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Veröffentlicht am 19.11.2017

Ein Buch, das sowohl spannend als auch beklemmend ist

Mudbound – Die Tränen von Mississippi
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Allgemeines:

Hillary Jordans Roman Mudbound – Die Tränen von Mississippi ist bereits 2009 in Amerika erschienen. Jordan hat sieben Jahre an diesem Buch geschrieben, das gleich nach Erscheinen hoch gelobt, ...

Allgemeines:

Hillary Jordans Roman Mudbound – Die Tränen von Mississippi ist bereits 2009 in Amerika erschienen. Jordan hat sieben Jahre an diesem Buch geschrieben, das gleich nach Erscheinen hoch gelobt, mit namhaften literarischen Preisen ausgezeichnet und in mittlerweile 15 Sprachen übersetzt wurde.

Mudbound ist von Netflix verfilmt worden und hat am 17.11.2017 weltweit Premiere gefeiert. Das Buch ist am 02.11.2017 bei Piper Pendo als Paperback erschienen, umfasst 375 Seiten und kostet 15 Euro.


Inhalt:

„»Mudbound ist gigantisch!« The Guardian

Mississippi, 1946: Laura McAllan ist ihrem Ehemann zuliebe aufs Land gezogen, der als Farmer einer Baumwollplantage Fuß fassen will. Doch ihr ist die Umgebung fremd, und auf Mudbound gibt es weder fließendes Wasser noch Strom. Unterstützung erhalten die McAllans durch die Jacksons, ihre afroamerikanischen Pächter. Die aufgeweckte Florence Jackson hilft Laura, wo sie nur kann. Aber auch wenn der Alltag sie an ihre Grenzen treibt und sie für gewöhnlich nicht auf den Mund gefallen ist, würde sie es nicht wagen, ihre Stimme zu erheben und Missstände anzumahnen. In diese angespannte Situation geraten zwei junge Kriegsheimkehrer: Florences Sohn Ronsel und Lauras Schwager Jamie. Deren Freundschaft wird zu einer Herausforderung für beide Familien, und so lassen Missgunst und Ausgrenzung die Stimmung bald kippen …“ (Quelle: Piper Verlag)

Meine Meinung:

Mudbound wurde bereits vor dem Erscheinen in Zeitschriften, Magazinen und im Buchhandel beworben, sodass ich zunächst dachte, dieses Buch will ich in keinem Fall lesen. Denn Werbeaktionen, auf deren Grundlage man ein Buch kauft, haben mich meistens im Nachhinein enttäuscht. Und wenn dann noch, wie bei Mudbound, ein Film zum Buch Grund für das massive Bewerben ist, bin ich mittlerweile besonders misstrauisch. Dieses Mal aber muss ich meine früheren Erfahrungen beiseite legen. Mudbound entspricht so gar nicht den gängigen Klischees von Südstaatenromanen.

Ort der Handlung ist Mississippi im Jahr 1946. Der zweite Weltkrieg ist vorbei, das Leben beginnt, wieder in normalen Bahnen zu laufen. Erzählt wird aus der Perspektive der Protagonisten, die Kapitel sind jeweils mit ihren Namen überschrieben, was die Orientierung beim Lesen sehr erleichtert. Jeder von ihnen nimmt die Menschen und Geschehnisse um sich herum vollkommen anders wahr. Man merkt schnell, dass das geradezu nach Konflikten schreit. Hinzu kommt die (leider auch heute noch aktuelle) Thematik des Rassismus.

Jordan gelingt es großartig, jedem Charakter ihres Romans Glaubwürdigkeit zu verleihen. Sie lässt jeden seine eigene Sprache sprechen, seine eigenen Gedanken zu seiner Rolle in der Gesellschaft, seine Vorurteile und Meinungen formulieren. Dem Leser erschließt sich so ein stimmiges Bild des großen Ganzen, ohne dass er dazu gedrängt wird. Man muss einfach eine Haltung zu den Geschehnissen entwickeln, merkt man doch, wie ähnlich die Gesellschaft in Bezug auf die hochaktuelle Flüchtlingsthematik den Protagonisten in Mudbound ist.

