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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 28.12.2024

Protokoll Nr. 42

Die Anomalie
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Man stelle sich vor: Gerade ist ein Flugzeug durch ein ziemlich raues Unwetter geflogen und will in New York landen, wird aber umgeleitet, weil exakt das gleiche Flugzeug, mit den gleichen Passagieren, ...

Man stelle sich vor: Gerade ist ein Flugzeug durch ein ziemlich raues Unwetter geflogen und will in New York landen, wird aber umgeleitet, weil exakt das gleiche Flugzeug, mit den gleichen Passagieren, bereits drei Monate zuvor gelandet ist.

Der Autor stellt uns zunächst einige der Passagiere und ihr Leben vor, mit all den kleinen und großen Problemen. Zwischendurch versucht die Boeing im Juni in New York zu landen, wird umgeleitet und das Protokoll Nr. 42 findet seine Anwendung. (Allein dieses Protokoll ist schon ein genialer Einfall.) Die Passagiere dürfen nicht nach Hause, denn sie sind ja schon seit drei Monaten dort und ihr Leben ist weitergegangen.

Was für ein Gedankenexperiment, mit dem uns Le Tellier hier konfrontiert. Es gab einige Stellen über Philosophie, Astrophysik und Religionslehre, die sich ein bisschen gezogen haben, aber ansonsten hat mir der Roman sehr gut gefallen. Er liest sich durch die schnörkellose Sprache sehr schnell, auch wenn mal wieder auf Anführungszeichen für die wörtliche Rede verzichtet wird. Ich habe noch ziemlich lange über diese ungewöhnliche und überraschende Geschichte und das, was dahintersteckt nachgedacht. Der Roman, der auch viele witzige Stellen hat, hat mich eine ganze Weile beschäftigt.

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Veröffentlicht am 28.12.2024

Damals

Der große Sommer
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Frieder, eigentlich Friedrich, hat in Mathe und Latein das Klassenziel nicht erreicht. Am Ende der Sommerferien steht eine Nachprüfung an. Schafft er diese nicht, muss er die Schule verlassen und damit ...

Frieder, eigentlich Friedrich, hat in Mathe und Latein das Klassenziel nicht erreicht. Am Ende der Sommerferien steht eine Nachprüfung an. Schafft er diese nicht, muss er die Schule verlassen und damit auch seinen besten Freund Johann und alle anderen. Der Sommerurlaub ist daher gestrichen und Frieder muss zu seinem Stiefgroßvater, der ihm eher Angst macht und der ziemlich unnahbar ist. Aber dank seiner liebevollen Großmutter und einer neuen Bekanntschaft namens Beate, ist dieser Sommer alles andere als fad. Der Sprung vom Siebeneinhalber ist da nur der Anfang.

Das Buch hat mir großen Spaß gemacht. Wie Johann, Frieder und dessen Schwester Alma miteinander umgehen, wie sie über die Schule und das Leben sprechen, da steckt noch so viel Lebensfreude und auch Unsicherheit drin. Ich wollte einfach nur ein Teil davon sein. Die quirlige Familie von Frieder, die Situation bei den Großeltern und alles was sich in diesem Sommer noch ereignet, hat der Autor absolut glaubwürdig geschildert. Das Thema Liebe wird auf verschiedenen Ebenen verarbeitet und auch das ist sehr gelungen. Wie immer in Coming-of-Age-Romanen geht es auch um das Thema Verlust und wie die Figuren daran wachsen, auch Arenz' Buch hat so einen Kipppunkt.

Über allem liegt ein wehmütigen Touch, weil durch Zwischenbemerkungen klar wird, dass der erwachsene Frieder auf diesen Sommer zurückschaut. Das erinnert leicht an eine Stormsche Rahmenhandlung.

Absolut verdient war das Buch 2021 der "Liebling der Unabhängigen" und man kann den Roman auch wunderbar im Winter lesen.

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Veröffentlicht am 27.11.2024

Annemarie Schwarzenbach

ANNEMARIE
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Eine ganz außergewöhnliche Graphic Novel hat das spanische Autorenduo María Castrejón und Susanna Martín hier vorgelegt. Das kurze Leben der Schweizer Fotojournalistin und Autorin Annemarie Schwarzenbach ...

Eine ganz außergewöhnliche Graphic Novel hat das spanische Autorenduo María Castrejón und Susanna Martín hier vorgelegt. Das kurze Leben der Schweizer Fotojournalistin und Autorin Annemarie Schwarzenbach wird nicht nur in Graphic Novel üblichen Skizzen dargestellt, sondern auch in Fotos, Textauszügen, Briefen etc. aus einer feministisch geprägten Sicht. Einige der gezeichneten Bilder sind detailgetreu ihren Fotografien nachempfunden. Das macht es sehr spannend, in diesem Buch auf Entdeckungsreise zu gehen. Auch verändert sich die Art der Darstellung, von hübschen Zeichnungen, die ohne Text auskommen und z.B. Einblicke in die Kindheit geben, bis zu teils verstörenden und drastischen Bildern, die Annemarie in den Fängen ihrer Sucht zeigen.

Wir begleiten Annemarie von ihrer Heimat der Schweiz zum Studium nach Paris; nach Berlin, wo sie erneut mit Erika und Klaus Mann viel Zeit verbringt und ihre Drogensucht den Anfang nimmt. Fotos und Texte entstehen in Russland, dem Orient, den USA und im Kongo. Sie, die aus einer reichen Industriellenfamilie stammt, versucht immer wieder den Ausbruch und widmet sich zum Beispiel der Dokumentation der Wirtschaftskrise im Süden der USA. Ihre Depressionen und ihre Rückfälle in die Drogensucht schwächen die androgyne Annemarie, die mit nur 34 Jahren an den Folgen eines schweren Fahrradunfalls verstirbt.

