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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 20.11.2024

Ein Abriss über weiblichen Schmerz

Unversehrt. Frauen und Schmerz
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Ausgehend von dem schmerzvollen Leiden ihrer Großmutter, deren Hintergründe und Ursachen nie geklärt wurden, beleuchtet Eva Biringer in "Unversehrt" weiblichen Schmerz und ordnet ihn ein.
Sie beleuchtet ...

Ausgehend von dem schmerzvollen Leiden ihrer Großmutter, deren Hintergründe und Ursachen nie geklärt wurden, beleuchtet Eva Biringer in "Unversehrt" weiblichen Schmerz und ordnet ihn ein.
Sie beleuchtet die Entstehungsgeschichte des Schmerzes, die unterschiedliche Konnotation männlichen und weiblichen Schmerzes, die diversen Ebenen und Dimensionen in denen Schmerz stattfindet, verortet sie in den patriarchalen Strukturen und macht die Mechanismen und Deutungen sichtbar.
Eva Biringer verdeutlicht an zig Beispielen und Situationen, wie weiblicher Schmerz abgesprochen, übergangen, abgewertet und unterschätzt wird. Aus medizinischer Sicht wird weiblicher Schmerz häufig psychosomatisch bewertet, chronische Erkrankungen, die bei Frauen viel häufiger auftreten, Menstruation und Endometriose sind kaum erforscht und werden erst seit wenigen Jahren wichtiger für die Forschung.
Weitere Themen sind die Fetischisierung von Schmerz, die männliche Norm, von der bei der Bemessung, Bewertung und Forschung von Schmerz innerhalb der Medizin ausgegangen wird, sowie häusliche und patriarchale Gewalt.

"Unversehrt" ist ein sehr informatives, gut recherchiertes und wütend machendes Buch über die Abwertung weiblichen Schmerzes, verbunden mit dem Appell, ihn sichtbar zu machen und in etwas Mächtiges umzuformen.
Ein wichtiges und ausdrucksstarkes Plädoyer aus feministischer Sicht, das jede*r lesen sollte!

Veröffentlicht am 19.11.2024

Sprachgewaltig

Als wir Schwäne waren
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Ein zehnjähriger Junge flieht mit seinen Eltern aus Iran nach Deutschland. Sie kommen in den 1990ern in einem Plattenbau in Bochum an. Die Abschlüsse der Eltern werden nicht anerkannt, sodass die Mutter ...

Ein zehnjähriger Junge flieht mit seinen Eltern aus Iran nach Deutschland. Sie kommen in den 1990ern in einem Plattenbau in Bochum an. Die Abschlüsse der Eltern werden nicht anerkannt, sodass die Mutter wieder studiert und der Vater Geld als Taxifahrer verdient. Der Junge wächst im Plattenbau auf, erlebt diverse Gewalt mit und muss seinen eigenen Platz in diesem ihm fremden Land finden.

Behzad Karim Khani erzählt in kurzen Kapitel sehr deutlich, manchmal knapp und verkürzt vom Ankommen und dem Erleben des Jungen. Es geht neben dem Ankommen auch (und vermutlich vor allem) um Identität, Familie, Freundschaft, Trauer, Gewalt, Drogenkonsum, Kränkung, Abwertung und um Wut. Behzad Karim Khani vermittelt mir sehr deutlich, wie viel Wut der Protagonist in sich trägt, wie wenig er dort sein will, wo er ist, und wie sehr er den Weg daraus finden möchte. Die Mutter ist beharrlich in ihrem Glauben an ein gutes Ankommen und das Weiterkommen in Deutschland, der Vater wirkt ernüchtert, frustriert und der Junge vor allem wütend und aufbegehrend - gibt sich der Gewalt hin und passt sich so an das Umfeld an.

Behzad Karim Khani schreibt sprunghaft, manchmal fragmentarisch und roh, fast schon schroff. Es gibt keine Chronologie oder einen roten Faden in der Handlung, es handelt sich vielmehr um eine Aneinanderreihung an Erinnerungen, Rückblenden und prägende Erlebnisse des Protagonisten.

"Als wir Schwäne waren" habe ich sehr gern gelesen und muss bedauerlichwereise sagen, dass sich von den beschriebenen Szenen aus den 1990ern bis heute für ganz viele Menschen kaum etwas geändert hat.

Veröffentlicht am 13.11.2024

Emotionale, berührende Story

Für immer und ein Jahr
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Kaya hat Krebs und stirbt. Kurz vor ihrem Tod hat sie ihrem Ehemann Jan das Versprechen abgenommen, ein Jahr lang alle Menschen aus Kayas Geburtstagskalender anzurufen und ihnen zum Geburtstag zu gratulieren. ...

Kaya hat Krebs und stirbt. Kurz vor ihrem Tod hat sie ihrem Ehemann Jan das Versprechen abgenommen, ein Jahr lang alle Menschen aus Kayas Geburtstagskalender anzurufen und ihnen zum Geburtstag zu gratulieren. Und in Kayas Kalender stehen sehr viele Menschen, die Jan zum Großteil nicht kennt. Er muss bei dieser Aufgabe immer wieder über sich hinauswachsen, denn er darf keine Nachrichten verschicken und nicht auf den Anrufbeantworter sprechen, sondern mit all den Menschen telefonieren.