Ronsel, Sohn der afroamerikanischen Pächter auf Henrys Farm, kehrt aus dem Krieg in sein Heimatdorf zurück:

„Wieder zu Hause, welch ein Jubel! Affe, Schwarzgesicht, Nigger. Ich hatte für mein Land gekämpft und bei meiner Rückkehr festgestellt, dass es sich kein bisschen verändert hat. Schwarze saßen noch immer hinten im Bus, mussten die Hintertür benutzen, pflückten Baumwolle für die Weißen und bettelten um Verzeihung. […] Und die schwarzen Soldaten, die gefallen waren, waren eben tote Nigger.“ (S. 169)

Anders als Harper Lee in Wer die Nachtigall stört erzählt Jordan von einer anderen, späteren Zeit in den Südstaaten. Sie gibt ihren Charakteren mehr Tiefe, lässt sie stärker über Recht und Unrecht nachdenken. Dieses ist sicherlich auch dem Umstand geschuldet, dass Lees Roman bereits 1960 erschien, einer Zeit, die von politischem Umbruch geprägt war, einer Zeit, in der Rassismus oft nur hinter vorgehaltener Hand thematisiert wurde. Zudem setzt Lee einen anderen inhaltlichen Schwerpunkt und lässt ihre Handlung in den 1930er Jahren spielen. Beide Romane sind wichtig und ergänzen einander wunderbar. Auffallend ist zudem, dass die Cover beider Bücher sehr ähnlich gestaltet sind. Ich vermute, dieses geschah nicht unabsichtlich.

Fazit:

Ein Buch, das sowohl spannend als auch beklemmend ist. Denn es führt uns vor Augen, wie Emanzipation im Kleinen funktionieren kann und wie es gelingt, sich nicht alles gefallen zu lassen und seine Würde zu bewahren. Es zeigt aber auch sehr drastisch, dass auch Zivilcourage nicht immer ein gutes Ende nimmt. Was mich außerdem beeindruckt: Jordan hat sich unglaublich gut mit den 1940er Jahren in Amerika auseinander gesetzt.

Veröffentlicht am 18.11.2017

Man liebt oder hasst es

Der Insulaner
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Allgemeines:

Henning Boëtius hat ein faszinierendes Leben. Er hat Germanistik studiert, geriet dann aber in eine große Lebenskrise und hatte zeitweise sogar keinen festen Wohnsitz. Er wuchs auf Föhr und ...

Allgemeines:

Henning Boëtius hat ein faszinierendes Leben. Er hat Germanistik studiert, geriet dann aber in eine große Lebenskrise und hatte zeitweise sogar keinen festen Wohnsitz. Er wuchs auf Föhr und in Rendsburg auf und lebt heute in Berlin. Seine ersten Erfolge hatte er mit Veröffentlichungen beim Eichbornverlag. Außerdem übersetzt er Bücher aus dem Norwegischen.

Der Insulaner ist am 11.09.2017 als gebundenes Buch bei btb erschienen und umfasst 956 Seiten.

Inhalt:

„Der Insulaner“ ist das eindrückliche Porträt eines bewegten Lebens, einer fast schon versunkenen Zeit, einer ganzen Welt. Und nicht zuletzt: eine einzigartige Liebeserklärung an die Kunst und an das Meer.

Als der Schriftsteller B. sich wegen eines Tumors am Gehirn operieren lassen muss, fürchtet er seine Erinnerung für immer zu verlieren. Doch dann wird die Operation für ihn zu einem langen Gang durch die verschlungenen Pfade seines Lebens. […]“ (Quelle: Verlagsgruppe Random House)

Meine Meinung:

Das folgende Zitat zeigt sehr schön, was das Rahmenthema dieses Buches ist:

