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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 19.11.2022

Bewegender Blick in die Kinderseele der Schauspielerin

Brunnenstraße
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Man kennt Andrea Sawatzki als Schauspielerin und kann mit diesem Buch auch ihr schriftstellerisches Talent kennenlernen und zugleich eine große schonungslose Selbstoffenbarung dieser großartigen Frau erfahren. ...

Man kennt Andrea Sawatzki als Schauspielerin und kann mit diesem Buch auch ihr schriftstellerisches Talent kennenlernen und zugleich eine große schonungslose Selbstoffenbarung dieser großartigen Frau erfahren. Beschrieben wird die Kindheit von Andrea Sawatzki, aus deren Sicht in der Ich-Perspektive erzählt, in kurzweiligen Kapiteln dargeboten und nicht chronologisch aber bestens nachvollziehbar geordnet. Durch ihren schnörkellosen Schreibstil und die emotionale Brisanz der Schilderungen gelingt der Autorin ein bewegendes biographisches Werk. Mich hat das Mitgefühl gepackt, wenn Andrea Sawatzki beschreibt, wie sie als Kind nicht nur Care-Tätigkeiten zu übernehmen hatte, sondern auch von ihrer Mutter so parentifiziert wurde, dass eine gesunde kindliche Entwicklung behindert wurde. Der demenzkranke Vater wird von Mutter und Tochter gepflegt, dass das Bedürfnis der Mutter ihn nicht in ein Heim zu geben zu Lasten von Andrea und deren Liebe zum Vater geht. Geschildert werden herzzerreißende Szenen wie körperliche Auseinandersetzungen oder hygienische Fehltritte eines kranken Mannes, denen die Autorin hilflos ausgesetzt war. Andrea wünscht sich das Ende dieser Belastung herbei, was sich im Wunsch äußert, der Vater möge endlich sterben. Mit der Brille der heutigen Zeit lesend frage ich mich, wo das Jugendamt war, wie niemand sehen konnte, wie es diesem Kind geht. Es bleibt eine tiefe Bewunderung für die Leistung von Andrea Sawatzki, eine Empathie für diesen schwierigen Start ins Leben und das Gefühl, ein gutes Buch gelesen zu haben.

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Veröffentlicht am 04.10.2024

Historischer Roman über Frauenschicksale

La Louisiane
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„La Louisiane“ ist ein beeindruckender historischer Roman, der mir vor allem durch seine facettenreichen Figuren und das ungewöhnliche Setting in Erinnerung bleiben wird. Im Mittelpunkt stehen drei Frauen, ...

„La Louisiane“ ist ein beeindruckender historischer Roman, der mir vor allem durch seine facettenreichen Figuren und das ungewöhnliche Setting in Erinnerung bleiben wird. Im Mittelpunkt stehen drei Frauen, die 1720 aus Paris in die französischen Kolonien Amerikas verschifft werden. Ursprünglich Insassinnen der berüchtigten Anstalt Salpêtrière, sollen sie in der neuen Welt Ehefrauen und Mütter werden. Die Reise auf dem Dreimaster „Baleine“ ist beschwerlich, voller Gefahren und Entbehrungen, aber auch von Momenten der Hoffnung und Freundschaft geprägt. In der Kolonie angekommen, stehen die Frauen vor weiteren Herausforderungen – das Leben dort ist hart, das Klima und die Kultur fremd.
Besonders gelungen fand ich die Charaktere: Charlotte, eine scharfzüngige Waise, Geneviève, eine verbitterte Engelmacherin, und Pétronille, eine Adelige mit einem entstellenden Muttermal. Ihre Entwicklung während der langen Reise und im rauen Leben der Kolonien ist beeindruckend und facettenreich dargestellt. Die Geschichte wird abwechselnd aus verschiedenen Perspektiven erzählt, was den Figuren eine besondere Tiefe verleiht. Dabei ist die Sprache packend und bildhaft, und es gelingt der Autorin, trotz des historischen Kontexts eine moderne, zugängliche Erzählweise zu finden.
Allerdings empfand ich den ersten Teil des Buches als etwas schwerfällig, vor allem wegen der vielen Namen und fehlenden Erklärungen für französische Begriffe. Hier hätte ein Glossar oder Personenverzeichnis hilfreich sein können. Doch sobald sich die Handlung in der neuen Welt entfaltet, nimmt das Tempo zu, und die Geschichte wird packender. Besonders spannend fand ich die Einführung der indigenen Heilerin Uto’wv Eco konesel, die Pétronille in die Geheimnisse der Heilkunst einführt. Diese Figur gibt der Erzählung eine zusätzliche Tiefe und eröffnet eine faszinierende Perspektive auf das koloniale Leben.
Insgesamt ist „La Louisiane“ ein fesselnder Roman über starke Frauen, die trotz harter Schicksale ihren Weg suchen und finden. Wer sich für historische Romane interessiert, die sich mit weniger bekannten Epochen und Schauplätzen beschäftigen, wird hier auf seine Kosten kommen.

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Veröffentlicht am 21.09.2024

Einblicke in die Welt eines Deserteurs

Und später für immer
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„Und später für immer“ von Volker Jarck erzählt die Geschichte des deutschen Soldaten Johann Meinert, der im Jahr 1945 gegen Ende des Zweiten Weltkriegs desertiert. Basierend auf den Tagebuchaufzeichnungen ...

