Selbstmordserie im Waisenhaus
Der Schatten einer offenen Tür„Dann geh, und sieh es dir an, dann erfährst auch du auch gleich, wie dein Volk abseits der Hauptstadt lebt.“
Schon in seinen Romanen „Rote Kreuze“ und „Der ehemalige Sohn“ prangert Filipenko russische ...
„Dann geh, und sieh es dir an, dann erfährst auch du auch gleich, wie dein Volk abseits der Hauptstadt lebt.“
Schon in seinen Romanen „Rote Kreuze“ und „Der ehemalige Sohn“ prangert Filipenko russische Zustände an. So auch in diesem Buch, in dem er Ermittler nach einem Schuldigen für eine Selbstmordserie Jugendlicher suchen lässt.
Der scheint schnell in dem Außenseiter Petja gefunden zu sein. Aufgewachsen im Waisenhaus, von diversen Pflegefamilien wieder zurückgegeben, verhält er sich anders als andere. Einst hat er sich gegen eine Reise der Waisenhauskinder nach Griechenland ausgesprochen, die mehreren Selbstmorden vorausgegangen ist. Nun begleiten wir die Ermittler bei ihrer Recherche, warum die Kinder nicht mehr leben wollten.
Dieses Buch ist geschrieben wie ein emotionsloser Bericht und hat mich – vielleicht gerade deswegen - aufgewühlt. Denn was hier alles beleuchtet wird, ist kaum vorstellbar. Der Autor zeigt seine Figuren mit all ihren Eigenschaften und die Reaktion der Umwelt darauf. Wer nicht so ist wie gewünscht, wird schief angeschaut und verurteilt. Der Aufbau des Romans hat mich besonders angesprochen: Hier werden keine Erklärungen gegeben, sondern anhand von Momentaufnahmen nur Geschehenes berichtet, untermalt mit diversen Aufsätzen und Zeitungsberichten.
Sasha Filipenko, 1984 in Minsk geboren, ist laut PEN Berlin einer der herausragenden belarussischen Autoren und einer der profiliertesten Kritiker des Lukaschenko-Regimes. Er studierte an der Europäischen Humanistischen Universität in Minsk und nach deren Schließung 2004 an der Universität Sankt Petersburg Literatur. Nach dem Master arbeitete er für die unabhängigen Sender Dozhd und RTVi. Er beteiligte sich an den Protesten 2020 und lebt seitdem mit seiner Familie im Schweizer Exil. Hier engagiert er sich für Meinungsfreiheit, was dazu führte, dass sein Vater mit den Worten »Danke deinem Sohn« von belarussischen Polizisten im November 2023 festgenommen wurde.
Fazit: diese zeitgenössische Literatur über russische Zustände ist ausgesprochen lesenswert!