„Als B. aufwachte, schien die Sonne auf das herabgelassene Rouleau. […] Er hatte schlecht geschlafen, war mehrmals von einem regelmäßigen dumpfen Pochen geweckt worden, das an den Herzschlag eines Menschen erinnerte. Jetzt fragte er sich, ob es sein eigener Herzschlag gewesen war, ob er dies alles nur träumte, ob er immer noch in Wahrheit schlafen würde. Vielleicht war alles nur ausgedacht, sein ganzes Leben.“(Der Insulaner, S. 139)

Protagonist ist der Schriftsteller B., da fragt man sich natürlich sofort, ob nicht Boëtius selber gemeint ist. Legt er hier einen autobiografisch geprägten Roman vor? Mit ihren stattlichen 956 Seiten macht die Geschichte viel her und man nimmt sich als Leser ebenso viel vor…

Aufmerksam geworden bin ich auf Der Insulaner durch das Cover. Es hat mich an eine Landschaft in Skandinavien erinnert und ich wollte dieses Buch unbedingt lesen. Fast enttäuscht war ich dann, als ich feststellte, dass der Autor Deutscher ist. Aber die Enttäuschung hielt nicht lange an. Boëtius erzählt wirklich gut.

Der Insulaner ist in acht große Kapitel untergliedert, deren Überschriften Metaphern für die Lebensstationen des Schriftstellers B. darstellen. Das erste und letzte Kapitel bilden eine Art Rahmen: Sie umschreiben Start und Ziel von Bs. merkwürdiger Reise – denn merkwürdig ist sie, zumindest was die Orte betrifft, an denen er auf jemanden trifft, dem er sein Leben erzählt. Man reist mit B. an Orte, in denen die Gebäude zunächst normal, bei näherem Hinsehen aber abgetakelt und wie Ruinen wirken. B. spricht mit einem (vermutlich) imaginären Psychologen, der als Konstante bei all seinen Erinnerungen eine Rolle spielt. Die Erinnerungen wiederum werden realistisch und packend erzählt, die Zwischensequenzen reißen mich als Leser immer wieder aus der Geschichte und verunsichern mich: Ist das nun alles wahr, was B. erzählt und erinnert, oder halluziniert er? Man wabert mit ihm geradezu durch sein Hirn. Wie gut, dass es gegen diese Verunsicherung den Klappentext gibt. Er informiert den Leser darüber, dass B. sich einer Operation am Gehirn unterziehen muss und währen der Narkose sein Leben an ihm vorbeizieht. Vor diesem Hintergrund fällt es einem leichter, dem Erzählstrang zu folgen, ohne ihn wäre man über längere Zeit aufgeschmissen. Hier hat ein Klappentext, anders als in vielen anderen Büchern, eine wirklich sinnvolle Funktion.

Inhaltlich ist dieses Buch eine großartig erzählte Geschichte eines kleinen Jungen und seiner Liebe zum Meer und ganz nebenbei auch ein Stück Zeitgeschichte, die in den 1940er Jahren beginnt und in der Jetztzeit endet.

Fazit:

Boëtius‘ Roman gefällt mir sehr. Abgesehen von einigen wirren Formulierungen des operierenden Arztes im ersten Kapitel, die eigentlich in ihrer Skurrilität schon wieder witzig sind, habe ich Der Insulaner sehr gerne gelesen. Man braucht aber wirklich ein gutes Durchhaltevermögen. Und bei diesem Buch gilt: Man liebt oder hasst es. Dazwischen gibt es nichts.

Veröffentlicht am 16.11.2017

Ein Buch zum Nachdenken und Genießen.

Cold Spring Harbor
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Allgemeines:

Richard Yates lebte von 1926 bis 1992. Er gehört zu den wichtigsten amerikanischen Schriftstellern des 20. Jahrhunderts. Wie bei vielen berühmten Autoren wurde sein Werk erst nach seinem ...

