Voller Wärme und Menschlichkeit
Isabel Bogdan hatte sich längst einen Namen als Übersetzerin ( z.B. von Jane Gardam ) gemacht, bevor sie 2016 mit ihrem ersten Roman „ Der Pfau“ einen Bestseller landete. Ernstere Töne schlug sie mit ihrem ...
Isabel Bogdan hatte sich längst einen Namen als Übersetzerin ( z.B. von Jane Gardam ) gemacht, bevor sie 2016 mit ihrem ersten Roman „ Der Pfau“ einen Bestseller landete. Ernstere Töne schlug sie mit ihrem nächsten Buch an; in „ Laufen“ schreibt sie über eine Frau, die den Suizid ihres Lebensgefährten mit Laufen verarbeitet.
„ Wohnverwandtschaften“ nun erzählt von einer Wohngemeinschaft, die zu einer Art Ersatzfamilie für alle wird. Jörg ist mit Ende Sechzig der Älteste, ihm gehört die Wohnung. Doch nach dem Tod seiner Frau ist sie ihm zu groß, außerdem lebt er nicht gerne allein. So sind Anke und Murat bei ihm eingezogen. Und zu ihnen gesellt sich zu guter Letzt noch Constanze. Die dreißigjährige Zahnärztin hat nach dem Heiratsantrag ihres Freundes die Flucht aus ihrer so spießigen wie langweiligen Beziehung ergriffen und findet auf die Schnelle keine Wohnung. Als Übergangslösung war das gedacht, schließlich träumt sie weiterhin von einer eigenen Familie. Doch Constanze findet zunehmend Gefallen an der neuen und für sie ungewohnten Situation. Denn die Vier verstehen sich gut, bis auf ein paar Eifersüchteleien , obwohl sie völlig unterschiedliche Typen sind.
Jörg war früher Journalist und träumt nun von einer langen Reise. Bis nach Georgien will er mit seinem alten VW-Bulli fahren. Da kommt ihm die Miete der anderen gerade recht für seine Reisekasse.
Die Schauspielerin Anke steckt in einer richtigen Krise. Mit Anfang Fünfzig bekommt sie keine Rollenangebote mehr. Das kratzt an ihrem Selbstwertgefühl und bringt sie in eine finanzielle Schieflage.
Murat ist der Sonnenschein der Truppe. Immer gut gelaunt, immer ein offenes Ohr für die Nöte der anderen, ein Liebling der Frauen und ein Kumpel für seine Fußballkollegen. In seiner Freizeit werkelt der IT- Spezialist mit Begeisterung in seinem Schrebergarten und verarbeitet danach dessen Erzeugnisse zu phantasievollen Gerichten, sehr zur Freude seiner Mitbewohner. „ Darin ist er echt gut, genießen kann er. Was auch immer. Essen, die Sonne, das Leben.“ so denkt, beinahe neidisch, Constanze, der diese Lockerheit fehlt.
Die Autorin schreibt vom Alltag dieser Wohngemeinschaft wechselweise aus den Perspektiven der vier Protagonisten. So entstehen aus der Innensicht und der Außenperspektive glaubhafte und lebendige Charaktere, die dem Lesenden bald vertraut sind. Dazwischen gestreut finden sich immer wieder lebensnahe Dialoge zwischen den Figuren. Das alles wird in einem lockeren, flapsigen Stil erzählt.
Doch dann schleicht sich zusehends ein ernsterer Tonfall ein. Denn Jörg gibt Anlass zur Sorge. Seine Schusseligkeit wird immer schlimmer. Gut, etwas verpeilt war Jörg schon immer. So versucht er und versuchen es seine Mitbewohner abzutun. Doch es häufen sich die Situationen, wo Jörg nicht mehr weiß, wo er sein Auto abgestellt hat oder nicht nach Hause findet. Manchmal erkennt er nicht mal mehr seine Freunde, versucht das aber geschickt zu verbergen. Aber irgendwann ist seine zunehmende Demenz für alle offensichtlich. „ Mir fallen die Wörter nicht mehr ein, wo sind meine Wörter hin, meine Schätze? …Sie fehlen mir, die Wörter. Die schönen. Und die hässlichen. Meine Schätze, Wortschatz, Wortschätze. Wo sind sie hin, meine Wörter?“ Dieses Defizit macht Isabel Bogdan durch Lücken im Text greifbar.
Für die Wohngemeinschaft stellt sich nun die Frage, wie sie mit Jörgs Erkrankung umgehen sollen. Sie wollen zusammenhalten, denn schließlich sind sie so etwas wie eine Familie geworden. Alle bringen sich ein, wechseln sich ab mit der Betreuung, suchen Hilfe von außen. Aber wie lange können sie das? Und welche Konsequenzen hat das für jeden von ihnen? Sie sehen mit Sorge, dass ihr Zusammenleben in Gefahr ist.
Isabel Bogdan verhandelt in diesem Roman ernste Themen. Sie zeigt, dass es Rücksicht braucht und ein Verantwortungsbewusstsein, wenn eine solche selbst gewählte Wohngemeinschaft auch in Krisenzeiten funktionieren soll. Gleichzeitig stellt ein solches Lebensmodell eine Alternative dar angesichts der vielen unfreiwilligen Singles und den horrenden Mieten in den Städten.
„ Wohnverwandtschaften“ ist ein unterhaltsamer Roman, der zugleich Stoff zum Nachdenken liefert. Ein Buch, das mit seiner Menschlichkeit und Wärme berührt und Hoffnung gibt.