Gedanken werden zur Gefahr
Gefährliche BetrachtungenNidden ist nicht nur ein ostpreußisches Fischerdorf auf der Kurischen Nehrung, sondern beherbergt vor 100 Jahren auch eine Künstlerkolonie. 1930 bezieht Thomas Mann mit seiner Familie dort ein Sommerhaus ...
Nidden ist nicht nur ein ostpreußisches Fischerdorf auf der Kurischen Nehrung, sondern beherbergt vor 100 Jahren auch eine Künstlerkolonie. 1930 bezieht Thomas Mann mit seiner Familie dort ein Sommerhaus zwischen Wanderdünen und Wald. In Deutschland erstarkt zu jener Zeit nach der Auflösung des Reichstags gerade der Nationalsozialismus. Der weltberühmte Schriftsteller plant daraufhin eine Rede, in der er die Deutschen vor den Gefahren dieser neuen Bewegung warnen will. Gleichzeitig hält sich auch der junge Übersetzer Žydrūnas Miuleris in Nidden auf, da er gerne Manns Werke ins Litauische übertragen möchte. Durch unglückliche Umstände verliert dieser „Müller“, wie er von Mann eingedeutscht immer genannt wird, die Aufzeichnungen zu dieser brisanten Rede. Wie Holmes und Watson machen sich die beiden Männer nun daran, die Aufzeichnungen wiederzuerlangen, was nicht so einfach ist. So entsteht ein recht seltsamer Fall, der nicht nur exzentrische Künstler, stoische Fischer und neugierige Kurgäste auf den Plan bringt, sondern auch Aufregung, Angst und sogar verschwundene Personen.
Das Cover wirkt in seinen gedeckten Farben recht unspektakulär. Man sieht die Rückansicht eines Mannes in Anzug, Hut und Stock, der aus dem Wald kommend, Richtung eines weißen Strandes geht. Der Kriminalroman verfügt über ein Inhaltsverzeichnis, interessante Anmerkungen des Autors und ein informatives Quellenverzeichnis. Die Geschichte ist chronologisch geordnet und die kurzen Kapitel sind mit Datum und aussagekräftigen Titeln überschrieben. Eckardts Schreibstil ist sehr ansprechend. Teils verwendet er verschachtelte Sätze und Aussagen, die einen in die Zeit Thomas Manns zurückversetzen. Der litauische Übersetzer „Müller“ erzählt die Vorkommnisse als Ich-Erzähler, und zwar aus erheblicher zeitlicher Distanz, denn er ist mittlerweile über hundert Jahre alt.
Der Autor erzählt die Geschichte sehr spannend, aber auch immer mit einem Augenzwinkern, das einen die ernste Situation, in der sich Mann nach dem Verlust der Rede befindet, an manchen Stellen vergessen lässt. Die Betonung liegt bei verschiedenen Themen wie Freundschaft und Mut, aber auch in der Wichtigkeit der Literatur, deren Rolle durchaus auch in der Veränderung der Welt liegen kann.
Der Autor entwickelt die Kriminalgeschichte zwischen geschichtlichen Fakten und seiner schriftstellerischen Freiheit mit viel Feingefühl. Gerne glaubt man ihm als Leser jede Einzelheit in diesem spannenden Fall, denn es passt immer alles großartig zusammen. Alle Charaktere sind lebensnah und realistisch gezeichnet, jeder einzelne mit seinen Eigenheiten herausgehoben. So entsteht ein stimmiges Bild, das auch durch die Beschreibung der Umgebung noch unterstrichen wird.
Insgesamt kann man dieses unterhaltsame Buch getrost als einen Höhepunkt in diesem literarischen Jahr bezeichnen. Mit absoluter Leseempfehlung!