Politische Inkorrektheit, um zu schockieren: Die „Selbstverfickung“ eines Wutbürgers
Ehrlich gesagt, habe ich mich außerhalb des Klappentextes vor der Lektüre von Oskar Roehlers „Selbstverfickung“ nicht großartig mit dem Buch auseinandergesetzt. Hätte ich das mal besser getan! Denn was ...
Ehrlich gesagt, habe ich mich außerhalb des Klappentextes vor der Lektüre von Oskar Roehlers „Selbstverfickung“ nicht großartig mit dem Buch auseinandergesetzt. Hätte ich das mal besser getan! Denn was Roehler hier in den Mantel einer Fiktion wickelt, könnte sehr gut eine zur Spitze getriebene Autobiographie sein. Bei Recherchen nach der Lektüre, die mich doch etwas verdattert zurückgelassen hat, habe ich auch noch herausgefunden, dass „Selbstverfickung“ fast nicht herausgegeben wurde — kein Verlag wollte es veröffentlichen! Jetzt machte so vieles Sinn. Doch zunächst einmal zum Inhalt: Gregor Samsa (frei nach Kafka), unser Protagonist, ist ein verbrauchter alter Regisseur, der seine besten Tage hinter sich hat. Die Wohlstandsverwahrlosung greift um sich, und Samsa verbringt seine Tage mit diversen Puffbesuchen, gelangweilten Shoppingtouren und dem übermäßigen Verzehr von Hummer. Die ewige Unentschlossenheit versucht er durch gewiefte Selbsttäuschung zu eliminieren, die Beziehung mit seiner Tochter ist ins Absurde gelaufen. Voller Hass und Verachtung blickt er auf seine Vergangenheit zurück, als er einige wenige Erfolge als Filmeschmied verbuchen konnte. Diese Medienlandschaft, diese verkommenen „Schauspieler“, wie sie sich schimpfen, lösen in Samsa eine kalte Wut aus. Politisch inkorrekt regt er sich aber auch über die Menschen in seinem Umfeld auf, sei es nun der „affenartige“ Sicherheitsmann am KaDeWe oder die gammligen Flaschensammler, die mit überzogener Gewaltbereitschaft „ihre“ Mülleimer verteidigen. Samsa hegt einen Hass gegen Gott und die Welt und macht auch keinen Hehl darum. Einzig allein mit seiner Tochter, die bei ihm lebt, versteht er sich noch gut, wobei deren Beziehung auch zu etwas verkommen ist, das für Außenstehende sehr merkwürdig wirken muss. Denn aus der Langeweile spielen die beiden immer wieder ein kleines „Programm“ ab, wenn sie mal wieder zuhause ist. Samsa macht sich wortwörtlich zum Hund und kläfft penetrant um ihre Aufmerksamkeit — nicht unähnlich wie Roehler mit diesem Buch.
Wovor hatte er eigentlich Angst? Dass er die Cargo-Hose nicht finden würde? […] Er wusste, dass er nicht aufgeben würde, die Hose zu suchen, auch wenn er dabei den ganzen Tag verplempern würde. Das war die Krux. Er würde wieder Dinge tun, die absolut sinnlos waren. Weil er es sich in den Kopf gesetzt hatte. Obwohl ihm jegliche Lust dazu fehlte. Es war das gleiche Prinzip wie bei den Nutten. Er ging, obwohl er überhaupt keine Lust hatte, wie ferngesteuert in den Puff, nur weil Montag war, lustlos wie zu einer Routineuntersuchung.
Nüchtern, voller geballtem Hass, politisch inkorrekt und mit mehr Instanzen des Wortes „ficken“ wie im Gesamtwerk von Charlotte Roche knallt uns Oskar Roehler seine „Selbstverfickung“ vor den Latz. Der Eindruck entsteht, es handele sich hier um die Memoiren eines Wutbürgers erster Klasse, die Ausrufezeichen liefern sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit „ficken“ und „Schwanz“ – man kommt als Leser aus dem ungläubigen Staunen kaum heraus. Doch leider ist das Staunen keine gute Art von Staunen: Denn was anfänglich noch sehr interessant beginnt (Alternder Regisseur vertreibt seine Zeit, treibt sich rum, ist grummelig und muffelig a lá Ove), artet sehr schnell aus. Die Szene im Matratzencenter zu Beginn des Buches, wo Samsa sich scheinbar um die Gefühle des Verkäufers schert und diesen mit dem Kauf einer Matratze glücklich macht, nur um diese später zu stornieren, macht stark den Eindruck, als handele es sich bei „Selbstverfickung“ um ein interessantes, witziges Buch über einen Menschen in seinen besten Jahren, der mit diesen aber nichts mehr anzufangen weiß. Doch weit gefehlt. „Selbstverfickung“ artet, wie der Name bereits vermuten lässt, nach einigen weiteren Seiten aus in ein schwanzgesteuertes Abenteuer, angereichert mit ewigen Hasstiraden. Kann man den anfänglich leicht muffigen und schrulligen Gregor, der schlicht seinem Hedonismus frönt, vielleicht noch gut leiden, schlägt die Sympathie doch schnell ins Gegenteil um. Immer wütender wird unser Protagonist, bis er sich letzten Endes statt in einen Käfer in einen Hund, der eine Windel trägt, verwandelt. Versteht ihr nicht? Keine Sorge, ich nämlich auch nicht.
Die vollständige Rezension findet ihr auf meinem Blog: http://killmonotony.de