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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 25.09.2024

Von Texten und Füßen

Die vorletzte Frau
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Eine Beziehung mit einem 19 Jahre älteren Mann, sie sorgt für ihr Kind, sie sorgt für ihn, als er krank wird, er liest ihre Texte gegen und bleibt trotz intensiver Momente immer fern.
“Er nächtigte in ...

Eine Beziehung mit einem 19 Jahre älteren Mann, sie sorgt für ihr Kind, sie sorgt für ihn, als er krank wird, er liest ihre Texte gegen und bleibt trotz intensiver Momente immer fern.
“Er nächtigte in einem Doppelbett, aber dort, wo bei anderen Leuten die Frau lag, häuften sich bei Tosch die Bücher.” Sind Worte, die sie beide schreiben, noch ihre größte Gemeinsamkeit, fallen beim Lesen eher die vielen Unterschiede auf: sie in der DDR geboren, er in der Schweiz, sie ein Niemand, er bekannt, sie baut ein Nest, er sucht seine Unabhängigkeit.
Die Autorin zeichnet ihre Figuren mit spitzer Feder und Humor. Ich habe die pointierte Darstellung des Alltäglichen als besonders empfunden. Auch wenn es im Prinzip hauptsächlich um das Hin und Her in einer Beziehung geht, macht die Lektüre Spaß und Lust auf mehr. Wir erleben hier, wie die Protagonistin einen Wandel durchmacht und zur Fußpflegerin umschult, worüber wir in „Marzahn, mon amour“ direkt weiterlesen können.

Veröffentlicht am 25.08.2024

Grüne Rebellion

Selbstversorgung im Winter
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Til Genrich denkt in seinem Buch das Konzept der Selbstversorgung weiter als die Ernte im Herbst. Das geht mit verschiedenen Methoden des Haltbarmachens, dem Anbau im Wohnraum oder dem Erkunden dessen, ...

Til Genrich denkt in seinem Buch das Konzept der Selbstversorgung weiter als die Ernte im Herbst. Das geht mit verschiedenen Methoden des Haltbarmachens, dem Anbau im Wohnraum oder dem Erkunden dessen, was die Natur in der kalten Jahreszeit noch zu bieten hat.
Die Entdeckungsreise beginnt im Freien mit essbaren Kräutern, Knospen und Kulturen, die teilweise selbst Frost überstehen. Dann geht es ans Eingemachte, also die zahlreichen Varianten, Essbares zu konservieren, von der Lagerung übers Fermentieren bis zum Trocknen. Auch die abschließenden Kapitel über die Veredelung von Lebensmitteln und den Anbau im Haus bieten originelle Ideen, wie die Herstellung von Apfelessig oder die Zucht von Pilzen.
„Selbstversorgung ist ein politischer Akt, eine kleine Rebellion gegen das bestehende System, gegen Monokulturen, lange Transportwege, saisonunabhängige Verfügbarkeiten von Lebensmitteln, eine Lebensmittelindustrie, die Mensch und Natur ausbeutet.“
Ich habe „Selbstversorgung im Winter“ als sehr inspirierend empfunden, zeigt es doch vielfältige Optionen auf, aus denen wir schöpfen können. Diese werden gut verständlich erklärt und um nützliche Pflanzenporträts und Rezepte angereichert. Damit richtet sich das Buch nicht nur an jene, die über einen eigenen Garten verfügen, sondern grundsätzlich an alle, die sich selbst etwas Gutes tun oder einfach nur Rebellen sein wollen.

Veröffentlicht am 21.08.2024

Ein großer Verlust

Mein drittes Leben
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Lindas Leben ist ein Scherbenhaufen, nachdem ihre Tochter bei einem Unfall ums Leben kommt. Sie verarbeitet ihre Trauer durch Rückzug und entfernt sich dabei auch von ihrem Mann.
„Wer ein Kind hat, hat ...

