihr im Namen des Killerministeriums „Tell“ einen allerletzten (?) Auftrag erteilt: Sie soll ihren Ex-Kollegen, Miguel Schlunegger, der ohne offiziellen Auftrag und ersichtlichen Grund den Bodyguard eines Rappers umgebracht hat, und nun im Gefängnis sitzt und eisern schweigt, zum Reden bringen. Denn mit Angestellten, die fremde Aufträge annehmen und die auch noch vermasseln, geht das Ministerium nicht zimperlich um - sie werden eliminiert, egal welche Verdienste sie sich vorher erworben haben.

Also vertauscht Violetta das Haus auf der sonnigen Insel Gozo mit der alten Heimat und versucht Schluneggers Leben zu retten.

Meine Meinung:

Dieser Krimi aus dem Grafit-Verlag ist der 6. aus der Reihe um die pensionierte Lehrerin und Auftragsmörderin Violetta Morgenstern. Für mich ist es der erste Krimi von Marcel Huwyler.

Dieser Krimi ist bissig und glänzt mit schwarzem Humor. Die acht so korrekte Schweiz betreibt ein Killer-Ministerium? Was für eine grandiose Idee! Aber wer weiß, was hinter den verschlossenen Türen der Eidgenossen so alles abläuft.

Die Charaktere sind herrlich schräg, unkonventionell und unkorrekt. Schmunzeln muss ich über Violetta Morgenstern, die stets mit einer riesigen roten Tasche unterwegs ist, in der alles für Notfälle verstaut ist, eine Sammlung von speziellen Giften inklusive. Trotz ihres Pensionsalters ist sie mehr als tough. Nur mit ihren Hörgeräten hadert sie, zumal sie jedem auffallen. Lachen musste ich über ihre Rache an dem Fischverkäufer, den sie mit Baldrian einsprüht, weil er eine streunende Katze mit Fußtritten verjagt hat. Der geneigte Leser kann sich vorstellen, was darauf passiert ist.

Herrlich auch Violettas Tarnnamen, die sie der Schweizer Schi-Nationalmannschaft der 1980er und 1990er entlehnt: Erika Hess, Vreni Schneider etc..

Nach der Lektüre stellt sich nun die Frage, warum ich diesen Autor nicht schon längst beachtet habe, denn seine unkonventionellen Charaktere sind nicht nur eigenwillig und sarkastisch sondern liebenswert. Gepaart mit hoher Erzählkunst ist dieser Krimi ein wahrer Lesegenuss. Jetzt muss ich mir die fünf Vorgänger besorgen! Denn dieses Lesevergnügen möchte ich mir nicht länger entgehen lassen.

Fazit:

Diesem herrlich schwarzhumorigen Krimi, der mich bestens unterhalten hat, gebe ich sehr gerne 5 Stern und eine Leseempfehlung.

Veröffentlicht am 22.09.2024

Schwere Kost

»Unser Schwert ist Liebe«
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Jin, Jiyan, Azadi - Frau, Leben, Freiheit

Der Titel dieses Buches, dessen Inhalt kaum zu ertragen ist, stammt aus dem Lied des iranische Rappers Toomaj Salehi. Der Untertitel „Die feministische Revolte ...

Jin, Jiyan, Azadi - Frau, Leben, Freiheit

Der Titel dieses Buches, dessen Inhalt kaum zu ertragen ist, stammt aus dem Lied des iranische Rappers Toomaj Salehi. Der Untertitel „Die feministische Revolte im Iran“ verrät, wie sich die nun heranwachsende Generation von Mädchen und Frauen nicht mehr stillschweigend dem Terror der Religionspolizei beugen will, koste es, was es wolle - und wenn es das eigene Leben ist. Gilda Sahebi beleuchtet die vielfältigen Aspekte der Proteste im Iran und zeigt, wie tiefgreifend diese sind.

Die Autorin Gilda Sahebi ist selbst Kurdin, im Iran geboren und lebt seit ihrer Kindheit in Deutschland, nachdem ihre Familie vor der Verfolgung durch die Mullah fliehen musste.

In ihrem Buch gibt die Autorin allen jenen eine Stimme, die durch das Regime verfolgt, gefoltert und ermordet worden sind. Auslöser dieses Buch zu schreiben war unter anderem, die Ermordung von Jina Mahsa Amini im Jahr 2022 durch die Behörden. Die junge Frau hat angeblich ihren Schleier nicht vorschriftsmäßig getragen.

Es braucht keinen wirklich Grund, Frauen im Iran zu verhaften und in überfüllten Gefängnissen verschwinden zu lassen. Es braucht auch keinen wirklichen Grund, um Kinder und Jugendliche beiderlei Geschlechts zu verhaften und hinrichten zu lassen oder sie einfach auf der Straße nieder zu schießen. Sie könnten ja subversive Gedanken haben.

