Tragisch und absolut wichtig.
Die Nacht der Bärin„Die Nacht der Bärin“ ist ein ergreifender Roman, in dem Kira Mohn auf zwei Zeitsträngen eine Tragödie erzählt, die tief bewegt, Gänsehaut beschert und echt ist. Eine, die für so viele, zu viele Menschen ...
„Die Nacht der Bärin“ ist ein ergreifender Roman, in dem Kira Mohn auf zwei Zeitsträngen eine Tragödie erzählt, die tief bewegt, Gänsehaut beschert und echt ist. Eine, die für so viele, zu viele Menschen Alltag ist …
Jule fährt eines Abends los, um in dem Haus ihrer Eltern zur Ruhe zu kommen. Denn bei Jasper konnte sie keine Sekunde länger bleiben. Nicht nachdem, was er getan hat. …
Doch schon am nächsten Morgen wühlt die Nachricht vom Tod ihrer Großmutter die Gemüter auf. Jedenfalls sollte sie das, aber abgesehen eines Moments des Schocks im Gesicht ihrer Mama bleibt diese reglos. Wie eh und je. Und Jule? Für sie war Marjanna Siegburg lediglich „Eine Karte von Oma“, hat sie nie kennengelernt und weiß nichts über jene Frau. Das ändert sich nun, da die 26-Jährige beginnt, das Verhältnis zwischen Anna und der Verstorbenen, die Geschichte der beiden und ihre eigene Beziehung zu diesen zu hinterfragen.
Wer hätte ahnen können, welche Tragik sich im Stammbaum der Siegburgs findet, welche Abgründe und erschreckenden Wahrheiten?
Dass Mohn zu „ungemütlichen“ Themen greift, ist nicht neu, und doch ist „Die Nacht der Bärin“ anders. Schmerzhafter. Tiefsinniger. Realer.
Während wir in der Gegenwart Jule einerseits dabei begleiten, das in ihrer Beziehung Geschehene zu realisieren und einzuordnen, sind wir andererseits zugleich mitten in ihren Fragen und Vermutungen, die Anna betreffen. Da der zweite Zeitstrang zu deren Kindheit führt, ist es für die LeserInnen leichter, sich von dunklen Vorahnungen leiten zu lassen – doch das Ausmaß dessen, was sich langsam entspinnt, welche Grausamkeit und Traumas in den Ereignissen vor über drei Jahrzehnten stecken, war unerwarteter Natur; Nichts, worauf man sich hätte vorbereiten können.
Im Jetzt ertappen wir die Grafikerin dabei, wie sie versucht, Schrecken und Angst hinter leisen Rechtfertigungen zu verstecken, Erklärungen zu finden. Denn Jasper war noch nie so, und was, wenn es nur dieses eine Mal war?! … Um sich nicht mit der gemeinsamen Zukunft und dem in ihr herrschenden Zwiespalt auseinandersetzen zu müssen, stürzt sich Jule in die Vergangenheit. Drängt nach Antworten und begibt sich letztlich selbst auf die Suche. ... Hofft vielleicht, nach dem, was auch immer sie aufdecken mag, selbst klarer zu sehen.
Durch den Wechsel der Perspektiven, halbgare Antworten und die Stimmungsumschwünge seitens Jules Mutter; die mitschwingende Bedrohung und die erdrückende Anspannung in den Rückblenden verliert die Handlung zu keiner Zeit an Intensität.
Wir finden authentische Reaktionen, herzzerbrechende Augenblicke, stummes Leiden und Konsequenzen – gesellschaftlich verpönt, doch … Kiras Stil ist einfach gehalten, nicht gänzlich frei von Distanz, die der Tragweite dessen, was am Grunde von Verdrängung liegt, angemessen ist. Oft finden sich aussagekräftige Beschreibungen, die die Kehle eng werden lassen, Bedauern entfachen, pure Emotionen. Momente, die mir nur zu bekannt waren, die mich das Buch kurz zur Seite legen ließen, um eigenen Erinnerungen zu entkommen. Sich dem Schmerz, der Gefahr zwischen den Seiten, zu entziehen, ist unmöglich.
Obgleich ich diesen Roman samt Nachwort und Danksagung uneingeschränkt empfehlen möchte, weiß ich nicht, wie ich Jules Verhalten letztlich empfinde(n soll). Denn so nachvollziehbar der Drang ist, der Lebensgeschichte ihrer Mutter auf den Grund zu gehen, „verstehen zu wollen“, so übergriffig schien es mir, sich dem Wunsch von Anna, die damaligen Ereignisse ruhen zu lassen, zu widersetzen und in dem Morast zu graben. Abgesehen von diesem Punkt, den ich im Zwiespalt betrachte, der aber nötig ist, um die Handlung voranzutreiben, ist „Die Nacht der Bärin“ ein Buch von Wichtigkeit; eines, das von einer Autorin verfasst wurde, die hinschaut, nicht vor unbequemen Wahrheiten zurückschreckt. Die mutig ist. Danke.