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Veröffentlicht am 29.10.2024

Überschäumende Liebe und tiefe Selbstzweifel

Das rote Vogelmädchen
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Das Cover ist passend zum Titel mit vielen Rottönen sehr aufmerksamkeitsstark. Das Mädchen aber schaut am Betrachter vorbei, vielleicht auf einen unsichtbaren Dritten, von dem nur noch die Finger sichtbar ...

Das Cover ist passend zum Titel mit vielen Rottönen sehr aufmerksamkeitsstark. Das Mädchen aber schaut am Betrachter vorbei, vielleicht auf einen unsichtbaren Dritten, von dem nur noch die Finger sichtbar sind. Ein gedruckter Button gibt dem künftigen Leser den ersten Hinweis auf den Inhalt: Ein außergewöhnlicher Adventskalender voll Liebe und Glück.

Die Autorin Stephanie Marie Steinhardt bringt hier ihr erstes Buch zur Welt, ihre Bilder aber sind bereits seit einigen Jahren in der Welt. Sie hat durch Studium und Berufstätigkeit einen hohen Level, was Kunstkenntnis, künstlerisches Arbeiten, Texten und Schreiben anbelangt. All das verwendet sie gekonnt in ihrem Buch. Sie hat sich als Arbeitsort ihrer Protagonisten eine Werbeagentur erwählt, in der Jacob als Grafikdesigner tätig ist und in die sich Bene als neue Mitarbeiterin bewirbt. Bene also ist das rote Vogelmädchen des Titels. Während des Lesens hatte ich das eine oder andere Mal das Gefühl, ich hätte das Buch mit dem Titel „Das bunte Vogelmädchen“ versehen, dann wieder war sie für mich „Das verlorene Vogelmädchen“. Es gäbe wohl noch andere Adjektive, die ich der wilden, bunten, ausgelassenen, traurigen Bene geben könnte, sie ist der Dreh- und Angelpunkt der Geschichte. Und sie ist es, die von Anfang an Jacob zu ihrem Ideal erhoben hat und ihn unbedingt erobern will. Erst ganz am Ende löst sich das Geheimnis um den Titel auf.

Die Lovestory wird dem Leser in 24 Adventsgeschichten erzählt, Bene gibt ihrem Jacob für jeden Tag ein Geschenk, immer eine ausgefallene Dose, immer mit passendem Dekor, in die sie ihm immer einen Tagebuchabschnitt aus der Zeit ihres Kennenlernens legt. Zu Beginn sah ich in Bene die junge verliebte Frau, mit Tausend Gedanken und Ideen im Kopf, mit immer mindestens zwei Dingen gleichzeitig beschäftigt, mit einem vollen Herzen und überhaupt nicht auf den Kopf, noch weniger auf den Mund gefallen. Man lernt peu à peu ihre Freunde und Bekannten kennen, man erlebt das Zueinanderfinden zweier verliebter Seelen.

Aber es ist wie im richtigen Leben, nicht alles, was nach außen glänzt und leuchtet, ist auch im Inneren so wunderschön. Jacob zweifelt an seinen künstlerischen Fähigkeiten, Bene will ihn zu seinem Glück zwingen, aber zweifelt an sich selbst, sie gleicht einer tickenden Zeitbombe. Dieses Miteinander birgt dann auch tückische Fallen. Wie sich beide daraus befreien wollen, das verrate ich natürlich nicht, auch nicht, ob es gelingt.