Allgemeines:

Richard Yates lebte von 1926 bis 1992. Er gehört zu den wichtigsten amerikanischen Schriftstellern des 20. Jahrhunderts. Wie bei vielen berühmten Autoren wurde sein Werk erst nach seinem Tod in der Öffentlichkeit wahrgenommen. Yates war ein exzellenter Beobachter des Alltagslebens mit all seinen Facetten, das in all seinen Romanen beherrschendes Thema ist. Er hält der Gesellschaft auf nüchterne und unspektakuläre Art den Spiegel vor. Das macht sein Werk so wertvoll. Cold Spring Harbor erschien 1986 auf Englisch und ist sein letzter Roman. Auf Deutsch erschien es zunächst als gebundenes und im September 2017 als Taschenbuch. Es umfasst 234 Seiten.

Inhalt:

„Ein Roman über Väter und Söhne, Mütter und Töchter, die Liebe und die Fehler der Jugend. Meisterhaft und mit nur wenigen Pinselstrichen gelingt es Richard Yates, »einem der wichtigsten amerikanischen Autoren des 20. Jahrhunderts« (FAZ), psychologische Fallstricke, Lebenslügen und Selbstbetrug im Amerika der 1940er-Jahre aufzudecken – und dabei doch immer auch ein Herz für seine Figuren zu haben.“ (Quelle: Verlagsgruppe Random House)

Meine Meinung:

Ich habe schon einige Bücher von Yates gelesen: Zeiten des Aufruhrs, Elf Arten der Einsamkeit und Eine strahlende Zukunft. Allen Büchern ist gemeinsam, dass sie Beziehungen zwischen Menschen, Mann und Frau, Müttern und Söhnen, Vätern und Töchtern, Müttern und Töchtern und Vätern und Söhnen in der amerikanischen Gesellschaft thematisieren. Das hört sich unspektakulär an. Ist es aber nicht. Yates legt immer den Finger in die Wunde, deckt schonungslos auf, was schief läuft in der amerikanischen Gesellschaft. Er schildert beiläufig Alltagsszenen, die in ihrer Banalität jedem bekannt sind, in seinen Romanen aber immer zu Eskalationen führen. Dieses geschieht fast unbemerkt, das nimmt den Leser gefangen.

„Alle Sorgen wegen Evan Shephards rüpelhaften, pubertären Verhaltens waren überstanden, als er 1935, mit siebzehn, für Automobile entflammte. Das unablässige Schikanieren schwächerer Jungen, die plumpen Beleidigungen gegenüber Mädchen, seine stümperhaften, peinlichen Bagatelldelikte – nichts davon spielte mehr eine Rolle, außer als unangenehme Erinnerung.“ (S. 7)

So beginnt Cold Spring Harbor.

Yates erzählt die Geschichte einer Kleinfamilie. Er früherer Berufssoldat, der gerne mehr darstellen möchte als er ist. Sie, eine verblühte Schönheit, die desillusioniert vom Leben psychische Erkrankungen entwickelt und der Sohn, vermeintlich geläutert. Die Shepards repräsentieren die amerikanische Mittelstandsfamilie der 1940 Jahre. Materiell haben sie nichts auszustehen, emotional aber scheint es nicht rund zu laufen. Geschildert wird Alltägliches, das Leben plätschert so dahin. Veränderungen geschehen unmerklich und nicht immer zum Guten. Das Leben der Familie ist eigentlich immer schon schwierig, aber keiner will es sehen. Die Mentalität des Wegduckens wird in Cold Spring Harbor eindrucksvoll beschrieben. Gleiches gilt für die weitere Handlung: Ein Familienleben beginnt zunächst zu bröckeln… Im Fokus steht der Lebensweg des Sohns der Familie, Evan. Wer will nicht nur das Beste für sein Kind? Wir werden sehen, wie das klappt.

Berichtet wird aus der Perspektive des auktorialen Erzählers. Diese Erzählperspektive unterstreicht den nüchternen Erzählstil Yates‘. Er schreibt wirklich kein Wort zu viel, alles ist wichtig und das, was zunächst nicht wichtig erscheint, wird wichtig! Truman Capote, Ernest Hemingway – an diese großen Schriftsteller kommt Yates locker ran.

