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30,00
inkl. MwSt
  • Verlag: Molden Verlag in Verlagsgruppe Styria GmbH & Co. KG
  • Themenbereich: Biografien, Literatur, Literaturwissenschaft - Biografien und Sachliteratur
  • Genre: Sachbücher / Geschichte
  • Seitenzahl: 308
  • Ersterscheinung: 19.09.2024
  • ISBN: 9783222151316
Julian Borger

Suche liebevollen Menschen

Mein Vater, sieben Kinder, und ihre Flucht vor dem Holocaust
Hainer Kober (Übersetzer)

Wien, 1938. Verzweifelt versuchen jüdische Eltern, ihre Kinder vor den Nazis in Sicherheit zu bringen. In ihrer Not schalten sie Kleinanzeigen im »Manchester Guardian«, in denen sie ihre eigenen Kinder ausschreiben, um ihnen ein Überleben in der Fremde zu sichern – obwohl sie wissen, dass sie sich nie wiedersehen werden. Jahrzehnte später stößt der Journalist Julian Borger auf eine dieser Anzeigen und erkennt den Namen eines der Kinder: Robert Borger. Sein Vater. Es ist der Beginn einer Recherche, die Julian Borger mitten hinein führt in ein dunkles Familiengeheimnis. Und Anlass für ihn ist, die Spuren von sieben weiteren Kindern zu verfolgen, deren Schicksalsreise von Wien aus ins Exil nach Shanghai, in die Arme von niederländischen Schmugglern, an die Seite französischer Widerstandskämpfer – oder ins KZ Auschwitz führte.

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Lesejury-Facts

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 14.10.2024

Dem Vergessen entrissen

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Julian Borger, Vollblutjournalist und auf der ganzen Welt zu Hause, geboren Anfang der 1960er Jahre in England als Sohn eines jüdischen Wiener Emigranten und einer britischen Mutter, beginnt 20 Jahre nach ...