Für mich war das ein interessantes Lesevergnügen, auch wenn mir die Verherrlichung von Jacob, dem unwiderstehlichen und perfekten Mann, etwas zu vordergründig war. Jacob steht aber seiner Bene da im Buch auch nicht nach, er ist Seite für Seite entzückt von ihr. Dass die pure Lovestory dann doch einige Knicks und Falten bekommt, ist nachvollziehbar. Was ich nicht so recht nachvollziehen kann, das sind die massiven Selbstzweifel von Bene, hier fehlte mir dann doch etwas Hintergrundwissen. Wer oder was hat sie jemals so enttäuscht oder gedemütigt, dass die Minderwertigkeitsgefühle und der Selbstzweifel trotz der Verliebtheit und der schönen Zeit mit Jacob so massiv in Benes Psyche eingreifen? Offenbar braucht sie ein buntes, auffallendes Äußeres und sehr viel Deko und Antikes in ihrer Wohnung, um sich sichtbar und nicht minderwertig oder langweilig zu fühlen. Wie wird man so? Das verrät das Buch nicht. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es nur an dem „langweiligen Leben“ der Eltern liegt. Andererseits weist das Buch auf ein Grundproblem des Zusammenlebens hin: dass Menschen sich ständig verpflichtet fühlen. Zum Loben, zum Schenken, zum Einladen, wozu auch immer. Etwas ohne Gegenleistung zu tun, fällt vielen schwer, den Schenkenden wie auch den Beschenkten.

Der Schreibstil ist mal leichtfüßig, mal gedankenbelastet, aber gut lesbar. Ein bisschen mehr Genauigkeit im Korrektorat hätte mich zu einer „sehr gut lesbar“-Bewertung veranlasst. Gut gefallen hat mir die Typografie, die 24 Tage immer auf einer neuen Seite, jeder Tag beginnt mit einer passenden Vignette. Aber die Grundschrift hätte für mich 1 p größer sein können, besonders die langen kursiven Passagen fand ich anstrengend zu lesen. (Liegt sicher am Alter und meiner Brille.)

Bene und Jacob, die sich gegenseitig glücklich machen wollen, das ist eine schöne Liebesgeschichte. Die kann man auch zu anderen Jahreszeiten lesen, aber zum Advent passt sie ganz besonders gut. Tränen der Rührung inklusive.

Fazit: Ob man es als Liebesgeschichte der anderen Art oder als ungewöhnlichen Adventskalender betrachtet, dieses Buch hat seine Reize! Vielleicht ist es mehr ein Frauenbuch, ich glaube, Männer lesen solchen Geschichten nicht so häufig. Zum Verschenken eignet es sich bestimmt in der jetzt beginnenden Vorweihnachtszeit.

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Veröffentlicht am 14.10.2024

Dem Vergessen entrissen

Suche liebevollen Menschen
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Julian Borger, Vollblutjournalist und auf der ganzen Welt zu Hause, geboren Anfang der 1960er Jahre in England als Sohn eines jüdischen Wiener Emigranten und einer britischen Mutter, beginnt 20 Jahre nach ...

