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Veröffentlicht am 24.02.2025

Familie und Politik

Russische Spezialitäten
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Seit seiner Kindheit leben Dmitrij und seine Familie als Spätaussiedler in Sachsen und haben sich dort eine neue Existenz aufgebaut. Ihr Магазин, ein kleines Geschäft mit ukrainischen und russischen Spezialitäten, ...

Seit seiner Kindheit leben Dmitrij und seine Familie als Spätaussiedler in Sachsen und haben sich dort eine neue Existenz aufgebaut. Ihr Магазин, ein kleines Geschäft mit ukrainischen und russischen Spezialitäten, gibt ihm ein Gefühl der Wärme und Sicherheit, bedeutet für ihn einen Rückzugsort vor den rechtsextremen Anfeindungen der neuen Umgebung. Er liebt Kiew und vor allem seine Muttersprache Russisch, die er "inhaliert".
Doch als der Konflikt zwischen Russland und der Ukraine ausbricht scheint ihm die Sprache das einzige zu sein, das ihn mit seiner Mutter noch verbindet; denn ihre unterschiedlichen politischen An- und Einsichten führen zu Streit. Sie bezichtigt - von russischen Propagandafilmen beeinflusst - die Ukraine als Aggressor und hält ihren Sohn für deutsch geprägt. Ob es Dmitrij gelingt, sie mit einer Reise ins Kriegsgebiet nach Kiew zu einer anderen Einstellung zu bewegen?

Ironisch und doch warmherzig schildert Kapitelman ein (stets aktuelles) Dilemma, das sicher in vielen Familien für Probleme sorgt oder sie gar spaltet: Streit um gegensätzliche politische Einstellungen. Bei aller Problematik bleibt er jedoch unterhaltsam und wunderbar lesbar.
Unaufdringlich, aber dezidiert reflektiert der Autor über die Kraft von Sprache, ihre Facetten, über Verbindendes und Trennendes. Seine Liebe zu Sprache und ihren Möglichkeiten, sich zu verständigen zeigt sich deutlich in seinem Roman: Er spielt selbst mit der Sprache und bedient sich gern auch eigener Wort-Kreationen; was seinen Schreibstil frisch und individuell macht.
Mit „Russische Spezialitäten“ trifft Kapitelman sicher einen Nerv seiner Leserschaft. большо́е спаси́бо!

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Veröffentlicht am 10.10.2024

"Das Buch Hanna"

Ein anderes Leben
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Mit dem aufschlussreichen Titel “Das Buch Hanna“ bezeichnet Caroline Peters die Erinnerungen ihrer Mutter. Denn Hanna hat ihre eigene Sicht auf ihre Vergangenheit, die bisweilen erheblich von der ihrer ...

Mit dem aufschlussreichen Titel “Das Buch Hanna“ bezeichnet Caroline Peters die Erinnerungen ihrer Mutter. Denn Hanna hat ihre eigene Sicht auf ihre Vergangenheit, die bisweilen erheblich von der ihrer Töchter abweicht.
Sehr sensibel spürt die Autorin dem Leben ihrer Mutter nach. Sie begegnet deren Wünschen, die oft im Widerspruch zu den Erwartungen der bürgerlichen Gesellschaft der Siebziger Jahre stehen, mit dem Verständnis der inzwischen erwachsenen Tochter und begreift, wie stark die Doppelrolle der Frauen jener Zeit ihre Mutter belastet hat. Hausfrau, Ehefrau, Mutter und eine Karriere als Schriftstellerin - das ist kaum in Einklang zu bringen.
Erst am Grab ihres Vaters ist Peters bereit, über Hanna nachzudenken, die zu jener Zeit schon einige Jahre nicht mehr am Leben ist. Sie erzählt in leichtem Ton, wunderbar lesbar und sehr humorvoll, doch der Leser spürt die leichte Wehmut dahinter.
Gegenwart und Vergangenheit vermischen sich hier auf eigene Weise. Aus dem „Buch Hanna“ und den oft konträren Erinnerungen der drei Schwestern setzt sich schließlich ein Bild ihrer Mutter zusammen: einer klugen Frau, die den gesellschaftlichen Erwartungen ihrer Zeit entsprechen, aber ebenso sehr ein autarkes Leben als Künstlerin führen will und beinahe daran zerbricht.
Einfühlsam und nachdenklich - ein überzeugendes Romandebüt von Caroline Peters!





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Veröffentlicht am 24.07.2024

"Wir drei sind eins"

Kleine Monster
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Pia, Jakob und Luca: eigentlich leben sie als glückliche Familie zusammen – bis eines Tages ein Vorfall in der Schule ihre heile Welt erschüttert. Der siebenjährige Luca soll einer Klassenkameradin etwas ...

