So ehrlich
Sie sind 19 Jahre zusammen - die Erzählerin, Schriftstellerin und Fußpflegerin und der gefeierte Schweizer Schriftsteller Tosch. Vielleicht wären es auch mehr Jahre geworden, wäre die Erzählerin nicht ...
Sie sind 19 Jahre zusammen - die Erzählerin, Schriftstellerin und Fußpflegerin und der gefeierte Schweizer Schriftsteller Tosch. Vielleicht wären es auch mehr Jahre geworden, wäre die Erzählerin nicht alt und Tosch nicht krank geworden - so mutmaßt sie bereits auf den ersten Seiten.
“Ich hatte bis fast zum Schluss das Gefühl, wir hätten uns gerade erst kennengelernt, würden aber bald, in naher Zukunft, zum Kern vordringen.” (S. 5)
Diese Neugier den Anderen in seiner Ganzheit zu erfassen schwingt auf jeder Seite mit. Von Anfang an muten Tosch und die Erzählerin sich einander zu. Die anfängliche Phase des Kennenlernens, in der man oft noch versucht dem/der Anderen gegenüber ein Trugbild gegenüber aufrechtzuerhalten, scheint bei ihnen wegzufallen.
“Wann immer es möglich war, verabredeten wir uns im Joseph Pub und hörten nicht mehr auf, Geständnisse abzulegen, uns nichts zu ersparen, uns keine Lügen aufzutischen, uns einander auf Gedeih und Verderb zuzumuten. Ich mute mich dir zu. Du mutest dich mir zu. Ich weiß noch, wie das Wort zu uns kam. Nachher, in der Junggesellenbude, fielen wir übereinander her.” (S. 18)
So schonungslos wie die Beziehung der beiden, kommt auch das Buch selbst daher. Ungeschönt zeichnet die Autorin Katja Oskamp ein Porträt von Tosch und das Porträt einer Beziehung. Aber es geschieht beinahe zärtlich, mit großer Akzeptanz für die Toschs Macken und ohne die “Schattenseiten”, die mit Beginn von Toschs Krankheit zunehmend in ihre Beziehung treten, auszublenden.
Ich bewundere sehr mit welcher Natürlichkeit und wie viel Humor Katja Oskamp in ihrem Roman das Thema Endlichkeit verhandelt - Endlichkeit einer Beziehung und Endlichkeit eines Menschen. Noch dazu weil das Romangeschehen sehr große Ähnlichkeit zu ihrem eigenen Leben aufweist.
Hinter Tosch kann man den Schweizer Autor und ihren langjährigen Lebensgefährten Thomas Hürlimann erkennen. Während ihrer Beziehung hauptsächlich abseits des Rampenlichts und des öffentlichen Interesses stehend, findet hier Katja Oskamp ihre eigenen Worte für die gemeinsamen Lebensjahre. Und auch wenn es vornehmlich das Porträt ihres Partners und ihrer Beziehung ist, verschwindet sie nicht hinter dem Text. Auf subtile Weise dringt ihre eigene Identitätssuche und was es in unserer Gesellschaft als Frau, Mutter und Schriftstellerin bestehen zu wollen, immer wieder durch.
“Die vorletzte Frau” ist ein Buch, das ich sehr gerne gelesen habe, das mich an vielen Stellen berührt hat und in dem ich immer wieder gerne blättern werde.