Julian Borger, Vollblutjournalist und auf der ganzen Welt zu Hause, geboren Anfang der 1960er Jahre in England als Sohn eines jüdischen Wiener Emigranten und einer britischen Mutter, beginnt 20 Jahre nach dem Freitod des Vaters dessen Geschichte und die Familiengeschichte zu recherchieren. Dass es bis 2020 dauerte, ehe er damit überhaupt begann, hatte viele Gründe: das Schweigen in der Familie, das viele dieser Generation kennen und erst spät aufbrechen wollen oder müssen, die Arbeit, die Schnelllebigkeit der heutigen Zeit, immer war etwas anderes wichtiger. Dann fiel ihm die Anzeige wieder in die Hände, um die er sich schon lange kümmern wollte „Seek a kind person who will educate my intelligent Boy, aged 11, Viennese of good family, Borger, … Vienna 3“. Sie war im Manchester Guardian am 3. August 1938 veröffentlicht worden. Der intelligente Junge, der in der Anzeige beschrieben wird, war sein Vater Robert. In der gleichen Zeitungsspalte wird für vier weitere Kinder ein „Ausbildungsplatz“ gesucht. Julian Borgers Interesse ist plötzlich geweckt, er beginnt zu suchen und findet zuerst Material für einen umfangreichen Zeitungsartikel, der dann den Grundstock für dieses Buch bildet.
Was aber hatte es auf sich mit diesen Anzeigen? Sie erschienen nach dem sogenannten Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich im März 1938. Offiziell wurde die Bevölkerung am 10. April des gleichen Jahres zur Abstimmung aufgefordert, mehr als 99 Prozent der Österreicher und Deutschen stimmt mit Ja für den Anschluss. Aber bereits nach dem Einmarsch der Truppen begann wie aus heiterem Himmel die Verfolgung und Entrechtung der Juden. Im Gegensatz zum „Alt-Reich“, wo bereits seit der Machtergreifung Hitlers im Januar 1933 die Juden Schritt für Schritt entrechtet und verfolgt wurden, geschah das in Österreich sozusagen über Nacht. Besonders drastisch sind die Bedingungen zuerst in Wien, wo der Großteil der jüdischen Österreicher lebt. Es beginnt eine unbeschreibliche Hetzjagd, der sich die Juden auf unterschiedlichste Weise zu entziehen suchen. Panikartiges Verlassen des Landes, Verstecken, oder der Weg durch die bürokratischen Instanzen, um legal das Land zu verlassen. Egal, was sie tun, sie werden enteignet, alles wird ihnen genommen, konfisziert oder zerstört. Viele werden verhaftet und gefoltert oder ins nahe KZ Dachau gebracht. In diesem Tumult sind es vorausschauende Eltern wie die Borgers, die zuerst versuchen, ihr Kind zu schützen und zu retten. Erst später im Jahr 1938 werden die organisierten Kindertransporte nach England beginnen. Die private Übersiedlung von Kindern ohne ihre Eltern kurz nach dem Anschluss kam im Kleinen der Aktion der Kindertransporte nach England zuvor. Die große Tragik beider Aktionen war, dass weder die Eltern noch die Kinder ahnten, welche Pläne schon wenige Jahre später von den Nazis in die Tat umgesetzt werden würden. Nicht selten war der Abschied am Wiener Westbahnhof ein Abschied für immer.
Julian Borger beschränkt sich aber in seinen Recherchen rund um den Erdball nicht auf die Lebensgeschichte seines Vaters, er sucht auch nach den anderen Kindern, die auf diese Weise vor dem sicheren Tod bewahrt wurden. So entstehen mehrere Porträts von jüdischen Familien mit ihren unterschiedlichen Schicksalen, immer im Fokus die geretteten Kinder.
Überlebende und deren Nachkommen eint oftmals das Schweigen und Verdrängen des Erlebten, manche Holocaustüberlebenden wollen die junge Generation nicht mit den schrecklichen Erlebnissen belasten, andere überleben nur, weil sie erfolgreich verdrängen, was geschehen ist. Daran zu denken oder gar darüber zu sprechen, verbieten sie sich, es ist ein Schutzmechanismus, der immer wieder berichtet wird. Für Julian Borgers Vater war dieser Schutzmechanismus offensichtlich nicht stark genug, er schied über 40 Jahre nach der Flucht nach England aus dem Leben. Und hinterließ vollkommen ratlose Kinder. Für Julian Borger eine schwere Last, an der er bis heute trägt. Immer wieder wird er sich die Frage stellen, warum er mit seinem Vater nicht über all das sprechen konnte. Mit dem vorliegenden Buch schreibt er sich diese Last etwas von der Seele, indem er endlich erfährt und begreift, was in seinem Vater und all den anderen Kindern, die gerettet wurden, vorgegangen sein muss. Entschuldigung, es folgt ein Spoiler: Eines ist wirklich wunderbar in diesem Buch, Julian wird eines der geretteten Kinder tatsächlich noch lebend und bei wachem Verstand und guter Gesundheit interviewen können.
Julian Borger macht es dem Leser nicht ganz leicht, er konfrontiert mit vielen verschiedenen Familiengeschichten und sehr vielen Namen und Ereignissen. Dass auch geschichtliche Exkurse eingestreut sind, empfinde ich als bereichernd, obwohl mir vieles bekannt war. Aber ich denke, Leser, die mit der Materie von Holocaust, Nationalsozialismus, Emigration nicht so bewandert sind, finden hier gute Erklärungen und Grundlagen.
Beim Epilog musste ich schmunzeln, als Julian Borger auf dem Wiener Friedhof in der Stille der verwahrlosten jüdischen Gräber ein Reh sieht. Genau das Gleiche erlebte Shelly Kupferberg in ihrem Buch „Isidor“, das ich in diesem Zusammenhang interessierten Lesern als zusätzliche Holocaust-und-Wien-Lektüre sehr empfehlen kann. Auch das Buch „Café Schindler“ von Meriel Schindler befasst sich mit der Vertreibung einer Wiener jüdischen Familie und mit dem Verlust des eigenen Geschäfts, ähnlich wie es die Borgers mit ihrem Radiogeschäft erlebten.
Aber bisher gab es wahrscheinlich kein einziges Buch, dass die Geschichte der privaten Rettung von jüdischen Kindern über Zeitungsanzeigen beschrieben hat. Ich kenne jedenfalls keines. Schon das allein ist für mich die große Überraschung dieses Buches. Mich haben die einzelnen Geschichten sehr berührt, gerade weil auch ich Nachkomme eines Holocaustopfers und dessen Tochter, einer Überlebenden, bin. Ich beschäftige mit seit Jahren mit der Thematik und bin doch immer wieder erstaunt, wie vielfältig und unterschiedlich die Schicksale einzelner Menschen sind, die am Ende doch ein großes Ganzes bilden, immer mit der Hoffnung „Nie wieder“.
Ins Buch haben sich einige Flüchtigkeitsfehler eingeschlichen, bei einer nächsten Auflage werden sie wohl verschwunden sein und z. B. der Wienerwald heißt dann auch wieder so. Bedauert habe ich, dass das Buch nicht auch als E-Book erschienen ist. Wen es interessiert: Die englische Originalausgabe ist auch als E-Book erhältlich.UPDATE: Am 18.11.2024 wird auch das deutschsprachige E-Book erhältlich sein.
Fazit: Ein starkes und tragisches Buch, gut lesbar, nahe an den beschriebenen Menschen. Jedes einzelne Schicksal könnte einen Roman füllen. Eindeutig eine Leseempfehlung. Gute vier Sterne.

