Direkt nach "Ensel und Krete" habe ich mich an "Der Schrecksenmeister" gemacht, um meine Zamonien-Mission fortzusetzen. Nachdem ich im Frühjahr mit "Prinzessin Insomnia und der albtraumfarbene Nachtmahr" ins Universum von Walter Moers eingestiegen bin, bin ich somit nun bei meinem siebten Buch angelangt. Meine wachsende Sammlung an (begeisterten) Rezensionen zu den anderen Büchern von Walter Moers findet Ihr übrigens hier. Wie nicht anders erwartet, bot auch "Der Schreckenmeister" wieder eine ordentliche Wundertüte aus Überraschungen, Spannung, Originalität, Humor und liebenswürdiger Groteske.
Zunächst wie immer ein paar kurze Worte zur Gestaltung. "Der Schrecksenmeister" hat zeigt im Großformat ein von Ledermäusen umflogenes blaues Ziegeldach, aus dem das Krätzchen Echo seinen Kopf streckt. Mit dem großflächig gemusterten Hintergrund und dem großen gelben Titel ist es mal wieder ein typisches Zamonien-Cover, das wunderbar zu den Gestaltungen der anderen Romane passt. Hervorheben möchte ich auch wieder die Gestaltung Inneren des Buches, die wieder zahlreiche Illustrationen der Umgebung und handelnden Figuren beinhaltet.
Erster Satz: "Stellt Euch den krankesten Ort von ganz Zamonien vor."
In "Der Schrecksenmeister" entführt Walter Moers nach Sledwaya, einer bisher unbekannten Kleinstadt von Zamonien, in dem der titelgebende Schrecksenmeister Eißpin Krankheiten kocht und mittels alchimistischer Experimente bösen Plänen nachgeht. Kein Wunder, dass es nur hier Hirnhusten und Lebermigräne, Magenmumps und Darmschnupfen oder Ohrenbrausen und Nierenverzagen gibt, was die Stadt zu einem Paradies für Apotheker und Quacksalber und der Hölle auf Erden für Hypochonder macht. Weder das eine noch das andere ist unser Protagonist Echo, der wohl der mit Abstand niedlichste Moers-Protagonist überhaupt ist. Als "Krätzchen" unterscheidet er sich von der gewöhnlichen Hauskatze nur in zwei Dingen: erstens hat er zwei Lebern und zweitens kann er alle Sprachen des Universums sprechen. Beides hilft ihm recht wenig, als er nach dem Tod seines Frauchens vor dem Verhungern steht. Da kommt ihm der Deal mit dem Schrecksenmeister trotz des schaurigen Ausgangs ganz recht: er wird von ihm durchgefüttert, bis zum nächsten Vollmond, um dann Teil seiner alchimistischen Fettsammlung zu werden. Schafft es die junge Kratze, ihrem Schicksal zu entgehen....?
"Jedes Ding", flüsterte Eißpin, "hat seinen Schatten. Der Schatten ist die dunkle Seite, die jedem innewohnt. Solange er an uns gekettet ist, ist er unser Sklave, aber sobald man die Schatten von Ihren Besitzern trennt, zeigen sie ihr wahres Wesen. Dann werden sie böse, wild und gefährlich."
Falls Euch die Handlung oder die Namen entfernt bekannt vor kommen: Es handelt sich hierbei genau wie bei "Ensel und Krete" um eine Nacherzählung eines auch in unserer Welt existierenden Märchens und zwar die Novelle des Schweizer Dichters Gottfried Keller "Spiegel, das Kätzchen". Auch wenn ich das Original nicht gelesen habe, wird schon bei einem kurzen Blick auf die Inhaltsangabe deutlich, wie Walter Moers hier mit dem Text spielt. So wird der Protagonist von "Spiegel, das Kätzchen zu "Echo, das Krätzchen", die Stadt Seldwyla wird zu "Sledwaya", der Stadthexenmeister Pineiß wird zum Schrecksenmeister Eißpin und Gottfried Keller zu Gofid Letterkerl. Aber auch bei der Handlung lässt der Autor es sich nicht nehmen, das 50-seitige Original kunstvoll auszubauen, zu verdrehen und zu einem spannenden Roman mit 500 Seiten zu ergänzen. Wer großen Spaß mit der Intertextualität von "Der Schrecksenmeister" haben und die Parallelen zum Original in vollem Ausmaß genießen möchte, sollte vorher also unbedingt "Spiegel, das Kätzchen" lesen. Es sei aber versichert: auch ohne das Original vorher zu kennen, kann man mit dem Roman großen Spaß haben.
