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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 20.10.2024

Ermutigung

Empathie und Widerstand
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Auf Grundlage ihrer eigenen Erfahrungen und durch den Blick auf bekannte Aktivistinnen, zeigt Kristina Lunz in „Empathie und Widerstand“ praxisnah, wie man sich Empathie und Widerstand gleichzeitig bewahren ...

Auf Grundlage ihrer eigenen Erfahrungen und durch den Blick auf bekannte Aktivistinnen, zeigt Kristina Lunz in „Empathie und Widerstand“ praxisnah, wie man sich Empathie und Widerstand gleichzeitig bewahren kann und wie beides sich gegenseitig ergänzt. Die Autorin bezieht sich dabei immer wieder auf ihr erstes Buch, eine Einführung in feministische Außenpolitik, die ich ebenfalls sehr gerne gelesen habe. Wer erneut ein ähnlich analytisches und politisches Werk erwartet, könnte hier jedoch enttäuscht werden: Im Vergleich zu ihrem ersten Buch ist dieses schmale Büchlein persönlicher und ratgeberhafter. Es gibt zwar auch einige weiterführende Lektüretipps, im Vergleich jedoch deutlich weniger. Doch gerade in dieser veränderten Herangehensweise liegt für mich der Wert dieses Buches: Es ist nicht nur eine intellektuelle Analyse, sondern eine praktische Ermutigung für all jene, die angesichts der aktuellen Weltlage nicht verzweifelt und trotzdem aktiv werden wollen.

Für mich kam diese Ermutigung von Aktivistin Kristina Lunz, angesichts der Weltlage weder aufzugeben noch zynisch zu werden oder abzustumpfen, genau zum richtigen Zeitpunkt. Sicherlich ist Vieles, was sie über die klare Haltung gegenüber den gesellschaftlichen Entwicklungen, die man für sich finden muss, nicht neu oder besonders überraschend. Aber ab und zu von Menschen, die sich für Ähnliches einsetzen, wie man selbst, zu hören oder zu lesen, dass es okay ist, Ambivalenz und Empathie zuzulassen, während man gleichzeitig Grenzen setzt, tut manchmal einfach gut. Ein Buch für alle, die aktiv sind, um die Hoffnung nicht zu verlieren!

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Veröffentlicht am 12.10.2024

Erschütternd aktuell

Skogland 3. Skogland brennt
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Kirsten Boies „Skogland 3. Skogland brennt“ ist ein erschütternder und hochaktueller Jugendroman, der die Gefahren des Rechtsextremismus‘ schonungslos aufzeigt. In einer fiktiven Welt, die bedrückend viele ...

Kirsten Boies „Skogland 3. Skogland brennt“ ist ein erschütternder und hochaktueller Jugendroman, der die Gefahren des Rechtsextremismus‘ schonungslos aufzeigt. In einer fiktiven Welt, die bedrückend viele Parallelen zur Realität aufweist, thematisiert Boie die Radikalisierung der Gesellschaft in Skogland. Skogland ist erst wenige Jahre demokratisch, doch die Menschen im Norden sind unzufrieden, einige Rebellen reagieren mit Anschlägen. Dies nutzt die rechtsextreme Partei (APP) für Propaganda und ihren Aufstieg, um die Demokratie wieder abzuschaffen. Diese Dynamik führt zu einem schrecklichen Attentat gegen Jugendliche, das beklemmend an die Tragödie von Utoya erinnert. Hier wird schon deutlich: Der Roman ist nichts für jüngere Jugendliche und nichts für Jugendliche, die aktuell ohnehin schon furchtbare Ängste vor dem Aufstieg der Rechtsextremen in Deutschland haben. Für alle anderen ist es ein Roman, der aufrütteln und daran erinnert, wie wichtig es ist, sich nicht teilen zu lassen, um Freiheit und Demokratie zu verteidigen.

Der Einstieg in den Roman ist leicht, dank Boies klarer Sprache und der kurzen Kapitel, die das Lesen flüssig und packend machen. Schnell entwickelt sich eine Spannung, die einen förmlich durch das Buch treibt. Doch gerade die düsteren Entwicklungen und die teils erschreckend präzise gezeichneten Figuren, wie der charismatische und gleichzeitig gefährliche Bolström, werfen immer wieder einen dunklen Schatten auf die Geschichte. Seine Vision, die Demokratie durch ihre eigenen Mittel zu untergraben und die Medien für rechtsextreme Propaganda zu instrumentalisieren, ist beklemmend nah an der Realität und erinnert unweigerlich an heutige politische Strömungen wie die AfD. Diese Parallelen sind schwer auszuhalten, aber genau das ist Boies Stärke: Sie zeichnet ein Bild, das so unheimlich real wirkt, dass einem beim Lesen oft der Magen umgedreht wird.

