Startet stark, endet schwach
Hey guten Morgen, wie geht es dir?„Hey Guten Morgen, wie geht es dir?“, der neue Roman und Deutscher Buchpreisträger von Martina Hefter, erschienen 2024 bei Klett-Cotta, verliert sich nach einem starken Start im Mittelmaß.
Das Buch liest ...
„Hey Guten Morgen, wie geht es dir?“, der neue Roman und Deutscher Buchpreisträger von Martina Hefter, erschienen 2024 bei Klett-Cotta, verliert sich nach einem starken Start im Mittelmaß.
Das Buch liest sich eingangs superfluffig und macht richtig viel Spaß – gerade, weil sich unter der Leichtigkeit auch eine Menge Tiefgrund verbirgt. Die schlaflose Juno, die Göttin der Geburt, der Ehe und Fürsorge, gleichgesetzt mit Hera und somit die Bossgöttin aller Göttinnen (und ein Asteroid) pflegt Jupiter, den allmächtigen und alles verzehrenden Zeus der römischen Mythologie und zeitgleich den größten Planeten unseres Sonnensystems. (Leider findet sich im weiteren Verlauf des Buches kaum Bezug zu dieser Analogie.) Dabei verpasst Juno unter Umständen ihr eigenes Leben und noch mehr unter Umständen ist das sogar selbst gewählt, denn es offenbart sich, dass Jupiter eigentlich auch noch allein klarkommt. Laut Juno allerdings mit weniger Lebensqualität – da sich schnell andeutet, dass es eigentlich kaum mehr richtigen Kontakt zwischen dem Paar gibt und jede:r sich zunehmend sein eigenes Universum schafft, stellt sich eher die Frage, wozu Juno dieses Abhängigkeitssystem braucht. Vielleicht, um sich nicht dem eigenen Leben stellen zu müssen und den Fragen, die sie tief versteckt in ihrem Inneren umtreiben: Was will ich eigentlich vom Leben? Habe ich noch Ziele? Traue ich mich ran an mein Potential? Erlaube ich mir, mit Karacho zu scheitern, erlaube ich mir, wirklich von mir und meinem Talent überzeugt zu sein – und dass es dann wehtun könnte, wenn andere das anders sehen? Wie gehe ich um mit der eigenen Endlichkeit?
Die Sprache ist wundervoll, so viele schöne Sätze, dabei ist alles sparsam und knapp, nicht unnötig ausschweifend, gut gewählte kleine Sterne, die am Buchhimmel aufblitzen.
Der beschriebenen Theaterwelt merkt mensch an, dass Martina Hefter selbst dort unterwegs ist – umso mehr stört mich die große Ungenauigkeit, dass durchweg mit Bühnenlicht und Nebel geprobt wird, von Anfang an – das ist totaler Quark. Ich wünsche mir immer sehr, dass Kolleg:innen unsere Welt korrekt darstellen, es gibt eh so viel Irrglauben darüber, das muss nicht sein für ein bisschen Atmosphäre.
Benu, der Totengott, das Gegenüber im Internet, der Love-Scammer, der identifiziert wird und bei dem Juno trotzdem hängen bleibt als Kommunikationspartner, bleibt leider relativ konturlos, Jupiter, der Pflegefall zuhause ebenso.
Formal mochte ich, dass Hefter ihrem Buch einen Trailer voranstellt. Die kurzen Kapitel machen das Lesen leicht. Viele Lieblingssätze, ich hebe mal nur einen hervor: „Man muss nur kurz die Erde anheben.“ Der Buchtitel fällt früh. Den mag ich sowieso sehr, er fasst die Verlagerung unserer Kommunikation auf die Chatebene so gut zusammen. Auch gut die eingestreuten Informationen über Nigeria und unser nach wie vor sehr postkoloniales Denken.
Juno wird immer mutiger in ihrem Kontakt zu Benu, der auch einen Eskapismus aus ihrem eigenen Leben darstellt, kritisiert sich aber auch hart dafür. Ich mochte ihre Gedanken sehr: „Aber ohne Naivität keine Entdeckungen. Man musste manchmal die Möglichkeit des Todes ausblenden können, sonst kam man nicht weiter, und dazu musste man ein bisschen naiv sein.“ Oder wie ich zu sagen pflege: „Ohne Risiko kein Spaß.“ Auch gute Gedanken, die sich Juno über privilegiertes westeuropäisches Leben macht. Nichts, was wir haben, nichts, was wir tun, richten keinen Schaden an, an einer anderen Stelle auf der Welt. Das ist ein Gedanke, der so klar ausgesprochen extrem bedrückend ist. Und auf den wir in einigen Bereichen so wenig Einfluss haben. Weshalb zumindest Awareness so wichtig ist. Generell arbeitet Hefter das Thema „privileged White European person“ einfach perfekt heraus mit vielen kleinen Facetten und Unternoten. Und so geschickt in die Geschichte eingearbeitet, so selbstreflektierend und nicht anklagend, dass es richtig gut gelingt, den Finger in die Wunde zu legen, ganz nebenbei.
Was auch gut herauskommt ist Junos große innere Einsamkeit und ihr Gefangensein in dem Leben, wie es bei ihr gerade läuft. Und aus dem sie keinen Ausgang findet, sich dabei aber verloren hat. Nicht untypisch für den Lebensabschnitt, irgendwie feststecken in der Verantwortung für andere und die Antwort auf die Frage „und ich?“ nicht mehr formulieren können, aber innendrin steckt ganz viel Sehnsucht fest. Benu öffnet diese Büchse der Pandora nur durch seine Existenz.
Die kurzen Chats der beiden lockern die Prosa immer wieder auf und bieten auch Raum für Komik, das ist gelungen.
Ab der Mitte des Buches tritt Hefter dann aber leider auf der Stelle und schon nach kurzen Leseunterbrechungen gibt es nicht mehr viel Erinnerung an das schon Gelesene, da bleibt nichts hängen. Juno ging mir zunehmend auf die Nerven, irgendwie hat sie so ein Grundleid in sich, das sie gar nicht haben müsste eigentlich, so schlecht fühlt sich ihr Leben gar nicht an von außen, bzw. ich will ihr ständig zurufen „entscheide dich halt für was“. Das Altern beschäftigt sie sehr. Aber warum? Und warum macht sie das so sehr am Außen fest? „Die Gesellschaft“, die das tut, ist ihr doch gar nicht so wichtig?
Es gibt viele Vorausdeutungen auf eine Katastrophe – nur erfahren wir nie, was und wie diese ist, sondern bleiben in der Luft. Das hat mich wirklich verärgert nach so viel Aufbau für was?
Am Ende des Romans ist eigentlich gar nichts passiert. Keine Entwicklung, keine wirkliche Veränderung, keine Konkretion.
Leider einmal mehr ein Buch, das stark beginnt und dann immer weiter zerfasert und kein Ende findet. Den Deutschen Buchpreis verstehe ich nicht wirklich, für mich ein Durchschnittsbuch mit tollen Momenten und ja, beeindruckender Sprache, aber der große Wurf? Den sehe ich leider nicht.