„Was gewesen und gegangen
Soll jetzt wieder neu anfangen
Was gegangen und gewesen
Soll im Wundersud genesen
Soll im Topfe wiederkehren
Um die Alchimie zu ehren“
Zwar startet der Spannungsbogen recht flach und das Buch liest sich trotz der Gefahr, in der Echo schwebt, erstmal eher gemütlich. Durch den interessanten Schauort und den Schreibstil des Autors wird jedoch trotzdem eine fesselnde Atmosphäre aufgebaut. So kommt durch das Setting in Sledwaya mit kranken Bewohnern, einem Gruselschloss auf einem Berg, bluttrinkenden Ledermäusen, alchimistischen Experimenten, düsteren Plänen, einer blutdurchtränkten Vorgeschichte und (im wahrsten Sinne des Wortes) Leichen im Keller, die schaurige Atmosphäre eines Gruselklassikers auf. Dem gegenüber stehen allerdings die appetitlichen Essensbeschreibungen, von denen die Geschichte nur so strotzt. Denn es handelt sich hier laut Autor um ein "Kulinarisches Märchen", und dieser zamonischen Literaturgattung macht er mit seitenlangen Beschreibungen der Menüs, die Eißpin Echo auftischt alle Ehre. Dazu kommen überdies lustige Wortspiele, Anspielungen und weitere intertextuelle Köstlichkeiten (Stichwort: "Ojahnn Golgo van Fontheweg"), die Moers´ klassischen Humor ausmachen. Wie kann man sich beim Lesen gleichzeitig ekeln, gruseln, amüsieren und sich hungrig die Lippen lecken? Keine Ahnung, fragt Walter Moers!
"Oben ist unten und hässlich ist schön."
Ebenso widersprüchlich, aber dennoch genial sind die Figuren, die die Geschichte bewohnen. Echo ist einfach herzallerliebst und schwankt zwischen kindlicher Naivität und Genialität, was ihn zu einem hervorragenden Erzähler macht. Und von den originellen Nebenfiguren wie eine verliebte Schreckse, ein fremdworteverdrehener Schuhu, eine schneeweiße Witwe, ein gekochtes Gespenst oder unvorhersehbare Ledermäuse will ich gar nicht erst anfangen.... Der Schrecksenmeister Eißpin ist aber das wahre Kunstwerk der Geschichte. Walter Moers schafft es, aus dem Scheusal, das unschuldige Tiere auskocht, um an deren Fett zu kommen und kranke Pläne ausheckt, um die Bürger Sledwayas aus purer Boshaftigkeit zu vergiften, eine ambivalente Figur zu machen, für die man trotz des Abscheus doch immer wieder kurz Sympathie verspürt. Sei es durch das Erzähler seiner Hintergrundgeschichte, seine Hingabe zur Kochkunst oder die beinahe freundschaftliche Beziehung, die Echo und Eißpin entgegen aller Wahrscheinlichkeit zu entwickeln scheinen - so sehr man sich auch anstrengt, man kann ihn nicht nur hassen. Dadurch wird der Geschichte bis zum Ende die Möglichkeit auf verschiedene Ausgänge offen gehalten. Unterläuft Eißpin doch noch einen Wandel und kommt von seinem bösen Plan ab, wird er als Bösewicht gerichtet oder stirbt Echo doch unerwartet? Ich konnte es bis zur letzten Seite des etwa 100seitigen spannenden Showdown nicht sagen!
"Gestatten: Mein Name ist Fjodor F. Fjodor, aber du kannst mich Fjodor nennen.' Echo wagte nicht, nach der Bedeutung des F's zwischen dem beiden Fjodors zu fragen. Vielleicht stand es für Fjodor."
Ebenfalls überraschend war, dass sich Hildegunst von Mythenmetz hier als "Autor" der Geschichte ungewohnt zurücknimmt und erst im Nachwort auftaucht. Laut der angefügten Erklärung des "Übersetzers" Walter Moers ist das aber vor allem seinen Kürzungen zuzuschreiben, denn er hat beim Übersetzen beschlossen, uns 700 Seiten mythenmetzsche Ausschweifungen über Krankheiten zu ersparen. An dieser Stelle: Danke, Walter! So entsteht eine runde, atmosphärische Nacherzählung mit vergleichsweise wenig Verbindungen zu anderen Zamonien-Romane, die deshalb auch gut für Einsteiger geeignet ist.
"Du musst tun, was du nicht lassen kannst", sagte Fjodor und seufzte noch einmal tief. Der Schuhu sah Echo so lange mit seinem wässrigen Blick an, bis dem Krätzchen unbehaglich wurde. "Aber du musst auch manchmal lassen, was du nicht tun kannst", fügte er geheimnisvoll hinzu."
Fazit:
"Der Schreckenmeister" ist erneut ein typischer Moers: eine ordentliche Wundertüte aus Überraschungen, Spannung, Originalität, Humor und liebenswürdiger Groteske. Ich konnte erneut bis zur letzten Seite nicht sagen, auf was die Geschichte zusteuern wird und auch die intertextuellen Bezüge sind ein wahrer Literaturschmaus