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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 31.08.2021

Verstörend, aber auch witzig und genial

Die Anomalie
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Dieses Buch ist kompliziert, verstörend, erlesen komponiert, großartig erzählt und absolut genial. Ich höre es gerade sogar zum zweiten Mal, weil man im ersten Durchgang die vielen Details gar nicht ausreichend ...

Dieses Buch ist kompliziert, verstörend, erlesen komponiert, großartig erzählt und absolut genial. Ich höre es gerade sogar zum zweiten Mal, weil man im ersten Durchgang die vielen Details gar nicht ausreichend würdigen kann.

Es fängt an wie jeder anständige Katastrophenfilm: Wir lernen viele Menschen kennen. Unterschiedlichste Schicksale sind verbunden mit dem Flug einer Air-France Maschine von Paris nach New York. Anfangs meint man fast, eindrucksvolle Kurzgeschichten zu lesen, bis dann doch ein roter Faden sichtbar wird.
Der Stil ist sagenhaft: Wunderbare Beschreibungen, originelle Vergleiche und süffisanter Humor sorgen dafür, dass man jede einzelne Figur plastisch vor Augen hat und sich dabei köstlich amüsiert.

Das Personal ist allerdings umfangreich und vielseitig. Da wären zum Beispiel Joana, die Anwältin, Adrian, der Wahrscheinlichkeitstheoretiker, Slimboy, der Sänger aus Lagos oder Victor Miselle, der Autor, der den Bestseller „Die Anomalie“ schrieb, bevor er im April 2021 Selbstmord beging. Oder nicht?

Als im Juni besagte Air-France Maschine um Landeerlaubnis bittet, ist er quicklebendig an Bord. Wie kann das sein?

Dieses Buch spielt mit einer höchst schrägen Idee und tischt dazu jede Menge wissenschaftlich-philosophische Theorien auf. Es ist kompliziert in Theorie und Ausführung, aber es macht unglaublichen Spaß. Ich habe es voller Ehrfurcht geschlürft.

Das Hörbuch dauert 10 Stunden und 14 Minuten. Camill Jammal liest es sehr sympathisch mit genau der richtigen Mischung aus Souveränität und Humor.

Mit diesem Buch habe ich einen neuen Lieblingsautor entdeckt. Ich bin zutiefst beeindruckt.

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Veröffentlicht am 30.08.2021

This land is not your land

Wie viel von diesen Hügeln ist Gold
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„This land is not your land” steht auf der ersten Seite des Buches, und so ist es wohl.

Sam ist elf und Lucy zwölf, als ihr Ba stirbt und sie allein zurückbleiben in einer heruntergekommenen Unterkunft ...


„This land is not your land” steht auf der ersten Seite des Buches, und so ist es wohl.

Sam ist elf und Lucy zwölf, als ihr Ba stirbt und sie allein zurückbleiben in einer heruntergekommenen Unterkunft mitten in den Hügeln, wo Ba Gold suchen wollte und schließlich Kohle schürfte.

Für eine Beerdigung braucht man nach chinesischer Tradition zwei Silberstücke für die Augen, Wasser und ein Zuhause. Das hat Lucy von Ma gelernt. Ma ist schon lange fort…

Selbst wenn sie Silberstücke hätten, wo mag Bas Zuhause sein? Die beiden Mädchen machen sich auf den Weg mit einem gestohlenen Pferd und der Leiche ihres Vaters.

Hier erlebt man den wilden Westen und den Goldrausch aus ganz ungewöhnlicher Sicht. Mit großen Erwartungen kamen „Die 200“ nach Amerika, um festzustellen, dass sie in Amerika als billige Arbeitskräfte benötigt werden und das Gold nicht auf der Straße liegt.