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Veröffentlicht am 27.09.2024

Über den Wolken

Earhart
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Zum zehnjährigen Jubiläum seines erfolgreichen Buches "Lindbergh" bringt der NordSüd Verlag ein weiteres Flugabenteuer von Torben Kuhlmann heraus.

Mich hat sehr gefreut, dass das fünfte Mäuseabenteuer ...

Zum zehnjährigen Jubiläum seines erfolgreichen Buches "Lindbergh" bringt der NordSüd Verlag ein weiteres Flugabenteuer von Torben Kuhlmann heraus.

Mich hat sehr gefreut, dass das fünfte Mäuseabenteuer nun endlich eine weibliche Hauptfigur hat, die ihren Traum verwirklicht.

Die kleine Wühlmaus ist Erfinderin und kommt über eine Briefmarke aus Uganda, die einen Löwen zeigt, auf den Gedanken, wie groß die Welt ist und wie gerne sie einmal nach Afrika möchte. Ach was, Afrika! Sie möchte die ganze Welt sehen und wie wäre das besser möglich als mit einem Flugzeug. Und so nimmt die Mäusereise ihren Anfang und irgendwann im Laufe der Geschichte begegnet die kleine Wühlmaus einer jungen Frau, die auch um die Welt fliegen möchte. Ihre Name ist Amelia Earhart.

Erneut hat der Autor ein umwerfend schön illustriertes Buch in die Welt geschickt. Voller kleiner liebevoller Details, ergänzen die Zeichnungen nicht nur die Geschichte, sondern erzählen sie auch an vielen Stellen - ohne Textunterstützung - weiter. So gehen Text und Zeichnungen eine stimmige Symbiose ein. Besonders die doppelseitigen Zeichnungen haben mich sehr begeistert. Wie schön, dass das Buch so viele Seiten dafür bereithält. Da auf den Abdruck von Seitenzahlen verzichtet wird, stört nichts das Eintauchen in die Bilder.

Der kindgerechte Text eignet sich zum Vorlesen und auch zum Selbstlesen für Lesemäuse, die schon etwas geübter sind. Die Kapitel haben unterschiedliche Längen, wirken aber nie zu textlastig. Und was ist schöner, als die Erkenntnis, dass man trotz aller Schwierigkeiten seine Träume verwirklichen kann, sei man auch noch so klein.

Ein Buch, das zum gemeinsamen Betrachten, Lesen und Erzählen einlädt. Etwas, das man nicht genug fördern kann.

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Veröffentlicht am 30.08.2024

Das Haus auf den Klippen

Die Frauen von Maine
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In diesem Roman will Sullivan ziemlich viel und für mich ist das auch gelungen.

Erzählt wird vordergründig die Geschichte von Jane Flanagan, die an der Küste von Maine aufwächst und immer wieder von einem ...

In diesem Roman will Sullivan ziemlich viel und für mich ist das auch gelungen.

Erzählt wird vordergründig die Geschichte von Jane Flanagan, die an der Küste von Maine aufwächst und immer wieder von einem verlassenen Haus auf einer prägnanten Klippe angezogen wird. (Originaltitel daher auch: The cliffs) Als Erwachsene arbeitet Jane für die Schlesinger Bibliothek in Harvard (Library on the History of Women in America) und beschäftigt sich mit den Nachlässen von Frauen. Als sie das Haus ihrer verstorbenen Mutter in Maine ausräumt, kommt sie zufällig mit der aktuellen Besitzerin des Klippenhauses in Kontakt, die Jane bittet, Nachforschungen darüber anzustellen.

Im Roman kommen mehrere Frauen in längeren Kapiteln zu Wort, die im Klippenhaus gelebt haben und deren Wege sich dort kreuzen, auch wenn Jahrhunderte dazwischen liegen. So setzt sich nicht nur die Geschichte des Gebäudes zusammen, sondern noch so viel mehr. Es geht um das Bewahren von Geschichte - im Großen und im Kleinen -, Feminismus, Spiritualismus, schwierige Mutter-Tochter-Beziehungen, Alkoholismus, die Shaker-Bewegung, Native Americans und Epigenetik. Letzteres befasst sich mit sog. "Seelenwunden", Massentraumata durch Genozid, Versklavung, Kolonialisierung, die auf zellulärer Ebene an die nächste Generation weitergegeben werden.

Der Roman hat mich sehr gefesselt und lange wach gehalten, ich konnte ihn nicht aus der Hand legen. Er läßt einen über vieles nachdenken, z. B. über die Art der Geschichtsschreibung, die bis vor kurzem ja erst mit der Besiedelung Amerikas begann. Was war mit den Menschen, die zuvor dort lebten? Oder: Große Teile des weiblichen Schreibens wurden über die Jahrhunderte nicht bewahrt, sondern gingen verloren oder wurden bewusst vernichtet, von den Autorinnen selbst oder Angehörigen. (Ein bekanntes Beispiel ist Jane Austen.)

Insgesamt ein leicht zu lesender Roman, der eine große Palette an Themen zusammenbringt und wunderbar unterhält. Auch wenn manche Textstellen wie Einschübe wirken, ist es dennoch eine geschmeidige und stimmige Geschichte geworden. Ein toller Sommerroman mit Anspruch und zum Nachdenken.

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