Die Charaktere sind in ihrem Gut-Böse-Schema zwar einfach gestrickt, aber gerade für ein jugendliches Publikum kann dies aus meiner Sicht sinnvoll und notwendig sein. Es gibt keine Entschuldigung für rechtsextreme Meinungen – das macht der Roman deutlich. Auch wenn eine Person noch so nett wirkt, wie Bolström oder der nette Nachbar, sind solche Ideologien nicht hinnehmbar. Diese klare Botschaft ist besonders in der heutigen Zeit wichtig, in der Rechtspopulisten oft auf vermeintlich sympathische Weise versuchen, ihre gefährlichen Ansichten zu verbreiten.

Neben all den positiven Aspekten des Buches gibt es jedoch auch einige Leerstellen, die mich gestört haben. Es bleibt offen, was mit den Rebellen im Norden geschieht, und auch die Beziehung zwischen den Jugendlichen, die wir durch den Roman begleiten, wird nur oberflächlich behandelt, Vieles wird zu Gunsten des hohen Tempos des Romans nicht genau beschrieben. Dennoch kann ich „Skogland 3. Skogland brennt“ nur als einen wichtigen und berührenden Roman bezeichnen, der nicht nur für Jugendliche, sondern auch für Erwachsene. Wenn mich ein Roman so erreicht, dass ich noch vor dem Frühstück weiterlesen muss und über mehrere Seiten hinweg Rotz und Wasser heule, kann ich einfach nur 5 Sterne vergeben.

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Veröffentlicht am 08.10.2024

Leicht und schwer

Hey guten Morgen, wie geht es dir?
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"Hey guten Morgen, wie geht es dir?" von Martina Hefter ist ein vielschichtiger Roman voller Kontraste. Die Protagonistin Juno steht im Zentrum dieser Erzählung, die in kurzen, fast assoziativen Episoden ...

"Hey guten Morgen, wie geht es dir?" von Martina Hefter ist ein vielschichtiger Roman voller Kontraste. Die Protagonistin Juno steht im Zentrum dieser Erzählung, die in kurzen, fast assoziativen Episoden erzählt wird – was für mich überraschend gut funktioniert hat. Ich habe ihn in einem Rutsch durchgelesen.

Tagsüber kümmert sich Juno liebevoll um ihren schwerkranken Ehemann Jupiter. Zusätzlich zu dieser Rolle als Partnerin und Pflegerin ist Juno Künstlerin, Schauspielerin und Tänzerin. Doch was den Roman besonders interessant macht, ist die Art, wie Hefter Junos nächtliche Eskapaden ins Internet schildert, wo sie mit Love-Scammern chattet. Diese Online-Kontakte geben Juno Raum zur Flucht und Freiheit. In diesen Gesprächen kann sie sämtliche Masken ablegen – oder neue aufsetzen. Sie lässt sich auf das perfide Spiel der Betrüger ein, nur um es auf den Kopf zu stellen. Denn anstatt Opfer zu sein, manipuliert sie selbst, belügt und verdreht die Wirklichkeit. Als sie online schließlich auf Benu trifft, einen Mann, der tatsächlich Interesse am Gespräch mit Juno hat, beginnt eine Beziehung auf Distanz, die Juno beständig dazu bringt, ihre Entscheidungen und Urteile zu hinterfragen.

Die Stärke des Romans liegt für mich in seiner Leichtigkeit, trotz der Schwere der Themen, die er behandelt. Liebe, Krankheit, Einsamkeit und die Suche nach einem selbstbestimmten Leben sind allgegenwärtig. Doch Hefter umgeht jedes Pathos und jedes Klischee. Ihr Stil ist nüchtern, fast lakonisch. Mir hat die Lektüre großen Spaß gemacht!

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Veröffentlicht am 06.10.2024

Die Abgründe Hollywoods

Das Comeback
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"Das Comeback" von Ella Berman, einfühlsam übersetzt von Elina Baumbach, ist ein packender Roman, der tief in die Abgründe Hollywoods und der amerikanischen Gesellschaft blickt. Im Zentrum der Geschichte ...