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Veröffentlicht am 09.10.2024

Madame Beaumarie und die Melodie des Todes

Madame Beaumarie und die Melodie des Todes
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Madame Beaumarie kenne ich seit dem Krimi „… und der Winter in der Provence“, nicht jedoch als Hörbuch, sondern in gedruckter Fassung. Erst jetzt stelle ich fest, dass „Madame Beaumarie und die Melodie ...

Madame Beaumarie kenne ich seit dem Krimi „… und der Winter in der Provence“, nicht jedoch als Hörbuch, sondern in gedruckter Fassung. Erst jetzt stelle ich fest, dass „Madame Beaumarie und die Melodie des Todes“ schon 2020 erschienen war. Umso überraschender, dass der Titel mir jetzt als Hörbuch begegnet. Und auch eine Freude, denn Madame Beaumarie hatte mir schon beim Lesen recht gut gefallen. Brigitte Carlsen als Erzählerin liest dieses Hörbuch so frisch und fesselnd, dass es eine Freude ist.
Die Story ist zwar nun nicht vollkommen überraschend, es gibt ja so unendlich viele Frankreich-Krimis, aber ich finde, für einen Urlaubskrimi, der in der Provence spielt, ist sie durchaus annehmbar und unterhaltsam.
Madame Beaumarie, eine frisch pensionierte Polizeikommissarin aus Paris, der sozusagen ein Ruf vorauseilt(e), trifft natürlich ohne zu zögern auf Mord- und Todschlagopfer. Der erste ist ein Dirigent, der mit nicht gerade anheimelnden Charaktereigenschaften aufwartet und im schönen Avignon auch nicht nur mit offenen Armen empfangen wird. Es kommt, wie es kommen muss in einem Krimi, er stirbt eines unnatürlichen Todes.
Madame Beaumarie macht derweil auch noch die Bekanntschaft mit Monsieur Florentine, wem das gefällt, der kann gern den Verlauf der sich möglicherweise anbahnenden Beziehung in den beiden Folgebänden nachlesen.
Ich erzähle über den Krimi nun nichts mehr, nur selbst lesen wird Sie auf die Spur bringen. Das Buch/Hörbuch hat einen einnehmenden Stil, es macht Spaß, mit Ingrid Walther die Provence zu bereisen.
Fazit: Ich empfehle das Buch allen, die eine angenehme, leichte und doch mörderische Krimilektüre zur Entspannung mögen. Gute 4 Sterne.