„Und später für immer“ von Volker Jarck erzählt die Geschichte des deutschen Soldaten Johann Meinert, der im Jahr 1945 gegen Ende des Zweiten Weltkriegs desertiert. Basierend auf den Tagebuchaufzeichnungen des Großvaters des Autors schildert das Buch die acht Wochen, in denen Johann sich auf dem Bauernhof seiner Tante versteckt, stets in Angst, entdeckt zu werden. Die Begegnung mit dem jungen Mädchen Frieda, das sein Geheimnis kennt, bringt zusätzliche Spannung – wird sie ihn verraten oder schweigen?
Obwohl die Geschichte gut recherchiert ist und authentische Einblicke in die letzten Kriegstage bietet, fiel es mir schwer, eine emotionale Bindung zu den Charakteren aufzubauen. Johann, als Hauptfigur, bleibt für mich oft distanziert. Seine inneren Kämpfe und Ängste werden zwar detailliert beschrieben, doch es fehlt an Momenten, die ihn als Person greifbar oder sympathisch machen. Auch Frieda, die in der Geschichte eine wichtige Rolle spielt, bleibt eher blass und wirkt mehr wie ein dramaturgisches Mittel als eine echte Figur mit Tiefe.
Der Roman konzentriert sich stark auf die Atmosphäre und die schwierigen Entscheidungen, die Johann treffen muss, doch durch die vielen Zeitsprünge und Rückblenden verliert die Handlung manchmal an Klarheit. Die ständige Spannung, ob Johann entdeckt wird oder nicht, konnte mich deshalb nicht durchgängig fesseln. Auch die emotionale Nähe zu den Figuren, die für mich bei einer solchen Geschichte entscheidend ist, blieb auf der Strecke.
Dennoch ist das Buch sprachlich gelungen, und der Autor schafft es, die bedrückende Stimmung der letzten Kriegstage gut einzufangen. Wer sich für historische Romane interessiert und eher auf leise, nachdenkliche Töne setzt, könnte hier fündig werden. Für mich jedoch blieb die Geschichte aufgrund der fehlenden Bindung zu den Charakteren leider etwas unberührend.

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Veröffentlicht am 07.09.2023

Gemäßigter Thriller

Eine glückliche Familie
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Beth wurde im Alter von 10 Jahren von ihrer Mutter verlassen, als diese spurlos verschwand. Und Beth hat eine eigene Leiche im Keller. Als sie selbst Kinder und Familie hat, 30 Jahre später, steht plötzlich ...

Beth wurde im Alter von 10 Jahren von ihrer Mutter verlassen, als diese spurlos verschwand. Und Beth hat eine eigene Leiche im Keller. Als sie selbst Kinder und Familie hat, 30 Jahre später, steht plötzlich eine Frau vor ihr, die sich als ihre Mutter ausgibt. Aus dieser Sachlage entspinnt Jackie Kabler einen eher leichten Thriller, mehr ein wendungsreiches Drama.

Typischerweise dachte ich beim Lesen bis zum Schluss, ich wüsste wie die Story endet und wurde dann doch eines besseren belehrt. Aber spektakulär war das nicht, eher gemäßigt und slowly. Die Twists streckten sich auf den letzten Seiten, ein bisschen sanft und gummihaft, perfekt für Sommer, Sonne und Strand.

Auch wenn dieser Psychothriller weniger spannend ist, kann er Freunden des Genres gefallen, die auf gemäßigten Kitzel stehen. So als seichte Lektüre, vielleicht im Urlaub, am Rande - das kann ich mir gut vorstellen.

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Veröffentlicht am 16.07.2023

Imposanter Familienroman

Porträt auf grüner Wandfarbe
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Imposant und mitreißend kommt dieses Buch daher, mehr als ein Roman. Es handelt sich eher um ein Geflecht, das komplex ineinander greifend erzählt wird.

Auf zwei Zeitebenen, Vergangenheit ab 1918 und ...

Imposant und mitreißend kommt dieses Buch daher, mehr als ein Roman. Es handelt sich eher um ein Geflecht, das komplex ineinander greifend erzählt wird.

Auf zwei Zeitebenen, Vergangenheit ab 1918 und Gegenwart ab 1992, erzählt Elisabeth Sandmann die Geschichte einer Freundschaft zwischen zwei Frauen, Ilsa und Ella. Beide sind unauflöslich, nah und phasenweise schmerzhaft miteinander verbunden. In einer gehaltvollen Story erzählt und in einem vielschichtigen Familiengeflecht eingebettet, gelingt der Autorin eine Familienevolution zu schreiben, in der Schweigen über die eigene Familiengeschichte zum Kern des Problems wird. Geheimnisse werden wohl gehütet, Schuld hin und her geschoben, Lösungen durch Unterschlagen zu erzwingen versucht. „Der Regen kehrt nicht mehr nach oben zurück“, wird über die Vergangenheit gesprochen. Ans Licht gelangt und in die Gegenwart gebracht wird die Story durch Ilsas Enkelin Gwen und deren Recherchen in alten Aufzeichnungen, Gesprächen im Hier und Jetzt sowie einer Reise nach Polen. „Gwen war in eine Familiensaga geraten, und ihr schien es, als käme ihr als zentraler Figur nun die Schlüsselrolle zu, über Verlauf und Ende dieses vor langer Zeit begonnenen Romans zu bestimmen. Sie war es, die die nächsten Kapitel schreiben würde.“

Auch wenn Bösewichte hier schwarz oder weiß gemalt werden, damit die emotionale Betroffenheit beim Leser / bei der Leserin gnadenlos erzeugt wird, ist das Buch kein einfaches. Anspruch besteht in dem Familienkonstrukt, das durch eine Teilauflistung der handelnden Personen auf dem Lesezeichen zu verstehen erleichtert werden soll. Das gelingt nur zum Teil, ein echtes Personenregister hätte wahrlich geholfen. Der Schreibstil wiederum nimmt mit, ist flüssig, phasenweise etwas langatmig.

Dieses Buch ist für alle Freunde von Beziehungskisten, Familiengeschichten und historischen Romanen geeignet. Für diese spreche ich eine Leseempfehlung aus.

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