Fazit:

Yates schreibt über den amerikanischen Alltag wie er sich in den 1940er bis 1980er Jahren darstellt. Alles ist übertragbar in die heutige Zeit, bei Weitem nicht nur in Amerika. Und alles ist hochaktuell! Kein Buch, wenn man Spektakuläres erwartet, sondern ein Buch zum Nachdenken und Genießen.

Veröffentlicht am 13.11.2017

Was kann einer schon tun?

Was kann einer schon tun?
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Am 21.08.2017 ist das neue Buch von Jugendliteraturpreisträger Peer Martin erschienen. Wie ihr bereits meinen Rezensionen zu Sommer unter schwarzen Flügeln und Grenzlandtage entnehmen konntet, bin ich ...

Am 21.08.2017 ist das neue Buch von Jugendliteraturpreisträger Peer Martin erschienen. Wie ihr bereits meinen Rezensionen zu Sommer unter schwarzen Flügeln und Grenzlandtage entnehmen konntet, bin ich ein großer Fan des Autoren. Was ich über sein neues Buch denke, könnt ihr heute lesen. In meiner Rezension werde ich mit vielen Zitaten arbeiten – anders kann ich nicht ausdrücken, was ich während des Lesens gefühlt habe.

Allgemeines:

Was kann einer schon tun? ist im August 2017 bei der Verlagsgruppe Oetinger erschienen. Das kleine Büchlein ist gebunden und hat ein sehr handliches Format. Auf dem Cover sind unzählige Gesichter verschiedenster Herkunft abgebildet – wahrhaftig passend zu Inhalt und Titel gewählt.

Inhalt:

„Nicht wegschauen! Lesen! Handeln! Vor dem Hintergrund der Terroranschläge in Nizza, Istanbul und Berlin führt Peer Martin vier fiktive Gespräche an vier verschiedenen Orten. Er spricht mit seinem Hund Lola, seinen drei Kindern, einem jungen somalischen Flüchtling und einer deutschen Jugendlichen. Es geht dabei um all die Fragen, die viele von uns derzeit umtreiben, und um diese: Welche Perspektiven haben Jugendliche angesichts dessen, was ihnen die Generation vor ihnen hinterlassen wird?“ (Quelle: Verlagsgruppe Oetinger, Peer Martin)

Meine Meinung:

Als Autor liegt Peer Martin mir sehr am Herzen. Er schreibt Bücher über die Wahrheit. Bücher, die uns helfen können, zu verstehen. Und 2017 werden endlich auch die Fortsetzungen von Sommer unter schwarzen Flügeln – Winter so weit und Feuerfrühling – nicht länger nur als E-Books, sondern als gedruckte Bücher erscheinen. Dem Jugendliteraturpreis sei Dank!

„Frieden ist nicht die Abwesenheit von Krieg. Frieden ist eine Errungenschaft, um die man sich bemühen und die man täglich wiederherstellen muss. Nicht zu schießen schafft noch keinen Frieden.“ (S. 23)


Was kann einer schon tun? beinhaltet vier fiktive Gespräche – mit Martins Hund Lola (,den man als Leserundenteilnehmer seiner früheren Bücher bereits sehr gut zu kennen glaubt), seinen drei Kindern, einem somalischen Flüchtling und einer deutschen Jugendlichen. Vor dem Beginn meiner Lektüre war ich gespannt auf den Inhalt dieser Gespräche. Und nach dem Lesen kann ich euch sagen: Martins Bücher sind wichtig. Wichtig für alle, wichtig dafür, sich wieder in Erinnerung zu rufen, wie groß die Welt ist. Der Grundtenor des Buches wird natürlich durch den Titel vorgegeben. Alle Gespräche drehen sich inhaltlich um die Frage, was einer von uns schon tun kann, um allen zu helfen. Die fiktiven befragten Protagonisten beschäftigen dabei verschiedene Themen. Sie stellen unterschiedliche Fragen und jedes Gespräch führt in eine andere Richtung. Dabei legt Martin wie gewohnt einen schonungslos ehrlichen Ton an den Tag.