Stefanie Hansen hat hier ein schönes Ausgangsszenario für den Umgang mit Trauer und der Abschiedsnahme geschaffen, finde ich. Einen Menschen zu verlieren, und dann recht plötzlich an Krebs, ist immer viel. In Jans Fall steht er plötzlich mit den zwei Kindern allein da und braucht viel Unterstützung - da kommen ihm die Zusprüche und die lieben Worte und Gedanken von Kayas Freund*innen und Bekanntschaften sehr gelegen.
Ich mochte den flüssigen Schreibstil, der stellenweise humorvoll war, und das Tempo, in dem erzählt wird. Jans Entwicklung, die Fortschritte, aus sich herauszukommen und auf Menschen zuzugehen, empfinde ich als realistisch.
Die eingefügten Notizen von Kaya haben mich sehr berührt und die entstehende Lovestory fand ich nachvollziehbar und konnte mich ebenfalls berühren.

Ein schöner Roman über das Loslassen und kleine Neuanfänge.

Veröffentlicht am 16.10.2024

Emotionale Geschichte

Der Bademeister ohne Himmel
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Die 15-jährige Linda stellt sich vor, wie es wäre, wenn sie vor ein Auto liefe und die Menschen um sie herum erkennen würden, dass sie Hilfe gebraucht hätte. Doch es gibt zwei Menschen in ihrem Leben, ...

Die 15-jährige Linda stellt sich vor, wie es wäre, wenn sie vor ein Auto liefe und die Menschen um sie herum erkennen würden, dass sie Hilfe gebraucht hätte. Doch es gibt zwei Menschen in ihrem Leben, die sie davon abhalten. Das ist zum einen ihr einziger Freund Kevin, der ebenfalls an der Welt (ver)zweifelt, und zum anderen der 86-jährige Hubert. Hubert ist dement und baut immer mehr ab. Er wird von der polnischen Pflegerin Ewa betreut, doch Huberts Tochter bittet Linda, ein paar Nachmittage in der Woche bei Hubert zu sein und ihn zu umsorgen, da sie einen besonderen Draht zu ihm hat. Hubert war früher Bademeister und obwohl er schon seit Jahren im Ruhestand ist, bestimmt das Schwimmbad immer noch sein Leben. Und Linda hat ganz eigene Ideen, wie sie Huberts Erinnerungen wachhalten kann.

Petra Pellini erzählt auf sehr eindringliche und humorvolle Weise von den verschiedenen Beziehungen. Für Linda sind Kevin und Hubert, aber auch Ewa nach geraumer Zeit, feste Ankerpunkte in ihrem Leben und Konstanten, auf die sie sich verlassen kann. Mich hat gerade die Art, wie Linda mit Hubert umgeht, wie ernst sie ihn und seine Bedürfnisse nimmt, berührt.
Die Demenz bekommt den Raum und die Ernsthaftigkeit, die sie braucht, ohne dabei zu melancholisch oder traurig zu sein, aber eben auch ohne falsche Hoffnungen.
Mich konnte Petra Pellini durch ihren flüssigen und interessanten Schreibstil vollkommen in ihren Bann ziehen und ich mochte die Figuren total gern.
Ein emotionaler Roman, der mir noch eine ganze Weile in Erinnerung bleiben wird!

Veröffentlicht am 14.10.2024

Toller Debütroman

Okaye Tage
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Sam, 28 Jahre alt, lebt in Stockholm, besucht ihre Familie in London jedoch schon seit ihrer Jugend regelmäßig und fühlt sich dort sehr wohl. Als sie den Sommer für ein Praktikum in einer Londoner Agentur ...

Sam, 28 Jahre alt, lebt in Stockholm, besucht ihre Familie in London jedoch schon seit ihrer Jugend regelmäßig und fühlt sich dort sehr wohl. Als sie den Sommer für ein Praktikum in einer Londoner Agentur verbringt, lernt sie auf einer Party Luc kennen. Während Sam etwas chaotisch, spontan und impulsiv ist, wirkt Luc kontrolliert, ist idealistisch und sucht nicht nur den perfekten Job für seine Ideale, sondern auch seinen Platz in der Welt. Obwohl Sams Zeit in London begrenzt ist, lernen sich die beiden weiter kennen, verlieben sich ineinander und beginnen eine Beziehung.

Sam und Luc sind in ihren Endzwanzigern, erarbeiten sich eine Karriere, haben Ziele und Träume. Die räumliche Distanz zwischen London und Stockholm ist für die Beziehung der beiden nicht einfach. Aus wechselnden Perspektiven wird von den Ups and Downs, den berauschenden Gefühlen, den Herausforderungen und Krisen erzählt.
Ich mag den Schreibstil von Jenny Mustard sehr gern, denn der Ton schwankt je nach Situation zwischen Leichtigkeit und Ernsthaftigkeit und übermittelt die Emotionen, Zweifel und Verlustängste nachvollziehbar.
Sowohl Sam und Luc mochte ich sehr und konnte ihre Gedanken und ihr Handeln größtenteils nachvollziehen. Auch wenn der Schluss wenig überraschend war, hat mich der Weg dorthin inklusive der Abbiegungen und ernsten Aspekte in der Beziehungsarbeit begeistern können.
Ein schöner Debütroman!