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Veröffentlicht am 03.10.2024

Opulente niederländische Geschichte(n)

Gebt mir etwas Zeit
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Warum höre ich so gerne Hörbücher? Weil HP Kerkeling mich mit seinem "Ich bin dann mal weg" einfach süchtig gemacht hat. Das ist bald 20 Jahre her, ich höre immer noch gerne und ganz besonders ihn, HP! ...

Warum höre ich so gerne Hörbücher? Weil HP Kerkeling mich mit seinem "Ich bin dann mal weg" einfach süchtig gemacht hat. Das ist bald 20 Jahre her, ich höre immer noch gerne und ganz besonders ihn, HP! Trotzdem bin ich geneigt, dieses jetzt erschienene Hörbuch doch etwas kritisch zu betrachten. Ahnenforschung ist auch mein Hobby und unterdessen ist mir klar geworden, dass nicht jeder an den Tausenden Details interessiert ist, die ich im Laufe vieler Jahre über meine Vorfahren ausgegraben habe. Nun ist mir nicht das Talent des Romanschreibens in die Wiege gelegt, aber auch HP Kerkeling macht aus seiner Obsession nicht gerade einen Bestsellerroman. Sein Motto "Gebt mir etwas Zeit" hat er für meine Begriffe etwas zu lang gedehnt, insbesondere die niederländische Geschichte und die Geschichten, die er sich rund um seine Vorfahren ausgedacht hat, ließen mich ziemlich ermüdet in den Schlaf sinken. Nun gehöre ich wahrscheinlich zu den Ignoranten, die das Niederländische vor allem mit den Malern Rembrandt, Hals oder Vermeer, um nur drei zu nennen, und mit deren Gesellschaftsbildern verbinden. Aber nur deshalb konnte ich mir dann beim Zuhören auch einiges vorstellen, Städte, Schiffe, Leute und Gewänder, die beschrieben werden. Besonders gedehnt fand ich die Heraldik, die Wappenbeschreibungen sind wirklich nicht geeignet, meine Fantasie zu beflügeln. (Wobei ich mich gefragt habe, ob es im gedruckten Buch vielleicht Abbildungen gibt, die man als Hörer gar nicht sieht.)
Dass mir dann die Geschichten um Urgroßmutter Agnes und die uneheliche Oma Bertha wirklich gut gefallen haben, liegt vielleicht an den für mich eher vorstellbaren Gegebenheiten und dem Kuriosum der Abstammung vom englischen Königshaus. Solche Enthüllungen hätten mich bestimmt auch bei meiner Ahnenforschung beflügelt.
Die tragische Liebe zu Duncan wird von HP sehr zurückhaltend und doch mit Traurigkeit in der Stimme erzählt. Einiges kann ich nicht nachvollziehen, aber das Leben spielt manchmal mit den Menschen schon ein seltsames Spiel. In jedem Fall erinnerten mich diese Szenen um das Thema AIDS sehr an die 1980er Jahre und das Entsetzen über diese Krankheit, ja, Seuche ist der bessere Ausdruck, und an die Angst, die damals mit rasender Geschwindigkeit um sich griff und wohl niemanden ausließ.
HP Kerkeling ist ein begnadeter Sprecher seiner eigenen Bücher und ich hoffe, dass er noch ein weiteres schreiben und dann sprechen wird.
Fazit: bei den opulenten niederländische Geschichten kommt der englische König fast etwas zu kurz. Hörenswert schon weil HP Kerkeling so toll vorlesen kann!

GebtmiretwasZeit

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Veröffentlicht am 30.09.2024

Mich kriegt nichts klein

Im Warten sind wir wundervoll
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Das Zitat „Mich kriegt nichts klein“ ist das Credo dieses Romans und seiner Hauptfigur Luise Adler, einer jungen Frau, die Vorbild sein kann auch für uns, die wir fast 80 Jahre später leben. Mutig und ...