Traurig und anrührend erzählt Lucy von ihre Geschichte. Sam und sie sind in Amerika geboren, aber man sieht ihnen ihre Abstammung an. Sie wissen, sie werden nie richtig dazugehören und so versucht jede, ihren eigenen Weg zu finden. Sam findet sogar, sie käme als Junge besser zurecht. Aber obwohl die beiden Schwestern so unterschiedlich sind, verbindet sie doch ihre gemeinsame Vergangenheit. Ihre schicksalhafte Kindheit hat sie zusammengeschweißt, ihre Herkunft, die sie anderswo ausgrenzt, verbindet sie auch.

Sie Sprache ist einfach, hat aber einen ganz eigenen Charme, einfache Worte, die Einsamkeit, Armut, Traurigkeit und Fatalismus transportieren und mitten ins Herz gehen. Ein Hauch chinesische Lebensklugheit schwingt mit. Die Mädchen haben in ihrem jungen Leben schon einiges gelernt von Ma und Ba.

Erde, Wasser, Fleisch, Schädel, Salz, Gold, Pflaume, Blut heißen die Kapitel immer wieder und zeigen, dass man sich auf elementare Dinge besinnen muss, wenn das Leben schwierig ist.

Dieses Buch ist besonders, zart und traurig, anrührend, grausam und auch schön, ein historischer Roman, der statt geschichtlicher Fakten ein Zeitgefühl wiedergibt und damit umso eindrucksvoller ist.

Inka Löwendorf liest das Hörbuch 7 Stunden lang und transportiert ganz wunderbar eindringlich diese poetische Schlichtheit der Sprache. Auch gelegentliche chinesische Phrasen liest sie souverän. Dieses Buch ist als Hörbuch ganz besonders zu empfehlen.

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Veröffentlicht am 04.07.2024

Originelle Geschichte mit Moral und einem Augenzwinkern

Ehemänner
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So eine Geschichte hat noch niemand gelesen und erlebt schon gar nicht. Laurens Dachboden hat Zauberkräfte und generiert Ehemänner. Eigentlich ist sie Single, aber plötzlich kommt so ein Kerl vom Dachboden, ...

So eine Geschichte hat noch niemand gelesen und erlebt schon gar nicht. Laurens Dachboden hat Zauberkräfte und generiert Ehemänner. Eigentlich ist sie Single, aber plötzlich kommt so ein Kerl vom Dachboden, der ihr Ehemann zu sein scheint und der auch ihrem Leben eine andere Richtung gegeben hat. (Wer hat bloß diesen Teppich gekauft?) Zum Glück verschwindet er wieder, wenn er noch einmal den Dachboden betritt, allerdings nicht ersatzlos, wenn einer geht, kommt ein anderer zurück.

Während Lauren versucht, ihre neue Situation zu verstehen, probiert sie gleichzeitig verschiedene Versionen ihres Lebens aus, was interessant und erschreckend gleichzeitig ist. In manch einem Leben fehlen geliebte Menschen, das kann der beste Ehemann nicht ausgleichen, also weg mit ihm. Aber was ist denn das perfekte Leben für sie und will sie das überhaupt?

Lauren begibt sich auf eine Art Sinnsuche im Tinder-Stil– passt irgendwas nicht, wird der Ehemann ausgetauscht. Immerhin lernt sie etwas dabei und wir natürlich auch.

Dieses Buch liest sich im Flug. Es ist höchst unterhaltsam und würzt diese durch und durch absurde Geschichte mit amüsanten Betrachtungen und klugem Witz. Lauren stellt sich der Situation mit einer guten Portion Selbstironie. Es ist eine recht drastische Art, den Sinn des Lebens zu erkunden, dafür aber umso einleuchtender.

Mir hat das Buch großen Spaß gemacht. Es bietet gute Unterhaltung mit Mehrwert, eine originelle Geschichte mit Moral und einem Augenzwinkern, sehr empfehlenswert.