Julian Borger, Vollblutjournalist und auf der ganzen Welt zu Hause, geboren Anfang der 1960er Jahre in England als Sohn eines jüdischen Wiener Emigranten und einer britischen Mutter, beginnt 20 Jahre nach dem Freitod des Vaters dessen Geschichte und die Familiengeschichte zu recherchieren. Dass es bis 2020 dauerte, ehe er damit überhaupt begann, hatte viele Gründe: das Schweigen in der Familie, das viele dieser Generation kennen und erst spät aufbrechen wollen oder müssen, die Arbeit, die Schnelllebigkeit der heutigen Zeit, immer war etwas anderes wichtiger. Dann fiel ihm die Anzeige wieder in die Hände, um die er sich schon lange kümmern wollte „Seek a kind person who will educate my intelligent Boy, aged 11, Viennese of good family, Borger, … Vienna 3“. Sie war im Manchester Guardian am 3. August 1938 veröffentlicht worden. Der intelligente Junge, der in der Anzeige beschrieben wird, war sein Vater Robert. In der gleichen Zeitungsspalte wird für vier weitere Kinder ein „Ausbildungsplatz“ gesucht. Julian Borgers Interesse ist plötzlich geweckt, er beginnt zu suchen und findet zuerst Material für einen umfangreichen Zeitungsartikel, der dann den Grundstock für dieses Buch bildet.
Was aber hatte es auf sich mit diesen Anzeigen? Sie erschienen nach dem sogenannten Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich im März 1938. Offiziell wurde die Bevölkerung am 10. April des gleichen Jahres zur Abstimmung aufgefordert, mehr als 99 Prozent der Österreicher und Deutschen stimmt mit Ja für den Anschluss. Aber bereits nach dem Einmarsch der Truppen begann wie aus heiterem Himmel die Verfolgung und Entrechtung der Juden. Im Gegensatz zum „Alt-Reich“, wo bereits seit der Machtergreifung Hitlers im Januar 1933 die Juden Schritt für Schritt entrechtet und verfolgt wurden, geschah das in Österreich sozusagen über Nacht. Besonders drastisch sind die Bedingungen zuerst in Wien, wo der Großteil der jüdischen Österreicher lebt. Es beginnt eine unbeschreibliche Hetzjagd, der sich die Juden auf unterschiedlichste Weise zu entziehen suchen. Panikartiges Verlassen des Landes, Verstecken, oder der Weg durch die bürokratischen Instanzen, um legal das Land zu verlassen. Egal, was sie tun, sie werden enteignet, alles wird ihnen genommen, konfisziert oder zerstört. Viele werden verhaftet und gefoltert oder ins nahe KZ Dachau gebracht. In diesem Tumult sind es vorausschauende Eltern wie die Borgers, die zuerst versuchen, ihr Kind zu schützen und zu retten. Erst später im Jahr 1938 werden die organisierten Kindertransporte nach England beginnen. Die private Übersiedlung von Kindern ohne ihre Eltern kurz nach dem Anschluss kam im Kleinen der Aktion der Kindertransporte nach England zuvor. Die große Tragik beider Aktionen war, dass weder die Eltern noch die Kinder ahnten, welche Pläne schon wenige Jahre später von den Nazis in die Tat umgesetzt werden würden. Nicht selten war der Abschied am Wiener Westbahnhof ein Abschied für immer.
Julian Borger beschränkt sich aber in seinen Recherchen rund um den Erdball nicht auf die Lebensgeschichte seines Vaters, er sucht auch nach den anderen Kindern, die auf diese Weise vor dem sicheren Tod bewahrt wurden. So entstehen mehrere Porträts von jüdischen Familien mit ihren unterschiedlichen Schicksalen, immer im Fokus die geretteten Kinder.
Überlebende und deren Nachkommen eint oftmals das Schweigen und Verdrängen des Erlebten, manche Holocaustüberlebenden wollen die junge Generation nicht mit den schrecklichen Erlebnissen belasten, andere überleben nur, weil sie erfolgreich verdrängen, was geschehen ist. Daran zu denken oder gar darüber zu sprechen, verbieten sie sich, es ist ein Schutzmechanismus, der immer wieder berichtet wird. Für Julian Borgers Vater war dieser Schutzmechanismus offensichtlich nicht stark genug, er schied über 40 Jahre nach der Flucht nach England aus dem Leben. Und hinterließ vollkommen ratlose Kinder. Für Julian Borger eine schwere Last, an der er bis heute trägt. Immer wieder wird er sich die Frage stellen, warum er mit seinem Vater nicht über all das sprechen konnte. Mit dem vorliegenden Buch schreibt er sich diese Last etwas von der Seele, indem er endlich erfährt und begreift, was in seinem Vater und all den anderen Kindern, die gerettet wurden, vorgegangen sein muss. Entschuldigung, es folgt ein Spoiler: Eines ist wirklich wunderbar in diesem Buch, Julian wird eines der geretteten Kinder tatsächlich noch lebend und bei wachem Verstand und guter Gesundheit interviewen können.
Julian Borger macht es dem Leser nicht ganz leicht, er konfrontiert mit vielen verschiedenen Familiengeschichten und sehr vielen Namen und Ereignissen. Dass auch geschichtliche Exkurse eingestreut sind, empfinde ich als bereichernd, obwohl mir vieles bekannt war. Aber ich denke, Leser, die mit der Materie von Holocaust, Nationalsozialismus, Emigration nicht so bewandert sind, finden hier gute Erklärungen und Grundlagen.
Beim Epilog musste ich schmunzeln, als Julian Borger auf dem Wiener Friedhof in der Stille der verwahrlosten jüdischen Gräber ein Reh sieht. Genau das Gleiche erlebte Shelly Kupferberg in ihrem Buch „Isidor“, das ich in diesem Zusammenhang interessierten Lesern als zusätzliche Holocaust-und-Wien-Lektüre sehr empfehlen kann. Auch das Buch „Café Schindler“ von Meriel Schindler befasst sich mit der Vertreibung einer Wiener jüdischen Familie und mit dem Verlust des eigenen Geschäfts, ähnlich wie es die Borgers mit ihrem Radiogeschäft erlebten.
Aber bisher gab es wahrscheinlich kein einziges Buch, dass die Geschichte der privaten Rettung von jüdischen Kindern über Zeitungsanzeigen beschrieben hat. Ich kenne jedenfalls keines. Schon das allein ist für mich die große Überraschung dieses Buches. Mich haben die einzelnen Geschichten sehr berührt, gerade weil auch ich Nachkomme eines Holocaustopfers und dessen Tochter, einer Überlebenden, bin. Ich beschäftige mit seit Jahren mit der Thematik und bin doch immer wieder erstaunt, wie vielfältig und unterschiedlich die Schicksale einzelner Menschen sind, die am Ende doch ein großes Ganzes bilden, immer mit der Hoffnung „Nie wieder“.
Ins Buch haben sich einige Flüchtigkeitsfehler eingeschlichen, bei einer nächsten Auflage werden sie wohl verschwunden sein und z. B. der Wienerwald heißt dann auch wieder so. Bedauert habe ich, dass das Buch nicht auch als E-Book erschienen ist. Wen es interessiert: Die englische Originalausgabe ist auch als E-Book erhältlich.UPDATE: Am 18.11.2024 wird auch das deutschsprachige E-Book erhältlich sein.
Fazit: Ein starkes und tragisches Buch, gut lesbar, nahe an den beschriebenen Menschen. Jedes einzelne Schicksal könnte einen Roman füllen. Eindeutig eine Leseempfehlung. Gute vier Sterne.

