Überschäumende Liebe und tiefe Selbstzweifel
Das rote VogelmädchenDas Cover ist passend zum Titel mit vielen Rottönen sehr aufmerksamkeitsstark. Das Mädchen aber schaut am Betrachter vorbei, vielleicht auf einen unsichtbaren Dritten, von dem nur noch die Finger sichtbar ...
Das Cover ist passend zum Titel mit vielen Rottönen sehr aufmerksamkeitsstark. Das Mädchen aber schaut am Betrachter vorbei, vielleicht auf einen unsichtbaren Dritten, von dem nur noch die Finger sichtbar sind. Ein gedruckter Button gibt dem künftigen Leser den ersten Hinweis auf den Inhalt: Ein außergewöhnlicher Adventskalender voll Liebe und Glück.
Die Autorin Stephanie Marie Steinhardt bringt hier ihr erstes Buch zur Welt, ihre Bilder aber sind bereits seit einigen Jahren in der Welt. Sie hat durch Studium und Berufstätigkeit einen hohen Level, was Kunstkenntnis, künstlerisches Arbeiten, Texten und Schreiben anbelangt. All das verwendet sie gekonnt in ihrem Buch. Sie hat sich als Arbeitsort ihrer Protagonisten eine Werbeagentur erwählt, in der Jacob als Grafikdesigner tätig ist und in die sich Bene als neue Mitarbeiterin bewirbt. Bene also ist das rote Vogelmädchen des Titels. Während des Lesens hatte ich das eine oder andere Mal das Gefühl, ich hätte das Buch mit dem Titel „Das bunte Vogelmädchen“ versehen, dann wieder war sie für mich „Das verlorene Vogelmädchen“. Es gäbe wohl noch andere Adjektive, die ich der wilden, bunten, ausgelassenen, traurigen Bene geben könnte, sie ist der Dreh- und Angelpunkt der Geschichte. Und sie ist es, die von Anfang an Jacob zu ihrem Ideal erhoben hat und ihn unbedingt erobern will. Erst ganz am Ende löst sich das Geheimnis um den Titel auf.
Die Lovestory wird dem Leser in 24 Adventsgeschichten erzählt, Bene gibt ihrem Jacob für jeden Tag ein Geschenk, immer eine ausgefallene Dose, immer mit passendem Dekor, in die sie ihm immer einen Tagebuchabschnitt aus der Zeit ihres Kennenlernens legt. Zu Beginn sah ich in Bene die junge verliebte Frau, mit Tausend Gedanken und Ideen im Kopf, mit immer mindestens zwei Dingen gleichzeitig beschäftigt, mit einem vollen Herzen und überhaupt nicht auf den Kopf, noch weniger auf den Mund gefallen. Man lernt peu à peu ihre Freunde und Bekannten kennen, man erlebt das Zueinanderfinden zweier verliebter Seelen.
Aber es ist wie im richtigen Leben, nicht alles, was nach außen glänzt und leuchtet, ist auch im Inneren so wunderschön. Jacob zweifelt an seinen künstlerischen Fähigkeiten, Bene will ihn zu seinem Glück zwingen, aber zweifelt an sich selbst, sie gleicht einer tickenden Zeitbombe. Dieses Miteinander birgt dann auch tückische Fallen. Wie sich beide daraus befreien wollen, das verrate ich natürlich nicht, auch nicht, ob es gelingt.
Für mich war das ein interessantes Lesevergnügen, auch wenn mir die Verherrlichung von Jacob, dem unwiderstehlichen und perfekten Mann, etwas zu vordergründig war. Jacob steht aber seiner Bene da im Buch auch nicht nach, er ist Seite für Seite entzückt von ihr. Dass die pure Lovestory dann doch einige Knicks und Falten bekommt, ist nachvollziehbar. Was ich nicht so recht nachvollziehen kann, das sind die massiven Selbstzweifel von Bene, hier fehlte mir dann doch etwas Hintergrundwissen. Wer oder was hat sie jemals so enttäuscht oder gedemütigt, dass die Minderwertigkeitsgefühle und der Selbstzweifel trotz der Verliebtheit und der schönen Zeit mit Jacob so massiv in Benes Psyche eingreifen? Offenbar braucht sie ein buntes, auffallendes Äußeres und sehr viel Deko und Antikes in ihrer Wohnung, um sich sichtbar und nicht minderwertig oder langweilig zu fühlen. Wie wird man so? Das verrät das Buch nicht. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es nur an dem „langweiligen Leben“ der Eltern liegt. Andererseits weist das Buch auf ein Grundproblem des Zusammenlebens hin: dass Menschen sich ständig verpflichtet fühlen. Zum Loben, zum Schenken, zum Einladen, wozu auch immer. Etwas ohne Gegenleistung zu tun, fällt vielen schwer, den Schenkenden wie auch den Beschenkten.
Der Schreibstil ist mal leichtfüßig, mal gedankenbelastet, aber gut lesbar. Ein bisschen mehr Genauigkeit im Korrektorat hätte mich zu einer „sehr gut lesbar“-Bewertung veranlasst. Gut gefallen hat mir die Typografie, die 24 Tage immer auf einer neuen Seite, jeder Tag beginnt mit einer passenden Vignette. Aber die Grundschrift hätte für mich 1 p größer sein können, besonders die langen kursiven Passagen fand ich anstrengend zu lesen. (Liegt sicher am Alter und meiner Brille.)
Bene und Jacob, die sich gegenseitig glücklich machen wollen, das ist eine schöne Liebesgeschichte. Die kann man auch zu anderen Jahreszeiten lesen, aber zum Advent passt sie ganz besonders gut. Tränen der Rührung inklusive.
Fazit: Ob man es als Liebesgeschichte der anderen Art oder als ungewöhnlichen Adventskalender betrachtet, dieses Buch hat seine Reize! Vielleicht ist es mehr ein Frauenbuch, ich glaube, Männer lesen solchen Geschichten nicht so häufig. Zum Verschenken eignet es sich bestimmt in der jetzt beginnenden Vorweihnachtszeit.