„Die Brücke ist Teil eines natürlichen Kreislaufs aus Krieg und Befriedung und erneutem Krieg. Für Britta reicht das, um zu wissen, dass ihre Arbeit Sinn ergibt. Es geht immer um ein Gleichgewicht der Kräfte, um ein Ausbalancieren von Chaos und Ordnung, Sauberkeit und Schmutz.“
Inhalt
Britta Söldner lebt mit ihrem Mann und der Tochter in Braunschweig und führt mit ihrem Freund Babak eine florierende Firma, die offiziell unter der Rubrik Heilpraxis läuft. Doch eigentlich konzentriert sich ihre Arbeit auf das Geschäft mit dem Tod, natürlich ganz legal und unter strenger Beachtung aller Gesetze. Britta gelingt es, aus einer Idee ein funktionales System zu schaffen und Babak steuert das nötige Know-How auf Seiten der Computertechnik bei. Alles könnte so gut laufen, wenn nicht plötzlich die Konkurrenz in Brittas Leben stürmen würde. Eine heikle öffentliche Situation, wird zum Stolperstein für „Die Brücke“, ihre einmalige Firma, die es so noch nirgendwo zu finden gibt. Dadurch sieht sich die Jungunternehmerin gezwungen, ihren Feinden nachzuspüren. Doch so einfach wie erhofft, lässt sich das Problem nicht aus der Welt schaffen. Zu verworren sind die Machenschaften ihrer Gegner und zu speziell ihr eigenes Metier. Die einzige Möglichkeit, die Britta bleibt ist ein Untertauchen in der Hoffnung, ihr eigenes Leben und das ihrer geliebten Familie nicht aufs Spiel zu setzen …
Meinung
Gespannt habe ich auf den neuen Roman der deutschen Autorin Juli Zeh gewartet, die bereits mit zahlreichen Buchpreisen ausgezeichnet wurde und von der ich gesellschaftskritische Gegenwartsliteratur mit Unterhaltungsfaktor erwarte. Auch dieses Buch erfüllt wie erhofft alle Ansprüche und wartet mit einer besonders innovativen Idee auf, die sehr geschickt und erst Stück für Stück im Text erkennbar wird.
Dadurch, dass der Leser mit Hilfe ganz normaler Menschen, die vielleicht etwas politikverdrossen sind aber ansonsten durchaus dem gängigen Gesellschaftsmodell folgen, geschickt getäuscht wird, ergibt sich das Ausmaß des Unternehmensinhalts erst ab Mitte des Buches. Vollkommen angetan von dieser Idee, die mir tatsächlich nicht weltfremd und sogar realistisch erscheint, konnte ich die aktuellen Ereignisse, die eine moderne, taffe Hauptprotagonistin schneller einholen als gewünscht, voller Begeisterung verfolgen. In diesem Zusammenhang finde ich auch die Datierung der Handlung, die sich auf eine Zeit vielleicht 10 bis 15 Jahre in der Zukunft festlegt, geradezu vortrefflich. Dadurch wirkt die Handlung äußerst präsent, liegt aber auch noch im Rahmen des Vorstellbaren, denn aus heutiger Sicht sind die Ansätze ebenjener Machenschaften absolut realistisch, erscheinen aber einfach noch nicht ausgereift.
Sehr positiv zu bewerten ist auch die Entwicklung der Protagonistin, der man mit jeder Faser anmerkt, dass ihre anfängliche Euphorie und ihr mittlerweile etabliertes Unternehmen eigentlich nur eine Farce sind. Abgesehen von nächtlichen Meetings, spontanen Unternehmensausflügen und einem dicken Bankkonto, bleibt der Mensch Britta Söldner ziemlich auf der Strecke. Sie belächelt ihre Freunde, schüttelt den Kopf über die Angepasstheit ihrer Mitbürger und empfindet ihre Sicht, auch wenn sie diese nicht äußern möchte, als die einzig wahre. Erst nachdem sie wirkliche Probleme bekommt und auf elementare Bedürfnisse zurückgeworfen wird, gelingt es ihr, mit ihrem Organisationstalent aber auch einer gewissen Weitsicht wieder Land zu gewinnen. Fast erscheint es so, als würde die Autorin Juli Zeh ihre Protagonistin als Mittel zum Zweck einsetzten. Britta ist nicht nur die erfolgreiche Geschäftsfrau von Morgen, sie ist auch das Sinnbild für Menschen, die ihren Auftrag möglicherweise vollkommen falsch verstanden haben.
Fazit
Ich vergebe 4,5 Lesesterne für diesen aktuellen, einfallsreichen Unterhaltungsroman mit einer guten Portion Gesellschaftskritik und einer Tendenz zum politischen Thriller. Ein interessantes Konzept, gut gezeichnete Charaktere und eine spannende Handlung machen das Buch zum Pageturner. Es bleibt auch noch genügend Spielraum für eigene Spekulationen, weiterführende Gedanken und generell für die unabhängige Urteilsfindung des Lesers. Zum Lieblingsbuch fehlt nicht viel, vielleicht eine höhere menschliche Komponente, mehr Empathie mit den Menschen hinter der Geschichte, obwohl ich fürchte, diese Grenze zwischen, so könnte es sein und so sollte es besser nicht werden, ist sehr bewusst gewählt und sollte für die Bewertung des Buches nicht relevant sein. Ein empfehlenswerter zeitgenössischer Text, der mich einmal mehr für die Autorin und ihre gut beobachteten Sachverhalte einnehmen konnte.