„Manchmal frage ich mich, ob jetzt weniger Leute fliehen. Oder wo die alle sind.“ „Im Mittelmeer“, sage ich. (S. 48)

Anders als der ein oder andere Leser, der Martin als Autoren noch nicht kennt, vielleicht denken könnte, liefert er auch dieses Mal keine vorgefertigten Antworten:

„Ich dachte, Menschen wie du…“, beginnt sie und stockt kurz, „haben Antworten.“ (S. 59)

Nein, er liefert lediglich Gedankenanstöße, die jeden von uns dazu bringen sollten, über einige Dinge nachzudenken. Terror, Flucht, Toleranz, Politik, Frieden und Krieg – um nur einige von ihnen zu nennen. Martin regt nicht nur zum Nachdenken, sondern auch zum Helfen an. Denn Hilfe kann in so vielen Dingen liegen. Ob es kleine oder große Tätigkeiten sind, das kann jeder von uns selbst entscheiden. Nur wegschauen, das sollte niemand.

„Es gibt tausend Arten von Hilfe, die nichts kosten. Allein schon die Information, welches der richtige Bahnsteig ist. Es geht darum, dass du dich getraut hast, mit dem Mädchen zu sprechen. Zu springen, wie du es nennst. Ins kalte Wasser. Über deinen Schatten.“ (S. 50)

Obwohl es sich dieses Mal um rein fiktive Gespräche und nicht um einen Roman handelt, springt dem aufmerksamen Leser aus den Zeilen der Schreibstil Martins entgegen. Poetik wird man vermutlich in jedem seiner Bücher finden.

„Da ist zu viel Angst, um sie noch zu fühlen, verstehst du? Ein Meer aus Angst, und wir haben gelernt, darin zu schwimmen. Wir machen was. Wir stehen auf und gehen weg. Wir wollen etwas, wir wollen etwas lernen, einen guten Job, ein besseres Leben. Dafür brauchst du mehr Mut, als um dazubleiben, denn auf dem Weg wirst du betrogen und ausgeraubt und vielleicht auch entführt und eingesperrt und gefoltert, bis irgendwelche Angehörige dich wieder freikaufen, und du musst schwimmen, obwohl du nicht schwimmen kannst, und wandern, obwohl deine Füße nicht mehr weiterkönnen, und du verläufst dich und verdurstest fast im Dschungel von Brasilien oder Panama, und da sind wilde Tiere und Schlangen und Skorpione und Krankheiten, das ganze Meer von Angst begleitet dich immerzu, und dann kommst du hier an, und die Menschen sitzen im Café und essen Kuchen und fürchten sich. Vor dir.“ (S. 73)

Ich habe das Büchlein zwar an einem Nachmittag gelesen, es hat mir aber Stoff für so viele Nachmittage geliefert. Auch ich habe mich gefragt: Was kann einer schon tun? Nach und nach konnte ich meine Gedanken in geregelte Bahnen lenken und Antworten finden. Für mich ganz persönlich. Doch nun frage ich euch: Was kann einer schon tun?

Fazit:

Ein Buch, das jeder lesen sollte. Egal, welcher Religion er angehört, wo seine Wurzeln liegen, oder wie er aussieht. Ein Buch für alle von uns. Für Menschen und für mehr Menschsein.

Veröffentlicht am 13.11.2017

Spannende Lesestunden garantiert

Das Mädchen im Eis
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Allgemeines:

Das Mädchen im Eis ist in England und den USA direkt nach Erscheinen zum Bestseller geworden. Das Buch ist der Beginn einer Krimireihe um die Ermittlerin Erika Foster.

Autor Robert Bryndza ...

Allgemeines:

Das Mädchen im Eis ist in England und den USA direkt nach Erscheinen zum Bestseller geworden. Das Buch ist der Beginn einer Krimireihe um die Ermittlerin Erika Foster.