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Veröffentlicht am 05.10.2024

Kein leichtes Thema, aber sehr zu empfehlen

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In „Suche liebevollen Menschen“ erzählt Julian Borger die Geschichte seines Vaters Robert und weiterer jüdischer Kinder aus Wien, deren Eltern Anzeigen im Manchester Guardian geschaltet haben in der Hoffnung, ...

In „Suche liebevollen Menschen“ erzählt Julian Borger die Geschichte seines Vaters Robert und weiterer jüdischer Kinder aus Wien, deren Eltern Anzeigen im Manchester Guardian geschaltet haben in der Hoffnung, dass sie bei fremden Familien in England Schutz vor den Nazis nach dem „Anschluss“ 1938 finden können.

Da ich von diesen Anzeigen bisher noch nie gehört habe, war ich ziemlich neugierig. Julian Borger führt die Leser mehr oder weniger chronologisch durch das Buch und damit durch das Geschehen. Er erzählt also zuerst von der Zeit des „Anschlusses“ Österreichs an das Deutsche Reich, dann von der Zeit während des Krieges und endet mit den Monaten, Jahren und Jahrzehnten nach dem Krieg.
Diese Art die Geschichten aufzubereiten gefällt mir persönlich auch sehr gut, auch wenn ich dadurch an einigen Stellen Probleme hatte durch viele Sprünge zwischen den einzelnen Geschichten und Personen dem roten Faden zu folgen. Hier gilt es genau auf die Namen zu achten, nicht nur einmal ist es mir passiert, dass ich erst ein paar Absätze später gemerkt habe, dass es wieder um eine ganz andere Person als zuvor ging. Hier hätte ich mir doch eine etwas klarere Abgrenzung gewünscht.

Zwischendurch liefert der Autor auch viele Hintergrundinformationen, die nicht direkt mit den Geschichten zu tun haben, zum Beispiel zur Geschichte der jüdischen Gemeinde in Wien oder in Shanghai (wo die Recherchen zu diesem Buch ebenfalls hingeführt haben). In meinen Augen trägt das sehr positiv zum Lesefluss und zum Gesamtverständnis bei.

Das Buch kann ich persönlich sehr empfehlen, es ist aber natürlich nicht unbedingt leichte Kost. Gerade nach dem Kapitel, in dem die Reise von Fred und Frits durch verschiedene Konzentrations- und Vernichtungslager beschrieben wird, bleibt man mit Gänsehaut und einem bedrückenden Gefühl zurück.

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