Das Zitat „Mich kriegt nichts klein“ ist das Credo dieses Romans und seiner Hauptfigur Luise Adler, einer jungen Frau, die Vorbild sein kann auch für uns, die wir fast 80 Jahre später leben. Mutig und unerschrocken zeigt sie der Welt die Stirn, verzagt nicht und kämpft für ihr Glück.
Die Schriftstellerin Charlotte Inden schrieb bisher Kinder- und Jugendbücher, nun hat ihren ersten erwachsenen Roman – oder sagt man besser Erwachsenenroman? – vorgelegt und sich eines sehr emotionalen Themas angenommen. Die als War Brides (zu deutsch Kriegsbräute) bezeichneten Frauen, die nach dem zweiten Weltkrieg die Freundinnen, Verlobten und später manchmal sogar Ehefrauen der amerikanischen Besatzungssoldaten wurden, werden hier in einem neuen Licht gezeigt. Der „War Brides Act“, der Ende 1945 diese Beziehungen erlaubte, ist in die amerikanische Geschichte eingegangen. Unzählige Frauen machten sich in der Folge auf, ihren Verlobten in die USA zu folgen.
Der Roman – bzw. die Enkelin Elfie – erzählt die Geschichte von Luise Adler und Joseph Hunter, die alles andere als unkompliziert verläuft. Beginnend am Ende des Krieges, mit der Befreiung Deutschlands durch die Amerikaner, die nicht überall mit offenen Armen empfangen wurden, verläuft der Erzählstrang entlang Luises Leben bis zu dem Punkt, an dem sie „sitzengelassen“ auf dem US-amerikanische Flughafen strandet und dann weiter bis in die heutige Zeit.
Enkelin Elfie erzählt diese Geschichte ihrem zufälligen Sitznachbarn im Flugzeug, als sie auf der Reise von Europa nach Amerika etwas Zuspruch und Hilfe sucht. Der Sitznachbar entpuppt sich als Mann der Tat und des guten Zuhörens, so dass bald auch hier aus Interesse Zuneigung wird. Mehr als das, was aus dem Werbetext hervorgeht, will ich nicht vorwegnehmen, es lohnt sich aus meiner Sicht auf jeden Fall, diesen Roman bis zum Ende selbst zu lesen.
Die Autorin versteht es geschickt, die beiden Erzählstränge zu verknüpfen, es macht wirklich Spaß und erweckte meine Empathie für die Hauptfiguren dieses Buches. Eine moderne, erfrischende Sprache und ein nicht zu ausufernder Schreibstil lassen einen nur so durch die Seiten eilen, um recht bald zu erfahren, was sich noch ereignen wird. Die Charaktere der Protagonisten sind gut beschrieben, einzig Jo ist mir etwas fremd geblieben. Dagegen ist die Figur der Luise Adler einzigartig, wirklich nachvollziehbar und lebendig. Elfie als Gegenpart des zweiten Erzählstranges scheint mir jedoch eher einem Jugendbuch mit noch recht unfertigen Persönlichkeiten entsprungen, aber das ist nun wirklich subjektiv.
Zum Ende des Buches hatte ich aber trotz der flüssig laufenden Story das Gefühl, dass der Autorin die Puste etwas ausgegangen ist. Sollte sie sich vor Abgabe des Manuskripts auf eine genaue Seitenzahl festgelegt haben, hat sie wohl in den ersten 350 Seiten zu viel Pulver verschossen. Seien es Momente im elterlichen Zuhause, in der Wohngemeinschaft oder wo auch immer Luise sich aufhielt, überall war Leben drin, das echt wirkte. Zum Ende hin hätte ich mir genauso schöne und lebendige Szenen gewünscht, wie sie seit Beginn erzählt wurden.
Fazit: Ein Roman über die Nachkriegszeit, der sich mit anderen Romanen dieser Thematik, wie z. B. Stay away from Gretchen oder Als Großmutter im Regen tanzte durchaus messen kann. Lesenswert. Gute 4 Sterne.

ImWartensindwirwundervoll

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