Gilda Sahebi zitiert mehrmals Shirin Ebadi, die in ihrem Buch „Mein Iran“ erzählt, wie sie und MIllionen anderer Frauen plötzlich in einer dystopischen Welt erwacht sind, die sie 1400 Jahre nach hinten gebeamt haben. Frauen sind ihrer Rechte beraubt worden, zählen nur die Hälfte und sind aus der Öffentlichkeit verdrängt worden.

Eine besonders krasse Aussage eines Mullahs zu Frauen ist auf (eBook) Seite 102 zu lesen. Hier behauptet der Geistliche Sadeq Shirazi:

„Gott habe drei Arten von Tieren erschaffen. Zum einen Tiere, die dazu da seien, Menschen zu transportieren wie Pferde oder Kamele. Zum zweiten Tiere, die erschaffen wurden, Menschen zu ernähren wie Schafe, Ziegen und Kühe. Die dritte Art von Tieren seien die Frauen. Wie Schafe, Ziegen und Kühe seien sie geschaffen worden, damit Männer sie benutzen könnten. Sie sind also auch nur ganz gewöhnliche „Nutztiere“ zur Befriedigung des Mannes. Gott habe diesen Tieren das Aussehen von Frauen gegeben, damit Männer keine Angst vor ihnen haben müssten.“

Trotz des hoch emotionales Themas, das bei Leserinnen und Lesern Tränen der Wur aufsteigen lässt, bemüht sich die Autorin um sachliche Berichterstattung. Das mag manchmal etwas distanziert wirken, ist aber für Gilda Sahebi selbst überlebenswichtig.

Manche Ereignisse werden von mehreren Seiten erzählt. Diese Wiederholungen mögen vielleicht den Lesefluss stören, zeigen aber, wie gut vernetzt die Regimekritiker trotz aller Repressionen und Terrors sind.

Das Buch ist sehr gut strukturiert und liefert gleich nach jedem Kapitel die Quellen angaben dazu. Trauriger Abschluss bildet die unvollständige Liste der Namen von rund 500 vom Regime getöteten Menschen aller Altersstufen.

Fazit:

Diesem Buch, das den mutigen Frauen (und Männern) im Iran, die gegen das Frauen verachtende Regime protestieren und dabei nicht selten ihr Leben opfern, gebe ich eine Leseempfehlung und 5 Sterne.

Veröffentlicht am 17.09.2024

Penibel recherchiert und fesselnd erzählt

Captain Nelson – Unter der Flagge des Königs
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Mac P. Lorne widmet sich in seinem Zweiteiler rund um Horatio Nelson dem Leben und Aufstieg des wohl bekanntesten Seehelden des Napoleonischen Zeitalters.

Zunächst begleiten wir Horatio, den jüngeren ...

Mac P. Lorne widmet sich in seinem Zweiteiler rund um Horatio Nelson dem Leben und Aufstieg des wohl bekanntesten Seehelden des Napoleonischen Zeitalters.

Zunächst begleiten wir Horatio, den jüngeren Sohn eines anglikanischen Pfarrers, der kein Erbe zu erwarten hat, auf seinen Weg zu den Kleinen Antillen, damals in englischem Besitz, wo er den sogenannten Navigation Act, also jenes Gesetzeskonvolut, das unter anderem den Handel zwischen England und den Kolonien regelt, zu überwachen hat. Denn derzeit umgehen zahlreiche vorwiegend amerikanische Schmuggler die Vorschriften. So entgehen dem Mutterland jede Menge Steuern und Zölle. Nutznießer des Schmuggels sind auch die britischen Statthalter auf den diversen Inseln, die ein komfortables Leben führen und natürlich ihre Privilegien nicht aufgeben wollen. Und genau mit diesen Statthaltern und Teilen der Bevölkerung, die vom Schmuggel profitieren, legt sich der junge Nelson an, denn er hält sich strikt an seine Befehle. Während die beschlagnahmten Schiffe der britischen Flotte einverleibt werden, gehört ein Anteil an der Schmuggelware ihm und seiner Mannschaft. Diese Vorgabe der britischen Krone soll die Kosten für eine stehende Flotte gering halten, denn die Kapitäne werden auf Halbsold gesetzt, wenn sie kein Kommando über ein Schiff führen.

So ist es nicht ganz verwunderlich, dass Horation Nelson jede unverheiratete oder verwitwete Frau nach ihrem zu erwartenden Vermögen taxiert. Dabei stellt er sich nicht unbedingt geschickt an und so muss er nach der Hochzeit mit Frances „Fanny“ Nisbet, einer Witwe, entdecken, dass weder die Mitgift noch die monatliche Rente seinen Erwartungen entspricht. Das Paar kehrt nach England zurück und muss sich fünf Jahre einschränken.

