Beklemmende Milieu- und Charakterstudie
Wer die historischen Romane von Sabine Weiß kennt, wird von dem neuen Roman vielleicht überrascht sein. Schon das Cover signalisiert, dass es sich hier, wenn auch um einen historischen Roman, um etwas ...
Wer die historischen Romane von Sabine Weiß kennt, wird von dem neuen Roman vielleicht überrascht sein. Schon das Cover signalisiert, dass es sich hier, wenn auch um einen historischen Roman, um etwas gänzlich anderes handelt. Waren die bisherigen Romane vor allem unterhaltsame Werke mit hervorragend recherchierten Fakten zu einem bestimmten Thema, handelt es sich diesmal um eine Milieu- und Charakterstudie, die etwas schwerer zu lesen ist, manchmal beklemmende Gefühle hervorruft und innehalten lässt, anstatt in einem Rutsch durchzulesen.
Beschrieben wird das Elternhaus und die Entwicklung von Louis Stevenson, Sohn eines Leuchtturmbauers, der Ingenieurwissenschaften studieren muss und in die Fußstapfen seines Vater treten soll, jedoch viel mehr Spaß an Literatur und am Schreiben hat. Es geht um die inneren und äußeren Kämpfe, die Louis mit seinem Vater, v.a. aber mit sich selbst austrägt.
Das religiös, fast puritanisch geprägte Zuhause des Protagonisten lässt, geprägt von Erzählungen über die Qualen des Jenseits in Fegefeuer und Hölle, die einen angeblich erwarten, wenn man nicht genau das tut, was die Eltern von einem erwarten, Eigenständigkeit nicht zu. Sonntägliche Gottesdienste, Bibellesungen und Gebete sind allgegenwärtig, es wird mit Schuldgefühlen gearbeitet. Auf diese Weise werden die Flügel des jungen Louis gestutzt, bevor er sie zum ersten Mal ausbreiten kann. Eingeschnürt in ein enges Korsett der Gesetze, die für diese Familie gelten, ist jeder Versuch, sich selbst zu finden, zum Scheitern verurteilt.
So verwundert es nicht, dass Louis in Selbstzweifeln versinkt, sich nichts zutraut, sich für einen schlechten Menschen hält, glaubt, nichts zu können und zu nichts zu taugen, die Vorlesungen schwänzt, ziellos umherstreift, in Depressionen verfällt und Erleichterung in Feierexzessen, Alkohol und Drogen sucht. Dass er am Ende doch noch sein Ziel erreicht und ein hervorragender Autor wird, spricht für seine Charakterstärke.
Das alles ist hervorragend erzählt und beschrieben, ohne Übertreibungen, ohne Pathos, ohne erhobenen Zeigefinger. Der Leser wird gefangengenommen von den Gefühlen des Protagonisten und den beschriebenen Verhältnissen.
Zugleich erleben wir die Schönheiten Schottlands und erfahren viel über Geschichte und die damaligen Gefahren beim Leuchtturmbau.
Ein Glossar, Karten und zahlreiche zusätzliche Informationen am Ende des Buches sind eine erfreuliche Zugabe.
Es ist mit Abstand das beste Buch, das Sabine Weiß geschrieben hat.