Spannende Märchenadaption mit gar nicht so bösen Bösewichten
Märchen- und Sagen-Retellings gehören zu meiner heimlichen Leidenschaft. Ich mag es, wie AutorInnen den bekannten Stoff aufgreifen und neu interpretieren. Lucia Herbst ist eine dieser Autorinnen, die ich ...
Märchen- und Sagen-Retellings gehören zu meiner heimlichen Leidenschaft. Ich mag es, wie AutorInnen den bekannten Stoff aufgreifen und neu interpretieren. Lucia Herbst ist eine dieser Autorinnen, die ich bereits durch ihre Medusa-/Persephone-/Psyche-Neuinterpretationen kennengelernt habe (absolute Leseempfehlung). In „Mirror: Weiß wie Schnee“ greift sie das Märchen rund um Schneewittchen auf und gibt diesem nicht nur eine neue Richtung, sondern geht auch kritisch mit den klassischen „Märchen-Weisheiten“ um. Ist die „böse Stiefmutter“ wirklich böse? Was ist mit dem „bösen Wolf“? Oder der Hexe im Lebkuchenhaus? Und ist der Prinz aus Schneewittchen wirklich „der Gute“ in dieser Gleichung?
Die Charakterisierung dieser Märchenfiguren gehört zu den Highlights dieses Buches. Sie werden sehr menschlich dargestellt und überraschen mit verschiedenen Wendungen, die man in den klassischen Märchen nicht findet. Und die sich sehr schön lesen lassen, gerade weil sie zwar vom Märchen inspiriert sind, aber ihren ganz eigenen Weg gehen. Dabei erfahren sie nicht nur echte Freundschaft, sondern auch eine Emanzipation aus der ihnen zugedachten Rolle. Es gibt viele witzige Dialoge, aber auch viele ernsthafte. Spannung und Unterhaltung halten sich sehr gut die Waage, so dass der Spaß nicht kurz kommt, aber auch viele dunkle Momente vorkommen. Generell weiß das Buch, dass es eine ernsthafte Geschichte erzählt und driftet nicht ins Lächerliche ab, nimmt sich aber auch nicht immer Bierernst. Eine gute Mischung, die für Spaß, aber auch einiges zum Nachdenken sorgt.
Das Buch erzählt eine spannende Geschichte und bricht mit althergebrachten Regeln. Das macht viel Spaß und sorgt für einen neuen Blick auf bekannten Märchen-Themen. Zudem schwingt auch Kritik am Patriarchat mit, was dem Buch eine gesellschaftskritische Komponente gibt. Allerdings recht sanft, so dass es sich immer gut anfühlt. Schön ist auch, dass die Frauen der Geschichte keinen Ritter auf dem weißen Pferd benötigen, sondern sich gut selbst zu helfen wissen. Dennoch nehmen sie Hilfe an und wissen, wann es sich lohnt, allein zu kämpfen und wann Unterstützung sinnvoll ist. Dieses Gleichgewicht hat mir gut gefallen. Auch der Schreibstil und die Art, die Geschichte zu erzählen, empfand ich als sehr angenehm.
Obwohl es sich um den 1. Band einer Dilogie handelt, hat das Buch ein „richtiges Ende“ (Gefällt mir sehr). Dennoch legt es den Grundstein für Band 2. und lässt genug Fragen offen, um Lust auf den Nachfolger zu machen.