Lindas Leben ist ein Scherbenhaufen, nachdem ihre Tochter bei einem Unfall ums Leben kommt. Sie verarbeitet ihre Trauer durch Rückzug und entfernt sich dabei auch von ihrem Mann.
„Wer ein Kind hat, hat einen Sinn. Wer ein Werk hat, hat einen Sinn. Wer beides hat, überdauert den Tod in doppelter Weise. Von einem Menschen wie mir bleibt nichts.“ Mit Linda als Erzählstimme erleben wir ihren Schmerz hautnah, sehen, wie sie beinahe aufgibt, weil jede Interaktion ihre Kräfte zu übersteigen scheint. Das ist intensiv und macht klar, dass der Verlust des Kindes für sie das Schlimmste ist, was ihr passieren konnte.
Doch das ist nur ein Aspekt der Geschichte, die aus so vielen Puzzleteilchen besteht. Es geht um DDR-Vergangenheit, Leben in der Stadt und auf dem Land, gesellschaftliche Konventionen, das Führen einer Ehe. Mir gefällt, wie viele Details Daniela Krien in ihrem Roman unterbringt und auf unaufgeregte Art in einer klaren Sprache wiedergibt. Das macht für mich eine authentische und ansprechende Lektüre aus.

Veröffentlicht am 12.08.2024

Ein sonderbarer Sommer

Die Leiche und das Sofa
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Zwei Jugendliche begegnen einander während der Ferien und finden nicht nur eine Leiche, sondern auch die Liebe.
Der Sommer wäre nicht besonders gewesen, die Freunde sind vermutlich verreist, die Tage ziehen ...

Zwei Jugendliche begegnen einander während der Ferien und finden nicht nur eine Leiche, sondern auch die Liebe.
Der Sommer wäre nicht besonders gewesen, die Freunde sind vermutlich verreist, die Tage ziehen dahin, ein fremdes Mädchen taucht auf, ihre Anwesenheit verspricht willkommene Abwechslung, denn auch sie ist allein. „IN DIESEN ZWEI WOCHEN HABE ICH VIEL ZEIT AUF DEM SOFA VERBRACHT UND MIR DIE 180 KANÄLE UND CHRISTIANS VERWESUNGSPROZESS ANGESEHEN.“
Die Graphic Novel entwickelt einen morbiden Charme, wo Schönheit und Grusel nah beieinander liegen - schön empfinden die Protagonisten die einfachen Dinge ihrer Umgebung (ihr Gegenüber inbegriffen), gruselig wird es durch ihre Phantasie und den Fund des toten Jungens.
Der Zeichenstil fängt diese Kontraste zauberhaft ein, und so hat das Buch ambivalente Gefühle bei mir ausgelöst - teilweise war ich nahezu angewidert, teilweise sehr angetan. Am Ende überwiegt die Begeisterung, denn Themen, die Teenager bewegen, von Mobbing über Selbstzweifel bis zur ersten Liebe, werden authentisch verarbeitet und regen zum Nachdenken an, während der Blick an den außergewöhnlichen Zeichnungen hängenbleibt.

Veröffentlicht am 28.07.2024

Wolken am Himmel

Der Bademeister ohne Himmel
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Die 15-jährige Linda kümmert sich um ihren dementen Nachbarn und hat einen guten Weg gefunden, mit ihm umzugehen. „Eigentlich ist es simpel. Entweder man taucht ein in seine Welt oder man lässt es bleiben. ...

Die 15-jährige Linda kümmert sich um ihren dementen Nachbarn und hat einen guten Weg gefunden, mit ihm umzugehen. „Eigentlich ist es simpel. Entweder man taucht ein in seine Welt oder man lässt es bleiben. Gegen ihn zu arbeiten ergibt keinen Sinn, ihm etwas aufzudrängen, erst recht nicht.“ So erschafft sie in seinen vier Wänden Schwimmbadszenarien, um Huberts Zeit als Bademeister wiederaufleben zu lassen.
Der Roman spiegelt die Themen verschiedener Lebensphasen wider: Lindas Hadern mit der Schule oder ihre Freundschaft mit dem Nachbarsjungen, das Suchen ihrer Mutter nach der Liebe oder der Spagat der polnischen Pflegerin zwischen ihrer Arbeit und einem Privatleben. Ewa ist übrigens eine großartige Figur, die durch ihre Ausdrucks- und Denkweise zur Erheiterung beiträgt.
In erster Linie handelt es sich also um ein fröhliches Buch, denn die Protagonisten schaffen es ziemlich gut, mit den Herausforderungen im Alltag mit einem Pflegebedürftigen umzugehen. Zu schön, um wahr zu sein? Vielleicht! Doch es liegt darin so viel Zärtlichkeit und Nächstenliebe verborgen, die die Auseinandersetzung mit dem Alter in ein positives Licht rücken und die trotz der schwierigen Momente Hoffnung machen. Der Autorin ist es gelungen, lebendige Charaktere zu schaffen und die Wolken vom Himmel zu pusten.