Erst 1793 als Frankreich England den Krieg erklärt und es gilt, die französische Flotte im Mittelmeer zu besiegen, erhält Horatio Nelson sein Kommando zurück. Die Belagerung von Toulon beschert ihm einen Todfeind: Napoleon Bonaparte und ein Aufenthalt in Neapel, eine neue Liebe, Emma Hamilton, die blöderweise mit dem britischen Botschafter verheiratet ist.

Wobei die nächsten vier Jahre hat Nelson nicht allzu viel Zeit für Liebschaften, denn er hat einige Seegefechte zu bestehen, bei denen er auch verwundet wird.

Meine Meinung:

Wie Autor Mac P. Lorne in seinem Nachwort erzählt, gibt es zwar einige historische Romane rund die Royal Navy während der Napoleonischen Kriege, doch keinen, der sich eingehend mit Horatio Nelson beschäftigt. Das hat er bei seinen Recherchen zu seinem anderen Roman „Jack Bannister“ entdeckt. Was lag daher näher, als einen eigenen historischen Roman über den Seehelden zu schreiben, der in der Seechlacht vor Kap Trafalgar 1805 seinen Tod findet? Aber, soweit sind wir ja noch nicht.

Dieser erste Teil widmet sich dem Aufstieg, der auf Grund Nelsons geradlinigem Charakter nicht ganz friktionsfrei verläuft. Kein Vorgesetzter, im Zivilleben und schon gar nicht beim Militär, kann es akzeptieren, wenn seinen Anordnungen nicht Folge geleistet wird. Mehrmals steht er knapp vor einem Verfahren wegen Insubordination dem Kriegsgericht. So auch 1797 vor Kap St. Vincent als er eine günstige Gelegenheit wittert, sich über alle Befehle hinwegsetzt und die spanische Flotte zerstört. Dass er die Schlacht gewinnt, rettet Nelson vor dem Kriegsgericht, bringt ihm aber, eine Menge Feinde ein wie auf S. 361 zu lesen ist. Denn nicht alle Kapitäne der Flotte stehen auf seiner Seite, wie Admiral John Jervis:.

„Mag sein, Mr. Calder. Der Unterschied ist nur: Admiral John Byung hat die Schlacht verloren, wir sie gewonnen. Eine unvorschriftsmäßige Abweichung von der vorgeschriebenen Angriffsmethode waren Commodore Nelsons Handlungen gewiss. Doch wenn Ihr jemals auf diese Weise gegen Eure Befehle verstoßen solltet, könnt Ihr sicher sein, dass ich Euch ebenfalls vergeben werde.“

Einige Handlungen von Nelson muss man im dem historischen Kontext sehen. In den Familien mit mehreren Söhnen erbt nur der Älteste, die anderen müssen schauen wo sie bleiben. Bei Nelson kommt noch dazu, dass sein Vater nur anglikanischer Pfarrer ist und über wenig Vermögen verfügt. Daher beleibt ihm nur wenig übrig, als reich zu heiraten, was auch nicht ganz so einfach ist, denn die Klassen blieben unter sich. Als er sich in die hübsche Witwe Fanny Nesbit verliebt, glaubt er das große Los gezogen zu haben, denn ihr Onkel ist ein reicher und gewiefter Kaufmann. Doch der hält sein Vermögen zusammen und düpiert Nelson mit der bescheidenen Mitgift und kargen Rente. Viel schwerer wiegt, dass Fanny ihm verschwiegen hat, dass sie nach der Geburt ihres Sohnes aus erster Ehe, keine Kinder mehr bekommen kann. Das wäre sogar nach katholischem Recht ein Grund die Ehe annullieren zu lassen. Dass er das nicht tut, ist vermutlich seinem strengen Ehrgefühl geschuldet.

Sehr gut sind seine Führungsqualitäten herausgearbeitet. Dort, wo üblicherweise die Peitsche regiert, setzt er auf den Ehrgeiz der Männer. Bei Exerzieren schenkt er seinen Männern nichts, denn jeder Handgriff muss einfach sitzen. Die Mannschaft muss sich blind aufeinander verlassen können. Nelson macht genau dasselbe, wie Napoleon aus den verwahrlosten Truppen seiner Italienarmee oder auch Arthur Wellington aus deinen Bataillonen.

Der Schreibstil ist lebendig und die Schlachtszenen sind nicht voyeuristisch beschrieben. Die langjährige Recherche beschert uns authentische Seegefechte.

Fazit:

Ich freue mich schon auf den zweiten Teil, auch wenn ich weiß, wie Horatio Nelsons Leben endet. Dem ersten Teil gebe ich 5 Sterne und eine Leseempfehlung.