Pia, Jakob und Luca: eigentlich leben sie als glückliche Familie zusammen – bis eines Tages ein Vorfall in der Schule ihre heile Welt erschüttert. Der siebenjährige Luca soll einer Klassenkameradin etwas angetan haben.Was genau passiert ist, bleibt allerdings im Ungewissen. Luca bestreitet die Beschuldigungen, seine Eltern wollen ihn schützen, doch bei Pia schleichen sich leise Zweifel ein. Ist er wirklich unschuldig? Oder können nicht auch Kinder hinterhältig und "kleine Monster" sein?
Auf raffinierte Weise schildert die Autorin, wie sich Stück für Stück Pias Misstrauen aufbaut,
die Harmonie in der Familie Risse bekommt. Sie nutzt dazu zwei Handlungsebenen; die Ereignisse der Gegenwart lassen in Pia dramatische Erinnerungen an ihre eigene Kindheit wach werden. Aus der Sicht der Erwachsenen, die nun selbst Mutter ist, bewertet sie die Geschehnisse (und ihre eigene Rolle darin) neu. Sind Linds Formulierungen anfangs nur vage, so werden sie im Verlauf der Geschichte immer deutlicher und erzeugen eindrucksvolle Bilder der vergangenen und aktuellen Geschehnisse. Dabei erzählt sie in einem schlichten Stil, ohne jedes Pathos, und lässt den Leser einen tiefen Blick in Pias Psyche und die Familienstrukturen werfen.
„Wir drei sind eins“ - das galt für Pia und ihre zwei Schwestern in der Vergangenheit. Auch für ihre kleine Familie in der Gegenwart erwartet sie das. „Eine glückliche Familie. Bis wir es nicht mehr sind."

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Veröffentlicht am 03.07.2024

Ohne Scheuklappen

I walk between the Raindrops. Stories
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Nein, es sind keine netten kleinen Geschichten zum Zeitvertreib, die Boyle uns in seinem neuen Buch serviert. Auf seine gewohnt hintergründige Art konfrontiert er den Leser in dreizehn Kurzgeschichten ...

Nein, es sind keine netten kleinen Geschichten zum Zeitvertreib, die Boyle uns in seinem neuen Buch serviert. Auf seine gewohnt hintergründige Art konfrontiert er den Leser in dreizehn Kurzgeschichten mit aktuellen Problemen und menschlich-allzu menschlichen Reaktionen. Seine Thematik reicht weit, von ultramoderner Technik über Epidemien bis zu Umweltkatastrophen.
Jede seiner Kurzgeschichten widmet sich kurz und prägnant einem anderen Thema. Als aufmerksamer Beobachter bringt der Autor die Problematik eindringlich auf den Punkt. Klug verpackt und in Boyles markantem flüssigen Stil verfasst, lesen sich die Geschichten ungemein gut. Auch sein bissiger Humor lockert das Unbehagen ein wenig, das beim Lesen entsteht. Doch die teilweise drastische Wortwahl lässt keinen Zweifel an dem Ernst, der hinter seinen Geschichten steckt. Boyle will aufrütteln; er will bewusst verstören, um den Leser zum Nachdenken über seine Umwelt - vor allem aber über sich selbst - zu animieren.
„I walk between the raindrops” ist, so finde ich, eine anspruchsvolle Lektüre für Leser, die bereit sind, auch einmal den Blickwinkel zu ändern und "über den Tellerrand“ zu schauen.


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Veröffentlicht am 18.02.2024

Stillverliebt...

Der Wortschatz
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… habe ich mich in dieses wunderschöne Buch. Rebecca Gugger und Simon Röthlisberger haben ein Kunstwerk geschaffen, fröhlich, farbenfroh, fantasievoll, das mit wenig Text auskommt, dem Leser aber eine ...

… habe ich mich in dieses wunderschöne Buch. Rebecca Gugger und Simon Röthlisberger haben ein Kunstwerk geschaffen, fröhlich, farbenfroh, fantasievoll, das mit wenig Text auskommt, dem Leser aber eine immense Menge an (Eigenschafts-)Wörtern beschert. In großformatigen Bildern voller Witz und ebenso humorvollen kurzen Textpassagen begleiten wir den Jungen Oscar auf seinem Weg; wir erleben seine Verwirrung zu Beginn seines Fundes - eine Schatztruhe voller Wörter! - und deren recht wahllose Verwendung - bis er ganz „wortlos" dasteht. Zum Glück gibt es die poetische Louise, die ihn zum Entdecken und Sammeln neuer Wörter anleitet.
Und tatsächlich macht dieses quietschvergnügte, lebendige Bilderbuch Lust darauf, sich mehr auf eine ausdrucksvolle, schöne Sprache zu konzentrieren, aus ihrem Reichtum zu schöpfen und sie mit allen Sinnen zu erleben, so wie Oscar.
Doch das Buch des Autoren- und Illustratorenpaares hebt nicht nur den Spaß an Wörtern hervor, sondern macht ebenso darauf aufmerksam, wie wichtig ein vernünftiger, behutsamer Umgang mit Sprache ist.
Übrigens gibt es für Pädagogen zusätzlich Begleitmaterial für den Schulunterricht, das kostenlos erhältlich ist.

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