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Veröffentlicht am 24.12.2021

Ein eindrucksvoller Cocktail von Dramatik, Action und Geheimnissen

Ein neuer Horizont
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Schon die „Space Girls“ fand ich großartig und auch hier beweist Maiken Nielsen ihr Gespür für richtig gute historische Romane. Mit gründlicher Recherche, feinem Erzählstil und einigem Fingerspitzengefühl ...

Schon die „Space Girls“ fand ich großartig und auch hier beweist Maiken Nielsen ihr Gespür für richtig gute historische Romane. Mit gründlicher Recherche, feinem Erzählstil und einigem Fingerspitzengefühl hält sie elegant die Balance zwischen Historie und Abenteuer, Schicksalsroman und Liebesgeschichte.

Es geht direkt mitten hinein ins Getümmel. Nellie ist Journalistin und wird spontan nach Korea geschickt, als sich die Lage dort zuspitzt. Es ist spannend und nervenzerfetzend. Kriegsreporter zu sein ist gefährlich und als Frau erst recht. In den 50er Jahren hat es eine Frau doppelt schwer, in einer Männerdomäne zu bestehen. Die Atmosphäre ist toll eingefangen, man hat das Gefühl, man wäre da.

Hier liegen einige Rätsel auf dem Tisch. Nellies Zwillingschwester ist verschollen, seit Jahren schon und Jake, ihr Liebster, hat Schlimmes erlebt und in Deutschland noch eine Rechnung offen.

Sehr elegant werden Parallelen aufgezeigt. Der Ost-West-Konflikt hat weltweite Auswirkungen, ob nun in Korea, Amerika oder in Deutschland. Es kann Karrieren beenden, als Sowjet-Sympathisant entlarvt zu werden.

Ich habe das Buch sehr gerne gelesen, es ist wirklich mitreißend erzählt, überlege aber, ob nicht vielleicht ein bisschen zu viele dramatische Nebenschauplätze aufgeworfen werden. Es ist schon ein ordentlicher Cocktail von Dramatik, Action und Geheimnissen.

Trotzdem hat es mir sehr gefallen. Ich habe höchst unterhaltsam wirklich viel gelernt.

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Veröffentlicht am 25.09.2024

Wunderbares Jugendbuch

Die Nacht der Schildkröten
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Eigentlich ist dieses Buch ein wunderbares Jugendbuch. Es erzählt von Livia, die mit ihrer Familie in Rom lebt und elf Jahren alt ist, als sie die Diagnose bekommt, dass sie Retinitis hätte. Menschen mit ...

Eigentlich ist dieses Buch ein wunderbares Jugendbuch. Es erzählt von Livia, die mit ihrer Familie in Rom lebt und elf Jahren alt ist, als sie die Diagnose bekommt, dass sie Retinitis hätte. Menschen mit Retinitis werden innerhalb weniger Jahre blind.

Den Ernst der Lage mag sie zunächst nicht wahrhaben. Ihre größte Sorge ist die hässliche Brille, die sie tragen muss. Wir begleiten sie bis sie 17 Jahre alt und nahezu blind ist.

Livia erzählt ihre Geschichte aus ihrer Sicht. Ihre Schule, ihre Familie, ihre Freunde spielen eine Rolle. Sie wird immer mehr zur Außenseiterin durch ihre Krankheit, möchte aber gerne dazugehören. Hilfe nimmt sie nicht gerne an, bis sie merkt, dass sie sie braucht.

Dieses Buch liest sich leicht, die Sprache ist sehr einfach. Mir hat ein bisschen Livias Auseinandersetzung mit der Situation gefehlt. Sie schämt sich, ihre Krankheit ist ihr hauptsächlich peinlich, aber echte Verzweiflung darüber, dass sie bald nicht mehr sehen kann, scheint sie nicht zu spüren.

Dieses Buch erzählt aus Kindersicht über eine sehr unbekannte Krankheit, ist berührend und aufschlussreich. Es erzählt sehr viel von Schulalltag und Teenagersorgen und ist damit wohl bestens als Jugendbuch geeignet.

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