"Das Comeback" von Ella Berman, einfühlsam übersetzt von Elina Baumbach, ist ein packender Roman, der tief in die Abgründe Hollywoods und der amerikanischen Gesellschaft blickt. Im Zentrum der Geschichte steht Grace Turner, ein ehemaliger Teenie-Star, der nach einem Jahr im Verborgenen plötzlich nach Hollywood zurückkehrt – um sich dort ihrem einstigen Leben, in dem sie den toxischen Machtstrukturen wehrlos ausgeliefert war, zu stellen.

Berman gelingt es, mit ihrer Hauptfigur eine authentische und vielschichtige Protagonistin zu schaffen. Grace ist sowohl zerbrechlich als auch mutig, sie ist einerseits entschlossen, nicht länger ihre Opferrolle zu akzeptieren, andererseits hat sie in Hollywood kaum Verbündete. Für mich stellt sie damit den Kampf vieler Frauen gegen toxische Machtstrukturen und die lange unterdrückte Wahrheit der MeToo-Bewegung authentisch dar. Es wird gezeigt, wie manipulative Machtverhältnisse das Leben junger Frauen zerstören können und wie schwierig es ist, gegen übermächtige Figuren der Filmindustrie anzukämpfen, die als unantastbar gelten.

Fragen von Resilienz und Selbstermächtigung ziehen sich wie ein roter Faden durch den Roman, wobei ich es sehr gut fand, dass diese nicht verkitscht und vereinfacht dargestellt werden. Stattdessen werden diese Fragen oftmals offengelassen. Das trägt zur Spannung des Romans bei, der flüssig und mit immer neuen Wendungen schnell erzählt wird. Es ist eine Geschichte über das Durchbrechen des Schweigens und die Rückeroberung der eigenen Stimme – ein Thema, das auch sieben Jahre nach MeToo immer noch große Relevanz hat.

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Veröffentlicht am 30.09.2024

Rasant, kreativ, intelligent

Antichristie
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"Antichristie" ist ein Roman, wie ich ihn noch nie zuvor gelesen habe – und er hat mich von der ersten bis zur letzten Seite gefesselt. Die Geschichte beginnt im London des Jahres 2022, unmittelbar nach ...

"Antichristie" ist ein Roman, wie ich ihn noch nie zuvor gelesen habe – und er hat mich von der ersten bis zur letzten Seite gefesselt. Die Geschichte beginnt im London des Jahres 2022, unmittelbar nach dem Tod der Queen. Inmitten der Trauernden tritt Durga auf, internationale Drehbuchautorin sowie Tochter eines Inders und einer Deutschen. Ihr neuestes Projekt, eine dekoloniale Neuauflage eines Agatha-Christie-Films, bildet den Rahmen der Erzählung. Doch plötzlich springt die Handlung ins Jahr 1906, und Durga begegnet indischen Revolutionären, die keineswegs die pazifistischen Ideale Gandhis vertreten, die Durga immer für richtig gehalten hatte.

Die raschen Wechsel zwischen den Zeitebenen tragen wesentlich zum Sog des Romans bei. Die Erzählung ist rasant und voller Energie, doch ebenso wird das Tempo immer wieder durch sprachliche und formale Experimente aufgelockert. Diese stilistische Vielfalt sorgt dafür, dass auf den über 500 Seiten niemals Langeweile aufkommt. Gleichzeitig wird man als Leser:in herausgefordert: Die Erzählweise zwingt einen zum Nachdenken und es entstehen ständig neue Fragen über Kolonialismus und die damit verbundenen Widerstandsbewegungen.

Der Roman schafft es, historische Fakten mit persönlicher Tiefe und einer erzählerischen Leichtigkeit zu verbinden, die niemals belehrend wirkt. Stattdessen werden Perspektiven auf komplexe Fragen aufgezeigt, und man ist stets dazu eingeladen, sich selbst eine Meinung zu bilden. Durga als zentrale Figur, die mit beiden Kulturen tief verwoben ist, fungiert als Brücke zwischen der Vergangenheit und der Gegenwart – und zwischen den verschiedenen Perspektiven auf die britische Kolonialherrschaft. Trotz des scheinbar schweren Themas liest sich der Roman deshalb oft erstaunlich leicht. Dafür sorgt auch der trockene, scharfzüngige Humor, der die Geschichte durchzieht. Es gibt wenige, wenn auch spürbare Passagen, die sich in die Länge ziehen, aber angesichts der 550 Seiten ist das kaum vermeidbar und schmälert das Lesevergnügen nur minimal.

Es scheint fast unangemessen, bei einem solch ernsten Thema so viel Freude am Lesen zu empfinden – und doch ist genau das die Stärke von "Antichristie". Es ist ein Roman, der fordert und bewegt, aber auch unterhält.

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