Autor Robert Bryndza ist in England geboren, lebte dann in Kanada und den USA. Zurzeit lebt er in der Heimat seines Lebensgefährten, der Slowakei. Das Mädchen im Eis ist zeitgleich im September 2017 in 22 Ländern erschienen. Auf Deutsch ist es bei Penguin verlegt, umfasst 432 Seiten und kostet 10 Euro.

Inhalt

„Ein bitterkalter Wintertag hüllt London in Schnee und Schweigen. Das Klingeln eines Handys durchbricht die gespenstische Stille eines zugefrorenen Sees. Doch niemand antwortet. Nur wenige Zentimeter daneben ragen Finger aus dem Eis …

Acht Monate sind vergangen seit Detective Erika Fosters letztem Einsatz, der in einer Katastrophe endete und ihrem Mann das Leben kostete. Doch es ist an der Zeit, nach vorn zu blicken. Die Tochter einer der mächtigsten Familien Londons wurde ermordet, und Erika setzt alles daran, den Schuldigen zu finden. Während sie noch gegen die Dämonen der Vergangenheit kämpft, rückt sie ins Visier eines gnadenlosen Killers.“ (Quelle: Verlagsgruppe Random House)

Meine Meinung:

Dieser erste Band der Krimireihe von Robert Bryndza hat wirklich Potential. Die Handlung beginnt wie bei vielen Krimis abrupt und mit einem Prolog, der den Leser neugierig macht, aber nicht zu viel verrät: Eine junge Frau ist nachts allein auf dem Weg, nein, nicht nach Hause. Einfach auf dem Weg, um irgendwo am Ende einer Straße endlich Empfang mit ihrem Handy zu haben. Die Atmosphäre ist bedrückend und unheimlich. Wen sie anrufen will, wird nicht verraten und wer in dem Auto sitzt, das plötzlich neben ihr hält und sie verfolgt, auch nicht. Dann setzt die eigentliche Handlung ein.

Detektive Erika Forster, neu in der Stadt, wird an ihrem ersten Arbeitstag nach längerer Dienstpause auf den Fall des „ermordeten Mädchens im Eis“ angesetzt, sehr zum Missfallen ganz besonders eines Kollegen. Kein guter Start! Und es wird auch nicht besser. Sie stößt auf Misstrauen und Ablehnung, Neid und Missgunst. Man mag Forster sofort, auch wenn sie nicht gerade sympathisch rüberkommt. Ein Widerspruch in sich, aber trotzdem ist es so.

Das Mädchen, das im Eis gefunden wird, wirft viele Fragen auf: Wurde sie ermordet, weil sie zum Adel gehört? Wurde sie ermordet, weil ihr Vater in dreckige Geschäfte verwickelt ist und war? Wurde sie aus Eifersucht ermordet? Oder von einem Fremden, jemandem aus ihrer Familie? Viele Spuren werden gelegt, aber nur eine ist die richtige. Der Spannungsaufbau ist toll gelungen. Man will unbedingt weiterlesen, weil man sehr oft auf eine Spur gelenkt wird, die sich als Sackgasse erweist. Bryndza entwirft ein beklemmendes Bild einer prominenten Familie, die offensichtlich sehr gut funktioniert, bei der es im Hintergrund aber nicht nur brodelt, sondern lichterloh brennt. Hinzu kommt noch, dass man nicht weiß, inwieweit die ermittelnden Behörden wirklich in der Lage sind, objektiv zu handeln und sich nicht vom Adelstitel dieser Familie beeinflussen lassen. Parallelen zur Realität in England, wo die Handlung angesiedelt ist, sind offensichtlich: Legt man doch gerade in der britischen Gesellschaft großen Wert auf Adelstitel.

Das Buch ist gut übersetzt, hat einen gefälligen Stil und hebt sich dadurch wohltuend von vielen Krimis und Thrillern ab, deren Sprache manchmal kaum auszuhalten ist.

Mit der Figur von Erika Forster hat Bryndza jemanden geschaffen, der noch viele weitere Bände durchhält.

Fazit:

Ein spannender Krimi für lange Lesestunden auf dem Sofa.